Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis

Psalm 38

David kannte und liebte seinen Gott. Die Schrift nennt ihn Knecht Gottes, weil er das göttliche Wohlgefallen besaß. Doch begangene Sünden riefen die Züchtigung Gottes hervor. In seinem Fall wirkte es eher erschwerend, dass er Gottes Heiligkeit richtig einzuschätzen wusste. Ihm musste bewusst sein, gegen wen er gesündigt hatte und dass er Gott dadurch verunehrt hatte. David beschreibt in den Versen 2 bis 11, wie sehr er unter der harten Züchtigung litt und was er an Körper und Seele empfand. Anschließend spricht er bis Vers 15 über die Reaktionen vonseiten solcher, zu denen er in persönlicher Beziehung stand. In den Versen 16 bis 21 wendet er sich wegen seiner Feinde zu Gott und bekennt nochmals seine Ungerechtigkeit. Zuletzt bittet er den HERRN, ihn nicht zu verlassen und Sich seiner anzunehmen.

David befürchtet, dass er nicht die Kraft hat, das ganze gerechte Maß der Züchtigung zu ertragen, er weiß, dass er der Gnade Gottes bedarf. Gottes Zuchtmaßnahmen liegen schwer auf ihm, sie stecken wie Pfeile in seinem Körper und in seiner Seele (Vers 3). Sein körperlicher und seelischer Zustand ist auf dem Tiefpunkt angelangt. Dabei tritt die Geradheit seiner aufrichtigen Gesinnung zutage. Wenngleich ihn die Schwere der Schuld niederdrückte und diese Belastung wie eine gewaltige Flut über ihn gekommen war, warf er sich dennoch vor Gott nieder und bat um Gnade. Offen führt er seine Leiden in ihrem ganzen Umfang auf die Züchtigung Gottes wegen seiner Ungerechtigkeiten und auf die begangene Torheit zurück. Seinen Zustand beurteilte er selbst offenbar als abstoßend und ekelhaft (Verse 2 bis 6; Ps 6,2–5; 32,4; 65,4).

Angesichts der schweren Verschuldung musste Gott Seine Allgegenwart David auf deutliche Weise zum Bewusstsein bringen. Mit quälenden Schuldgefühlen belastet, trauerte David über seine Vergehung und suchte sich wegen seiner Schuld zu demütigen. Gebeugt vor Schmerzen ging er trauernd umher. Seine körperliche Gesundheit war zerrüttet, es war nichts Heiles mehr an seinem Fleisch (Vers 8). Dass ihm solches begegnen konnte, verfolgte ihn in seinen Gedanken wie ein Brand. Darüber war er „ermattet und über die Maßen zerschlagen“, er weinte vor Schmerz an Körper und Seele (Vers 9). Trotzdem rechnete er im Glauben damit, dass der barmherzige Herr ihn in seiner Notlage sah und sein Seufzen hörte, und gerade dann, wenn er völlig kraftlos dalag und nicht mehr in der Lage war, das um ihn her Vorgehende wahrzunehmen (Verse 7 bis 11; Ps 31,11). Ihm war bewusst, dass er Heilung nur von dem höchsten Richter Selbst erbitten und erhoffen konnte.,So betrachtet das Herz das Wesentliche der Prüfung nicht als eine Ausübung des göttlichen Zorns, sondern vielmehr als ein Mittel zur Läuterung‘ (J.N.D.).

In Vers 12 beklagt David das Fernbleiben der ihm Nahestehenden. Sie rückten von ihm ab, weil sonst ihr Ansehen sicherlich in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Ihr Verhalten erscheint herzlos, doch mochten sie auch erschrocken sein, sowohl angesichts seiner Sünde als auch über die harte Züchtigung, die ihm widerfuhr. Von ihrer Seite war jedenfalls kein Mitleid und keine Unterstützung zu erwarten. Sie überließen ihn seinem Elend und suchten Abstand von dem durch Bestrafung und Unreinheit Gezeichneten. Sie werden ihn als einen zu Recht Verurteilten betrachtet haben. Noch Schlimmeres erfuhr er von seinen Feinden (Vers 13). Nicht genug damit, dass er ein kranker und geschlagener Mann war, wünschten sie ihm den Tod. Unbeeindruckt von dem erschreckend harten Geschehen planten sie weitere vernichtende Anschläge. In seiner Ohnmacht nahm er das, was sie über ihn redeten oder dachten, ohne Widerrede hin. Völlig niedergeworfen, versuchte er nicht, sich zu rechtfertigen. In seiner Lage war es richtig, zu allem zu schweigen und die Züchtigung ohne Auflehnung auf sich zu nehmen. Die Art und Weise, wie er sein Leiden erduldete und sich beugte, ist vorbildlich und der Nachahmung wert. Unter körperlichen Schmerzen und bei derartiger seelischer Qual beherrscht zu bleiben, bezeugt Ergebenheit, zugleich erfordert es Willenskraft (Verse 14 und 15; Spr 14,10; 1. Pet 2,23). In dieser Haltung konnte David auf Gottes Zustimmung hoffen. Von niemand mehr hatte er Hilfe zu erwarten außer von dem HERRN, und darauf wartete sein Glaube mit Ausharren (Ps 130,3–6). Er glaubte fest daran, dass sein Gott als Erster und Einziger ihm in Güte antworten werde (Vers 16). Wenn Gottes Gnade das Wort zu seinen Gunsten ergriff, dann war das die allein gültige und als einzige Möglichkeit verbliebene Fürsprache. Darauf darf jeder Gläubige rechnen, wenn er gesündigt hat und seine Vergehungen vor Gott bereut und bekennt. Davids Gegner würden sich über eine Aburteilung und sein Verscheiden sehr gefreut haben, denn bereits ‚beim Wanken seines Fußes' rühmten sie sich seines Untergangs (Ps 35,15.19.26). Er war „nahe daran zu fallen“, jeder Augenblick konnte der letzte sein. Doch damit wäre ein erneutes Eintreten für die Sache Gottes unmöglich gewesen, denn dem Guten nachjagen (Vers 21) und Gottes Knecht sein konnte er dann nicht mehr. Er hätte auch keinen Psalm mehr schreiben können. Seine Hoffnung auf Wiederherstellung ruhte allein auf Gott (Verse 16 bis 18).

In Vers 19 bekennt David ausdrücklich seine Ungerechtigkeit (Ps 32,5; 1. Joh 1,9). Er trug Leid seiner Sünde wegen, er war „Gott gemäß betrübt“ (2. Kor 7,9f). David grämte sich, war trostlos und niedergeschlagen im Gedenken an seine Schuld. Doch „ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten“ (Ps 51,19). Fällt ein Gläubiger in Sünde, dann muss er gegebenenfalls einer bis zum Äußersten gehenden Prüfung unterzogen werden, bis die Sache ins Reine gebracht ist. Aber er darf sich im Glauben an Gott klammern, wenn auch zitternd und um Gnade flehend. Zu Recht geht er davon aus, dass Gott seinen Glauben durch die Prüfung nicht zerstören will. Auf der Grundlage der Schrift hält der Gläubige auch daran fest, dass er ein Kind des Vaters im Himmel bleibt. Doch dies vermag seiner Seele nicht den Frieden wiederzugeben, es beruhigt auch sein Gewissen nicht, obwohl er im Glauben verharrt und am Vertrauen auf den vergebenden Gott unbeirrt festhält. Die Sünde aber hat er außerhalb der Gemeinschaft mit Gott und gegen Seinen Willen begangen, und diese Verletzung Seiner Heiligkeit hat notwendigerweise die Züchtigung durch Gott zur Folge. Sein Gewissen klagt ihn an. Unterdessen bewirkt der Heilige Geist in seinem Herzen, dass ihm die Schwere seiner Schuld bewusst wird. So wird ihm klar, was seine Sünde für den heiligen Gott bedeutet. Er fleht zu Ihm und äußert die Bitte in Vers 2: „HERR, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm!“ Am Schluss des Psalms fügt er hinzu: „Verlass mich nicht, HERR; mein Gott, sei nicht fern von mir!“ (Vers 22). Es geht ihm um die Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott. Dies kann nur dann geschehen, wenn er in der Verurteilung seiner Sünde völlig mit Gott übereinstimmt. In der Not eines Herzens, das die Unterbrechung der Gemeinschaft durch die geschehene Sünde empfindet und dies nicht länger ertragen kann, bittet er: „Eile zu meiner Hilfe, Herr, meine Rettung!“ (Vers 23). Er ist überzeugt, dass der Herr seiner Bitte entsprechen wird (Ps 32,5–7). Auch gegen seine äußeren Feinde brauchte David weiterhin die Hilfe des Herrn. Ohne Seinen Beistand war er gegenüber ihren Anschlägen und ihrem Hass wehrlos (Verse 20 und 21). Wegen des Zeugnisses ihnen gegenüber wollte und musste er in jeder Hinsicht ganz auf der Seite Gottes stehen, damit sein Bekenntnis zu Gott wieder glaubhaft wurde als das eines Gottesfürchtigen, der in Wahrheit dem Guten nachjagte. Nur in ungestörtem Umgang mit Gott, in voller Übereinstimmung mit Ihm und mit unbeschwertem Gewissen konnte er freimütig den Kampf des Guten gegen das Böse und die Feinde fortsetzen. Ein solcher Wunsch entspricht den Absichten Gottes und den Forderungen Seiner Heiligkeit.

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