Gedanken über das Johannesevangelium

Leiden: "Mich dürstet!"

„Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er – damit die Schrift erfüllt würde –: Mich dürstet! Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh 19,28–30).

In diesem Evangelium wird das lebendige Wasser bereitgestellt, um den Durst der Menschen zu stillen. So hören wir allein in diesem Evangelium den Schrei Christi am Kreuz: „Mich dürstet.“

Er dürstete, damit unser Durst gestillt werden konnte. Er sagte zu der samaritanischen Frau:

„Jesus antwortete und sprach zu ihr: Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten; wer irgend aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt“ (Joh 4,13.14).

Hier ist Wasser für den durstigen Sünder, damit er davon trinkt und nie mehr Durst bekommt.

Dann, in Kapitel 7, gibt es Wasser für den durstigen Heiligen:

„Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Joh 7,38).

Der Gläubige, der von dem lebendigen Wasser des Wortes trinkt, wird zu einem Kanal dieses erfrischenden Stroms für Andere. Wir dürfen dieses lebendige Wasser niemals vernachlässigen, denn es muss durch uns fließen, um den Durst der Welt zu stillen. Christus ertrug den größten Durst, damit wir dieses lebendige Wasser haben können.

Er sagte erst „Mich dürstet“, als alles vorbei war. Sie boten Ihm ein Betäubungsmittel an, um den Schmerz vor der Kreuzigung zu betäuben (Mk 15,23), aber Er lehnte es ab. Er starb nicht einen Scheintod. Er kostete die schrecklichen Qualen des Kreuzes – sowohl das körperliche als auch das seelische Leiden, sowohl das Gericht der Menschen als auch das Gericht Gottes – in vollem Bewusstsein.

Die Gefangenen in der Hölle kannten bei vollem Bewusstsein die Schmerzen der ewigen Qualen – alle Sinne waren wach (Lk 16). Und unser Herr kannte die ganze Schrecklichkeit der ewigen Hölle, als Er unseren Platz im Gericht einnahm.

Er sagte „Mich dürstet“ erst, nachdem das Werk der Erlösung vollbracht war, kurz bevor Er seinen Geist aufgab. Deshalb wissen wir, dass Er diese Worte nicht gesagt hat, um seinen körperlichen Durst zu stillen.

Wenn Er den furchtbaren körperlichen Durst sechs Stunden lang ertragen hätte, während Er am Kreuz hing, hätten ein paar Sekunden mehr sicher keine Rolle gespielt. Es ist ganz offensichtlich, dass Er sagte: „Mich dürstet“, nicht um seinetwillen, sondern um unseretwillen.

Das Alte Testament spricht davon in den Psalmen:

„Der Hohn hat mein Herz gebrochen, und ich bin ganz elend; und ich habe auf Mitleid gewartet, und da war keins, und auf Tröster, und ich habe keine gefunden“ (Ps 69,21).

Zusätzlich zu der Notwendigkeit, dass die alttestamentlichen Schriften erfüllt werden mussten, hat der Herr diese Bitte aus mindestens drei Gründen ausgesprochen:

  1. Er wollte, dass wir das Herz des Menschen kennenlernen. In Seinem Durst gaben sie Ihm Essig zu trinken. In Psalm 69 wird dies als ein Beweis für die Grausamkeit und Herzlosigkeit der Menschen erwähnt. Nur Bitterkeit und Galle wurde Jesus von den Menschen angeboten. Nichts als die Barmherzigkeit der göttlichen Gnade wird dem Menschen von Ihm angeboten. Vor dem dunklen Hintergrund der Sünde des Menschen leuchtet die helle Herrlichkeit der Gnade Gottes.
  2. Er sagte: „Mich dürstet“, um uns zu beeindrucken, was es Ihn gekostet hat, uns zu erlösen, um uns zu sagen, dass Er nicht weniger – ja mehr – ertragen hat, als der Mensch in der Hölle in unendlichen Zeitaltern zu ertragen haben wird. Ihn dürstete, damit uns niemals dürstet. Er kannte die Furchtbarkeit des göttlichen Gerichts, damit es für uns kein Gericht mehr gibt.
  3. Er dürstete, damit wir Ihn kennen und lieben würden. Dieser Schrei, der uns von Seinem Durst erzählt, hat die Jahrhunderte durchklungen. Durst, wonach? Er dürstet danach, uns als Sein Eigentum zu haben. Er dürstet nach unserer Antwort auf Seine Liebe, unsere Treue und unsere Gemeinschaft. Erinnern wir uns, wie die Frau in Johannes 4 Seinen Durst löschte, indem sie das lebendige Wasser, das Er ihr anbot, aus Seiner Hand nahm? Er dürstet nach Ihnen – dürsten Sie nach Ihm? In jedem Herzen gibt es eine Sehnsucht nach dem, was die Seele vollständig befriedigt. Er sagt: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke.“ Er allein stillt das Verlangen der menschlichen Seele vollkommen.

Und wenn eine Seele nicht von dem lebendigen Wasser trinkt, das Christus zu bieten hat? Dann zeigt Lukas 16, wie der Sünder ewig dürsten wird, ohne einen Tropfen Wasser zu bekommen, um seine ausgedörrte Zunge zu kühlen.

Christus dürstete am Kreuz und entfernte dort den Stein aus dem Brunnen des lebendigen Wassers, damit heute jeder, der will, sich bücken und trinken und leben kann.

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