Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 72

Der Psalm beschreibt prophetisch den Messias als den kommenden König Israels. Den gleichen Zweck verfolgen unter anderem die Psalm 21, 45 und 97. Es wird prophetisch vorausgesagt, auf welche Weise der göttliche Herrscher über die ganze Erde regieren wird und wie Er zum Segen wirkt, um die Beschlüsse Gottes betreffs der ganzen Welt zur Erfüllung zu bringen. Der Prophet Jesaja spricht von den Maßnahmen Seiner Herrschaft in jener kommenden Epoche des Heilsplans in den Kapiteln 2 und 4; 9,5f; 11,1–5 und 52,7–10, und der Herr Jesus kündigt sie an in Mt 22,41–45; 24,27.30. Lukas erwähnt Seine zukünftige Herrschaft in den Versen 32 und 33 des ersten Kapitels. Christus, der Friedefürst, der Sohn Davids, ist es, der die Verheißungen der Heiligen Schrift über das kommende tausendjährige Reich zur Erfüllung bringen wird (2. Kor 1,20). Er ist der Urheber und die Quelle der Fülle des Guten in Seinem Reich auf der Erde. Sein irdisches Volk, Israel, wird Ihm dann willig dienen und Ihn verehren. Die Völker der Erde und die ganze Schöpfung werden Ihm zu Füßen liegen. Hinsichtlich der Überschrift dieses Psalms ist festzustellen, dass die hier erwähnten Regierungsmaßnahmen nicht dem König Salomo zuzuschreiben sind. Ebenso wenig trifft es auf Salomo zu, wenn in Vers 5 gesagt wird, dass jemand ihn von Geschlecht zu Geschlecht gefürchtet hätte. Salomos Reich hat die hier beschriebene Ausdehnung des Reiches des Messias bei weitem nicht erreicht; auch besteht Salomos Name nicht ewig fort oder solange die Sonne besteht, wie es in Vers 17 zu lesen ist.

Das Reich und die Regierung des Messias sind von der göttlichen Gerechtigkeit geprägt. Er Selbst ist die Gerechtigkeit Gottes, und als des Menschen Sohn ist Er der allein Gerechte. Er hat die Autorität Gottes, weil Er Gottes Sohn von Ewigkeit ist. Zugleich ist Er Davids Sohn und Nachkomme. Als solchem ist die Wahrung der Gerechtigkeit Seiner Hand ganz übergeben. Israel ist Sein irdisches Volk, welches Er dann in Gerechtigkeit richtet (Verse 1 und 2; Ps 75,3.8). Da Er aufgrund göttlicher Erkenntnis richtet, übt Er Recht, Gerechtigkeit und Geradheit in makelloser Vollkommenheit, die bis dahin auf der Erde nicht gesehen wurde (Jes 11,3–5). Er Selbst ist der Ursprung des Rechts. Als Schöpfer hat Er sowohl die Freiheit als auch unbegrenzte Macht, zur Verantwortung zu ziehen und zu bestrafen. Er ist der göttliche Gebieter über Tod und Leben.

Ein Ergebnis der unbeschränkt ausgeübten Gerechtigkeit ist der sich überall ausbreitende Frieden (Verse 3 und 4; Ps 85,11–14; Jes 32,1.17; 55,12). Gerechtigkeit und Frieden sind unter der Herrschaft Christi in völligem Einklang miteinander, denn sie sind in der Person des Königs und Messias vereint. Es ist nicht eine Gerechtigkeit auf Kosten des Friedens, oder ein Frieden auf Kosten der Gerechtigkeit, wie es in der jetzigen Zeit des Öfteren der Fall ist, sondern wahrer, echter „Frieden durch Gerechtigkeit“. Allgemeines Wohlergehen und ein harmonisches Miteinander gehen damit einher. Als barmherziger Gott und als der Ursprung aller Gnade nimmt der Herr Sich der Armen und Elenden an. Bedrücker, die ihnen übel wollen, „wird er zertreten“ (Vers 4; Jes 11,4). Er erbarmt Sich der Geringen, die in niedriger Stellung ausharrten waren oder in demütiger Gesinnung auf Selbstdarstellung verzichteten. Wie auch ihr Herr auf der Erde, haben sie Armut im geistlichen Sinne allem anderen vorgezogen (Mt 5,3; 11,29; 16,24; Röm 12,16). Frieden mit Gott besitzen sie ohnehin bereits in ihren Herzen. In Seinem Reich aber werden sie den vollkommenen Frieden auch in ihren äußeren Umständen genießen, sie finden ihn außerdem überall in der Schöpfung.

Alle Bewohner der Erde bringen dann Christus, dem Herrn der Herren und König der Könige, die geschuldete Ehrfurcht entgegen, denn Er ist Gott, der Ewige (Off 17,14; 19,16). Seine Wirkkraft verzehrt sich nicht, wie es heutzutage häufig zu beobachten ist, denn Er ist die Quelle aller Kraft des Guten. Sein Reich hat ewigen Bestand, was noch nicht einmal von Sonne und Mond behauptet werden kann (Vers 5). Das von Menschen Geschaffene veraltet und verliert an Bedeutung, es nutzt sich ab und fällt in sich zusammen, seien es Gedankengebäude oder politische und wirtschaftliche Systeme. Aber Seine Herrschaft unterliegt keiner Veränderung; ununterbrochen bringt sie eine Fülle von Segen mit sich. Mit Seinem Kommen erlangt die Erde alles, was ihr fehlt und zu ihrem Nutzen dient. Erschöpfte Vorräte und erlahmende Kräfte, sinnbildlich dargestellt durch „die gemähte Flur“ (Vers 6), werden dann unverzüglich mit der benötigten neuen Energie versorgt (Ps 65,10–14; 2. Sam 23,3.4; Hos 6,3). Wie die Natur dadurch in herrlicher Weise aufblüht, so wird auch „der Gerechte blühen“, aber im Gegensatz zur Pflanzenwelt wird er nicht verblühen und verwelken (Vers 7; Ps 1,3; Jes 27,6). Die Gerechtigkeit wird nicht mehr behindert oder gar mit Füßen getreten werden, sondern sie herrscht immerfort zum Wohl und zum Glück aller.

In den Versen 8 bis 11 wird die Ausdehnung des Reiches Christi auf die ganze Erde umfassend dargestellt; das bedeutet die Herrschaft Gottes über die ganze Völkerwelt. Ihr Zentrum ist Jerusalem. Die über alles herrschende Person ist Christus, der Sohn Gottes und Sohn Davids (Ps 59,14; Sach 9,9.10; Mt 28,18). Jeder, ob hochgestellt oder niedrigen Standes, wird anerkennen, dass Er der HERR ist, dem man sich zu unterwerfen hat. „Sie werden sich bebend wenden zu dem HERRN, unserem Gott, und vor dir sich fürchten“ (Mich 7,16.17; Jes 49,23). Alle werden ihre Anerkennung Seiner Herrschaft durch Abgaben bezeugen (Verse 10 und 15; Jes 60,9f). „Die Tochter Tyrus, die Reichen des Volkes, werden mit Geschenken deine Gunst suchen“ (Ps 45,13; 68,30–33). Dem Herrn Jesus, dem einst Verachteten, der zur Zeit Seines ersten Kommens ein Knecht der Herrscher zu sein schien, ist nunmehr alle Macht gegeben, „und alle Könige werden vor ihm niederfallen, alle Nationen ihm dienen“ (Vers 11; Ps 2,6–12; Jes 49,7; Off 19,16).

Die Verse 12 bis 14 rühmen die Barmherzigkeit Christi. Bereits zur Zeit Seiner Erniedrigung als Mensch auf der Erde empfand Er die Nöte der Menschen mit, und nun als Herrscher über alles ändert Er die Verhältnisse der Rechtlosen, der Armen und Geringen grundlegend, denn Er ‚errettet' niemals nur teilweise. Zu einer Unterdrückung und zu Gewalttaten wird es nicht mehr kommen. Er ist der Retter und Befreier. Jeder ist Ihm wertvoll; jeder Einzelne darf Ihm seine Bitten vortragen. Seine Güte erschließt Ihm die Herzen. Mit Freuden sagen alle nur Gutes über Ihn (Verse 15 und 17). Sie rühmen Ihren König im Gebet vor Gott, denn alle sind dankbar und zufrieden unter Seiner Regentschaft. Er tritt dann vor die Augen aller als der Lebendige, der in Off 1,18 von Sich sagt: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Er ist Der, der Selbst das Leben ist und der das Leben gibt (Vers 15a). Als die Quelle des Guten hat Er alles zur Verfügung und gibt jedem reichlich, was er irgend benötigt. Die ganze Erde kennt dann keine Mangelerscheinungen mehr. So gibt sie Zeugnis davon, dass Gott regiert. Da die Ernten Überfluss an Nahrungsmitteln erbringen, ist auch bei wachsender Bevölkerung alles reichlich vorhanden. Die Zeit der Sorgen und der vielen berechtigten Befürchtungen ist vorbei (Vers 16; Jes 9,6). Alle nutzen die Gelegenheit, den Herrn zu preisen, durch den sie immerfort Segen empfangen (Verse 15 und 17; Ps 8,2, 45,18). „Das Wohlgefallen (das heißt zugleich: der Wille) des HERRN wird in seiner Hand gedeihen“ (Jes 53,10b). Die Menschen müssen bezeugen, dass Er der Gott ist, der Wunder tut, und dass die ganze Erde mit Seiner Herrlichkeit erfüllt ist. Von Übeln und Verderbtem hingegen ist sie befreit. „Gepriesen sei sein herrlicher Name in Ewigkeit! Und die ganze Erde werde erfüllt mit seiner Herrlichkeit!“ (Verse 18 und 19).

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel