Gedanken über das Johannesevangelium

Typische Themen: "Johannes, der Beispiel-Jünger"

Sieben Mal wird der Apostel Johannes als der beispielhafte Nachfolger Christi vorgestellt. Die sieben Gelegenheiten sind wie folgt:

„Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer von den zweien, die es von Johannes gehört hatten und ihm nachgefolgt waren“ (Joh 1,40).

„Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch in dem Schoß Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er frage, wer es wohl sei, von dem er rede. Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu ihm: Herr, wer ist es?“ (Joh 13,23–25).

„Simon Petrus aber folgte Jesus und der andere Jünger. Dieser Jünger aber war dem Hohenpriester bekannt und ging mit Jesus hinein in den Hof des Hohenpriesters“ (Joh 18,15).

„Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich“ (Joh 19,26.27).

„Sie läuft nun und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Da ging Petrus hinaus und der andere Jünger, und sie gingen zu der Gruft. Die beiden aber liefen zusammen, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zu der Gruft“ (Joh 20,2–4).

„Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Simon Petrus nun, als er hörte, dass es der Herr sei, gürtete das Oberkleid um – denn er war nicht bekleidet – und warf sich in den See“ (Joh 21,7).

„Petrus wandte sich um und sieht den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte, der sich auch bei dem Abendessen an seine Brust gelehnt und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich überliefert?“ (Joh 21,20).

Johannes' Gewohnheit, sich selbst aus dem Bild herauszulassen, macht es fast sicher, dass er der in Johannes 1,40 und Johannes 15,16 erwähnte Jünger ist. Alle sorgfältigen Bibelstudenten sind sich darüber praktisch einig.

Fünfmal, wie schon oft bemerkt wurde, bezeichnet er sich selbst mit der auffälligen Formulierung der Jünger, den Jesus liebte. Was für eine erstaunliche Behauptung! Auf den ersten Blick klingt es wie pure Einbildung, aber wir wissen, dass es das nicht ist. Er nennt sich nicht ein Jünger, sondern der Jünger, den Jesus liebt. Er hebt sich von der ganzen übrigen Welt ab und sagt, dass Jesus ihn liebt. Aber ist das nicht genau das, was unser Herr von jedem von uns erwarten würde? Ist es nicht das, was Paulus meinte, als er sagte: „Der Sohn Gottes hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (Gal 2,20)? Ja, gewiss. Durch den Glauben kann man die wunderbare Liebe Christi ganz für sich in Anspruch nehmen.

Zu viele denken an die Liebe des Herrn als etwas allgemein Wahres, aber sie machen sie sich nicht in der Kühnheit des aneignenden Glaubens zu eigen. Johannes lebte in dem Genuss dieses Gedankens, dass der Herr Jesus ihn liebte. Der Herr liebte alle seine Jünger, aber nicht alle von ihnen schätzten das auf die gleiche Weise. Johannes freute sich an der Tatsache, dass er vom Herrn geliebt wurde. Der Gedanke, dass der heilige, reine, ewige Sohn Gottes mich lieben sollte, ist in der Tat ein Wunder, das jedes Verständnis übersteigt.

Haben wir nicht in diesem Ausdruck, „der Jünger, den Jesus liebte“, das Geheimnis der Treue des Johannes offenbart? Ist es nicht so, dass mein Leben umso hingebungsvoller wird, je tiefer die Erkenntnis seiner Liebe zu mir ist?

Mir gefällt der Gedanke, dass Johannes nicht von seiner Liebe zu Christus spricht, sondern von der Liebe Christi zu ihm. Gelegentlich trifft man Leute, die einem sagen, wie sehr sie den Herrn lieben, und die von ihrer Heiligkeit des Lebens sprechen. Ich misstraue einem solchen Bekenntnis. Wenn man anderen von seiner Liebe zu Christus erzählen muss, bedeutet das in der Regel, dass sie anders nicht sichtbar wäre. Als ich ein Junge war, habe ich Tiere gezeichnet, aber die Arbeit war so schlecht, dass ich unter meinen Versuch schrieb: „Das ist ein Pferd“ – man hätte es sonst nie erkannt. Und wenn die Leute von ihrer Liebe zu Christus sprechen, sage ich zu mir: „Das ist ein Pferd!“ Es ist nicht meine Liebe zu Christus, sondern die Liebe Christi zu mir, die mich dazu zwingt, fortan nicht für mich selbst zu leben, sondern für den, der für mich gestorben und auferstanden ist (2. Kor 5,14).

Es ist gesagt und gedacht worden, dass Johannes von Natur aus ein sanftes, zartes Gemüt hatte, weil er so viel von Liebe spricht. Aber es gibt Hinweise in der Heiligen Schrift, dass dies so nicht der Fall war. Er und Jakobus wollten Feuer vom Himmel auf die Samariter herabrufen, als sie den Herrn Jesus nicht aufnehmen wollten. Johannes war durch die mächtige Liebe Christi verändert worden. Es ist diese zärtliche Liebe des Herrn, die den feurigen Johannes in den gnädigen, sanften Nachfolger des demütigen Christus verwandelt hat. Die Gnade hatte ihn verändert, so wie sie auch heute noch den rauesten Charakter zu einem demütigen Nachfolger des Mannes aus Galiläa formt.

Beachten Sie die fünf Gelegenheiten, bei denen Johannes von sich als dem Jünger spricht, den Jesus liebte:

In Johannes 13,23–25 lag er im Schoß Jesu. Deshalb spricht er so viel von der Liebe Gottes und von Christus. Im ersten Kapitel lesen wir, dass der eingeborene Sohn immer im Schoß des Vaters ist (Joh 1,18). Deshalb kam er in die Welt, um uns von der Liebe des Vaters zu erzählen. Ebenso war Johannes im Schoß des Herrn Jesus, also kommt er, um uns von der Liebe des Herrn Jesus zu erzählen. So einfach ist das. Man braucht nur sein Haupt an Sein Herz zu legen und so die Herzschläge des Herrn zu hören, um hinauszugehen und anderen von dieser Liebe zu erzählen.

Hier im dreizehnten Kapitel lesen wir von Johannes, der den Herrn fragt, wer der Verräter sein soll. In den anderen Evangelien fragen die Jünger alle: „Herr, bin ich es?“ Aber Johannes redet nicht so. Er sagt: „Herr, wer ist es?“, er wusste, dass er es nicht sein konnte. Die Liebe des Herrn war für ihn so real, dass er nicht einen Moment lang von der Möglichkeit träumte, seinen Herrn zu verleugnen.

Die zweite Gelegenheit ist in Johannes 19, 25–27. Johannes steht am Kreuz Jesus. Soweit wir wissen, ist er der einzige der zwölf Jünger, der den Mut hatte, dies zu tun. Er folgt Jesus bis zum Ende, und der Herr wendet sich ihm zu und übergibt seine eigene Mutter in die Obhut des Johannes. Obwohl Maria noch andere Söhne hatte, übergab der Herr Jesus seine Mutter nicht ihren eigenen Söhnen, sondern Johannes. Der Herr wusste, dass Johannes Ihn so sehr liebte, dass Er seine Mutter mit größerer Sicherheit ihm anvertrauen konnte als ihren eigenen Söhnen.

In Johannes 20,24 läuft Johannes dem Petrus auf dem Weg zum leeren Grab von Christus davon. Es wurde gesagt, dass die Liebe den Füßen Flügel verleiht. In Johannes 21,7 ist Johannes der erste, der den Herrn erkennt. Wieder ist die Liebe schnell im Blick. Er war immer auf der Suche nach einem Blick auf seinen Herrn...

Und die letzte Gelegenheit ist am Ende des Evangeliums. Unser Herr ruft Simon Petrus auf, ihm zu folgen. Petrus, der sich umdreht, sieht, dass auch Johannes ihm folgt, und will wissen: „Herr, und was soll dieser Mann tun?“ Er sagt sozusagen: „Herr, ich habe dich Johannes nicht rufen hören; was soll er mitgehen?“ Petrus wurde gesagt, er solle folgen; Johannes folgte, ohne dass es ihm gesagt wurde.

Diese beiden Klassen von Christen gibt es immer noch. Einige von uns müssen gedrängt werden. Johannes brauchte kein Drängen. Als er seinen Herrn gehen sah, bewegten sich seine Füße ganz natürlich mit. Er wollte dort sein, wo sein Herr war. Das Auffällige an diesen fünf Begebenheiten, in denen Johannes sich selbst als den Jünger bezeichnet, den Jesus liebte, ist, dass unsere Aufmerksamkeit in jedem Fall mehr auf die Liebe von Johannes zu Christus als auf die Liebe von Christus zu Johannes gelenkt wird. Doch in dem Ausdruck der Jünger, den Jesus liebte, werden wir an die Liebe Christi erinnert. Haben wir hier nicht das Geheimnis aller wahren Hingabe? Wenn Seine Liebe unsere Seelen ergreift, dann wird unsere Liebe zu Ihm erwidert werden.

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