Einführende Vorträge zum Johannesevangelium

Kapitel 16

Einführende Vorträge zum Johannesevangelium

Kapitel 16 scheint auf das Vorherige gegründet zu sein. Der Hauptunterschied besteht darin, dass jetzt vom Heiligen Geist gesprochen wird, ohne speziell auf die Frage einzugehen, wer Ihn sandte. Es geht hier mehr um sein Kommen und nicht um seine Sendung. Das heißt: Er wird als eine besondere Person betrachtet, die allerdings nicht unabhängig handelt. Er kommt nicht, um seine eigene Macht und Herrlichkeit zu entfalten, sondern ausdrücklich um Christus zu verherrlichen. Gleichzeitig wird mehr als in den Kapiteln 14 und 15 das persönliche Wesen des Heiligen Geistes geschildert.

Wenn unser Herr den Jüngern bekannt machte, was sie zu erwarten hatten, so handelte Er aus den weisesten Gründen. Sie sollten jetzt den Pfad des Zeugnisses betreten; und dieser beinhaltet immer Leiden. Wir haben schon gesehen, was ihnen zustoßen sollte, wenn sie als Christi Jünger und Freunde Frucht brachten. Das genügt der Welt. Sie hasst die Jünger genauso wie Ihn, weil sie nicht von der Welt sind, sondern, im Gegenteil, von Christus geliebt und auserwählt. Diese beiden Kennzeichen vereinen die Jünger. Der Hass der Welt und die Liebe Christi schweißt sie umso mehr zusammen. Sie sollten jedoch auch Hass finden in ihrem  Zeugnis, und zwar nicht so sehr als Jünger, sondern als Zeugen. Die Folge ihres Zeugnisses von dem, was sie hienieden von Christus erkannt hatten und was der Geist Gottes sie über Christus im Himmel lehrte, würde sein: „Sie werden euch aus der Synagoge ausschließen; es kommt aber die Stunde, dass jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst darzubringen“ (V. 2). Das ist ganz offensichtlich religiöse Verärgerung, die durch dieses volle Zeugnis hervorgerufen wird, und nicht das allgemeine Unbehagen seitens der Welt. Ein besonderer Hass gegen das Zeugnis der Jünger würde sich erheben. Man würde sie nicht nur ins Gefängnis werfen, sondern auch aus den Synagogen stoßen in der Meinung, Gott damit einen Dienst zu tun. Dies ist religiöse Verfolgung. „Und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben“ (V. 3). Wie vollkommen beleuchtet die Wahrheit hier sowohl den christlichen als auch den jüdischen Hass gegen jedes uneingeschränkte Zeugnis von Christus! Trotz allem Liberalismus unserer Tage lugt er überall hervor, wo er es wagen darf. Die Menschen sprechen über Gott. Sie spekulieren über die Gottheit, über Vorsehung, Schicksal und Zufall. Sie eifern sogar häufig für das Gesetz und fügen Christus dem Gesetz hinzu. Damit endet ein großer Teil der Religion dieser Welt. Aber sie kennen weder den Vater noch den Sohn. Es ist respektlos, wenn solche Menschen herzutreten und „Abba, Vater“  rufen. Es ist Anmaßung für einen Menschen dieses Lebens, sich „Kind Gottes“ zu nennen. So finden wir überall, wo man weder den Vater noch den Sohn kennt, eine eingefleischte Feindschaft gegen jene, die sich der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn erfreuen. Diesen Hass muss jeder treue und kompromisslose Zeuge, der sich von der Welt getrennt hält, mehr oder weniger erfahren. Der Herr wollte nicht, dass die Jünger überrascht wurden. Jüdische Brüder mochten vielleicht gedacht haben, dass, nachdem sie Christus angenommen hatten, alles glatt, heiter und friedlich verlaufen würde. Keineswegs! Sie sollten einen besonderen, ständig wachsenden und vor allem religiösen Hass erwarten.

„Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat“ (V. 5). Der Weg ging zweifellos durch den Tod; doch der Herr sagt nur, dass Er zu dem zurückkehrt, der Ihn gesandt hatte. Sie sollten getröstet sein; und sie waren es auch, vorausgesetzt, dass sie an die Gegenwart seines Vaters dachten. Aber „niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?“  Sie empfanden natürliche Traurigkeit beim Gedanken an seinen Abschied. Wären sie einen Schritt weiter gegangen und hätten sie gefragt, wohin Er gehe, dann wäre alles in Ordnung gewesen und sie hätten sich um seinetwillen gefreut. Zweifellos erlitten sie einen Verlust, aber für Ihn war es sicherlich Gewinn und Freude. Die Freude, die vor Ihm stand, war die des Zusammenseins mit dem Vater, verbunden mit dem Trost für die seinen aufgrund einer vollbrachten Erlösung, die durch seine Himmelfahrt beglaubigt wurde. „Weil ich dieses zu euch geredet habe, hat Traurigkeit euer Herz erfüllt. Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch nützlich, dass ich weggehe, denn wenn ich nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen“ (V. 6–7). Der Sachwalter 1 sollte kommen. Zweifellos ist es hier Christus, der sendet; und darin besteht ein Bezug zum Ende von Johannes 15. Dennoch wird Er in besonderer Weise vorgestellt als eine Person, die  kommt, wie es auch der nächste Vers bestätigt. „Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht“ (V. 8). Das ist ein Satz, über den wir viel nachdenken sollten. Der Geist Gottes beschäftigt sich derzeit mit einzelnen Seelen dem Evangelium gemäß. Diese Handlungsweise ist bedeutungsvoll und sehr wichtig. Zunächst wird in allen, die aus Gott geboren werden, eine Überführung von Sünde bewirkt. Können wir einer Seele glauben, die bekennt, Erlösung und sogar Sündenvergebung durch das Blut Christi gefunden zu haben, ohne dass ein Empfinden für die Sünde damit verbunden ist? Der Geist Gottes ruft dieses hervor. Die Seelen müssen hierin genauso einfältig und entschieden sein wie in ihrem Glauben an Christus Jesus. In  allen Menschen, die zu Gott gebracht werden, geschieht solch ein echtes persönliches Werk. Die Buße bleibt für jeden Sünder eine ewige Notwendigkeit.

In unseren Versen wird allerdings nicht vom Heiligen Geist gesprochen, wie Er in Einzelpersonen wirkt, indem Er sie zu neuem Leben erweckt, so dass sie glauben können. Stattdessen hören wir, dass Er die Welt wegen ihres Unglaubens der Sünde überführt. Ohne Glauben gibt es keine wirkliche Überführung von Sünde. Sie kann allerdings die Folge des ersten Wirkens der Gnade Gottes in der Seele sein. Vielleicht ist noch nicht ausreichend Glaube da für den Frieden mit Gott, doch sicherlich genug, um die eigenen Wege und den Zustand vor Gott zu beurteilen. Genau in dieser Weise wirkt der Heilige Geist gewöhnlich. Zudem findet noch die Überführung statt, von welcher der Herr hier spricht. Wenn der Heilige Geist gekommen ist, wird Er die  Welt von Sünde überführen. Warum? Weil sie das Gesetz gebrochen hat? Nein! Er mag vielleicht das Gesetz benutzen; es ist jedoch weder die Grundlage noch der Maßstab, wenn es um Christus geht. Das Gesetz bleibt bestehen; und der Geist Gottes benutzt es häufig, insbesondere wenn ein Mensch in Selbstgerechtigkeit verharrt. Genauso sicher, wie der Heilige Geist herabgesandt wurde, überführt Er jetzt hienieden die Welt, d. h. jenes System, welches sich außerhalb des Bereichs befindet, wo Er ist. Wenn dort Glaube vorhanden wäre, befände sich der Geist in ihrer Mitte; die Welt glaubt jedoch nicht. Folglich ist wieder Christus, wie überall im Johannesevangelium, der Maßstab, an dem der Zustand des Menschen gerichtet wird. „Wenn er gekommen ist, wird er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht. Von Sünde, [nicht, wenn sie anfangen an mich zu glauben, sondern] weil sie nicht an mich glauben.“ Auch die Überführung von Gerechtigkeit ist bemerkenswert. In diesem Zusammenhang wird kein Bezug darauf genommen, dass der gesegnete Herr auf der Erde war und ein Werk vollbracht hat. „Von Gerechtigkeit aber, weil ich zu meinem Vater gehe, und ihr mich nicht mehr sehet“ (V. 10).

Es gibt eine doppelte Überführung von Gerechtigkeit. Die erste besteht darin, dass in Christus die einzige Gerechtigkeit weggegangen ist, um beim Vater zu sein. So vollkommen verherrlichte Christus Gott in seinem Tod – wie Er auch im Leben nur das tat, was seinem Vater gefiel –, dass darauf nur  eine Antwort folgen konnte: Gott setzte Ihn als Mensch zu seiner Rechten. Wunderbare Tatsache! Ein Mensch sitzt jetzt in der Herrlichkeit zur Rechten Gottes über allen Engeln, Fürstentümern und Gewalten als ein Beweis für die Gerechtigkeit. Das schuldete Gott der Vater Christus, weil Er Ihn so vollkommen zufriedengestellt und, sogar in Hinsicht auf die Sünde, sittlicherweise verherrlicht hatte. Die ganze Welt, ja, alle Welten reichen nicht aus, um den Wert Christi und seines Werkes in den Augen des Vaters auszudrücken; das konnte allein der Platz zu seiner Rechten im Himmel. Dies ist der positive Beweis der Gerechtigkeit. Es gibt außerdem noch einen anderen, allerdings negativen: Die Welt hat Christus verloren – „und ihr ... sehet (mich) nicht mehr.“ Wenn Christus zurückkehrt, wird Er die Seinen, wie in Kapitel 14 geschildert, zu sich versammeln. Die Welt indessen hat Christus verworfen und gekreuzigt. Darum wird sie Christus nicht mehr sehen, bis Er im Gericht kommt. Das wird ihren Stolz für immer niederwerfen. So gibt es also diese zweifache Überführung von Gerechtigkeit: Die eine besteht darin, dass Christus weggegangen ist, um beim Vater droben zu sein, und die andere, dass Christus folglich nicht mehr zu sehen ist. Der verworfene Christus wurde im Himmel aufgenommen und auf den höchsten Thron erhöht. Das verdammt die Welt und beweist, dass es in ihr und im Menschen keine Gerechtigkeit gibt. Darüber hinaus sollte die Welt Ihn nicht mehr sehen. Wenn Er zurückkehrt, wird Er den Menschen richten. Doch das Angebot von Segnungen an den Menschen durch einen lebendigen Christus ist für immer vorbei. Die Juden erwarteten Ihn und tun es heute noch. Als Er jedoch kam, wollten sie Ihn nicht haben. Demzufolge hat sich das Beste in der Welt (die vorzüglichsten und von Gott am meisten bevorrechtigten Menschen) am schuldigsten erwiesen. Sie werden niemals einen lebendigen Messias sehen. Falls Ihn jetzt jemand besitzt, dann nur als einen verworfenen und himmlischen Christus.

Wir finden jedoch noch ein Drittes: Der Geist überführt die Welt „von Gericht“. Was ist die Überführung von Gericht? Es handelt sich nicht um die Vernichtung dieses oder jenes Ortes. So hatte Gott seine Gerichte in alten Zeiten ausgeführt. Jetzt bezeugt der Heilige Geist, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Jener führte die Welt an, als sie die Wahrheit und Gott in der Person Christi hinauswarf. Sein Gericht ist besiegelt und ohne Hoffnung auf Änderung beschlossen. Wenn der von Gott bestimmte Zeitpunkt gekommen ist, wird die Welt und ihr Fürst entsprechend dem Urteil, das schon verkündet worden ist, behandelt. „Von Gericht aber“, sagt Er, „weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist“ (V. 11). Im Johannesevangelium wird der Grundsatz geschildert, bevor sich alles öffentlich voll entfaltet hat. Der Heilige Geist beurteilt hier die Dinge von der Wurzel her und beschäftigt sich mit ihnen entsprechend ihrer Wirklichkeit in den Augen Gottes. In diese Sichtweise darf der Gläubige eintreten.

So erkennen wir überall den absoluten Gegensatz zwischen der Welt und dem Vater, der sich in sittlicher Hinsicht zeigte, als der Sohn hienieden war. Auch die Anwesenheit des Heiligen Geistes liefert einen Beweis dafür. Das große Kennzeichen der Welt ist Unkenntnis über den Vater. Wie die Juden oder sogar die Heiden betet sie oft zum allmächtigen Gott, dass Er ihre Bündnisse, ihre Waffen, ihr Getreide, ihr Vieh oder was sonst noch alles segne. Dabei rühmt sie sich vielleicht noch ihres Gottesdienstes. Die Liebe des Vaters ist jedoch unbekannt. In solchen Umständen kann Er unmöglich bekannt sein. Wenn wir z. B. jene Kinder Gottes anschauen, die sich hier und dort in dieser Welt und Wüste verloren haben, so finden wir sie zitternd und ängstlich. Praktisch halten sie sich in der Ferne auf anstatt friedevoll in der bewussten Nähe zu Gott, als sei es Gottes Wille, dass seine Kinder sich in einem Abstand und einem Schrecken befinden wie Israel am Berg Sinai. Wer hat jemals von einem irdischen Vater gehört, der diese Bezeichnung verdient und so finster seine Kinder abstößt? Sicherlich ist das nicht unser Vater, wie wir Ihn durch Jesus Christus kennen. Liebe Geschwister, der Geist der Welt neigt, wenn wir es ihm erlauben, ständig dazu, die Kenntnis unseres Vaters und unseres Verhältnisses zu Ihm zu zersetzen. Das geschieht sogar unter den wahren Kindern Gottes, denn ein solcher Geist gleitet stets mehr oder weniger in den Judaismus ab.

Der Heilige Geist hat jedoch eine andere Aufgabe. Er überführt die Welt von der ihnen unbekannten Wahrheit schon allein dadurch, dass Er sich außerhalb von ihr befindet und nichts mit ihr zu tun hat. Er weilt bei den Kindern Gottes. Dabei leugne ich keineswegs seine Kraft im Zeugnis des Evangeliums an die Seelen. Das ist eine andere Sache, von der hier nicht gesprochen wird. Wir lesen stattdessen von seiner unmittelbaren Wirksamkeit unter den Jüngern. „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten“ (V. 12–13). So begünstigt die Jünger auch waren, sie besaßen keineswegs all das Wissen, das der Herr für sie wünschte und ihnen mitgeteilt hätte, wenn ihr praktischer Zustand entsprechend gewesen wäre. Als die Erlösung vollbracht, Christus aus den Toten auferstanden und der Heilige Geist gegeben worden war, wurden sie fähig, in die ganze Wahrheit einzudringen – nicht vorher. So erwartet die Christenheit nicht nur das Kommen Christi, sondern auch die Vollendung seines Werkes. Zu Letzterem gehören auch die Aussendung des Heiligen Geistes, des Sachwalters, und seine persönliche Gegenwart als Folge dieses Werkes. Er würde jedoch, genauso wenig wie der Sohn, eine unabhängige Stellung einnehmen. „Er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen.“

Es wird nicht gesagt, wie einige denken, dass Er nicht  über sich selbst redet. Denn der Heilige Geist spricht viel über sich selbst und seine Tätigkeit, und zwar vor allem im Christentum. Die ausführlichste Belehrung über Ihn finden wir im Neuen Testament. Und ich bitte euch, wer redet dort vom Heiligen Geist, wenn nicht Er selbst? Etwa Paulus oder Johannes oder ein anderer Mensch? Die Aussage des Verses liegt darin, dass Er nicht aus eigener Autorität spricht, als sei Er unabhängig vom Vater und vom Sohn. Denn Er ist herniedergekommen, um den Sohn zu verherrlichen, so wie der Sohn auf der Erde den Vater verherrlicht hat. Obwohl dem Heiligen Geist die höchste Anbetung und, da Er dem Vater und dem Sohn wesensgleich ist, die persönliche Anrede im Gebet zusteht, wird Er niemals in den Briefen als der unmittelbare Gegenstand, sondern vielmehr als die Kraft des christlichen Gebets dargestellt. Stattdessen kam Er herab, um das Werk und die Anbetung der Kinder Gottes anzuregen, zu leiten und zu bewirken. Deshalb lesen wir vom Gebet im Heiligen Geist und niemals vom Gebet zum Heiligen Geist. Andererseits meinen wir natürlich, wenn wir „Gott“ sagen, nicht nur den Vater, sondern auch den Sohn und den Heiligen Geist. Jeder verständige Gläubige weiß, dass er sowohl den Vater als auch den Sohn und den Heiligen Geist einschließt, wenn er Gott anredet; denn der Titel „Gott“ gebührt unterschiedslos allen Personen in der Dreieinheit. Falls wir jedoch von den verschiedenen Personen der Gottheit sprechen mit Verständnis davon, was Gott getan hat und tut, sollten wir uns und andere daran erinnern, dass der Geist herabgekommen ist, um einen besonderen Platz unter und in den Jüngern heute einzunehmen. Er liebt es daher, seiner Aufgabe entsprechend unsere Herzen auf Gott den Vater und den Herrn Jesus zu richten, allerdings ohne seine persönlichen Rechte aufzugeben. Wenn wir so sagen dürfen – und ich glaube, wir dürfen es, sofern wir es ehrerbietig tun –, dann dient Er auf diese Weise hienieden in den Jüngern den Interessen des Vaters und des Sohnes. Die dienende Stellung des Geistes entspricht der Aufgabe, welche Er freiwillig für den Vater und den Sohn auf sich genommen hat. Trotzdem ist Er natürlich hinsichtlich seiner eigenen Herrlichkeit genauso zu verehren wie der Vater und der Sohn. Er bleibt immer in sich selbst Gott.

Ohne jetzt auf die kleineren Punkte einzugehen, möchte ich noch sagen, dass der Rest des Kapitels den Herrn zeigt, wie Er angesichts seines Weggangs einen Vorgeschmack der Freude mitteilt – ein Zeugnis von dem, was sein wird (V. 16–22). Die Welt mochte frohlocken, Ihn los zu sein. Er jedoch wollte den Jüngern seine eigene Freude geben, die niemals von ihnen genommen werden konnte. In einem gewissen Grad wurde diese Verheißung erfüllt, als Er nach seiner Auferstehung aus den Toten den Jüngern erschien; doch die volle Kraft der Freude wird erst aufstrahlen, wenn Er wiederkommt.

Danach lesen wir von einem anderen Vorrecht. Der Herr weist auf den neuen Charakter ihres Nahens zum Vater hin, den sie noch nicht kannten (V. 23–26). Bisher hatten sie nichts in seinem Namen erbeten. „An jenem Tage“, sagt Er, „werdet ihr mich nichts fragen.“2 Wir sind jetzt in „jenem Tage.“ „An jenem Tage“  heißt nicht: „An irgendeinem Tag in ferner Zukunft“, sondern: „An einem kommenden Tag“. Eine Fürsprache Christi, wie Martha sie vorschlug, war nicht erforderlich. Sie brauchten nicht Christus aufzufordern, dass Er den Vater bitten 3 möge. Anstatt alle Anliegen Christus vorzulegen, sollten sie sich direkt an den Vater wenden, der ihnen alles geben wollte, was immer sie im Namen Christi erbeten mochten. Sie erhielten die erbetenen Dinge nicht wegen ihrer Verbindung zum Messias, sondern weil sie selbst bevollmächtigt waren, den Vater im Namen des Herrn Jesus zu bitten. Wie gesegnet, wissen zu dürfen, dass der Vater auf seine Kinder hört, die im Namen des Sohnes beten! Der Herr spricht von Kindern auf der Erde und nicht vom zukünftigen Vaterhaus. Das ist offensichtlich eine außerordentlich wichtige Wahrheit, die einen großen Einfluss auf die Gebete des Christen sowie auch auf seine Anbetung ausüben sollte.

Aus diesem Grund stehen wir hier auf einem ganz anderen Boden als die Jünger damals bei der Mitteilung jenes kostbaren und gesegneten Gebets durch den Herrn (Lk 11, 1–4). Seinerzeit wollten sie wissen, wie sie beten sollten, da ja auch Johannes seine Jünger darüber belehrt hatte. Der Herr gab ihnen ein Gebet, wie es ihrer damaligen Lage angemessen war. Nun, ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass es niemals eine Gebetsformel gab, die mit dem Gebet des Herrn vergleichbar wäre. Ich denke auch, dass jedes einzelne der Anliegen dieses Gebets als Muster für Jünger des Herrn von jener Zeit an dienen kann. Alle seine Bitten sind wichtig und für alle Zeiten gültig, jedenfalls bis das Reich unseres Vaters kommt. Warum wurde es dann von der apostolischen Kirche nicht förmlich verwendet? Diese Frage wird durch unsere Verse beantwortet. Unser Herr sagt hier am Ende seiner irdischen Laufbahn den Jüngern, dass sie bisher nichts in seinem Namen erbeten hätten. Zweifellos war das Gebet des Herrn schon eine Weile bei ihnen in Gebrauch. Dennoch hatten sie nicht in seinem Namen gebetet. „An jenem Tag“  sollten sie den Vater in seinem Namen bitten. Ich schließe aus diesen Worten, dass selbst jene, die wie die Jünger bis zu dieser Zeit das Gebet des Herrn ausgesprochen hatten, nicht wussten, was es heißt, den Vater im Namen Jesu zu bitten. Sie blieben immer noch in einer gewissen Entfernung von ihrem Vater stehen. Das ist jedoch nicht die christliche Stellung. Unter der christlichen Stellung verstehe ich jene, in der ein Mensch sich der Nähe zu seinem Gott und Vater bewusst ist und Ihm kraft der Gabe des Heiligen Geistes naht. Dagegen zeigen Gebete, die voraussetzen, dass der Mensch ein Gegenstand des Missfallens Gottes sei, so dass er ängstlich und in Zweifel über seine Errettung Gott naht, die Unfähigkeit, zum Vater im Namen Christi zu sprechen. Jeder, der so betet, redet, als sei er noch mit den Stricken und Fesseln der Sünde gebunden. Er steht nicht im Bewusstsein seiner Versöhnung, im Geist der Kindschaft und im Namen Christi vor dem Vater. Welcher ehrliche oder auf jeden Fall verständige Mensch könnte dies leugnen?

Wie groß auch immer der Segen durch den Dienst Christi bisher gewesen war, so finden wir hier doch einen Fortschritt vorausgesagt, der sich auf Erlösung, Auferstehung und die Gabe des Heiligen Geistes gründet. Warum denken die Menschen so eingeschränkt, dass sie die unvergleichliche Segnung missachten, die „jener Tag“ bringen sollte und auf die Christus ständig in diesem Evangelium als Frucht seines Todes und der Gegenwart des Sachwalters hinweist? Kein spezielles, einzelnes Gebet konnte die Bedürfnisse der Seelen sowohl  vor als auch  nach dem Werk am Kreuz und der neuen Stellung, die daraus folgte, zusammenfassen. Auch der Herr hat kein solches gegeben. Das Gebet des Herrn, das er den Jüngern gegeben hatte, beruhte auf Grundsätzen ewiger Wahrheit, ohne jedoch auf das vorzugreifen, was erst sein Tod und seine Auferstehung an das Licht brachte. Für diese neuen Vorrechte sollte erst der vom Himmel gesandte Heilige Geist die Kraft werden. Seid versichert, das ist keine zweitrangige Angelegenheit, denn jene traditionellen Ansichten missachten unwissentlich die unendliche Wirksamkeit und den Wert dessen, was Christus bewirkt hat. Um die Ergebnisse dieses Werkes auf unsere Seelen anzuwenden, wurde der Heilige Geist vom Himmel gesandt. Diese göttliche Person wohnt in uns. Ist das auch zweitrangig? Bewirkte das Werk Christi, nachdem es vollbracht und bekannt gemacht war, keinen grundlegenden Wechsel? Sollte es nur den menschlichen Bedürfnissen begegnen? Falls tatsächlich alles andere nur zweitrangig ist und die Enthüllung der Herrlichkeit und der Wege Gottes in Christus vergleichsweise belanglos, dann erkenne ich darin einen unwürdigen und ungläubigen Grundsatz, den ich hasse.

Ganz offensichtlich misst der Herr Jesus unserer neuen Stellung den höchsten Wert bei, den kein allgemeines Vernünfteln seitens der Menschen im Geringsten abschwächen darf. Lasst uns also den gewaltigen Wechsel aufgrund der Autorität dessen, der wahrhaftig ist, anerkennen! Die feste Verbindung des Gläubigen mit der Wirksamkeit seines Werkes und der Annahme seiner Person durch Gott, welche durch die Anwesenheit des Heiligen Geistes bezeugt wird, ist verantwortlich für den Unterschied in der Gebetsform vor und nach dem Werk am Kreuz. Wir sind natürlich sicher, dass unsere Geschwister, welche dieses nicht erkennen können, keineswegs absichtlich seine Worte in diesem Kapitel und sein Werk der Sühne gering schätzen. Ich bitte sie jedoch inständig zu prüfen, ob sie nicht Gewohnheiten und Vorurteile hegen, die sie meiner Meinung nach in dieser schwerwiegenden Frage gegen die Gedanken Christi blind machen.

Am Ende des Kapitels verbindet der Herr in klarster Weise die zukünftige Stellung der Jünger in seinem Namen als unmittelbare Gegenstände der Zuneigung des Vaters mit seinem eigenen Stand über alle Verheißungen und Haushaltungen. Letzterer beruhte darauf, dass Er vom Vater kam und zu Ihm ging. Die Jünger dachten, dass sie diese Wahrheit richtig verstanden. Doch sie irrten sich; ihre Gedanken reichten nicht höher als bis zu den Worten: „dass du von  Gott ausgegangen bist“ (V. 30). Daraufhin warnte sie ihr Lehrer vor jener Stunde, die im Geist schon gekommen war, in der seine Verwerfung zu ihrer Zerstreuung führen würde. Er war verlassen, aber nicht allein; „denn der Vater ist bei mir“ (V. 32). Wie Er sagt, sollten sie in Ihm Frieden haben. „In der Welt habt ihr Drangsal; aber seid gutes Mutes, ich habe die Welt überwunden“ (V. 33). Diese war ein Feind des Vaters und der Jünger; sie war jedoch von Ihm überwunden worden.

Fußnoten

  • 1 Tröster, siehe Fußnote zu Kap. 14, 16. (Übs.)
  • 2 Fußnote: „um nichts bitten“ (Übs.)
  • 3 Es ist bemerkenswert, dass Martha ein Wort in Christi Mund legt (d.h. sie benutzt einen Ausdruck für seine Bitte zum Vater), welches Er selbst niemals gebraucht oder als richtig anerkennt (Joh 11,22). Es macht den Herrn zu einem einfachen Bittsteller, verringert die Herrlichkeit seiner Person und verdunkelt – wenn nicht sogar verleugnet – die Intimität seiner Beziehung zum Vater. (W. K.)
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel