Gedanken über das Johannesevangelium

Der Autor Johannes

„Petrus wandte sich um und sieht den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte, der sich auch bei dem Abendessen an seine Brust gelehnt und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich überliefert? Als nun Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! Es ging nun dieses Wort unter die Brüder aus: Jener Jünger stirbt nicht. Aber Jesus sprach nicht zu ihm, dass er nicht sterbe, sondern: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?

Dies ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und der dieses geschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist“ (Joh 21,20–24).

Aus dem letzten Kapitel ist es ersichtlich, dass der Apostel Johannes der Schreiber dieses Buches ist. Einen verborgenen Beweis dieser Tatsache finden wir in dem mehrfach vorkommenden Ausdruck „der Jünger, den Jesus liebte“. Keiner der Evangelisten nennt sich selbst als denjenigen, der das entsprechende Evangelium geschrieben hat. Die Evangelien beinhalten in besonderer Weise das Leben und Sterben des Herrn, seine Worte und Werke. Das zeigt uns, dass der Herr den ganzen Raum ein nimmt und alle anderen im Hintergrund bleiben. Von allen Briefen des neuen Testaments sind es allein die Briefe des Johannes und der Hebräerbrief, die im eigentlichen Text den Absender nicht namentlich enthalten. Beim Hebräerbrief ist es so wie bei den Evangelien, der Herr Jesus erfüllt den Schauplatz der Ereignisse, somit zählt der menschliche Autor nicht. Er ist die Sonne, und in dem Licht der Sonne werden die Sterne unsichtbar. Möglicherweise hatte Johannes einen besonders tiefen Eindruck davon, dass er in der Gegenwart des Herrn nichts ist und so davon ergriffen war, dass der Mensch niemanden außer dem Herrn selbst sehen soll. In der Offenbarung dagegen wird der Herr Jesus in seiner zukünftigen Offenbarung vorgestellt. Da wird es vor den Menschen eine nicht so große Gefahr sein, seine Herrlichkeit zu verdunkeln. Denn wenn Christus in seiner Herrlichkeit kommt, dann wird jeder ihn sehen und jedes Knie sich vor ihm beugen.

Aus dem biblischen Bericht ist zu schließen, dass der Vater des Johannes ein erfolgreiches „Fischereiunternehmen“ besaß und ein etwas höher gestellter Mann war, weil er Knechte hatte, die für ihn arbeiteten. Wir wissen von Zebedäus, dem Vater des Johannes, nicht, ob er gelernt hat, den Herrn zu lieben. Aber seine Mutter Salome (Mt 27,56; Mk 15,40) muss eine gottesfürchtige und hingebungsvolle Frau gewesen sein. Sie diente dem Herrn mit ihrer Habe und war auch eine der Frauen, die wohlriechende Spezereien brachte, um seinen Leib zu salben (Mk 16,1). Da Gewürze zu jener Zeit sehr teuer waren, musste diese Frau also recht wohlhabend gewesen sein, um die Gewürze erwerben zu können.

Johannes selbst war dem Hohenpriester jener Zeit bekannt, und unter seinem Einfluss durfte Petrus in den Hof des Hohenpriesters eintreten (Joh 18,15–16). Alle diese Dinge belegen, dass Johannes aus einem wohlhabenden wenn nicht sogar luxuriösen Haus kam, und dass er in den höheren sozialen Schichten angesehen war, zumal er in Jerusalem in dieser Weise bekannt war, obwohl er aus Kapernaum stammte.

Johannes selbst war ein Mann mit starken Gefühlen. Unser Herr nannte ihn und seinen Bruder Jakobus einmal „Boanerges“, was „Sohn des Donners“ bedeutet. Die Kraft der Liebe des Christus veränderte diesen so starken Charaktertyp, so dass er ein leuchtendes Beispiel der Liebe und Freundlichkeit des Herrn wurde.

Sein besonderer Dienst, Christus vorzustellen, wird in den Briefen und in der Offenbarung fortgesetzt. Im Johannesevangelium sehen wir einerseits, wie Christus die Liebe seines großen Gottes und Vaters atmet, und andererseits wird den Gesetzlosen und den Feinden des liebenden Vaters und dem Bösen selbst durch den Hauch Seines Mundes gewehrt. Einen weiteren Gegensatz sehen wir in der Wahrheit, die der Herr Jesus entfaltet und den Lügen, die durch den Vater der Lüge, Satan selbst verbreitet werden.

Dieser Gedankengang wird in den Briefen fortgesetzt, wo den Kindern Gottes die Wahrheit Gottes vorgestellt wird, und im Gegensatz dazu allen Lügnern und allen, die sich vor dem Herrn nicht beugen – und dem Menschen einreden, Gott sei ein Lügner, nur weil sie dem Bericht, dass Gott seinen Sohn gesandt hat, nicht glauben wollen – aufs äußerste gewehrt wird. Und so finden wir in der Offenbarung das hingebungsvolle Lamm und den starken Löwen. Wir lesen von dem Lied derer, die durch das Blut erlöst wurden, und andererseits hören wir das Klagen derer, die sich in ihrem eigenen Blut wälzen. Johannes besitzt als Schreiber ein Herz, in dem die tiefsten Gefühle zu finden sind – Gefühle, die durch die Liebe des Christus und die Liebe für Christus hervorgerufen wurden. Unser großer Herr benutzte einen solchen Mann, um durch seine Schriften auch unsere Herzen anzurühren und dieselben Gefühle der uneingeschränkten Treue unserem Herrn gegenüber wachzurufen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel