Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 124

Israels Existenz als Volk war im Lauf seiner Geschichte mehrmals in Frage gestellt. Auf diese bedrohlichen Situationen richtet sich der Blick dieses Psalms. Der Dichter bedient sich einer allgemein gehaltenen Ausdrucksweise, wodurch angezeigt wird, dass er nicht nur über ein bestimmtes geschichtliches Ereignis spricht. In Vers 2 wird dies besonders deutlich, wenn er von ‚den Menschen‘ redet, die als mächtige Feinde von verschiedener Seite im Lauf der Zeiten gegen das Volk Israel aufgetreten sind, um es nach Möglichkeit auszurotten. Doch „Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erkannt hat“ (Röm 11,2; Ps 94,14; Jer 31,37). Israel wird die mörderischen Angriffe durch Kriege und Vertreibungen und die Unbill der wiederholten Rückkehr in sein Land nie vergessen. Insgesamt gesehen, ist das, was sie erlebt haben, einzigartig; es gibt kein vergleichbares Schicksal in der Weltgeschichte. Offensichtlich haben göttliche Fügungen einen Untergang Israels als Volk verhindert. Das Eingreifen des HERRN in der Vergangenheit gibt dem Volk vielfältigen Anlass, Ihm dafür dankbar zu sein, dass Er es nicht untergehen ließ. Seine Bundestreue dem Volk und den ihren Vorvätern gegebenen Verheißungen gegenüber wird sie weiterhin bis in die fernste Zukunft „der Schlinge der Vogelfänger entkommen“ lassen (Vers 7; Jes 54,10; Jer 29,11; Klgl 3,22f; Hes 37). Bestätigt wird dies durch Offenbarungen der Ratschlüsse Gottes in der Heiligen Schrift, die sich mit der ganzen Welt befassen.

Israels Erfahrungen bezüglich der Treue Gottes sind beispielgebend für alle Gläubigen. Wenn Gott nicht über Sein irdisches Volk gewacht und immer wieder zu dessen Gunsten eingegriffen hätte, dann würde der Feind Gottes und der Menschen der Geschichte Israels längst ein Ende bereitet haben. Mit eigenen Mitteln hätte es sich nicht retten können. Die von den Angreifern angewandten Machtmittel waren so furchtbar, dass die Israeliten ohne die Hilfe Gottes lebendig verschlungen worden wären (Vers 3). Doch nach göttlichem Beschluss steht dieses Volk unter unüberwindlichem Schutz, selbst wenn der Teufel alle Menschen dagegen aufstacheln würde (Verse 1 bis 3; Neh 9,31). Dennoch bleibt es notwendig, dass Sein Volk Ihm die Treue hält und auf Seine Hilfe vertraut. Verlieren sich die, die sich zu Seinem Volk rechnen, in der gottlosen Welt mit ihren Angeboten, dann bekommt der Feind die Oberhand über sie. Kampflos fallen sie ihm in die Hände. Mit denen, die ihrem Herrn untreu geworden sind, brauchen sich der Teufel und seine Helfer nicht weiter zu befassen. Über bloße Bekenner ohne wahren Glauben bringt er keine überflutenden Wasser und keine alles mitreißenden Wildbäche (Vers 4). Nicht ihnen gelten seine Listen und Gewaltmaßnahmen, sondern den Treuen, die dem HERRN vertrauen (Verse 3 bis 5; Jes 8,6–8). Die Gottesfürchtigen sind das wahre Volk Gottes; sie wissen, welch einer verheerenden Macht des Feindes sie gegenüberstehen. Zur Zeit des Psalmdichters gaben sich die Gottesfürchtigen Rechenschaft darüber, an welchem Abgrund sie als Volk gestanden hatten und was aus Israel geworden wäre, wenn der HERR es nicht in Schutz genommen hätte. Allein auf sich gestellt, würde Israel sich gegenüber der Übermacht als hilflos unterlegen erwiesen haben (Ps 83,5; 94,17f). Aber im Bunde mit dem Allmächtigen brauchten sie sich nicht zu fürchten, auch dann nicht, „wenn die Erde gewandelt würde und wenn die Berge im Herzen des Meeres wankten, wenn seine Wasser tobten und schäumten“ (Ps 46,3f).

Der HERR hat zu jeder Zeit die Oberhand über das Toben feindlicher Mächte (Ps 2,1–4; Jes 40,22–26). Doch nach Seinem zuvor gefassten Plan hatte Er es soweit kommen lassen, dass Israel beinahe von den Zähnen der Raubtiere, ihrer Feinde, zerrissen worden waren. Aber Sein Eingreifen geschah rechtzeitig. Mehrmals waren sie als Volk der Vernichtung nahe. Doch trotz ihrer Vergehungen war Er ins Mittel getreten und hatte die Raubgier und Mordtaten ihrer Hasser bestraft (Jer 51,34–37). Auch in noch kommender Zeit wird der HERR die Verheißungen Seiner Propheten wahrmachen und sich Israels im rechten Augenblick annehmen (Vers 6; Ps 74,18–23; Dan 11,45–12,3). Doch bis zu diesem Zeitpunkt bleibt dem Volk, das Ihm häufig ungehorsam war und Christus Jesus, seinen Messias, verworfen hat, keine Erprobung erspart. In der Zukunft werden sie nach den Worten des Herrn Jesus und des Propheten Jeremia in eine „große Drangsal“ kommen, „wie sie seit Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist und auch nicht wieder sein wird“ (Mt 24,21; Jer 30,7f). Doch zuletzt, wenn die Not ihren Höhepunkt erreicht hat, wird Israel daraus gerettet werden. Dieses Geschehen ist mit dem bereits in die Schlinge geratenen Vogel in Vers 7 zu vergleichen, der nur dadurch freikommt, dass die Schlinge zerreißt. Aus einer hilflosen Lage, in der alles verloren zu sein scheint, wird der HERR, ihr Bundesgott, sie am Ende dieses Zeitlaufs befreien. Er wird sie als Volk am Leben erhalten und nicht zulassen, dass sie in dem „Feuer“ und in dem „Wasser“ umkommen, dessen Gewalt sie allem Anschein nach ausgeliefert sind (Ps 66,9–12; Jes 43,1–3). Wie seit jeher, so werden ihre Geschicke der Hand des Allmächtigen auch weiterhin nicht entgleiten. Nicht umsonst nennt Er Sich „Gott Israels“ und „Gott Jakobs“. In der Zukunft wird der HERR Selbst diejenigen aus Israel, die Ihn dann als Messias erwarten, befreien und in Sein ewiges Reich auf der Erde einführen (Jes 61,11; Lk 1,32f).

Schon in Vers 6 dieses Psalms preisen die Gottesfürchtigen aus Israel den HERRN, weil Er sie nicht ihren Feinden preisgab. Ihn zu loben, wird in Seinem zukünftigen Reich auf der Erde ihre Aufgabe und ihre Freude sein. Sie haben Hilfe gefunden „im Namen des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Vers 8). Ihre Erfahrung teilen sie mit vielen anderen Gläubigen, die ebenfalls bezeugen können: „Der Name des HERRN ist ein starker Turm; der Gerechte läuft dahin und ist in Sicherheit“ (Spr 18,10). „Glückselig bist du, Israel! Wer ist wie du, ein Volk, gerettet durch den HERRN, den Schild deiner Hilfe“ (5. Mo 33,29). Er ist der Höchste, der Schöpfer, „der Himmel und Erde gemacht hat“ (Vers 8). Die Gläubigen, die durch Leiden zu gehen haben, sind aufgefordert, Ihm, ihrem Schöpfer, ihre Seelen anzubefehlen im Gutes tun (1. Pet 4,19).

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