Einführende Vorträge zum Johannesevangelium

Kapitel 19

Einführende Vorträge zum Johannesevangelium

Hier bestehen die Juden darauf, dass Er nach ihrem Gesetz sterben müsse, weil Er sich zum Sohn Gottes gemacht habe. Ferner antwortet Er Pilatus, nachdem Er gegeißelt und verspottet worden war: „Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; darum hat der, welcher mich dir überliefert hat, größere Sünde“ (V. 11). Es waren die Juden unter der Führung des Judas, welche die größere Sünde hatten. Die Juden hätten es besser wissen müssen als Pilatus und Judas besser als die Juden. Die Herrlichkeit des Sohnes war für ihre Augen zu hell.

Später finden wir eine weitere kennzeichnende Szene. Im Herrn harmonierten die vollkommensten menschlichen Gefühle ohne Einschränkung mit seiner göttlichen Herrlichkeit: Er vertraut seine Mutter dem Jünger an, welchen Er liebte (V. 25–27). Das Evangelium, welches Ihn am meisten als Gott schildert, vergisst nicht, Ihn als Mensch zu zeigen. Das Wort wurde Fleisch.

„Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er, auf dass die Schrift erfüllt  würde: Mich dürstet!“ (V. 28). Ich kenne keinen lieblicheren und wunderbareren Beweis davon, wie göttlich überlegen der Herr über alle Umstände war. Die ganze Wahrheit Gottes stand in aller Deutlichkeit vor Ihm. Da war eine Schriftstelle, die Er als noch nicht erfüllt erkannte. Es war ein Wort aus Psalm 69. Das genügte Ihm. „Mich dürstet!“ Welch ein Versenken in den Willen des Vaters! „Es stand nun daselbst ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!“ (V. 29–30). Wo könnte ein solcher Ausruf stehen außer im Johannesevangelium? Wer konnte sagen: „Es ist vollbracht!“ außer Jesus im Bericht des Johannes? Sowohl Matthäus als auch Markus berichten uns die Worte des Herrn: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27, 46; Mk 15, 34), welche nicht ins vierte Evangelium passen. Lukas berichtet uns: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“ (Lk 23, 46); denn dort bewahrt der vollkommene Mensch stets sein vollkommenes Vertrauen auf Gott. Gott musste Ihn im Gericht für unsere Sünden verlassen; aber Er wollte niemals Gott verlassen. Die Sühne wäre nicht, was sie ist, wenn Gott Ihn nicht verlassen hätte. Doch bei Lukas finden wir dieses Zeichen von absolutem Vertrauen auf seinen Vater und nicht das Verlassensein von Gott. Bei Johannes sagt Er: „Es ist vollbracht!“, weil Er der Sohn ist, durch den alle Welten gemacht worden sind. Wer, außer Ihm, konnte so etwas sagen? Wer, außer Johannes, konnte erwähnen, dass Er seinen Geist übergab (paradidomi)? In jedem dieser Unterschiede erkennen wir den größtmöglichen Beweis von göttlicher Herrlichkeit und Weisheit in diesen Evangelien. Zweifellos wurde Er getötet, doch gleichzeitig geschah es nach seinem ausdrücklichen Willen. Und wer konnte über den Tod verfügen, wenn nicht eine göttliche Person? Bei einem einfachen Menschen wäre das Sünde gewesen; in Ihm war es Vollkommenheit. Danach kamen die Söldner und brachen die Beine der beiden anderen Gekreuzigten. Als sie fanden, dass Jesus schon gestorben war, durchbohrte einer von ihnen seine Seite, „und alsbald kam Blut und Wasser heraus. Und der es gesehen hat, hat es bezeugt“ (V. 34–35).

Zwei Bibelstellen wurden so erfüllt. Der Apostel Johannes zitiert nicht viel. Aber wenn er es tut, dann geht es um die Person des Sohnes. Das war jetzt der Fall; denn kein Bein von Ihm sollte zerbrochen werden. Das stand geschrieben. Nichtsdestoweniger musste Er durchbohrt werden. Nachdem Er gestorben war, wurde Er anders behandelt als die sterbenden Räuber. Selbst hier nahm Er einen Platz ein, der allein Ihm zustand.

Joseph kümmerte sich um den Leib Jesu. Auch Nikodemus, der zuerst bei Nacht kam, war jetzt am Tag dabei. Er erwarb sich Ehre durch seine Beziehung zu einem gekreuzigten Jesus, obwohl er sich einst seiner geschämt hatte, trotz der Wunder, die Jesus tat.

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