Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 16

In den Psalm 16 bis 24 wird vorausschauend die Herrlichkeit Jesu Christi in besonderer Weise offenbart. Jedes Geschenk der Gnade Gottes an die, die Ihn fürchten, hat seinen Ursprung in der Person des Herrn Jesus. Er hat die Grundlage für die Durchführung des ganzen Ratschlusses Gottes gelegt und bringt ihn zu seinem Ziel. Das Geheimnis der Gottseligkeit (das heißt echter Frömmigkeit), dass Menschen jetzt schon auf dieser Erde und in der ewigen Herrlichkeit Anbeter Gottes sein können, liegt in der Person des ewigen Sohnes Gottes. Er kam vom Himmel herab, offenbarte Gott, den Vater, in Seinem Wesen und lebte hier als gehorsamer, Gott wohlgefälliger Mensch. Es ist das Verdienst Christi, dass Menschen vor dem ewigen Verderben gerettet werden können. Er ist es, der die Schöpfung erhält und einst das Reich Gottes auf Erden regieren wird. Als Sohn des Menschen war Er der Mensch nach Gottes Gedanken und offenbarte die Herrlichkeit der Eigenschaften Gottes, indem Er durch den Heiligen Geist geleitet wurde.

Davids Glaube und Hoffnung waren sehr ausgeprägt, sie erreichten eine solche geistliche Höhe, dass der Heilige Geist viele seiner Empfindungen, auch seine innere Einstellung und die äußere Haltung benutzen konnte, um die vollendete Frömmigkeit und Gottseligkeit im Leben Jesu Christi auf Erden vorausschauend zu beschreiben. Dazu dienen die im vorliegenden Psalm dargestellten Wesenszüge eines vorbildlichen Glaubenslebens. Ungeachtet der Anwendung des Psalms auf Christus, den Messias, bleibt bestehen, dass eigentlich David der Redende ist, der über sein persönliches Leben berichtet. Doch darüber hinaus ist es in diesem Psalm vielfach Christus Selbst, der als Mensch auf Erden zu uns spricht. Der ganze Psalm zeigt Jesus, den Sohn Gottes, als einen vom Heiligen Geist geführten Menschen, der in ununterbrochener Gemeinschaft vollkommen mit Gott übereinstimmte. Damit gehen eine bewusste Abhängigkeit von Gott, ein in jeder Probe bewährter Gehorsam und eine völlige Hingabe und Zuneigung zu Gott einher. In heiliger Entschiedenheit ging Jesus den Weg mit Seinem Gott. Er erniedrigte Sich und leistete Verzicht in höchstem Maß. Er stellte keinerlei Ansprüche und lebte äußerst einfach. Immer war Er in tiefer geistlicher Freude auf das Ziel ausgerichtet, ausgerüstet mit vollkommener geistlicher Kraft, stets dienstbereit und barmherzig allen gegenüber. So ist Er das vollkommene Vorbild für jeden, der gottesfürchtig und von der Welt abgesondert seinen Weg mit Gott im Glauben gehen möchte.

Der erste Vers nennt Kennzeichen wahren Glaubens und Vertrauens, die in Davids Leben beinahe fortwährend hervortraten, immer jedoch im Leben Jesu auf Erden. Als einer der Gläubigen in dieser Zeit und Welt sagte Jesus: „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen“ (Heb 2,13). So wurde der Herr Jesus der „Anfänger und Vollender des Glaubens, der, die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete“ (Heb 12,2). Auf Ihn allein traf die Prophezeiung Jesajas zu: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben“, mit der anschließenden Weissagung, die Ihn „Wunderbarer, Berater (oder: Wunder-Rat), starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst“ nennt (Jes 9,5). Als ewiger Sohn Gottes stieg Er vom Himmel herab und nahm die „Knechtsgestalt“ als ein Mensch an (Phil 2,7). Er führte hier ein sündloses Leben im Glauben an Gott, als ein Mensch, „der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir“ (Heb 4,15) und „der in den Tagen seines Fleisches... sowohl Bitten als Flehen ... dargebracht hat“ (Heb 5,7). Indem Er Sich jeder Erprobung unterwarf und die Tiefen der Erniedrigung durchschritt, bewies Jesus die Kraft Seines Glaubens, lernte den Gehorsam und ließ die Größe Seiner Liebe erkennen. In Seinem Bitten und Flehen wird deutlich, dass Er völlig abhängig von Seinem Gott und Vater den Weg als Knecht Gottes ging.

In Vers 2 nimmt der Herr Jesus offenkundig die demütige Haltung und Stellung eines gehorsamen Gläubigen ein, der aufschaut zu seinem Herrn, ihm wohlgefällig sein will und auf Anweisungen wartet. Das war alles andere als eine herrliche, erhabene Rangstufe, es war eine Stellung, die in ganz anderer Weise in Erscheinung trat als der Ihm gebührende Platz „in Gestalt Gottes“. Um dieser ausgezeichneten Haltung willen sagt Gott prophetisch von Ihm: „Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat“ (Jes 42,1). Mit den Worten „meine Güte reicht nicht zu dir hinauf“ (Vers 2b) stuft sich Jesus Selbst als ein Mensch auf Erden ein. Als wahrhaft Frommer unter den Menschen fand Jesus das, was Er für Sich wünschte und was für Ihn persönlichen Wert hatte, ausschließlich in Seinem Gott und in der Gemeinschaft mit Ihm, nicht aber in der Ehre und in den Gütern, die Ihm von irdischer Seite hätten zufließen können. Dennoch war und blieb Er stets Der, „der über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit“ (Röm 9,5). Aber er verbarg Seine Gottheit unter der Hülle der Niedrigkeit, „in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden“ (Phil 2,7). Äußere Ehre, die Ihm als hervorragendem Menschen des Öfteren angetragen wurde, nahm Er nicht an. Alle Ehre ließ Er allein Gott im Himmel zukommen. Auf eine nur Ihm mögliche, einzigartige Weise lebte Er zur Ehre Gottes und verherrlichte Ihn (Mt 4,10; Joh 8,50; 17,4). Zugleich machte Er Sich eins mit den Heiligen auf der Erde (Vers 3). Den Heiligen auf der Erde konnte nichts Wertvolleres und kein gnadenreicheres Geschenk zugutekommen als diese Einswerdung Christi mit ihnen. Ihre Lage und ihre Nöte machte Jesus zu Seinen eigenen. Ihnen galt Seine ganze Zuneigung. Er schämte Sich nicht, sie Brüder zu nennen (Heb 2,11). Durch die Menschwerdung Christi war die Wonne Gottes nun in einer unmittelbaren Weise bei den Menschenkindern (Vers 3; Spr 8,31), jetzt jedoch ohne räumlichen Abstand in direktem Umgang mit ihnen, und dies wird von allen, die Ihn kennen und lieben, mit großer Freude empfunden. Jesus ist als Urheber der Errettung gekommen, um solche, die durch den Glauben an Ihn geheiligt werden, als Söhne Gottes und Teilhaber an Seinem Erbe zur Herrlichkeit zu bringen (Heb 2,10; Röm 8,17). Auf dem Weg zu diesem Ziel bewahrt Er sie in allen Schwierigkeiten. Er tröstet und stärkt sie, Er leitet und trägt sie als die Schafe Seiner Herde.

Als Herr Seiner Knechte erwartet Jesus von ihnen, dass sie Ihm in Liebe und Treue dienen: „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach“ (Joh 12,26). Wenn jemand von diesem Weg abirrt und eine andere Person zu seinem Führer erwählt, dann ist dies ein schwerwiegender Vertrauensbruch und eine arge Geringschätzung Seiner Person. Ein solcher Verrat hat größten Schaden zur Folge (Vers 4; Spr 15,10; Jes 42,17ff). Und wer Ihn, der mit Gott völlig eins ist, verlässt, der verwirft den Weg der Wahrheit und verlässt seine Gnade (Jer 17,13; 2. Pet 2,21). Wer sich für Ihn entschieden hat, der hat den richtigen Weg gewählt, der allein zum Heil führt, und muss ihn mit entsprechender Entschiedenheit und in Treue gehen. Andernfalls verliert er seinen Führer und Gebieter aus den Augen, der auf der Erde der völlig Abgesonderte war, der in jeder Hinsicht und unter schwerster Prüfung das Böse verwarf und in treuer Hingabe Gott diente. Mit solchen, die auf einem falschen, schriftwidrigen Weg waren, ging Er nicht einen einzigen Schritt gemeinsam. Mit ihrem Namen oder mit einem Opfer, das sie brachten, in irgendeiner Weise in Verbindung gebracht zu werden, lehnte Er ab. In der Tat werden die ungläubigen Juden einem anderen, dem Antichrist, nacheilen (Joh 5,43).

Die stets vollkommene Gemeinschaft Jesu mit Gott schloss das Zusammengehen mit Verkehrtem gänzlich aus. „Der HERR ist das Teil meines Erbes und meines Bechers“ (Vers 5). Das war für Jesus das Kostbarste. Er kannte nichts anderes, was diesem an Wert gleichkam, es gab nichts anderes, das erstrebenswert war. Er legte keinerlei Wert darauf, etwas für sich selbst zu erwerben. Nie suchte Er Selbst Sein Recht (Jes 49,4; 1. Pet 2,23). Wer Ihm darin folgt, wird in innerem und äußerem Frieden leben. Die beständige Gemeinschaft in der Liebe zu Seinem Gott ersetzte für Jesus, den Sohn des Menschen, alles andere. Er hatte genug an Seinem Gott und erfreute Sich des unübertrefflichen Teiles und,Bechers', das Gott Ihm als das Ergebnis Seines Lebensweges zugeteilt hatte. Das waren für Ihn „liebliche Örter“ und „ein schönes Erbteil“, die unendlich reiche Gabe des Ratschlusses Gottes, die mit nichts anderem zu vergleichen ist (Vers 6). Auch wir sollten Zeit und Gelegenheit nutzen, das uns von Gott zugedachte geistliche Gebiet gründlich zu erkunden (Kol 2,2.3). Das Streben nach weltlichen Dingen und irdischen Vorteilen, der Lustgewinn und die Ehre von menschlicher Seite, sind das, was der gegenwärtige Zeitlauf bietet. Die Teilnahme daran, oft schon das bloße Interesse dafür, verhindert den Genuss des dem Gläubigen zugefallenen Loses und Erbteils.

David, der Dichter des Psalms, suchte in der Gegenwart Gottes zu leben, weil ihm Gottes Nähe und Gemeinschaft überaus wertvoll waren. Dadurch besaß er die rechte Ruhe und Gelassenheit für seinen schwierigen Weg, sowie die Weisheit für die zu treffenden Maßnahmen (Vers 7). „Ich will dich unterweisen und dich den Weg lehren, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten“ (Ps 32,8). Ohne seinen Gott wollte David keinen Schritt gehen, er war immer bereit, sich Seiner Autorität zu unterwerfen. An Gottes Hand wusste er sich sicher geführt auf einem Weg, den Gott bereits vorbereitet hatte. Dieser gottgewollte Weg war dann nicht mehr nur ein menschlicher Lebenslauf. Es war der Weg Gottes, der von Gott geplant war und zu Seinem Ziel hingelenkt wurde. Wenn sich der Gläubige von den auf ihn eindringenden falschen Einflüssen abwendet und die Vorstellungen zurückweist, die durch eigene Willensbildung zustande kommen, dann kann der Heilige Geist in ihm wirken. Solange jemand die Ehre Gottes und Seine Belange im Sinn hat, werden das Wort und der Geist Gottes das Innere seines Herzens zum Guten lenken und es darin bewahren (Ps 40,9; Heb 13,21). Beinahe verwundert vermerkt David, dass er „sogar bei Nacht“ auf solche Art unterwiesen wurde (Vers 7). Nichts in dieser Welt gleicht der Würde eines Menschen, der beständig mit Gott wandelt. Der Umgang mit Ihm macht den wahrhaft Frommen demütig; er wird weit stärker von oben beeinflusst als durch alles in der Welt.

„Ich habe den HERRN stets vor mich gestellt; weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken“ (Vers 8). Zur Zeit Seines Daseins auf dieser Erde verwirklichte Jesus, der wahre Sohn Davids, die volle Bedeutung dieser prophetisch gesprochenen Worte. Der gläubige Christ kann nichts Besseres tun, als Seinem Beispiel zu folgen und auf Seinen Spuren zu bleiben. In der Nachfolge seines Herrn wird der Gläubige nicht von dem Pfad des Gehorsams abbiegen oder auf dem Weg zurückweichen (Ps 17,5 und 40,5). Dabei wird die herrliche Hoffnung, den Herrn am Ende des Weges zu schauen, ihn ermutigen und die Schritte festigen (Verse 9 und 10). Er wird auf manche Annehmlichkeit verzichten und sich nicht allerlei unnützen Freizeitbeschäftigungen hingeben. Zielbewusst hält der Glaubende auch durch Unglück und Leiden hindurch den rechten Weg ein; er ist sicher, dass er das verheißene Endziel erreicht.

Der Weg mit Gott ist für den Glaubenden der „Weg des Lebens“ (Vers 11). Ohne diese Gewissheit des Heils für alle Zukunft wäre sein Glaube sinnlos. Der Herr Jesus sagt zu den Sadduzäern unter den Juden, die die Wahrheit der Auferstehung abstritten: „Die aber für würdig erachtet werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten,... können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind“ (Lk 20,35–38). Schon David wusste, dass sein Gott „nicht der Gott der Toten, sondern der Lebendigen“ ist. Herz, Seele und Körper konnte er Ihm getrost anvertrauen (Vers 9). Dies bekennt er hier voller Freude, obwohl „der Weg des Lebens“ damals noch nicht sichtbar von einem Menschen beschritten worden war, wie er nun durch die Auferstehung Jesu offenbart ist (Joh 11,25; 1. Kor 15,20ff). Natürlich glaubten die „Väter“ an die Auferstehung, aber der Zustand der Seele war nicht weiter bekannt.

In der Rede des Apostels Petrus (Apg 2,24–32) wird ausdrücklich gesagt, dass die Verse 8 bis 11 des vorliegenden Psalms eine prophetische Aussage über den Herrn Jesus sind, die sich damals vor ihnen, den Aposteln, als Zeugen erfüllt hatte. In den vorliegenden Versen spricht Christus als Mensch Gott gegenüber Sein volles Vertrauen hinsichtlich Seiner Auferweckung aus. Die Überzeugung Davids war auch die Überzeugung des Menschen Jesus, dessen Glaube seine Stütze in den vertrauensvollen Worten dieses Psalms hatte. Wie kein anderer konnte Jesus mit uneingeschränkter Berechtigung bezeugen: „Denn er ist zu meiner Rechten, damit ich nicht wanke“. Als Mensch war Er Sich Seiner Abhängigkeit von Gott bewusst. Hatte Er den Tod zu erleiden (und Er musste „nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes“ nach Golgatha gehen, um „durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht“ zu werden; Apg 2,23), dann war Er als Mensch in allem Weiteren ganz auf Gottes Antwort und Handeln angewiesen. Denn einen Menschen aus dem Tod zu erretten, das vermag Gott allein (Ps 68,21). In dem festen Vertrauen auf Gottes Macht und auf die Verheißung des Verses 10 für den wahrhaft Frommen bewährte sich der Glaube Jesu. Im Blick auf die hier vorliegenden Psalmworte flehte Jesus in den Tagen seines Fleisches zu „dem, der ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen“, und Er ist „wegen seiner Frömmigkeit erhört worden“ (Heb 5,7). Der gerechte Gott hat entschieden, dass dieser vollkommen gehorsame, gerechte Mensch, dieser wahrhaft Heilige, nicht im Tod bleiben und die Verwesung nicht sehen sollte, und brachte Ihn aus den Toten wieder (Apg 13,35; Heb 13,20). Durch dieses von Gott gelenkte einzigartige Geschehen ist Jesus Christus, der Herr, „erwiesen als Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung“ (Röm 1,4), „weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist“ (Jes 53,9). „Und, vollendet worden, ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden“ (Heb 5,9). Durch Seinen Sieg über den Tod, die Welt, die Sünde und den Teufel, „der die Macht des Todes hat“ (Heb 2,14), hat Jesus Christus alle die befreit, die an Ihn als ihren Heiland glauben. „Er aber, nachdem er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht hat, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes“ (Heb 10,12). An dem höchsten Platz in himmlischen Örtern ist der Anfänger und Vollender des Glaubens, Jesus Christus, nun als auferstandener vollkommener Mensch und als ewiger Sohn Gottes verherrlicht, in ewiger, unerschöpflicher Freude zur Rechten Seines Vaters (Vers 11). Durch die Auferstehung aus dem Tod hat Er die unentrinnbare Gewalt des Todes besiegt, und der Weg des Lebens ist gebahnt für jeden, der an Ihn glaubt.

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