Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 4

Gottes Fürsorge gilt in besonderer Weise Seinen Frommen. Er begleitet sie auf jedem Schritt ihres oft schwierigen Weges. Wie David darf Ihm der Gläubige alle Sorgen vorstellen und zuversichtlich sein, dass Gott ihm in seiner Situation weiterhilft. In aller Regel wird er dadurch von einer beklemmenden Beschäftigung mit den eigenen Umständen frei werden, er wird sich wie in weiten Raum versetzt fühlen (Vers 2; Ps 119,32.45). Mit der Absicht, „Gefangenen Befreiung auszurufen“ und „Zerschlagene in Freiheit hinzusenden“, ist der Herr Jesus auf diese Erde gekommen (Lk 4,18; Ps 102,21 und 146,7). Es machte Ihm Freude, die Angehörigen des auferweckten Lazarus aufzufordern: „Macht ihn los und lasst ihn gehen!“ (Joh 11,44). Eine solche Befreiung setzt voraus, dass nichts Hinderndes zwischen Gott und der Seele des Hilfesuchenden steht. Auch muss der Betreffende Gott als den Gerechten und Barmherzigen anerkennen und Ihn glaubend vor Augen haben. Sein Anliegen darf nicht im Widerspruch zur Gerechtigkeit stehen, da göttliches Handeln nur in Gerechtigkeit und Heiligkeit geschieht. Gott wird stets unparteiisch entscheiden und nie einer Seite den Vorzug geben, weil sie frommer oder gerechter als die andere erscheint. Der Ausdruck „Gott meiner Gerechtigkeit“ (Vers 2) besagt, dass wirkliche Gerechtigkeit ihre Quelle immer in Ihm haben muss. Wenn Israel einst nach der Umkehr zum HERRN vollkommen wiederhergestellt ist, wird es Ihn „HERR, unsere Gerechtigkeit“ nennen (Jer 23,6). Das wirkliche Verhalten muss diesem hohen Anspruch in Wahrheit entsprechen. So konnte auch David die Worte „Gott meiner Gerechtigkeit“ in Vers 2 nur mit einem reinen Gewissen sprechen. Das gilt gleichfalls für den Gläubigen, dem Christus zur Gerechtigkeit geworden ist. Wenn wir ein reines Gewissen vor dem Herrn haben, dann verurteilt unser Herz uns nicht, und wir legen Ihm mit Freimütigkeit unsere Bitten vor. Wir können mit Erhörung rechnen, „weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun“ (1. Joh 3,21f). Das Bitten in Demut gehört ebenfalls zu den Voraussetzungen für eine Erhörung, denn Seine Hilfe ist immer auch ein Beweis Seiner Gnade (Vers 2b). Als Geringe und Hilflose sollen wir vor Ihn hintreten, nicht aber als solche, die etwas einfordern oder gar vorschreiben, was unserer Meinung nach zu tun ist.

In Vers 3 wendet sich der Psalmdichter an seine Gegner mit der Anrede „ihr Männersöhne“. So bezeichnet er mit ironischem Unterton die Selbstgefälligen, die sich für bedeutende Leute halten, auch die Aufstrebenden (Ps 49,3.7.13), denen es um die ersten Plätze und um Macht und Ruhm in dieser Welt geht. Gewissenlos und ränkesüchtig gingen damals solche Leute gegen den Mann Gottes vor und benutzten die Lüge, um „ihn von seiner Höhe zu stoßen“ (Ps 62,4.5 und Ps 109,2). Versteckt suchten sie durch Schmähungen seine Ehre in den Schmutz zu ziehen und ihn durch falsche Anklage zu Fall zu bringen. Doch Davids Ehre, Schild und Herrlichkeit war der Allmächtige Selbst (Ps 3,4). David warnt sie eindringlich davor, mit ihren Verleumdungen fortzufahren, indem er auf die Treue des Allmächtigen hinweist, der zu den Seinen steht, und fügt noch hinzu, „dass der HERR den Frommen für sich abgesondert hat“ (Vers 4). Der HERR wird dem bösen Ränkespiel nicht untätig zuschauen, „denn der HERR liebt das Recht und wird seine Frommen nicht verlassen; ewig werden sie bewahrt“ (Ps 37,28). Da sie sich nicht selbst verteidigen können und wollen, wird der Herr dies übernehmen, denn Er macht Sich eins mit ihnen und sieht die Angriffe der Gottlosen als auf sich Selbst gerichtet an. „Gott aber, sollte er das Recht seiner Auserwählten nicht ausführen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und ist er in Bezug auf sie langsam?“ (Lk 18,7). Er wird nicht zögern, dem für Ihn Abgesonderten zur Hilfe zu kommen, weil Er den Frommen liebt und als solchen auszeichnet. Der fünfte Vers mahnt deshalb die Gegner, einsichtig zu sein und vom Aufruhr abzustehen. Diese Unruhestifter hätten vor dem Eingreifen Gottes zittern und sich vor weiteren Übeltaten hüten sollen. Für sie wäre es längst an der Zeit gewesen, das Gewissenlose ihrer Bosheit zu überdenken und zur Vernunft zu kommen. Sie hätten von ihrem üblen Treiben ablassen und mit ihren Sünden brechen sollen. Sie sollten sich nicht fromm stellen und Opfer bringen, um ihrer Selbstgerechtigkeit zu genügen (Vers 6), sondern in einer wahrhaft gerechten Gesinnung handeln. Sie sollten nicht auf ihre ansehnliche Macht vertrauen, sondern Gott die Ehre geben. Damit sind notwendige Schritte aufgezählt, die eine echte Umkehr kennzeichnen: Der erste Schritt ist die Einsicht, die nächsten Schritte die Demütigung und das Stillewerden vor Gott, sodann die Abkehr von der Sünde und zuletzt ein aufrichtiges Nahen zu Gott mit Opfern der Gerechtigkeit unter Anerkennung Seiner heiligen Forderungen.

Vielen fehlt es an gläubigem Vertrauen. Solchen wendet sich David in Vers 7 zu; sie können sich an ihm ein Beispiel nehmen. In ihrem Kleinmut sind sie nahe daran, sich zurückzuziehen und ihre Zuversicht wegzuwerfen (Heb 10,35–39). Die Zukunft scheint ihnen nichts Gutes zu verheißen, darum blicken sie gerne auf vermeintlich bessere Zeiten zurück. Das Ausharren des Glaubens und das Vertrauen zum Herrn sind ihnen mehr oder weniger abhandengekommen. Sie möchten am liebsten nur Gutes schauen und meinen, es allenfalls noch in der Vergangenheit wahrnehmen zu können. Gottes Wort hält dem entgegen: „Erinnert euch nicht an das Frühere, und über die Dinge der Vorzeit sinnt nicht nach! Siehe, ich wirke Neues; jetzt sprosst es auf; erkennt ihr es nicht?“ (Jes 43,18f; vgl. Pred 7,10), und weiter an anderer Stelle: „Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher wird meine Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121,1f). David wendete sich dem Herrn zu, als ihn die äußeren Umstände zu entmutigen drohten, und das Licht des Angesichts Gottes gab ihm Mut und Entschlusskraft für die nächsten Schritte. Den Blick auf den Herrn wollte er sich durch die fortwährenden Anfeindungen nicht verstellen lassen. In seinem Herzen wollte er nichts aufkommen lassen, was ihm das Licht von oben hätte verdunkeln oder gar wegnehmen können. „Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht“ (Ps 16,11). „Warum gehe ich trauernd umher wegen der Bedrückung des Feindes? „Sende dein Licht und deine Wahrheit; sie sollen mich leiten“ (Ps 43,2.3). Nachdem David den HERRN in Vers 7 um Licht gebeten hatte, konnte er bald darauf danken für die Freude, die Gott in sein Herz gegeben hatte (Vers 8) und dies sogar in weit größerem Maß als in früheren, sogenannten besseren Zeiten. Von den augenblicklichen Nöten ungetrübt, richtete sich sein Blick nach oben, um mit Herz und Seele im göttlichen Licht zu sein. Das sichere Ruhen in Gott sorgte für den inneren Frieden (Vers 9). Dadurch ermutigt, fand er auch für Leib und Seele die nötige Ruhe (Ps 16,9). Der Friede Gottes beherrschte von neuem seine Seele und seine Gedanken. Er wusste sich geborgen unter der Huld und Macht seines HERRN (Ps 91,1f). Er war nicht allein gelassen, sondern genoss die Gemeinschaft mit seinem Gott. Wer den Glauben Davids nachahmt, wird auch den Segen genießen, von dem er hier als Psalmdichter zum Nutzen anderer berichtet (Spr 3,21–26 und Spr 10,9).

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