Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 104

Wie Psalm 102 und 103 bereits festgestellt haben, leiten sich die Kräfte und die gesicherte Existenz von dem HERRN her, von Gott dem Schöpfer. „Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: Alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen. Und er ist vor allen, und alle Dinge bestehen durch ihn“ (Kol 1,16f; Neh 9,6; Hiob 38,4ff; Apg 4,24; 17,24–28). Die folgenden Ps 105 bis 108 haben ebenfalls die alles beherrschende Macht Gottes zum Gegenstand. Sie beschreiben anhand von Beispielen die daraus hervorgehende Fürsorge und Sein Eingreifen in die Abläufe innerhalb der Schöpfung. In lenkendem Handeln offenbaren sich Seine Weisheit und Güte. Der Bestand aller geschaffenen Wesen und Dinge bleibt von Ihm, von Seinem Willen und Wirken, immer abhängig, ob sie es wollen oder nicht. Er ist der allein Unabhängige, der alleinige, souveräne Gott. Es gibt nichts, das Ihm gleich ist oder auch nur mit Ihm zu vergleichen wäre (Jer 10,7) und was sich mit Seiner Macht und Weisheit messen könnte. Alles Geschaffene hat Er auf wunderbar sorgfältige Art gestaltet und ausgestattet. Gott hat ihm einen geeigneten Platz gegeben und einen Zeitraum für dessen Bestehen bestimmt. Den von Ihm eingesetzten Räumen, Grenzen und Ordnungen gibt Er Bestand, und gegebenenfalls ändert und erneuert Er sie (Ps 90,2–6; 104,29–32). In gleicher Weise wie der Apostel Paulus, legt der Dichter dieses Psalms dar, dass „sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit... von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten“ von jedem Einsichtigen wahrgenommen werden können (Röm 1,19–21). Doch der Psalm schließt nicht, ohne herauszustellen, was Gott von Seinen Geschöpfen erwartet. Jeder Einzelne schuldet Ihm und Seinem Wort Gehorsam. Wer die Unterwerfung verweigert, verfällt dem Gericht. In dem kommenden Zeitalter wird Gottes Sohn, der Herr Jesus Christus, die geplante Einheit und Makellosigkeit alles Geschaffenen zur Verherrlichung Gottes herbeiführen. Ihm haben sich alle zu unterwerfen. „Die Gottlosen werden nicht mehr sein“ (Vers 35). Der Psalm stellt klar, dass die Natur nicht um ihrer selbst willen da ist. Sie besteht nicht aufgrund eigener Energiereserven und Entwicklungsfähigkeit, sondern durch Gott, durch Seine Weisheit und Allmacht. Unendlich erhaben steht Er über der Schöpfung, an der Er Sich erfreut und für die Er sorgt. Die Herrschaft Christi wird dies im zukünftigen Reich Gottes vollendet ans Licht treten lassen; dann mangelt nichts mehr an der vollkommenen Verherrlichung Gottes. Die Reinigung der Schöpfung von der Sünde und die Befreiung von denen, die sündigen, ist eine der Voraussetzungen von solcher Vollkommenheit.

Wenn Gott hervortritt, um Sich als Schöpfer zu offenbaren, geschieht dies in der Majestät und Pracht des Königs aller Könige und des Herrn aller Herren, und als der alleinige Gebieter (Verse 1 bis 4; 1. Chr 29,11f). Er besitzt in Sich Selbst noch weitergehende, größere Herrlichkeiten als die, die an dem Besten dieser Schöpfung wahrgenommen werden. Dass Er in Licht gehüllt ist wie in ein Gewand (Vers 2), leitet zu dem Gedanken, dass es ohne die gnädige Hilfestellung vonseiten Gottes dem menschlichen Erfassen und Verstehen unmöglich ist, Gott zu erkennen. Auch blendet die Überfülle göttlichen Lichts die Augen, und ein Verharren unter seinen Strahlen ist unmöglich (2. Mo 33,20; 1. Tim 6,16; 1. Joh 1,5). Daher hat Gott Sich in einer für den Menschen verständlichen Weise in der Schöpfung offenbart. Und darüber hinaus offenbart Er Sich in der Heiligen Schrift. Vor allem aber hat Er Sich in der Sendung Seines Sohnes, des Menschen Jesus Christus, offenbart. Wer Ihn erkennen möchte, dem schenkt Er die nötige Einsichtsfähigkeit. In der Person Seines Sohnes hat Gott Sich auf vollkommene Weise als das Licht zu erkennen gegeben: Jesus Christus ist der Ausdruck Seines Wesens. In der Person des Sohnes Gottes treten die Strahlen der göttlichen Herrlichkeit in Vollkommenheit hervor, jedoch in einer Weise, dass sie von Menschen ertragen und erfasst werden können (Joh 1,1–4.9; Heb 1,1–3). „Jesus... sprach: Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12; 12,35.36.44–46). Gott ist jedoch nicht nur Licht, sondern auch Liebe. Beide Seiten Seines Wesens wurden durch Christus offenbart. Bei allen Gelegenheiten behält das göttliche Licht seine untersuchende Schärfe, es bleibt immer Gott gemäß durchdringend und aufdeckend. Dass Gott Licht ist, bezeugt auch der Heilige Geist, Er überführt die Welt und bringt die Sünde ans Licht (Joh 16,9). Der Schöpfer hat diese Welt so geschaffen, dass ohne die Kraft und den Einfluss des Lichts in der Natur kein Leben möglich ist. Auch geistliches, ewiges Leben ist ohne Seinen lebendig machenden Geist nicht möglich. Durch dessen Hilfe wird der Gottesfürchtige befähigt, sowohl Gott als auch sich selbst im Licht des Wortes Gottes zu erkennen. Niemand kann Gott vorwerfen, es habe an Licht gemangelt. In Jesus Christus ist das wahrhaftige Licht in die Welt gekommen, das jeden Menschen ins Licht stellt und zu erleuchten vermag (Joh 1,9). Aber „die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (Joh 3,19–21).

Über allem Irdischen und Zeitlichen und über allem für uns Erkennbaren erhaben, liegt die Wohnung Gottes (Verse 1 bis 3). Allgemein sind die Vorstellungen des Menschen und die Begriffe seiner Sprache anhand des ihn umgebenden Materiellen zustande gekommen. Der Mensch kann sich daher kein Bild von dem Aufenthalt Gottes machen. Jemand mag ihn vielleicht in überirdischen Höhen suchen, doch sein Blickfeld lässt dies nicht zu, es ist zu klein und eingeengt. Er nimmt den Himmel und das Firmament wahr, doch darauf bleibt die Sichtweite beschränkt. Bis in Gottes Gegenwart und in Seine Wohnung kann der Mensch nicht vordringen, sie liegen außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Über Den, „der seine Obergemächer im Himmel gebaut und seine Gewölbe über der Erde gegründet hat“ (Amos 9,6), über das Wo und Wie Seines Aufenthalts, auch über Seine Allgegenwart können Menschen keine Erkenntnisse gewinnen. Für Gott gibt es die Grenzen von Raum und Zeit nicht, ebenso wenig die Grenzen des Erkennens, die dem Menschen gesetzt sind (Hiob 26,6–9; Jes 40,22). Er kennt alle Entwicklungen im Voraus und lenkt durch Seine Engel, die Er je nach Notwendigkeit zu,Winden' oder zu,flammendem Feuer' macht, um Seinen Willen zur Tat werden zu lassen (Vers 4; Ps 103,20; Jes 44,24–28) hier in der letzten Stelle sehen wir, dass Er auch Menschen benutzt. Alles Bestehende und alles Geschehen ist von Ihm abhängig und unterliegt Seiner Allmacht. Auf Sein Handeln können Menschen keinen Einfluss nehmen. Die Souveränität Gottes unterliegt keiner Veränderung.

Die Verse 5 bis 30 berichten, dass Gott die Erde gegründet hat, dass Er sie für Menschen und Tiere bewohnbar gemacht hat und sie in einem zweckdienlichen Zustand erhält (Ps 89,12–14 und 102,26). Der fünfte Vers beschreibt das Wunder, dass die Erdkugel für das menschliche Empfinden auf nicht wankenden, festen Grundlagen zu ruhen scheint, obwohl sie sozusagen über dem Nichts, wo gar kein Halt ist, aufgehängt ist und lediglich durch auf sie einwirkende Kräfte im bestimmten Abstand von den übrigen Himmelskörpern gehalten wird (Hiob 26,7; 38,6; Ps 119,90). Dabei wird die Dauerhaftigkeit der von Gott geschaffenen Naturgesetze und -kräfte besonders betont. Der schwache Mensch, der innerhalb der Schöpfung vielen Gefahren ausgesetzt ist, macht von seiner Jugend an die Erfahrung, dass er sich auf die Gesetzmäßigkeiten aller Abläufe in der Natur verlassen kann, die in Wirklichkeit vom Schöpfer festgelegt sind und aufrechterhalten werden. Jeder nimmt dies als eine Selbstverständlichkeit hin. Dieses grundsätzliche Vertrauen wird nicht enttäuscht, obgleich die auftretenden Naturkatastrophen die Menschen daran erinnern, wie unbändig und unberechenbar Naturgewalten sind. Solche Einbrüche können die normalen Ordnungen empfindlich stören und den Menschen sehr gefährlich werden. Ein schlimmes Naturereignis hat in der Regel ein allgemeines Erschrecken zur Folge. Die meisten Menschen kennen den Schöpfer nicht, dessen göttliche Macht die Naturereignisse lenkt. Gleichwohl vertrauen sie auf eine naturgegebene Regelmäßigkeit innerhalb ihres Lebensraums.

Die Verse 6 bis 9 sprechen von der lebensnotwendigen Bedeutung des Wassers und von der am Anfang der Naturabläufe stehenden Bändigung seiner Gewalt zum Zweck der Bewohnbarkeit dieser Erde. Durch bezeichnenderweise scheltende Anweisungen trieb Gott die Wassermassen zurück, die vorher die ganze Erde bis über die Bergspitzen hin bedeckten. Er zwang die Meere, in bestimmte, begrenzte Bereiche zurückzuweichen, um das Festland gegen dessen zeitweilig entfesselte Gewalt zu sichern (Verse 6 und 7; Psalm 33,7). „Die Verse 2–9 versetzen uns in Gedanken zu den Anfängen der Schöpfung. Der biblische Bericht über jene Vorgänge ist von tiefster Schönheit und Erhabenheit. Einem solchen Schauspiel gegenüber neigt sich der Glaube mit Bewunderung vor unserm Schöpfer?Gott. Die Welt mag sich fragen, wie das alles geworden sei, und die Wissenschaft mag ihre Hypothesen aufstellen; wir aber: „Durch Glauben verstehen wir, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind“ (Heb 11,3). Wie groß und kostbar ist ein solcher Glaube, der uns in die Lage versetzt, die wunderbaren Dinge der Schöpfung zu verstehen! Wie der Schreiber dieses Psalmes schauen wir mit Staunen und Bewunderung in dieses gewaltige Gebiet hinein, anderseits aber fühlen wir uns hier gleichsam zu Hause, weil der allmächtige Gott, der Ursprung alles Erschaffenen, durch Jesus Christus unser Vater geworden ist“ (Grobéty).

Von diesem speziellen Einsatz Seiner Schöpfermacht spricht die Heilige Schrift mehrmals. Bekanntlich ist die Regelmäßigkeit der von den Meeren ausgehenden Wettereinflüsse eine wichtige Voraussetzung für gute Klimaverhältnisse. Diese wiederum sind für die Existenz von Pflanzen und Lebewesen entscheidend wichtig (1. Mo 1,6–10; Hiob 38,8–11; Ps 90,2; Spr 8,29). Eine weitere Voraussetzung für die Bewohnbarkeit der Erde ist nach den Versen 8 und 9, dass sich in längst vergangener Zeit die Berge hoben und die Täler senkten, um den Kreislauf des Regenwassers vom Meer aufs Land und zurück ins Meer zu ermöglichen (5. Mo 8,7). So wurden die frühesten Wohngebiete der Erde für die Besiedlung vorbereitet und geeignete Lebensräume für viele Nutztiere und für die zur Ernährung nötige Vegetation geschaffen. Der Schöpfer gestattet dem Meer nicht, den Menschen, aber auch der Natur insgesamt diese Existenzgrundlagen wieder wegzunehmen (Vers 9; 1. Mo 9,11; Jer 5,22). Die großen Wasservorräte der Meere sind es, die jedes Leben innerhalb der Schöpfung erst ermöglichen. Weil sie aber den Erdbewohnern auch zur tödlichen Gefahr werden können, wacht Gott in besonderer Weise über das Verhalten der Wassermassen. Auf Sein ordnendes Eingreifen ist alles irdische Leben angewiesen. Auch in dieser Hinsicht bleibt es von der fortwährenden Fürsorge Gottes abhängig.

Die Verse 10 bis 18 lassen die Fürsorge des Schöpfers für Menschen und Tiere deutlich werden. Offenbar ist es eine Freude für Ihn, wenn alle wohlauf sind, gut gedeihen und aus sicheren Quellen frisches, Leben spendendes Wasser trinken können. Jeder Bedarfsfall ist Ihm bekannt, und gerne stellt Er das Notwendige bereit (Verse 10 und 11). Menschen denken an sich selbst und sorgen vornehmlich für die eigene Person. Er aber erbarmt sich der Unvermögenden, zu denen im Grunde auch alle Menschen zählen, und nimmt Sich der sonst hilflosen Tierwelt an, die es Ihm auf ihre Weise dankt (Vers 12; Ps 145,9.10). Damit die Quellen sprudeln, tränkt Er die Berge mit regelmäßigem Regen (Vers 13; Ps 65,10–14; 147,8; Hiob 38,25ff; Jer 10,13). Dem Niederschlag bestimmt Er Ort, Zeit und Maß. Auch durch dieses Mittel lenkt Er die Geschicke der Menschen, wobei Er sie segnet oder bestraft. Von Seinem Urteil sind sie abhängig und von Seiner Güte leben sie. Menschen meinen, dass sie aufgrund ihres Könnens ihre Existenz sicherstellen. In Wirklichkeit aber wird die Erde mitsamt allem Lebenden durch das Wirken des Schöpfers mit dem Erforderlichen ausgestattet; Er ist es, der für das Ganze Sorge trägt und den guten Fortgang sicherstellt (Vers 13b; Ps 68,10; Lk 12,18–30). Nicht in den Zentren der Geschäftigkeit und der Fabrikation, deren Zweckmäßigkeit nicht zu bestreiten ist, wachsen Gras, wertvolles Gemüse und Korn, der Ölbaum, der Weinstock und der Wald, sondern an ruhigen, schönen Orten, und offensichtlich unter der gütigen Hand Gottes. Er teilt allem das Sonnenlicht, den Regen und das Wachstum zu und sorgt für die Aufrechterhaltung der Atmosphäre, der Lufthülle der Erde (Verse 14 bis 18; 1. Mo 1,11; Apg 17,24.25). Gleichwohl steuern der Landwirt, der Obstbauer und der Weingärtner mit hartem „Dienst“ (Vers 14) und gutem Fachwissen ihr Teil dazu bei, dass das Land gute Frucht bringt, woran ihre Abnehmer und sie selbst Freude haben (1. Mo 2; 15; 3; 17–19; Jes 28,25–28). Die Bearbeitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen ist den Menschen als nutzbringende, wertvolle Beschäftigung gegeben. Doch dabei ist nicht zu vergessen, dass die Erde und ihre Fülle dem HERRN gehört (Verse 16 bis 18; 1. Kor 10,26). Sie ist sozusagen Sein Garten, den Er bepflanzt hat und zum Gedeihen bringt (4. Mo 24,6). Die Vielfalt der Gewächse, ihre Schönheit, auch ihre Nützlichkeit für die übrige Natur und für den Menschen, lässt die Weisheit des Schöpfers sowie Seinen Sinn für Brauchbares und Schönes erkennen. Seine vorausschauende Fürsorge hat die Bäume als Material für Geräte und zum Errichten von Wohnungen für die Menschen und viele Tierarten geschaffen. Nicht als öde Wüste hat Er die Erde gemacht, sondern „um bewohnt zu werden, hat er sie gebildet“ (Jes 45,18). Er hat gewisse Tierarten dafür geschaffen, dass sie die für den Menschen ungeeigneten Gegenden bewohnen, und schuf Gewächse, die sich in Meerestiefen ausbreiten, und andere, die in hochgelegener Gebirgslandschaft gedeihen, so dass in allen Regionen der Erde die Herrlichkeit des Schöpfergottes bezeugt wird. Die Vollkommenheit und die Nützlichkeit Seiner Werke sind allerorts in der Natur von den Menschen wahrzunehmen. Aufgrund ihrer Befähigung, den Schöpfer zu erkennen, sind alle Menschen gehalten, Ihn als den ewigen Gott in Demut anzuerkennen, Ihn zu ehren und Ihm Dank abzustatten. Sie verdanken Ihm ihr Dasein und sind Ihm verantwortlich für die Fähigkeiten, die Er ihnen gegeben hat.

Der Psalmdichter befasst er sich in den Versen 19 bis 23 mit der Bedeutung der Zeit. Da seine Kraftreserven rasch ausgeschöpft sind, braucht der Mensch angemessene Ruhezeiten. Dabei kommt ihm das Empfinden für Zeiträume zu Hilfe. Die Zeiteinteilung in Stunden, Monate und Jahre verhelfen ihm zum richtigen Einschätzen des Ablaufs von Zeit. Gott vermittelte ihm diese Fähigkeit durch den Umlauf des Mondes um die Erde und das Wandern der Erde um die Sonne und durch die Drehung der Erde. Nicht nur für den Menschen hat die regelmäßige Wiederkehr der Zeitabschnitte große Bedeutung, sondern ebenso für die übrige Schöpfung. Weil „die Sonne ihren Untergang weiß“ (Vers 19), ist dem Menschen und vielen Geschöpfen das Signal gegeben, dass es Zeit ist, zur Ruhe zu gehen. Die unvergleichlich sinnreiche Gestaltung der Tages- und Jahreszeiten, auch in ihrer Unterschiedlichkeit für Osten und Westen, Süden und Norden, ehrt den Schöpfer und legt jedem Beobachter nahe, Ihn als deren Urheber zu erkennen (Ps 74,16.17). Die Lebensbedingungen, die Zeitspannen und Lebensräume des Geschaffenen sind durch Seine fürsorglichen Vorkehrungen geordnet und den Geschöpfen angepasst. Die nötigen Ordnungen werden durch die lenkende Hand Gottes erhalten (Hiob 38,12; Ps 145,15f). Dies lässt darauf schließen, dass das Ganze ein einheitliches System bildet, das von einer einzigen Person regiert wird, deren Weisheit alle Vorstellung übertrifft und der alle Mittel in unermesslicher Fülle zur Verfügung stehen.

Nach Vers 20 bis 23 sind den Tieren und den Menschen entsprechend ihrer Art die Zeitabschnitte und die Möglichkeiten, sich auszuleben, zugemessen. Dazu gehören das tägliche Maß an Nahrungsaufnahme und die nötigen Ruhezeiten. Der Tierwelt sind diese Notwendigkeiten so eingegeben, wie sie jeder ihrer vielen Arten angemessen sind (Vers 22; Spr 30,24–28). Dem Menschen dagegen ist es freigestellt, über seine Zeiteinteilung und Tätigkeiten selbst zu bestimmen. Er geht an sein Werk und erarbeitet das Lebensnotwendige selbst (Vers 23). Er hat die Freiheit, aber auch die Verantwortung, seine Verhältnisse selbst zu ordnen und über die Tier- und Pflanzenwelt zu bestimmen (1. Mo 1,28–30; 2,15; 3,19). Die ihm zur Verfügung stehende Zeit soll der Mensch nutzen, denn „wir fliegen dahin“ (Ps 90,10) und „die Zeit ist gedrängt“ (1. Kor 7,29). Wir alle werden aufgerufen, nicht zu schlafen, sondern zu wachen, „denn ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages; wir sind nicht von der Nacht, noch von der Finsternis“ (1. Thes 5,5). Wir werden erinnert, „zu jedem guten Werk bereit zu sein“ (Tit 3,1).

Die Verse 24 bis 30 zeigen, dass die Art und die Ausdehnung der Werke des HERRN in jeder Hinsicht das Werk des Menschen übertrifft. Der Mensch vermag diese Schöpfung in keiner Weise zu erweitern, er ist aber darauf angewiesen, sie unter Einsatz seiner Fähigkeiten in gutem Zustand zu erhalten. Er darf nicht zerstörend in sie eingreifen. Er soll den Herrn und Urheber der Schöpfung achten und ehren und ebenso Sein Werk. Wenn er sich selbst als Herrn der Schöpfung ansieht, macht er Gott die Ehre streitig. Bei ihrem Forschen und Konstruieren sind die Menschen naturgemäß gezwungen, in den Grenzen des von Gott Geschaffenen zu bleiben. Indessen ist der in der Schöpfung offenbarte Reichtum der Weisheit Gottes unfassbar groß. Der Mensch in seiner Geringfügigkeit und Begrenztheit steht dem unergründlichen Ausmaß der göttlichen Weisheit noch viel winziger gegenüber als den Weltmeeren in ihrer riesigen Ausdehnung (Verse 24 und 25; Ps 24,1f; 92,5–7; 95,3–6; 111,2f; Spr 3,19; Jer 10,12). Der Gottesfürchtige gewinnt Einsicht über die sich offenbarende Majestät und Allmacht Gottes und bringt Ihm Ehrfurcht und Lob entgegen. Für Gott ist nichts zu groß und nichts zu klein. Er kennt und versorgt die größten Lebewesen ebenso gut wie die kleinsten Meerestiere. Jede Bewegung im Meer und auf dem Meeresspiegel registriert Er (Verse 26 bis 28). Das Meer mit dem, was darin wimmelt, ist in seinem Bestehen von Ihm abhängig. Auf dem Festland wiederum ist vieles Lebensnotwendige von dem abhängig, was im Meer und im Luftraum über den Meeren geschieht. Darum gilt die Aufmerksamkeit des Schöpfers besonders den Meeren. Wenn Er nicht lenkend eingriffe, um das Notwendige sicherzustellen (Ps 136,6f.25; 145,15), dann würde alles Leben dem Untergang ausgeliefert sein. Er ist es, der das Leben geschaffen hat und erhält, indem Er allem Lebenden den Odem gibt (Verse 29 und 30; Hiob 34,13–15; Ps 39,5f; Jes 2,22; 42,5; Dan 5,23).

In den abschließenden Versen 31 bis 35 wird deutlich, dass die vielen Strahlen der Herrlichkeit des HERRN den Psalmdichter tief beeindruckt haben. Den Erkenntnissen, die er gewonnen hat, soll sein persönliches Verhalten entsprechen. Sein ganzes Dasein muss der Ehre Gottes dienen, denn das ist die Aufgabe, für die der HERR ihn geschaffen und ihm Einsicht geschenkt hat. Die zur Verfügung stehende Zeit und seine Fähigkeiten gehören dem HERRN. Der Dichter stellt sein Sinnen und Reden bewusst unter den Gehorsam dem HERRN gegenüber. Er befasst sich nicht mit wertlosen Dingen, vielmehr widmet er seine Gedanken dem HERRN (Vers 34). Offenbar möchte er in der Erkenntnis Gottes Fortschritte machen (Ps 19,15; 63,3–7; 64,11; 92,5f; 146,2). Die Gemeinschaft mit seinem Gott bedeutet ihm mehr als alles Übrige. Von Menschenwerken blickt er weg, um unbeeinflusst auf das herrliche Werk Gottes schauen zu können (Verse 33 und 34). In Vers 32 rühmt er noch einmal die gewaltige Macht Gottes, des Schöpfers, dessen Hinschauen genügt, um die Erde beben zu lassen; und durch bloßes Berühren lässt Gott die Berge rauchen (Ps 144,5; Jes 63,19 bis 64,2; Hab 3,3–6). Ein Wort Seiner Stimme genügt, um die Schöpfung zum Wanken zu bringen (Ps 29,3–9; Heb 12,18–21.29). Das Leben des Gottesfürchtigen sollte immer unter dem Eindruck Seiner herrlichen Größe und Majestät stehen.

Der Psalm möchte Erkenntnisse darüber vermitteln, wozu Gott die von Ihm geschaffene und erhaltene Welt bestimmt hat. Doch „die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1. Kor 7,31), aber ewig besteht die Herrlichkeit des HERRN (Vers 31). Innerhalb des Geschaffenen hat letztlich nur das Bestand, was der Herrlichkeit Gottes entspricht und Ihn ehrt, zugleich muss es Seiner vollkommenen Heiligkeit und Gerechtigkeit genügen. Die Zukunft dieser Erde wird zeigen, dass alles Bestehende diesem Grundsatz unterworfen ist. Jedes Wesen, das mit Verantwortlichkeit ausgestattet ist und sich Ihm nicht unterwirft, wird untergehen, weil es die Herkunft und die Grundlage der eigenen Existenz verleugnet. Solche werden keinen Platz auf einer neuen Erde haben, die bis in den letzten Winkel von Gottes Herrlichkeit erfasst ist und davon Zeugnis ablegen wird (Jes 65,17; Röm 8,21). Unreine Geschöpfe können nicht unter den Augen des heiligen Allgegenwärtigen bestehen, der Sich uneingeschränkt „an seinen Werken erfreuen“ will (Verse 31 und 35; Ps 1,5; 75,9–11; Jes 13,9). Vollkommenheit als Endergebnis des Ratschlusses Gottes ist seit jeher festgeschrieben, denn am Anfang aller Dinge sagt die Heilige Schrift: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mo 1,31). Daher muss diese Erde in der Zukunft zuerst gereinigt und dann neu geschaffen werden. Danach werden alle Verhältnisse zu Gottes Verherrlichung und zu Seinem Lob gereichen (Ps 148,7–13; Psalm 150). Mit allen Gottesfürchtigen möchte der Psalmdichter in dieses Lob einstimmen (Vers 35b). Zu ihnen gehört die „große Volksmenge in dem Himmel, die sprach: Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht unseres Gottes! Denn wahrhaftig und gerecht sind seine Gerichte“ (Off 19,1.2).

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