Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 105

Gott hatte beschlossen, dass eine bestimmte Nation auf dieser Erde, nämlich Israel, Sein Eigentumsvolk werden sollte; darauf nimmt der Psalm Bezug. Der mitgeteilte Beschluss besagt, dass Gott die Nachkommenschaft Seines Knechtes Abraham, die,Söhne Jakobs', auserwählt hat, Sein Eigentumsvolk zu sein (2. Mo 19,5.6; 5. Mo 7,6). Die Kinder Israel hatte Er aus der Unterdrückung im Land Ägypten erlöst und ihnen in Kanaan ein Land zum Besitztum gegeben. Die mühevolle Anfangszeit als Bundesvolk diente auch seiner Erprobung. Es sollte ans Licht kommen, ob es die Satzungen des Bundes hielt und Gottes Gebote bewahrte (Vers 45; 5. Mo 10,12–22). Auf welche Weise es dabei versagte, ist in Psalm 106 beschrieben. Doch der Untreue Israels steht die Bundestreue des HERRN gegenüber, „denn er gedenkt ewig seines Bundes“ (Ps 105,8.42; 106,44–47; Jes 63,7–16).

Der vorliegende Psalm fordert in den Versen 1 bis 5 nachdrücklich dazu auf, den HERRN zu suchen, Ihn um Seiner Werke willen zu rühmen und sich an Seine Wunderzeichen und Rechtssprüche zu erinnern. Das erlöste Volk soll sich nach dem HERRN ausstrecken und die Beweise Seiner Macht wahrnehmen. Nachdem der Christ von seiner Schuld befreit ist und sich gerettet weiß, stellt sich mitunter Nachlässigkeit ein, und die Freude darüber, den Herrn gefunden zu haben, verblasst. Solche Verflachung findet sich verstärkt bei denen, die in gläubigen Elternhäusern aufgewachsen sind. Im damaligen Volk Israel hatte die nachfolgende Generation den Druck der Knechtschaft Ägyptens, die Wüstenreise und die mühevolle Inbesitznahme eines neuen Landes nicht mehr selbst erlebt. Im Laufe der Zeit geschieht es dann, dass man den Wert des Gewonnenen, darunter auch die Gemeinschaft mit dem Herrn, weniger hoch einschätzt. Die Erinnerung an die Errettung und die Freude über das Heil, das man besitzt, werden schwächer, ebenso das Lob Gottes, das Rühmen Seines Namens. Das Herz sucht nicht mehr selbst den Herrn, es hat aufgehört, über Ihn und Seine Wunder nachzusinnen. Es sieht sich nicht mehr im Gegensatz zur umgebenden Welt und weiß nicht mehr, dass es dem Geist nach eigentlich zu den Söhnen des Glaubensmannes Abraham zählt (Verse 6 und 7; Gal 3,6f.26.29). Das Neue Testament warnt nicht ohne Grund die Gläubigen vor der Verflachung in Zeiten des Niedergangs (Apg 20,28–31; 1. Thes 5,6–8; 1. Tim 4,1).

Im Lauf seiner Geschichte hat das Volk Israel mehrmals Erweckungen zu neuem geistlichen Leben erfahren, weil der treue HERR an Seinem Bund mit ihnen festhält (Vers 8) und bemüht bleibt, sie durch glaubensstarke geistliche Führer oder durch züchtigende äußere Not zur Umkehr zu bewegen. Indessen wird in noch kommender Zeit ein Überrest Israels unter schwerer Erprobung zu seinem HERRN umkehren: „Und an jenem Tag wirst du sagen: Ich preise dich, HERR, denn du warst gegen mich erzürnt; dein Zorn hat sich gewendet, und du hast mich getröstet. Siehe, Gott ist meine Rettung, ich vertraue, und fürchte mich nicht; denn Jah, der HERR, ist meine Stärke und mein Gesang, und er ist mir zur Rettung geworden“ (Jes 12,1f). Die Rechtsprechung des HERRN wird dann auf der ganzen Erde Gültigkeit haben und durchgesetzt werden, denn in jener zukünftigen Zeit ist Israels Gott der Gott der ganzen Erde (Vers 7). Auch in längst vergangenen Zeiten hat Er wiederholt bewiesen, dass Er die den Vorvätern gegebenen Zusagen Seines Bundes einhält, indem Er ihren Feinden gegenüber als der Allmächtige auftrat. In noch kommender Zeit wird der HERR Israel als ein heiliges Volk auf der Erde haben, das Ihm gerne gehorcht, weil es Seinen Willen liebt. Sie werden Seinen Namen auf der ganzen Erde rühmend verkünden (Ps 9,12, 96,3; Jes 66,19). Gleichzeitig bekennen sie mit Recht: „Er, der HERR, ist unser Gott“ (Vers 7; Ps 48,15). Ihr Herz wird sich dann in Ihm freuen (Ps 33,21), denn Er gibt ihnen ein neues Herz und einen neuen Geist in ihr Inneres. Durch den Geist geführt und in Seinem Sinn gelenkt, werden sie „wie eine geheiligte Herde“ für Ihn sein (Hes 36,26.38). Doch zu allen Zeiten ist Er derselbe Gott. Gott wünscht sich ein Volk, das nach Ihm trachtet, Sein Angesicht sucht und über Sein Wort und Sein Werk nachsinnt. Das sind Gläubige, die sich Seines Namens nicht schämen, sondern sich zu Ihm bekennen und auf Seine Allmacht vertrauen. Er möchte solche zu Anbetern haben, die Ihn verehren und Seine Gegenwart in Wahrheit und in Liebe aufsuchen. Ihr Herz stimmt mit den Forderungen Seiner Heiligkeit überein. Die Urteilssprüche Seines Wortes und Seine Strafgerichte erkennen sie als verbindliches Recht an (Vers 5). Sie befolgen Seine Gebote aus Liebe zu Ihm.

Mit Dankbarkeit soll Israel in Erinnerung behalten, dass der HERR, ihr Bundesgott, dem Bund mit ihnen ewig treu bleibt und die darin verankerten Verheißungen wahrmacht, denn dazu hat Er Sich verpflichtet (Ps 89,34; 2. Tim 2,13). Er bricht Seinen Eid nicht und ändert nichts an der Satzung Seines Bundes, selbst wenn tausend Geschlechter darüber hingehen (Verse 8 bis 11; 2. Mo 3,16f; 5. Mo 7,9; Hag 2,5ff; Lk 1,72f). Das ihnen gegebene Wort des HERRN ist Sein erklärter Wille und wird zu der von Ihm bestimmten Zeit zustande kommen. Für die Zukunft ist ihnen das Land Kanaan als dauerhafter Besitz zuerkannt, als das Erbteil der Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs (Vers 11; 1. Mo 12,7; 15,18; 17,5–8; 26,3; 28,13f; 35,12; 5. Mo 1,8; Jes 43,1–7.21; Hes 47,14).

Von Vers 12 an bis zum Schluss des Psalms wird geschildert, wie der HERR Sein Volk erlöst hat und es aus Ägypten befreite, wie Er es danach durch die Wüste führte und ihm das verheißene Land gab. Auf diesem einzigartigen Weg sollte Israel lernen, mit wem sie es zu tun hatten und dass sie Ihm Dank und Ehrerbietung schuldeten. Denn offensichtlich war ihr Bundesgott imstande, das den Menschen Unmögliche möglich zu machen. Er vermochte das Leben zu erhalten und dem Tod zu wehren oder ihn herbeizuführen. Er konnte die Naturgesetze nach Seinem Willen beeinflussen oder sie außer Geltung setzen und Neues, nie Dagewesenes schaffen. Während des Ablaufs dieser Ereignisse offenbarte der HERR die Herrlichkeit Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit und ließ Seine Barmherzigkeit und Güte ans Licht treten. Dies alles geschah in einer so augenscheinlichen Weise, dass jeder Einzelne von der unvorstellbaren Größe Gottes hätte überzeugt werden müssen. Aber die Neigung zum Ungehorsam und zur Lust, der Hang zum Götzendienst und zur Gleichgültigkeit und nicht zuletzt der Unglaube verhinderten bei den meisten von ihnen jede gute Einsicht (1. Kor 10,1–12; Heb 3,7–4,2).

Vers 12 und die folgenden Verse beschreiben mehrere gefahrvolle Situationen auf dem zurückliegenden Weg des Volkes, die normalerweise den Tod und den Untergang bedeutet hätten. Nur weil der HERR das Volk ununterbrochen begleitete und jedes Mal durch Wundertaten eingriff, als ihnen die notwendigen Hilfsmittel fehlten, überlebte es und konnte seinen Weg fortsetzen. Es ist offenkundig, dass schon ihre Vorväter nur von dieser Gnade Gottes und von der Treue lebten, mit der Er die Verheißungen Seines Wortes erfüllte. Als sie besonders im Anfang ihrer Geschichte von weit mächtigeren Volksstämmen und Nationen umgeben waren, als sie noch kein Stück Land ihr Eigentum nennen konnten und sie als umherziehende Hirten auf die Duldung aller, die sie antrafen, angewiesen waren, ließ der HERR keinem Menschen zu, sie zu bedrücken und ihnen die Existenz zu verwehren (Verse 12 bis 15; 1. Mo 12,10–20; 33,1f; 35,3; 5. Mo 26,5; Sach 2,12). In Vers 15 werden die ersten Väter Israels, die Patriarchen, „Gesalbte“ und „Propheten“ genannt. Sie waren durch göttliche Auswahl geheiligte, abgesonderte Menschen. Zu ihnen war Er ausdrücklich in persönliche Beziehung getreten. Ihre Nachkommen hatte Er zum besonderen Gegenstand Seiner Pläne für die Zukunft gemacht, daher stand fest, dass Er Israel auf seinem weiteren Weg begleiten würde (1. Mo 20,6.7; 2. Mo 7,1). Eine ebenso feste Beziehung, jedoch mit einer himmlischen, geistlichen Bevorrechtigung, erhält Er in der jetzigen christlichen Gnadenzeit zu solchen aufrecht, die Er im Neuen Testament Sein himmlisches Eigentumsvolk, Seine Söhne oder Kinder nennt (Tit 2,14).

Die Verse 16 bis 24 erzählen mit kurzen Worten die Geschichte Josephs, die einen eindrucksvollen Beweis dafür erbringt, dass Gott die Einzelheiten der Entwicklung Israels als Volk nicht nur vorher kannte, sondern bereits vorher bestimmt hatte. Nicht die Naturgewalten verursachten die Hungersnot in den Ländern des damaligen Nahen Ostens, sondern Gott rief sie herbei, und dies in so schwerwiegendem Maß und mit solcher Verbreitung, dass „jede Stütze des Brotes“ zusammenbrach (Vers 16; 1. Mo 41 und 43). Um die Ernährung der Familie Jakobs sicherzustellen und sie danach in Ägypten zu einem zahlreichen Volk heranwachsen zu lassen, sandte Gott in Seiner Weisheit Joseph als Vorboten nach Ägypten. Unter anderem benutzte Er dabei die Bosheit der Brüder Josephs und die Schlechtigkeit der Frau des ägyptischen Hausherrn zur Durchführung Seiner Pläne. Gott war es, der Joseph auf diesen Weg brachte, ihn verkaufen ließ, ihn später ins Gefängnis setzen ließ. Gleichzeitig beschützte Er ihn auf jedem Schritt und Tritt (Verse 17 und 18; 1. Mo 37,26f; 39,20; 45,5). Für Josephs Leiden hatte Gott eine bestimmte Zeitspanne festgesetzt, die zu seiner Läuterung notwendig war. Indessen musste Joseph rechtzeitig vor Beginn der angekündigten Hungersnot befreit und zum Herrscher über Ägypten eingesetzt werden (Verse 19 bis 21; 1. Mo 41,40; Apg 7,10f). Joseph blieb unbeirrt auf dem rechten Glaubensweg. Ohne jeden Zweifel hielt er die Zusagen Gottes für zuverlässig (1. Mo 37,5–11). So erwies er sich als geeignet, auch in Zeiten höchster Erhöhung standhaft im Glauben und Gott ergeben zu bleiben. Sein persönlicher Weg ist ein Beispiel dafür, dass der Empfang göttlicher Verheißungen besondere Erprobungen nach sich ziehen kann, und die Bewährung besteht darin, im Glauben zu verharren. Innerlich wurde Joseph dadurch gefestigt und nach außen hin bewährt (Röm 5,3.4). Für die auf ihn zukommenden Aufgaben war er gut vorbereitet. Joseph machte die Erfahrung, dass sein Leben in jeder Hinsicht von Gott abhängig war. Sein Vater Jakob und seine Brüder hatten zu dieser Zeit ähnlich lehrreiche Erlebnisse zu durchstehen. Durch die schweren Geschicke jener Zeit trat vor aller Welt ans Licht, dass das Leben der Menschen, auch der reichen Ägypter, ihrer Fürsten und des Pharao, von Gottes Willen und von Seinem Eingreifen abhing. Der Allmächtige ist es, auf dessen Willen und Wohltaten alle Menschen angewiesen sind und von dessen Urteil alles Dasein und jedes Leben abhängt. Dem vorher scheinbar hilflos gefesselten Joseph ließ Gott die Entscheidungsbefugnis über den Einsatz aller Arbeitskräfte zukommen. Joseph bestimmte über Freiheit und Unfreiheit im Land, als Gottes Rettungsplan es erforderte (1. Mo 41,44). Im Vergleich zu Joseph trat der Pharao nur noch als Ausführungsgehilfe hervor. In Wirklichkeit standen er, seine Fürsten und Ältesten samt ihrer Weisheit ohnmächtig den Fügungen des allein weisen Gottes gegenüber (Verse 22 und 23).

Die Verse 24 bis 38 rühmen die weise Allmacht Gottes, die sich in Seinen Wundertaten in Ägypten zugunsten Israels gezeigt hat. Der Herr hatte den Aufenthalt des Volkes unter den Ägyptern im Voraus geplant, um Israel zu einem zahlenmäßig starken Volk zu machen. Und bei dem Auszug des Volkes sollte sich Seine Güte Israel gegenüber offenbaren, während die Ägypter die göttliche Regierungsgewalt kennenlernten. Das ganze Geschehen dient auch dem Zweck, den Gottesfürchtigen aller Zeiten zur Stützung ihres Glaubens sehr anschauliche, überzeugende Beweise der Barmherzigkeit und der Macht Gottes vorzustellen. Israel sollte nie aus dem Gedächtnis verlieren, dass ihr Ursprung und ihr Dasein als Volk auf einem einzigartigen, gnädigen Wirken des HERRN beruht. Schon bald nach der Übersiedlung der Familie Jakobs in ägyptisches Gebiet überflügelte das Anwachsen des Volkes das der Ägypter, so dass deren Hass wuchs und Gegenmaßnahmen auslöste, die aber durch Gottes Eingreifen unschädlich gemacht und sogar ins Gegenteil verkehrt wurden (Verse 24 und 25; 2. Mo 1 und 5. Mo 26,5f). Keine noch so konzentrierte menschliche Macht konnte Seinem Eigentumsvolk einen nennenswerten Schaden zufügen, denn Gottes Liebe und Treue betrieb die Segnung Israels. Zum anderen aber ließ Er die widerwärtigen Umstände ihrer Knechtung dazu dienen, sie innerlich zum Verlassen des Landes ihrer Bedrücker bereit zu machen. Als geeigneten Führer sandte Er ihnen „Mose, seinen Knecht, und Aaron, den er auserwählt hatte“ (Vers 26; 2. Mo 3 und 4). Moses und Aarons bemerkenswerte Festigkeit im Glauben konnte Er dazu benutzen, die göttlichen Wundertaten auszulösen und den Wortlaut Seiner Urteile an den Pharao weiterzugeben (Vers 27; 2. Mo 6,29 – 7,2; Heb 11,24–29).

Die harten Tatsachen der Zeichen redeten eine unmissverständliche Sprache. Dem Pharao musste begreiflich werden, dass er sich den ewigen Gott, den Schöpfer aller Dinge, zum Gegner gemacht hatte und dass dessen Hand mit göttlicher Allmacht handelte. Solch grenzenloser Macht war seitens der Ägypter nichts entgegenzusetzen, obwohl ihren Zauberkünstlern anfangs einige Nachahmungen gelangen (Vers 28; Psalm 78,43ff; Jes 45,7). Im Laufe der immer härter werdenden Plagen wurde deutlich, dass der Zauberkunst und anderen Ausflüchten eine klare Grenze gesetzt war. Dies löste unter dem Volk der Ägypter und bei den Wahrsagern und Beratern ihres Herrschers ernste Bedenken aus (Verse 29 bis 35; 2. Mo 8,15; 9,20; 10,7). Ihre Vernunft sagte ihnen, dass die schrecklichen Plagen das Strafgericht des Gottes Israels waren für die Weigerung der Ägypter, Israel wegziehen zu lassen. Aber erst die furchtbare Wucht und Schwere der letzten Plage, wodurch alle Erstgeborenen im Land Ägypten vernichtet wurden, brach den Widerstand, so dass der Pharao den Weg für den Auszug Israels freigab. Aus Furcht vor weiteren Strafen drängten die Ägypter Israel zum unverzüglichen Wegzug, wobei der HERR ihnen auferlegte, dem Volk für die erzwungene Arbeitsleistung goldene und silberne Geräte und Kleidungsstücke zu überlassen. Die Ägypter waren zutiefst erschrocken angesichts der Tatsache, dass die Macht des Gottes Israels offensichtlich ihre gesamte Lebensgrundlage sowie das Leben selbst in jedem Augenblick wegnehmen konnte. Gottes Stimme, die Äußerung Seines Willens, hatte genügt, um das furchtbare Geschehen hervorzurufen. Die unendliche Überlegenheit des Herrn aller Herren war ihnen aufs Deutlichste vor Augen geführt worden. Der Beweis war erbracht, dass Ihm die Erde gehört und dass Er in alle Vorgänge der Schöpfung nach Seinem Belieben eingreifen kann (2. Mo 9,29). Darum begrüßten sie schließlich den eiligen Auszug Israels (Verse 36 bis 38; 2. Mo 12,23.29.35f).

Die Verse 39 bis 45 stellen anhand herausragender Ereignisse die gnädige Führung und den Reichtum der Gaben Gottes auf dem Weg Israels von Ägypten bis in das verheißene Land vor. Gottes Handeln zu ihren Gunsten ging aus Seiner Treue gegenüber den Verheißungen an Abraham hervor. Gleichzeitig diente es dem Zweck, dass sie lernten, Seine Satzungen zu beachten und Seine Gesetze zu befolgen (Vers 45).

Auf der beschwerlichen Reise Israels durch die Wüste geleitete die Güte des HERRN sie auf eine überaus beeindruckende, ermutigende Weise. Er schützte sie durch Seine Gegenwart, die in der ständig mitwandernden Wolke und in der über Nacht leuchtenden Feuersäule in Erscheinung trat. Mit unübertrefflicher Wirksamkeit begegneten Seine gnädigen Gaben den auftretenden Mangellagen (Vers 39; Ps 78,14; 121,3f; 2. Mo 13,21f; Neh 9,12). Mit väterlicher Fürsorglichkeit sättigte Er sie Tag für Tag mit dem Man als Himmelsbrot und beschaffte ihnen das darüber hinausgehende Notwendige, indem Er Fleisch von Wachteln und Wasser aus dem Felsen kommen ließ (Verse 40 und 41; Ps 78,15f. 23–29; 2. Mo 16; 17,1–7; Joh 6,31–35). Jedem Einzelnen gab Er die nötige körperliche und seelische Gesundheit für den beschwerlichen Weg (Vers 37b). „Er gedachte ihretwegen seines Bundes“ (Ps 106,44.45). Bei jeder neuen Schwierigkeit wandte Er ihnen unverzüglich Seine Gütigkeit und Sein Erbarmen zu. Auf Seine Treue gemäß Seinem heiligen Wort an Abraham, Seinen Knecht, konnten sie jederzeit rechnen (Vers 42; 2. Mo 2,24f; 5. Mo 4,37).

Der Auszug Israels aus Ägypten war von Freude und Jubel begleitet. In wunderbarer Weise war deutlich geworden, dass sie Gottes Volk und Seine Auserwählten waren. Seine Liebe hatte sie mit göttlicher Macht aus der lebensbedrohenden Knechtung in Ägypten befreit (Vers 43 und Verse 5–8; 2. Mo 15,1–16). In Vers 44 wird berichtet, dass sie das ihnen versprochene Land erreicht haben und es fortan bewohnten (Jos 24,13). Die Freude, dieses Land in Besitz genommen zu haben, wird in der Zukunft erneut aufkommen, wenn sich die Vorhersagen der Propheten erfüllen, dass die gläubigen Juden der Endzeit als Befreite des HERRN „nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude über ihrem Haupt sein wird; sie werden Wonne und Freude erlangen“ (Jes 35,10; 51,11; 65,9; 66,14; Jer 31,12–14). Denn nach dem unveränderlichen Ratschluss Gottes ist das Land Kanaan den Nachkommen Abrahams zum Besitztum zugesichert (1. Mo 17,8). Diese einmal gegebene Verheißung wird der Herr, Seinem Bund mit Abraham entsprechend erfüllen. Ihr Besitztum wird ihnen danach nie wieder streitig gemacht werden. Dann wird erneut ans Licht treten, dass sie diesen Besitz nicht mit eigenen Kräften erringen oder durch Verteidigung behaupten können. Sie werden ihr Land eher als Geschenk der Gnade des HERRN aus Seiner Hand entgegennehmen, um es nun für immer zu behalten. Nach dem Bericht des vorliegenden Psalms hing der günstige Ausgang der Geschicke Israels in der Vergangenheit immer von dem Wirken des HERRN ab. In unveränderter Barmherzigkeit und Liebe wird Er auch in Zukunft zum Wohl Seines Volkes verfahren.

Der Psalm beschreibt, wie Gott damals äußerst günstige Voraussetzungen dafür schuf, dass Sein Volk im Vertrauen auf Ihn, auch in Dankbarkeit und Liebe Ihm gegenüber, den Weg nach Seinem Wort einhalten konnte (Vers 44). Die ihnen bewiesene Treue und die Bevorzugung vor anderen Nationen ließen eine entsprechende Antwort Israels im Verhalten Ihm gegenüber erwarten. Angesichts der weiteren, oft enttäuschenden Geschichte des Volkes erscheint jedoch die Mahnung zur Treue und die Aufforderung, die Satzungen des Bundes zu bewahren, als Abschluss des Psalms angebracht (Vers 45; Hes 20,10ff). Bereits die Inbesitznahme des Landes geschah zögerlich und unvollkommen. Dadurch setzten sie sich dem Einfluss des Götzendienstes der bisherigen Bewohner aus. Sehr bald erlagen sie dieser Versuchung und wurden dem HERRN, ihrem Bundesgott, untreu, wie der folgende Psalm 106 in den Versen 34–39 berichtet. Schon Mose hatte das Volk eindringlich ermahnt, die Satzungen und die Rechte, die er sie gelehrt hatte, zu tun, damit sie das ihnen von dem HERRN geschenkte Land tatsächlich einnehmen konnten und es in ihrem Besitz blieb (5. Mo 4,1; 10,12–22; 11,9.16f.21.25). In seiner Rede an Israel in 5. Mose 9 bis 11 hat Mose mehrmals auf die Wundertaten Gottes Bezug genommen, die ihre Augen gesehen hatten. Eindringlich erinnerte er sie daran, dass sie die Gegenwart des HERRN in dem Gewölk und in dem Feuer wahrgenommen hatten. Warnend sagte er ihnen ihr Abfallen von Gott und den Verlust ihres Landes voraus, aber auch, dass der HERR Sich ihnen „am Ende der Tage“ auf ihre Umkehr hin wieder zuwenden werde. Denn Seinen Bund mit ihren Vätern würde Er nicht vergessen (5. Mo 4,25–31). Später ermahnte Mose sie nochmals, die Satzungen und Rechte des HERRN zu beobachten und auf Seinen Wegen zu wandeln (5. Mo 27,1.26). Wenn Gott die Gläubigen so offensichtlich mit Geschenken überhäuft, dann sollen sie nicht vergessen, Ihn dafür zu loben und Ihm zu danken (Vers 45b). Die Dankbarkeit sollte sich darin äußern, dass man Ihm treu bleibt und Sein Wort befolgt (Joh 14,21).

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