William Kelly – Biographie

William Kelly

William Kelly (1821-1906). Sein Leben und sein Werk


Das Ende des langen, rastlosen und hingebungsvollen Lebens von Bruder Kelly aus Blackheath wird das Herz so manches Christen, der seiner voller Zuneigung gedenkt, tief berühren. Er war eine der besonderen Gaben Christi an die Versammlung (Kirche) während der Wiederbelebung von Gelehrsamkeit, Wahrheit und Zeugnis unter den Christen im 19. Jahrhundert. Im Dienst Dessen, Der sein Herz gewonnen hatte, zählte er es als Gewinn, zu Ihm hinauszugehen, indem er sich von allem trennte. Seine Formel des christlichen Lebens bestand in dem Glauben an das Wort Gottes, treuen Gehorsam gegen dasselbe und Unterwürfigkeit unter die Person Christi.

William Kelly war der Sohn eines Squire (Gutsbesitzer) aus Ulster auf Irland und wurde in Millisle, Grafschaft Down, im Mai 1821 geboren. Seine Ausbildung erfolgte in Downpatrick und an der Universität von Dublin, wo er die höchsten Ehren in den alten Sprachen erwarb. Er wurde als protestantischer Geistlicher ausgebildet und liebäugelte mit dem „Puseyismus“1, bis er kurz nach seiner Graduierung geistlich erweckt wurde. Kelly ging dann auf die Insel Sark. Dort wurde er von einer christlichen Dame aus der Familie Acland zur christlichen Freiheit geführt, indem sie ihn auf 1.Joh. 5,9-10 hinwies. Auf dieses glückliche Ereignis spielt er ergreifend in seinen „Exposition of the Epistles of John“ (dt. „Was von Anfang war“) an - ein Werk, das er voller Dankbarkeit noch fertig stellen konnte und welches im letzten Jahr erschienen ist. Niemals wich er von der Wahrheit, die er damals gefunden hatte, ab, indem er sie als das „Zeugnis Gottes“ bezüglich des Heils und des ewigen Lebens erlebte. Bis zum Letzten verharrte er in der Wirklichkeit dieser Wahrheiten, wie er es auch kurz vor seinem Abscheiden in den Worten ausdrückte: „Der Herr ist das Licht meines Herzens“. Kelly war vierundzwanzig Jahre alt, als er zum ersten Mal Darby traf. Den Kern seiner Lehren erfasste Kelly bereitwillig als vom Heiligen Geist kommend. Schon indem er den Irrtum des “weisen Hooker“2 entdeckte, welcher behauptete, der Acker sei die Kirche, gewann er den Schlüssel zur Wahrheit. In der Zwischenzeit studierte er intensiv die Schriften. Er verstärkte jetzt in großem Maße seine christlichen Aktivitäten und widmete hinfort im Glauben seine umfassenden Kenntnisse und Fähigkeiten der Sache Christi.

Kelly war ein Mann von anerkannter Belesenheit, der aber auch in der Lage war, selbstständig zu forschen. Er zeigte ungewöhnliches logisches Geschick, hervorragende Genauigkeit und große Überzeugungskraft in Diskussionen, jedoch verbunden mit hoher sittlicher Vollmacht und geistiger Kultur. Ein französischer Schreiber, der seine Werke schon lange kennt, stellt ihn so vor: „Kelly - savant, réalisateur, tête logique, résumateur-philosophe“3 und ein Ire schreibt von ihm als einem „bedeutenden Alumnus (Schüler) der Universität“. Obwohl er bis zu seinem Lebensende ein Studierender im eigentlichen Sinn blieb, war er doch kein Klausner oder Mystiker; und wenn er auch bis tief in die Nacht arbeitete, so erfreute er sich doch auch sehr an christlicher Gemeinschaft und am praktischen Dienst des Predigens und Lehrens. Für seine kritischen Arbeiten wurde er von Mitgliedern des Komitees zur Revision des (englischen) Neuen Testamentes sehr geschätzt. Mit einigen von ihnen führte er eine freundschaftliche und gelehrte Korrespondenz. Er hielt Darbys „New Translation“ (obwohl sie manchmal irrt) für verlässlicher als die „Revised Version“ (der englischen Bibel). Letztere untersuchte er ausführlich und kritisch in seiner monatlich erscheinenden Zeitschrift „Bible Treasury“ - die außer von Erzbischof Denison von vielen für die Zeitschrift gehalten wurde, „die als einzige lesenwert ist“.

Diese Monatsschrift wurde 1856 gegründet und ist angefüllt mit den Werken der führenden Ausleger aus den Brüdern, unter welchen keine strahlender und reicher an geistlicher Weisheit sind, als die von Kelly selbst geschriebenen. Die kritischen Untersuchungen, andächtigen Betrachtungen, Auslegungen der Schrift, Diskussionen der Lehre und Rezensionen in „Bible Treasury“ vereinigen in sich ein halbes Jahrhundert lesenswerter Zeugnisse über die wieder erkannten Lehren des praktischen Christentums. Als Kelly diese Aufgabe übernahm, nachdem Prof. Wallace sechs Monate lang als Herausgeber gearbeitet hatte, trachtete er danach, dass ihm dafür die nötige .Gnade und Weisheit. gewährt werde. Und es darf sicherlich gefragt werden: Ist ein solcher Herausgeberdienst nicht einmalig?

Vorher hatte Kelly den „Prospekt“ (1849-50) herausgegeben - ein sehr interessanter Band zum Studium einiger seiner frühen Werke. In ihr veröffentlichte er eine Übersetzung der „Offenbarung“ aus dem Griechischen mit Bemerkungen zu den Manuskript-Lesarten und allgemeinen  Anmerkungen (1849). Er lieferte auch zahlreiche kritische Kommentare für Dr. Tonnas „Christian Annotator“ (1854-56) - eine Zeitschrift, die Darby überhaupt nicht beachtete. Auch Dr. Tregelles und Philipp Henry Gosse, F.R.S., waren dort Mitarbeiter. Aber das Werk, das von Prof. Ewald so hoch gerühmt wurde, war „The Revelation of John, edited in Greek, with an English Version“ mit einem Verzeichnis der Autoritäten und Versionen. Für diese Arbeit benutzte Kelly Manuskripte, die vorher nie für kritische Zwecke Verwendung fanden und lieferte Auszüge aus dem originalen Codex Sinaiticus, die er von Prof. Tischendorf 4 (1860) erhalten hatte.

Unser Freund gab die .Collected Writings of J. N. Darby. heraus, deren vierunddreißig Bände eine langwierige Suche über viele Jahre und in mehreren Sprachen erforderte. Mit dieser Arbeit leistete W. K. der Kirche Gottes einen wichtigen Dienst, den nur wenige, wenn überhaupt, angemessen hätten zustande bringen können. Das gilt auch für die „Synopsis of the Bible“ (dt. „Betrachtungen über das Wort Gottes“), deren fünf Bände  W. K. für das beste Einzelwerk von J. N. D. hielt, genauso wie die .“Examination“ der „Apocalypse“ von B. W. Newton für Darbys treffendste Kritik. Er schätzte Darbys Schriften außerordentlich und verbreitete sie so weit wie möglich. Er fühlte für ihren Autor größte Hochachtung und es freute ihn, von ihm mit Verehrung und Liebe zu reden, obwohl ihre Gemeinschaft nach fünfunddreißig Jahren glücklichen und herzlichen gemeinsamen Dienstes unterbrochen wurde. In ihm sah Kelly einen Mann, der unerreicht war in seinem Aufdecken lange verlorener Wahrheiten in der Bibel und in seiner Abhängigkeit von Gott und Seinem Wort. Bis zuletzt pflegte er zu sagen: „Lest Darby!“

Gelehrte Leser haben oft den kritischen Schriften Kellys ihre Anerkennung ausgesprochen; und lernbegierige Gläubige (und das sollte nach Kellys Gedanken jeder sein) allerorts schätzten seine Auslegungen als „Trost und Nahrung“ von reichhaltigem Wert. Ihre große Weite und lehrreiche Mannigfaltigkeit ist vielleicht einmalig. Seine „Lectures on the Revelation“ ist ein tiefschürfendes Werk von kritischem Wert und geistlicher Einsicht, das erst kürzlich überarbeitet worden ist. In diesem analysiert Kelly die Lehren von Elliotts „Horae Apocalypticae“ vollständig. Die “Doctrine of the Holy Spirit” (dt. „Die Lehre des NT über den Heiligen Geist“) ist immer noch ein genauso wertvolles Buch wie zu der Zeit, als Dr. Bledsoe es als die „beste“ noch vorhandene „Diskussion“ über das Thema bezeichnete. „Preaching to the Spirits in Prison“ ist ein Beitrag von umfassender Bedeutung für diesen interessanten Gegenstand. Die „Lectures on the Second Coming“ geben eine klare und unmissverständliche Belehrung zu einem viel diskutierten Thema. Die „Exposition of Isaiah“ (1895) ist „eher ein neues Buch als eine Neuauflage“, durch welches der gelehrte Autor „größere Hilfe für den christlichen Studierenden und auch für den noch größeren Kreis derer, die mit dem reichhaltigsten und umfassendsten der Propheten besser bekannt werden möchten“, liefern wollte. Kelly erörtert eingehend die Natur und den Gegenstand der Prophetie und bekämpft schonungslos die „bittere Feindschaft“ des Neo-Kritizismus, dessen Angriff auf alles, „was am herrlichsten und gesegnetsten ist“, er tief beklagte.

Die kürzere Auslegung über „Daniel“ ist eine lehrreiche Untersuchung von großer Genauigkeit dieses wenig verstandenen Propheten. Seine Neuauflage nach vierzig Jahren enthält auch eine Bloßstellung der Neologie 5. Die „Exposition of John“ (1898) wurde „vom  Anfang bis zum Ende in der tiefen Überzeugung geschrieben, wie wenig mein Senkblei die von Johannes geoffenbarten Tiefen ausloten kann“. Sein „Epistles of John“, auf das schon angespielt wurde, kann neben der Auslegung des Evangeliums bestehen. Beide Bände bilden eine unvergleichliche Untersuchung der Darstellung des Herrn durch Johannes. Niemand, der diese schönen Schriften voll ausgereifter Gelehrsamkeit und geistlichem  Verständnis bei der Beschreibung der Person und dem Werk des Sohnes Gottes besitzt, benötigt dann noch „Lives of Christ“. Die Gnaden des Herrn als Mensch werden im Lukasevangelium entfaltet; im Johannesevangelium macht Gott sich in Christus bekannt. .Das ewige Leben in dem Sohn Gottes wird in Seinen WEGEN und WORTEN verkündigt und offenbart; und dass Er dieses Leben gibt, wird dort strahlender als die Sonne beschrieben. „The Creation“ (schon früh veröffentlicht) und „In the Beginning and the Adamitic Earth“ (1894) (von Erzbischof Benson empfohlen und von Gladstone 6 für die Bibliothek des St. Deniols College gern angenommen) zeigen deutlich die Schönheit und Vollkommenheit des geoffenbarten Wissens und den Glauben und die Kraft von W. K., diese zu erläutern. Sie bilden einen tiefgründigen Führer für das Studium der Kosmogonie 7. „Christ Tempted and Sympathising” (1871) ist eine feine, scharfsinnige Studie; und niemand kann die tief empfundene Gelehrsamkeit in seiner Auslegung über „The Lord´s Prayer“ (1850; Neuauflage 1900) oder die erstklassigen Betrachtungen voll geistlichem Charakter und Nutzen über die „Pastoral Epistles“ leugnen. Seine „Acts of the  Apostles“ beinhalten eine instruktive Erklärung über die frühen Tage der Kirche sowie seine „Corinthians“ über die Ordnung und Regierung in der Kirche, über Gaben und Dienst. Zu diesen müssen noch die „Lectures on the Church of God“ (dt. „Vorträge über die Versammlung Gottes“), ein wahres Lehrbuch, und „Notes on the Ephesians“, ein Buch von höchstem Niveau für die Belehrung der Christen, hinzugefügt werden.

Eines seiner späten Werke, „God´s Inspiration of the Scriptures“ zeigt mit unwiderlegbarem Glauben und Beweis die Vollkommenheit der göttlichen Offenbarung und „die Gnade ihres Inhalts in der Herrlichkeit Gottes“. Kelly dachte, dass dieses Werk eine Hilfe sein könnte, für „das geistliche Verständnis all derer, welche die Bibel vom Anfang bis zum Ende wertschätzen“. Es machte ihn traurig, dass viele bekennende Gläubige das Wort Gottes zu untergraben suchten und oft beschriebenen Steinen und gravierten Zylindern 8 mehr Wert beimaßen als der göttlichen Offenbarung der Schriften.

Das seien einige wenige aus der Fülle der Schriften Kellys - ein unbezahlbares Vermächtnis für die christliche Gemeinschaft voll exakter Belehrung für das geistliche Verständnis. Sie tragen das Zeichen eines begabten Schreibers, der sich um einen einfachen Stil bemühte, damit er sowohl das Herz als auch das Gewissen des Lesers erreichen konnte. Er wollte keine Schule des Denkens, Lehrens oder der  Auslegung gründen, noch einer solchen angehören. Im Glauben nahm er Gott durch die Leitung des Geistes bei Seinem Wort und belehrte so die Christen.

Er suchte das Wachstum in Gnade und göttlicher Erkenntnis zu fördern und dazu „unverfälschte Milch“ und „feste Speise“ für den Christen zu bereiten, „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Er bestand auf „Wahrheit im Inner“. und der praktischen Ausübung dessen, was man gelernt hatte, im Zeugnis für Christus zu Seiner Herrlichkeit. Er war ein „Vater“, der den „erkannt“ hatte, „der von Anfang ist“. Außerdem wollte er treue Männer lehren, damit diese, indem sie in dem blieben, was sie gelernt hatten, auch fähig waren, andere zu belehren.

Viele der Bücher Kellys sind Mitschriften von Vorträgen. Er glänzte ganz besonders als Vortragender, als öffentlicher Redner von einfacher, doch eindringlicher Ansprache. Er stellte nicht seine Gelehrsamkeit heraus; doch übermittelte er solide Belehrung. Bei äußerst seltenen Gelegenheiten öffnete er so sehr die tiefsten Falten seines Herzens und Gemütes, dass man darauf neugierig wurde, was sie wohl enthalten mochten.

Er hatte ein einnehmendes Wesen, begleitet von liebenswürdigem Verhalten, gepflegter  Höflichkeit und reinstem Humor. Seine kleine Bibel, seine auf die Stirn gerückte Brille, sein fester Mund und sein Achselzucken sind liebevoll beobachtet worden und fanden erst kürzlich öffentliche Beachtung. Er arbeitete auch eifrig im Evangelium, wo immer er sich aufhielt, und schrieb ausführlich darüber. Sein “Born of Water and of the Spirit” und “The Apostle at Athens” legen sorgfältig dar, was das Werk Christi - Seine Wirkungsweise in Gnade - beinhaltet und was es für den Segen des Menschen und die Herrlichkeit Gottes umschließt. Sie illustrieren eindrucksvoll das hohe Niveau seiner evangelistischen Werke. Vor vielen Jahren beschäftigte er sich mit einigen fragenden japanischen Studenten in England und leistete ihnen einen bemerkenswerten Dienst. Eine seiner letzten Aktivitäten bestand darin, spezielle christliche Literatur für China und Japan auszusuchen.

Kelly schrieb einige vorzügliche geistliche Lieder, die in schöner Form Anbetung „für die Gnade und Wahrheit, die sich in Segnung zur ewigen Herrlichkeit offenbart“, ausdrücken. Aber er pflegte diese “entspannende Arbeit“ nicht. Er beklagte tief die Oberflächlichkeit des Glaubens heutzutage, verglichen mit der früheren Robustheit des christlichen Charakters sowie die zunehmende Weltlichkeit der Gläubigen und der wachsende Mangel an Hingabe. Die Ausbreitung des Materialismus, des Ritualismus und des Papsttums bedrückte sein Herz, obwohl die Bibel es vorhergesagt hatte; und er suchte ständig die Gläubigen von diesen Einflüssen zu befreien. Er schrieb ernst gegen die Enzyklika des kürzlich verstorbenen Papstes (Leo XIII.; 1878-1903) und es gab einige interessante Fälle, in denen er sich mit bekehrten Priestern, Mönchen und anderen gebildeten und hochgestellten Persönlichkeiten in England und Frankreich beschäftigte.


Mit Trauer bemerkte er, wie das christliche Licht im Leben und in der Lehre an den Universitäten und in den jungen Leben der zukünftigen christlichen Führer immer mehr ausgelöscht wurde. Er beobachtete den großen Mangel an lebendigen Glauben an Gott und Seine Offenbarung. David zeigte seine Überlegenheit über Salomo durch den größeren Wert, den die Bundeslade für ihn hatte, „denn der Glaube ist, wenn ich so sagen darf, immer weiser als die Weisheit“. So entsteht auch in Offenbarung 3 der Zustand Laodicäas „aus der Verachtung des Zeugnisses, das Philadelphia gegeben worden war - eine Frucht der Verwerfung der besonderen Wahrheit, die jene Versammlung geprägt hatte“. Philadelphia hatte das Wort Seines  Ausharrens bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet. Als Kelly einst gesagt wurde, er könne in der Welt „eine Karriere machen“, fragte er zurück: „In welcher Welt?“ Diese Antwort wird vielleicht von einer anderen noch übertroffen: Jemand bot ihm an, „etwas für ihn zu tun“. Darauf antwortete Kelly: „Was können Sie mehr für mich tun, als der Herr Jesus schon für mich getan hat?“ Er suchte den Geist Laodicäas um jeden Preis zu meiden.

Er war auch beunruhigt über den ungeheuren Berg an nutzlosem Lesestoff, dem man am „besten durch ein gesundes und interessantes Zeugnis über die Wahrheit begegnen“ kann. Er stellte fest, dass die jungen Leute in großem Maße von „der Menge der Romane und der wertlosen Dichtkunst des Tages“ beeinflusst werden. Er sagte, dass viele christliche Gläubige mehr an die .schönen Phantasien. eines Milton 9 oder dem Herumtappen auf der Suche nach Licht eines Tennysons 10 denken, als an Gottes wahrhaftigen Bericht oder die Schriften Cowpers 11, „eines der Besten unter den Dichtern“, der vielen durch den Glauben zum Lob Gottes verholfen habe. Er glaubte besonders, wie auch Darby, daß religiöse Gedichte (nicht solche geistlicher Art) „hauptsächlich eine Bemühung des menschlichen Herzens seien, durch die Einbildungskraft eine Region jenseits des Materialismus zu erschaffen, den doch ausschließlich der Glaube als Wirklichkeit gibt“. Wie auch Abraham glaubte W. K. Gott.

Kelly änderte nie mehr seine geistliche Haltung, nachdem er sich 1841 von der etablierten Kirche abgewandt hatte. Er ging zu Christus hinaus außerhalb des Lagers, indem er Seine Schmach trug. Auf diesem Weg schritt er standhaft vorwärts, aber nicht ohne dem christlichen Gewissen und Verständnis seine Handlungsweise ausreichend zu erklären. Er „brach“ niemals „die Gemeinschaft“ mit den Führern in den unseligen Trennungen unter den Brüdern in der scharfen Weise, die man ihm vorwirft. Doch wenn er jemandem sein Vertrauen entziehen musste, dann legte er immer seine Gründe einleuchtend, logisch und nach der Schrift vor, so wie es die Umstände erforderten. Kelly hielt ständig an den Elementargrundsätzen fest. Er war genauso streng darin, unschriftgemäße Abweichungen, sei es in kirchlichen oder lehrmäßigen Dingen, unter den Brüdern zu verurteilen wie anderswo. Dabei konnte er sowohl warnen, als auch helfen - tadeln, als auch ermutigen. Sein Sarkasmus war ein durchdringender Degen bei der Anwendung der Wahrheit.

Vom Anfang bis zum Ende lieferte er das unveränderliche praktische Zeugnis von der Einheit des Leibes, von der Einheit des Geistes und von der Absonderung zum Namen und zur Person des Herrn Jesus Christus in der Erwartung Seiner  Wiederkehr. Als einer der glücklichsten Christen kannte er die Leiden und Freuden des Weges. Doch schrieb er mir vor noch nicht langer Zeit: „Unser Teil sind nur leichte Heimsuchungen. Dabei spreche ich nicht von Dem, Der gelitten hat, wie niemand sonst als nur Er. Ich spreche vom Apostel, einem Menschen von gleichen Gemütsbewegungen wie wir. Was musste er nicht von den Juden, Nationen und der Kirche Gottes erdulden?!“

 Kelly heiratete zuerst eine Dame von Guernsey - Miß Montgomery. Seine zweite Frau, die 1884 starb, war eine  Tochter von Reverend Gibbs aus Hereford. Sie war eine Frau von hingebungsvoller natürlicher und geistlicher Befähigung und leistete ihrem Gatten viel geschickte Hilfe bei seiner speziellen Arbeit. Wie er war auch sie eine begabte Sprachkundlerin und besaß ein weitreichendes Wissen. Sie übersetzte fast die Hälfte der Psalmen. Kelly fügte ihrer Übersetzung die Übrigen hinzu, um sie im vorigen Jahr als ein persönliches Andenken an sie zu veröffentlichen. Bei der Erinnerung an Mrs. Kelly findet man viele anziehende Züge.

Kelly verschenkte seine bemerkenswerte Büchersammlung von 15000 Bänden, das einzigartige Werkzeug eines gelehrten Christen voller Hingabe, anonym. Das sollte auch so bleiben, aber eine Londoner Zeitung machte es bekannt. Es wurde lange überlegt, wo man sie aufstellen könnte; und sie befindet sich jetzt in verständnisvoller Hand. Es war ein geschätztes Vorrecht, einen Teil dieser Sammlung mit ihrem gelehrten Eigentümer als Erklärer zu besichtigen. Sie enthielt die großen Kodices (einige als Faksimile), alle großen Polyglotten und die Werke der Kirchenväter und Scholastiker 12. Sie war gut sortiert mit Werken aus der Naturwissenschaft, Philosophie und Geschichte und besonders reichhaltig an antiken Autoren sowie Büchern über Kirchengeschichte und Theologie. Darunter befanden sich einige sehr seltene Werke mit Bezug zur Bibelforschung. Kelly hoffte, indem er diese Bibliothek vor fast zwei Jahren nach Yorkshire überführte, dass sie sich auch für andere im Werk Gottes als nützlich erweise.

Kelly widmete seiner Korrespondenz sehr viel Zeit und Arbeit, indem er sowohl gelehrten als auch ungebildeten Menschen diente. Jede Zeile seiner außerordentlich kleinen, aber gut lesbaren, Schrift enthielt klare Belehrung und zuverlässige Information sowie christlichen Rat und Ermutigung, die in sorgfältig gewählte Worte gekleidet waren. Er suchte auch in dieser Hinsicht den größtmöglichen Dienst zu leisten, wie über hundert Briefe und Postkarten auf meinem Schreibtisch ausreichend beweisen. Er verzehrte sich für den Herrn und den Nutzen Seines Volkes. Die Ergebnisse waren ihm nicht so wichtig; trotzdem war er immer dankbar für das Vertrauen und die herzlichen Grüße von Gläubigen von überallher. In den höheren Schichten fand Kelly viele Bewunderer sowie treue Leser seiner Schriften, welche seine Gelehrsamkeit anerkannten und seine Festigkeit und Hingabe achteten.

 Es war ein Vorrecht, mit ihm befreundet zu sein. Sein Vertrauen zu genießen bedeutete keinen geringen Kredit. Wer ihn kannte, liebte ihn.

So vergingen die Tage und Jahre im glücklichen, beständigen, fruchtvollen Dienst. Seine letzten Wochen verbrachte er im Haus von Dr. Heyman Wreford in Exeter, wo er „friedevoll ruhte und wartete“, bis er am 27. März „in Jesu entschlief“. Damit endete ein einzigartiger Dienst, dessen Wirkung noch lange von einer großen Zahl dankbarer Herzen gefühlt werden wird.


William Kelly wurde am 31. März auf dem Friedhof von Charlton (in der Nähe seiner begabten Frau) in Anwesenheit von ungefähr fünfhundert Trauernden beerdigt. Nachdem Dr. Wreford gebetet hatte, wurden zwei Lieder gesungen („For ever with the Lord“ und „Saviour, before Thy face we fall“). Kurze Bemerkungen von Dr. Wreford über Apostelgeschichte 20,25 betonten die Dankbarkeit gegen Gott für die kostbare Gabe an die Kirche in der Person William Kellys und Trauer darüber, ihn jetzt nicht mehr hier zu sehen, aber auch Freude über die Hoffnung auf das Wiederkommen des Herrn durch Lesen von 1.Thess. 4,13-18. Bruder Moore las Psalm 91,1 und führte auch die „Huld des Herrn“ aus Psalm 90,16-17 an. Er verweilte bei Kellys Liebe und Arbeit für den Herrn und wie er bis zuletzt von „Wirklichkeiten“ gesprochen hatte. Mit Nachdruck hatte er immer gesagt: „Das Kreuz ist eine Wirklichkeit, der Hass der Welt ist eine Wirklichkeit, und (geliebte Geschwister) die Liebe Gottes ist eine Wirklichkeit“. Der kurze, ernste und doch angemessene und trostreiche Dienst, wurde durch ein Gebet von Colonel Binney abgeschlossen. Damit war die Trauerfeier vorbei. - „Bis der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen.“

H. W. Pontis

Fußnoten

  • 1 Puseyismus: Nach dem englischen Theologen E. B. Pusey (1800-1882) benannte katholisierende Bewegung in der Anglikanischen Kirche (Oxfordbewegung). (Übs.).
  • 2 vermutlich der englische Theologe Richard Hooker (1553/54-1600). (Übs.)
  • 3 .Kelly . gelehrt, tatkräftig, ein logischer Kopf, ein umfassender Philosoph.. (Übs.)
  • 4 Der deutsche Theologe Konstantin Tischendorf (1815-1874) fand im Katharinenkloster auf der Sinaihalbinsel eine der ältesten griechischen Versionen des Neuen Testamentes, den „Codex Sinaiticus“. (Übs.).
  • 5 Aufklärerische Richtung der protestantischen deutschen Theologie des 19. Jahrhunderts (Übs.)
  • 6 William E. Gladstone (1809-1898), bedeutender konservativer britischer Staatsmann (Übs.)
  • 7 Lehre von der Entstehung der Welt (Übs.)
  • 8 die von Archäologen gefunden wurden (Übs.)
  • 9 John Milton (1608-1674), englischer Dichter. Sein berühmtestes Werk ist das religiöse Epos „Paradise Lost“ (Übs.)
  • 10 Alfred Tennyson (1809-1892), bekannter englischer Dichter (Übs.)
  • 11 William Cowper (1731-1800), englischer Dichter (Übs.)
  • 12 Kodex: alte Handschrift des Bibeltextes; Polyglotte: alte mehrsprachige Bibel; Scholastiker: kirchliche theologisch-philosophische Schreiber und Gelehrte des Mittelalters (Übs.)