Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 97

Die Regierung Gottes (Vers 1) ist von Grund aus eine absolute Herrschaft; ihr ist überall alles unterworfen und so wird es bleiben. Sie besteht außerhalb und hoch erhaben über den niederen (den Menschen) und den hohen Mächten (in Vers 7 und 9 ‚Götter' genannt, und in Vers 5 mit ‚Bergen' verglichen), denen der allmächtige und ewige Gott für die Zeit ihres Wirkens einen begrenzten Freiraum eingeräumt hat. Sie alle sind Ihm, ihrem Schöpfer, verantwortlich. Sie zerschmelzen bei dem Erscheinen des Herrn der Herren vor Ihm hin wie Wachs (Vers 5) und sind gezwungen, sich vor Ihm niederzuwerfen (Vers 7). Denn Er steht als der Höchste unendlich hoch über allem Vorhandenen, Er ist „sehr erhaben über alle Götter“ (Vers 9). Seine Gerechtigkeit entscheidet urteilend und strafend über alle Wesen, die sich gegen Ihn erheben oder Ihm die Huldigung verweigern. Sie können das Feuer Seiner Heiligkeit nicht ertragen, das ihnen entgegenschlägt, wenn Er in Erscheinung tritt. Angesichts dieses durchdringenden Lichts, das alles bloßstellt, müssen sie beschämt ihre Schuld eingestehen (Hab 3,4). Gegenüber Seiner im Gericht hervortretenden Macht bricht ihre vermeintliche Stärke in ein Nichts zusammen. Auf die Ankunft des Messias hin, die sich in Macht und mit göttlicher Gewalt offenbart, wird am kommenden Gerichtstag die ganze Welt von dem Bösen gereinigt und von denen, die es verüben, befreit werden (Off 11,15.18; 19,6.11–16). Im Anschauen dieser wunderbaren Vorgänge, die alles bisher Bekanntgewordene in den Schatten stellen, wird die Freude der Gerechten, die Ihn als ihren Messias erwarteten, überaus groß sein, denn Sein Erscheinen bedeutet ihre Rettung und die Bestätigung ihres Glaubens (Vers 10). Alle Verhältnisse erfahren eine göttliche Klarstellung; es verschwindet alles Dunkle und Undurchschaubare, welches das Böse verbergen soll. Die alles erhellenden Strahlen des göttlichen Lichts machen ein erneutes Ausbreiten von Finsternis und Gegnerschaft gegen Gott unmöglich (Verse 3 und 4).

Über die Regierung Christi werden sich die Völker und die Länder der Erde freuen. Seine Gegenwart garantiert das Recht und den Frieden (Verse 1 und 2; Ps 72,1–4; 89,15; Jes 11,4f; 42,4; 51,5; Jer 23,5; Heb 1,8). Indessen wird der HERR hier auch beschrieben als von „Gewölk und Dunkel“ umgeben. Er ist der Höchste, der ewige Gott. Die göttliche Majestät des über alles Erhabenen bleibt auch dann furchterregend, wenn sie, wie hier, zugunsten der Menschen erscheint. Himmlische Machtfülle wirkt bedrohend, weil sie die Grenzen des irdischen Vorstellungsvermögens sprengt. Das Gewölk und das Dunkel um den HERRN her (Vers 2) schützt die Menschen vor einem Anblick, den sie nicht zu ertragen vermögen (Ps 18,10–13). Auch gibt es in Seiner Person und in den göttlichen Absichten Geheimnisse, die dem Menschen verborgen bleiben müssen (Mt 11,27; Off 19,12). Zudem bewohnt der „alleinige Machthaber, der König der Könige und Herr der Herren ein unzugängliches Licht,... den keiner der Menschen gesehen hat noch sehen kann, dem Ehre sei und ewige Macht! Amen“ (1. Tim 6,15f). Das Feuer, das Ihn umgibt, stellt die reinigende, alles Unreine verzehrende Macht des HERRN dar, die das Feindliche unverzüglich vernichtet (Vers 3; Ps 50,3). Die Blitze, die von der Stätte Seiner Regierung ausgehen und auf der ganzen bewohnten Erde sichtbar sind, unterstreichen die Herrlichkeit Seiner Majestät und deren allgegenwärtige Macht, der niemand ausweichen kann. Nichts kann sich Seinen Blicken entziehen. Schon Sein Herannahen lässt die Erde und die Berge vor Ihm erbeben und erzittern (Ps 18,8; 104,32). Alles, was sich gegen Ihn erheben könnte und hier mit dem bildhaften Ausdruck „die Berge“ umschrieben ist, hat Ihm nichts entgegenzusetzen und verflüchtigt sich angesichts Seiner gewaltigen Macht (Verse 4 und 5; Ps 77,19; Jes 64,1–3; Mich 1,3f; Hab 3,3–6). Seine Heiligkeit und Seine Herrlichkeit stehen in Seinem Reich überwältigend vor aller Augen; an Deutlichkeit und überzeugender Wirkung fehlt nichts. Die Menschen erschrecken und beugen sich in Ehrfurcht nieder vor der offenbar gewordenen Macht und Herrlichkeit Gottes (Vers 6; Ps 50,6; 102,16f; Jes 40,4.5; 66,18). Dann ist die angemaßte Hoheit der Großen für immer zu Boden geworfen. Abgötterei und Götzendienst haben ihr Ende gefunden (Vers 7; Jes 2,18–21; 24,21–23; 44,9–11; 45,16). „Furchtbar wird der HERR gegen sie sein, denn er wird alle Götter der Erde hinschwinden lassen“ (Zeph 2,11). „Denn du, HERR, bist der Höchste über die ganze Erde; du bist sehr erhaben über alle Götter“ (Vers 9). Als der Herr in Niedrigkeit auf der Erde war, sahen sich unreine Geister bereits gezwungen, vor Ihm niederzufallen, „und sprachen: Du bist der Sohn Gottes“ (Mk 3,11), wieviel mehr dann, wenn Er Sich in Seinem Reich in Herrlichkeit als der Höchste auf der Erde offenbaren wird. Aber dann erfahren sie keine Duldung mehr, sondern werden von der Erde verschwinden und ihre Strafe empfangen. Das Gericht des Sohnes Gottes wird durch radikales Durchgreifen und Gerechtigkeit gekennzeichnet sein, „so dass er ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen wird“ (Mal 3,19).

Die Menschen, die sich Ihm widersetzt haben, müssen mit Furcht auf den kommenden Gerichtstag des Richters der ganzen Erde blicken, denn für sie bedeutet er die Verurteilung und ewige Bestrafung. Die hingegen, die an Christus als den Messias geglaubt haben, Zion und die Töchter Judas, werden das Gericht und den Richter sehnlich herbeiwünschen, denn dann erscheint ihr König und Retter zu ihrer Befreiung. Sie werden Ihm, dem Höchsten, „dessen Name HERR ist“ (Ps 83,19), zujubeln und Ihn als den König der Könige anbeten (Verse 8 und 9; Ps 89,28; 92,2.9; 5. Mo 10,17; Off 17,14; 19,6.16). Er, ihr König, ist der eine Gott (Sach 14,9). Die Gerechten des treuen Überrests aus Israel werden sich in Ihm, ihrem Bundesgott und HERRN, freuen und „sein heiliges Gedächtnis“, das heißt: seinen heiligen Namen, preisen (Vers 12). Unter diesem Gedenknamen (2. Mo 3,15; Hos 12,6) kennen sie ihren Bundesgott seit ihren ersten Anfängen als Sein irdisches Volk (Ps 30,5; 99,3). „Sein Lob besteht ewig“ (Ps 111,10; Heb 1,8–13).

Die Verse 10 und 11 richten sich zunächst an die Gläubigen aus Israel; sie sprechen die Frommen und von Herzen Aufrichtigen an, die den Herrn lieben. Diese Gerechten hassen das Böse, sie zeichnen sich durch Rechtschaffenheit aus. Ihnen gilt die Zusage des Verses 11, dass ihnen „Licht gesät“ ist; es ist ihnen von Gott vorausschauend auf ihren Weg gestreut als ein Segen, der sie auf dem Pfad der Nachfolge des Herrn begleitet und ihnen Einsicht gibt (1. Thes 5,5). „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr 4,18). „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln“ (Mal 3,20). „Denn du lässt meine Leuchte scheinen; der HERR, mein Gott, erhellt meine Finsternis“ (Ps 18,29). „Der HERR wird dir zum ewigen Licht sein“ (Jes 60,19). „In deinem Licht werden wir das Licht sehen“ (Ps 36,10). „Mein Leben erfreut sich des Lichts“ (Hiob 33,28).

Gott bewahrt die Seelen Seiner Frommen. Doch ihrerseits darf es nicht an Wachsamkeit mangeln. Darum gilt gerade ihnen die Aufforderung: „Die ihr den HERRN liebt, hasst das Böse!“ (Vers 10; Spr 8,13). Sie werden ermahnt, ihren Weg in Entschiedenheit zu gehen und sich vom Bösen getrennt zu halten. Unsere Liebe zu Gott ist nicht echt und nicht aufrichtig, wenn wir nicht das hassen, was Er hasst. Als durch Ihn Geheiligte sollen wir das Böse nicht nur um der Vorschriften und um des Anstandes willen meiden, sondern müssen es mit innerem Abscheu von uns weisen und jeden Gedanken verurteilen, der zum Bösen neigt oder dahin führen kann. Der Herr wird die Seelen der Frommen schützen, die in einer Zeit der Verweltlichung Ihm treu bleiben und das Weltliche ausdrücklich ablehnen. Dann machen sie den lockeren Lebenswandel der Umgebung nicht mit; sie lieben nicht die Welt und beweisen dadurch die Liebe zum Herrn. So bezeugen sie, dass sie in Wahrheit und Wirklichkeit von der Welt und ihrem Weg zu Ihm umgekehrt sind. Sie hassen das Böse generell, aber auch im Einzelfall, so dass das Böse keine Möglichkeit hat, sich einzuschleichen. Sie befassen sich nicht bloß missbilligend mit dem, was dem Herrn missfällt, und tadeln es nicht nur, sondern sie wenden sich konsequent davon weg. Das Hassen des Bösen ist nicht Hass gegenüber einer Person, ihm liegt ein besonnenes, geistliches Urteil nach dem Willen Gottes zugrunde, das sich in Tat und Wahrheit verwirklicht. Wird man selbst wegen des Bösen getadelt, dann hat man dies ernst zu nehmen und das Böse zu lassen. Der Beweggrund dazu ist die Liebe zum Herrn und die Beugung unter Sein Wort. Die unmittelbare Belohnung besteht im Erleben einer uneingeschränkten Gemeinschaft mit dem Herrn, in der Bewahrung vor weiteren Gefahren, im Frieden des Herzens und der Ruhe des Gewissens (Ps 31,24; 37,27f; 101,3f; 145,20; Spr 2,7ff; Röm 12,9).

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