Betrachtung über den Propheten Hesekiel

Kapitel 23

Die Namen der beiden Frauen, die in Kapitel 23 erwähnt werden, haben unzweideutig einen geistlichen Aussagewert. Ohola heißt „Ihr Zelt“ und ist Samaria; Oholiba wird mit „Mein Zelt in ihr“ wiedergegeben und ist Jerusalem, wie Gott in Vers 4 selbst deutlich angibt.

Meines Erachtens haben wir zu den beiden genannten Städten sowie deren Reiche eine Parallele in zwei Ausdrücken, die der Apostel Paulus in seinen Briefen an Timotheus in Bezug auf die Versammlung anführt. Der Name Ohola entspricht der Benennung in 2. Timotheus 2,20 „ein großes Haus“. Mit dem Namen Oholiba hängt „das Haus Gottes“ in 1. Timotheus 3,15 zusammen, betreffend dessen noch hinzugefügt wird: „das die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.“ Ebenso wie trotz all des schlechten Benehmens der Oholiba („Mein Zelt in ihr“) der Tempel Jerusalems als die Wohnung Gottes bestehen bleibt, so ist und bleibt auch die Versammlung auf der Erde in ihrer Verantwortung, ungeachtet ihres verderblichen Charakters, „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.“ Falls überhaupt auf dieser Erde noch Wahrheit bis zum Kommen des Herrn Jesus gefunden wird, so kann sie nur in der Versammlung gesehen werden. Ich meine hier die Versammlung in ihrem weitesten Umfang. Außerhalb der Grenzen der Versammlung ist keine Wahrheit zu finden, so dass man beim Betreten dieses Gebietes auch Wahrheit erwarten kann. Zog man zu Beginn des Mittelalters von dem heidnischen Osteuropa in westliche Richtung aus und gelangte dann zu den weitest vorgeschobenen Vorposten des Christentums, den Klöstern und Kapellen von Erfurt, Fulda, Würzburg und Regensburg, dann war man von dem Gebiet, wo Lüge und Trug gefunden wurden, zu dem der Wahrheit übergetreten. Im Prinzip – wohl nicht in geographischer Hinsicht – trifft dies heute noch zu.1

Das sagt aber nicht, dass Gott alles, was Er in diesem Gebiet vorfindet, billigen kann. Im Gegenteil – im Blick auf unser Kapitel kommt uns die Aufgabe zu, all dem nachzugehen, was uns der Bericht dieser Schandtaten in Bezug auf die Versammlung zu sagen hat.

Ich glaube, dass wir hier den Grundsatz von 1. Korinther 10,11 anwenden können: „Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung auf die das Ende der Zeitalter gekommen ist.“

Um einen rechten Begriff von der geistlichen Bedeutung unseres Kapitels zu bekommen, müssen wir zunächst der sinnbildlichen Anwendung des Ausdruckes „Hurerei“ nachgehen. Es ist die Treulosigkeit der Gemeinschaft – sei es Israel oder die Versammlung –, zu der sich Gott öffentlich bekennt und mit der Er sich öffentlich verbunden hat, gegenüber Ihm selbst und den Grundsätzen, die Er gegeben hat in Verbindung mit dem Nahen zu Ihm hin und dem Übernehmen von anderen Grundsätzen. Vergleiche Pergamus und Thyatira (Off 2) und die hierüber erschienenen Betrachtungen der Brüder Darby, Kelly etc.

Die früheste Hurerei der beiden genannten Frauen (Samaria und Jerusalem) geschah mit Ägypten. Die früheste Form von geistlicher Hurerei der Versammlung liegt ebenfalls in der Verbindung mit Ägypten; wir meinen die Übernahme eines Kultes auf christlichem Boden, der dort vor alters her in mancherlei Art auftrat, nämlich die Reliquienverehrung.

Schon sehr früh wurde in Ägypten die Reliquienverehrung betrieben; Rev. Alex. Hislop schreibt hierüber in seinem Buch „The two Babylons“: „Ägypten war mit Gräbern von Märtyrer-Götzen bedeckt; und jedes Bein, jeder Arm und jeder Schädel, die alle echt sein sollten, wurde mit großem Eifer in Grabstätten ausgestellt, um durch ägyptische Gläubige verehrt zu werden. Diese ägyptischen Reliquien wurden nicht nur selbst für heilig gesprochen, sondern sie weihten zudem noch den Grund und Boden ihrer Grabstätte.“

Diese Tatsache bestätigt Vilkinson, wenn er Plutarch zitiert: „Dem Tempel der Gottheit Abydos wurde besondere Verehrung zuteil; sein Platz erschien den Ägyptern dermaßen heilig, dass solche, die nahe bei dieser Stätte wohnten, mit viel Schwierigkeit versuchten, ein Grab in dessen Nähe zu erlangen, so dass sie nach ihrem Tod im Einflussbereich dieses Grund und Bodens liegen könnten, der ja durch das Grab der großen geheimnisvollen Gottheit geheiligt war.“

Eislop weist ferner auf die Wallfahrten hin, doch lasst uns noch einen kurzen Blick auf die Schrift „Dictionnaire des Antiquitäs Chretiennes“ von Pastor Martigny werfen: „Der Reliquienkult geht auf die Anfänge der Kirche zurück. Der erste Märtyrer war Stephanus, dessen kostbare Überreste mit größter Sorgfalt von 'gottesfürchtigen Männern' (Apg 8,2) bestattet wurden; zahlreiche Dokumente helfen uns dabei, diese Heiligen durch die Geschichte hindurch zu verfolgen. Die bewundernswerte Schrift von Hieronymus gegen den Ketzer Vigilance (Martian II; 2. Teil), der den Glauben und die Lehre der Urkirche angegriffen hatte, liefert uns einen Beweis hiervon.“

Diese Zeilen geben uns praktisch schon eine Erklärung zu Vers 3 von Kapitel 23. Satan benutzte das Mitgefühl und die verehrende Liebe der jungen Kirche gegenüber den geistlichen Leidensgenossen, um geistliche Hurerei einzuführen, von der selbst die Kirchenväter – unter ihnen auch Augustinus – sich nicht freimachen konnten. Wir wollen aus dem oben angeführten Werk von Pastor Martigny noch einen Abschnitt herausgreifen: „Sowie die Heiden davon ausgingen, dass sich die Überreste für den, der sie besaß, zum Schutz und zum Ansporn für die Jugend auswirkten, so suchten auch die Christen die Leiber ihrer Toten um jeden Preis für sich zu gewinnen. Sie warfen sich mitten in Amphiteather und Arenen, um von dort die Leichname der Märtyrer hinwegzutragen; sie nahmen Schwämme, leinene Tücher und saugfähige Stoffe, um mit ihnen das Blut aufzuwischen. Auch erwarben sie sich diese heiligen Reliquien oft für silberne Münzen; nachdem sie dann auf die eine oder andere Weise in ihren Besitz gelangt waren, küssten und umarmten sie sie mit großer Zuneigung, bedeckten sie mit wohlriechenden Leinen oder wickelten sie in goldene und purpurne Oberkleider, von denen noch Überreste in einzelnen Katakomben zu finden sind (Boldetti 1.58). Schließlich bestatteten sie ihre Glaubensgenossen an ehrenvollem Ruheplatz, der oft noch mit Prunk umgeben wurde (Boldetti 1.111. c.22.); diese Gräber wurden für sie dann die Heiligtümer, denen sie ihre Huldigung und Ehre zollten.“

Beim Lesen dieser Ausführungen werden wir an das alte Ägypten erinnert, von dem das Zitat aus Hislops Buch sprach. Den Charakter dieser geistlichen Hurerei beschreibt Pastor Martigny: „In dem Brief der Versammlung zu Smyrna“ (Euseb. Kirchengeschichte IV. 15) über das Martyrium des Polycarpus wird gesagt, dass das Aufheben der Gebeine von treuen Gläubigen mehr wert ist als kostbares Gold und Edelsteine. Die Christen brachten in einer solch ehrwürdigen Weise ihren Verstorbenen Verehrung dar, dass die Heiden fürchten mussten, Polycarpus würde Christus auf dem Altar ersetzen; und tatsächlich wurde sogar zu dessen Ehre jährlich ein Fest gefeiert. An einem bestimmten Versammlungsort wurde mit großer Freude alljährlich der Tag seines Todes begangen.“

Noch einige Worte seien von Hislop hinzugefügt (The two Babylons“ Seite 176): „In den Tagen des Augustinus war noch keine gewohnheitsgemäße Form der Anbetung von Reliquien gefunden, doch wurden die Toten bereits – man unterstellte, dass sie hörten und erhörten – mit Gebet und Flehen angerufen; dies geschah zudem noch mit der uneingeschränkten Zustimmung des Bischofs von Hippo.“

In Vers 4 wird uns gesagt: „Und sie wurden mein und gebaren Söhne und Töchter.“ Der Gedanke ist ernst, dass dort nicht steht: Und sie gebaren mir Söhne und Töchter. Alles, was Israel nach dem Fleisch und die christliche Kirche in ihrer Verantwortlichkeit zu ihrem Herrn hervorbringt, muss zum Lob des Herrn Jesus gereichen.

Über Joseph hören wir in 1. Mose 41,50 die Worte: „Und Joseph wurden zwei Söhne geboren, ehe das Jahr der Hungersnot kam, welche Asnat ihm gebar, die Tochter Potipheras, des Priesters von On.“ Er gab seinen beiden Söhnen dann auch Namen, die die Freude, die seine Seele an seiner Familie während der Fremdlingschaft empfand, widerspiegelte. Ebenso lesen wir in 2. Mose 2,21ff, dass Mose zuzeiten seiner Fremdlingschaft den von Zippora empfangenen Sohn mit einem Namen benennt, der seinen Kummer über die Verbannung ausdrückt; sicher war Zippora über diesen Kummer voller Mitgefühl, so konnte man denn auch im Namen ihres Sohnes diesen Schmerz lesen.

Leider konnte man das bei der Kirche nicht erkennen. Weder teilte sie die Freude des himmlischen Bräutigams, der seinerseits während seiner Verwerfung durch Israel seine Freude an der Schar der Gläubigen hatte, noch konnte man ein Mitgefühl an seinem Leiden wegen der Abkehr seines Volkes von Ihm feststellen. Söhne und Töchter wurden geboren, die Christenheit vermehrte sich und die Gewohnheiten der Väter gingen auf die Söhne über, doch die Verbindung zu dem himmlischen Bräutigam und Herrn vergaß man schnell.

„Und Ohola hurte, als sie bei mir war. Und sie entbrannte gegen ihre Liebhaber, zu den Assyrern, die nahe waren, gekleidet in Purpurblau, Statthalter und Vorsteher, allesamt anmutige Jünglinge, Reiter, auf Pferden reitend.“

Es ist für das Fleisch anziehend, wenn die Zeit der Verfolgung ein Ende nimmt und die von Gott eingesetzten Führer und Lehrer, die Leuchten, wie sie die Schrift nennt, im Licht des aufgehenden Tages, der einer solch bangen Nacht folgt, verblassen; man erkennt dann bestimmten Personen die Autorität zu und anstelle der Autorität des Wortes Gottes über die Gewissen überträgt man sie lieber dem Menschen selbst.

Das Fleisch empfindet es auch als angenehm, Ornamentik, architektonische Schönheit und Kunstschätze in die Versammlungsorte der Gläubigen einzuführen, um dadurch die Gedanken besser zu Christus hin versammeln zu können; doch richtet dieses Vorhaben nur Schaden an, indem es die Leitung des Heiligen Geistes stört und die Sinne von Ihm ablenkt.

Ohne mich nun in Einzelheiten zu verlieren, möchte ich nur die Aufmerksamkeit des Lesers noch auf zwei Parallelstellen zu den Titeln in Vers 6 lenken. Die Titel Statthalter und Vorsteher finden wir in Esra 8,36 und 9,2 wieder; sie gehen auf persischen Ursprung zurück.

Seither hat Persien seinen eigenen Gottesdienst und seine mit Autorität bekleidete Priesterkaste, die Magier (siehe Mt 2,1). Zu Beginn des dritten nachchristlichen Jahrhunderts gründeten die Sassaniden das neue persische Reich, dem auch das alte assyrische Gebiet angehörte; der genannte persische Gottesdienst, die Lehre Zoroasters, wurde daraufhin von Shapur II zur Staatsreligion erklärt.

Ich führe einen Ausschnitt aus dem Buch „Die ersten Christen“ von Dr. Gauch (Blatt 42) an: „Eine Kirche, wie sie von den Gläubigen nach dem Pfingsttag benutzt wurde, kann man selbstverständlich nicht finden. Es konnte eine gewöhnliche Kammer gewesen sein, die nicht einmal dazu bestimmt war, für kirchliche Zwecke zu dienen. Als jedoch bald das Christentum an Boden gewann, war es nur zu natürlich, dass man einen oder mehrere Räume eigens für dieses Zusammenkommen zur Verfügung stellte. Diese Räume konnten dann mit bestimmten christlichen Symbolen und Abbildern ausgestattet werden. Uns ist bekannt, dass es solche Kirchen bereits vor dem Toleranzedikt von Rom gab. Viele von ihnen waren Vorläufer der späteren Titular- oder Pfarrbezirkskirchen der Stadt. Leider ist hierüber zu wenig bekannt. Es liegt nämlich kein überzeugender archäologischer Beweis vor, nach dem Bauten wie die große Halle von St. Clemens oder das so genannte Titulas Equitii auch tatsächlich kirchlichem Zwecke gedient haben. Merkwürdig ist nur, dass die beiden Vorbilder des Kirchenbaus, die sogleich als solche zu erkennen sind, an den beiden äußersten Enden der christlichen Welt liegen: die Dura Europus am Euphrat und die römische Villa im Lullingstone Park, in der Gegend von Eynsford, in Kent.“

Folgendes lesen wir über die Kirche in Dura: „Dieses Gebäude, das also ganz dem christlichen Gottesdienst geweiht war, ist das einzig erhaltene seiner Art. Man kann jedoch mit Gewissheit annehmen, dass noch andere in Gebieten, wo das Christentum Fuß gefasst hatte, errichtet waren. Einige ältere Quellen erwähnen sie, und als im zweiten Jahrhundert der Bischof Avircius seine Reise durch Syrien antrat, kam er auch später an „seinen Stätten“ vorüber und sah „Nisibus über dem Euphrat“, so dass man annimmt, dass er sich in der gleichen Umgebung befand, wo seine Brüder zusammenkamen.“

Peter Mamm schreibt in seinem Buch „The Kindom of Christ“: „In Dura konnte man nahezu jede Religion jener Zeit antreffen. Babylonische, syrische, phönizische und arabische Götter wurden dort angebetet. Selbst der Mithrasdienst (der persische Sonnenkult, den wir oben erwähnt hatten) war hier zu Hause. Eine Synagoge und eine christliche Kirche wurde ebenfalls ausgegraben.“

In Betreff des Mithrasdienstes sei darauf hingewiesen, dass er im dritten Jahrhundert der größte Konkurrent des jungen Christentums war. Wie das Christentum kennt der Dienst des Mithras auch eine Taufe und ein Abendmahl. Der „Sieg“ des Christentums über diesen Mithraskult, der im ganzen römischen Reich, überwiegend jedoch in den Randgebieten, anzutreffen war, wurde in einigen Punkten durch einen Vergleich vereitelt: so wurde das Fest der Geburt Christi auf den 25. Dezember gelegt, der der Geburtstag des Mithras ist.

Was nun die Schreiber „einen Sieg durch einen Vergleich“ nennen, ist genau dieser Ehebruch, den Gottes Wort hier meint. Von Vers 8 wissen wir, dass man die Hurereien von Ägypten her nicht ließ. Die Verehrung der Apostel und Märtyrer schloss sich an. Darauf trifft das Urteil von Seiten des Herrn ein: „Darum habe ich sie in die Hand ihrer Liebhaber gegeben, in die Hand der Söhne Assurs, zu denen sie entbrannt war. Sie deckten ihre Blöße auf, nahmen ihre Söhne und ihre Töchter weg, und sie selbst töteten sie mit dem Schwert; und so wurde sie berüchtigt unter den Frauen, und man übte Gerichte an ihr“ (Verse 9–10).

Gott benutzt in seiner Vorsehung die Feindschaft des Perserreiches mit seinem Staatsgottesdienst, lange bevor die Verfolgungen in Rom ihr Ende nahmen, um den Christen in Persien starke Prüfungen aufzuerlegen. Diese Geschehnisse sind also in den Wegen des Herrn von ganz anderer Art als die zehn so genannten Kaiserverfolgungen, von denen wir prophetisch in Offenbarung 2,10 lesen: „Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst. Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet, und ihr werdet Drangsal haben zehn Tage. Sei getreu bis zum Tod, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.“

Kaiser Konstantin der Große sandte eine Bittschrift an Sapur II, die den Christen in seinem Königreich Schutz gewähren sollte. Doch der König der Perser sah diesen Brief als eine Herausforderung an; alle Mithraspriester waren der Überzeugung, dass, da jeder Christ ein Freund Roms ist, er sich notwendigerweise als Feind der Perser erweisen musste. Es folgten heftige Verfolgungen, bei denen – wie man sagte – sechzehntausend Menschen ums Leben kamen.

Vers 11 ist wohl zu Beginn des vierten Jahrhunderts einzuordnen und betrifft alle Christen, die im Römischen Reich ansässig waren: „Und ihre Schwester Oholiba sah es.“ Ebenso konnte auch Juda den Untergang des Zehnstämmereiches beobachten und eine Lektion daraus lernen. Hat Oholiba etwas davon gelernt? Haben die Christen im Westen einen Nutzen hieraus gezogen? Wir wissen es heute. „Und sie trieb ihre Lüsternheit schlimmer als sie.“ Als im Jahre 363 Kaiser Julianus der Abtrünnige bei einem Feldzug in Persien gegen denselben Sapur II einen frühzeitigen Tod fand und das Heer der Römer abziehen musste, war große Freude in der Christenheit über dieses Gottesurteil an dem letzten antichristlichen Kaiser – doch sie lernte nichts aus dieser Ermahnung Gottes. Gern mochte man die Grundsätze des Mithraskultes mit dem Christentum verbinden. „Einen Weg hatten beide“ (Vers 13). „Sie trieb ihre Hurereien weiter als die Hurereien ihrer Schwester“ ... „Aber sie trieb ihre Hurereien noch weiter“ (Verse 11 u. 14). Was namentlich im Westen mit dem Papsttum eingeführt wurde – also nicht durch den Mithrasdienst, sondern regelrecht aus dem babylonischen Götzendienst –, ist in den Augen des Herrn weit verwerflicher als die Vereinigung mit den Mithraselementen. Wir verweisen nur kurz auf die Verehrung von Bildern, seien sie nun von Jesus Christus selbst, von Maria, den Aposteln oder sonst anderen Heiligen.

Über den Bilderkult sei noch ein Abschnitt aus der Schrift „Dictionnaire des Antiquites Chretiennes“ von Abbe Martigny hinzugefügt: „Wir überlassen es dem Leser, über die umstrittene Frage des berühmten Standbildes in der Stadt Paneas, das zur Ehre des Herrn durch die blutflüssige Frau aufgerichtet wurde, zu urteilen (Mt 9,20). Eusebius (Hist. Eccl. VII, 1. 18) erwähnt ebenfalls diese Tat und bestätigt, dass er das Monument gesehen hat; Sozomenos weiß noch zu berichten, dass zuzeiten Julianus des Abtrünnigen das Standbild von heidnischer Hand zerbrochen wurde, doch hätten Christen ehrfurchtsvoll dessen Überreste gesammelt und in einer Kirche aufbewahrt. Er bestätigte zudem auch, dass auf demselben Platz noch Bildnisse des Herrn, St. Petrus und St. Paulus gestanden hätten. Zufolge einer älteren Überlieferung soll Constanze, die Tochter des Konstantin, um ein Bildnis des Heilands gebeten haben.“

Diese Ausführung macht uns in treffender Weise klar, weshalb die Katholiken den Gebrauch und später auch die Verehrung dieser Bilder rechtfertigten. Mit der Zeit machten sich Bilder-Prozessionen breit, so dass wir bald ein silbernes Bild von dem in der Christenheit haben, was das goldene Babel bedeutete: „Sie, die das Gold aus dem Beutel schütten, und Silber mit der Waage abwiegen, stellen einen Schmelzer an, damit er einen Gott daraus mache; sie beten an, ja, sie werfen sich nieder. Sie heben ihn auf, tragen ihn auf der Schulter und lassen ihn an seiner Stelle nieder“ (Jes 46,6.7).

Hislop schreibt in „The two Babylons“: „Die Bilder aus Ninive wurden bei den Prozessionen der Götzenbilder, die auf den Schultern getragen wurden, vorgestellt; sie bilden ein treffendes Anschauungsmaterial des Ursprungs von den päpstlichen Prozessionen“ (Seite 174). Das können wir mit den auf die Mauer gezeichneten Abbildern der Chaldäer vergleichen, zu denen Oholiba nach unserem Kapitel Boten sandte.

Der in Vers 17 benutzte Ausdruck mutet merkwürdig an, nachdem sie sich mit den Kindern von Babel verunreinigte: „Ihre Seele riss sich von ihnen los.“ Mit einem Anfang von Ekel, der der Vorläufer von dem Unbehagen der unbekehrten Seele bald in der Ewigkeit ist, kehrt sich die Seele, ohne ein Verantwortungsgefühl gegenüber all den Opfern des Bösen zu empfinden, von dem Gegenstand der Sünde ab. Von Ammon lesen wir, nachdem er mit Gewalt seine Schwester geschwächt hatte, in 2. Samuel 13,15.17: „Und Amnon hasste sie mit sehr großem Hass; denn der Hass, womit er sie hasste, war größer als die Liebe, mit der er sie geliebt hatte. Und Amnon sprach zu ihr: Stehe auf, geh! Und sie sprach zu ihm: Es gibt keine Ursache zu diesem Bösen, mich wegzutreiben, das größer ist als das andere, das du mir angetan hast. Aber er wollte nicht auf sie hören. Und er rief seinem Knaben, seinem Diener, und sprach: Treibt diese doch hinaus, von mir weg, und verriegele die Tür hinter ihr!“

Oholiba empfand ähnliche Gefühle, als sie mit den Kindern Babels Hurerei getrieben hatte; selbst in der Christenheit gab es Zeiten, wo eine solche Reaktion auf die geistliche Hurerei mit der Kirche Babels und deren Götzendienst folgte. Der Bildersturm in Byzanz im achten Jahrhundert sowie die Bilderstürmer in den Niederlanden zu Beginn des 80-jährigen Krieges geben uns einen anschaulichen Beweis davon. Man kann hierbei zwar keine geistliche Gesinnung, aber doch einen Ausdruck des Widersinns zu dem christlichen Götzendienst, der die Gewissen beschwerte, erkennen.

So kann denn auch bei Oholiba nicht die Rede sein von einem Nachlassen ihrer abscheulichen Sünden: „Und sie mehrte ihre Hurereien, indem sie sich an die Tage ihrer Jugend erinnerte, als sie im Land Ägypten hurte.“

„Und als sie ihre Hurereien aufdeckte und ihre Blöße aufdeckte, da riss sich meine Seele von ihr los, so wie meine Seele sich von ihrer Schwester losgerissen hatte“, sagt Gott in Vers 18. Gott handelte in Bezug auf Juda wie auch in Offenbarung 2,26-29 in Bezug auf die Christenheit. Wenn in der Gemeinde zu Pergamus noch die Möglichkeit zu einer allgemeinen Umkehr bestanden hatte, so können wir von Thyatira an doch nur noch einen abgesonderten Überrest, „die übrigen, die in Thyatira sind“, feststellen. Nur der, „der überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende“ hat Ohren, um zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt. Der Herr Jesus wendet sich nicht besonders von dem katholischen System und dessen Offenbarwerden unter dem Papsttum des Mittelalters ab, sondern Er spricht die gesamte christliche Welt an, die überwinden muss; nur die, die überwinden und „Ohren haben“, kehren von ihrem bösen Weg um. Dieser Grundsatz findet bis nach Laodicäa in Offenbarung 3 seine Anwendung. Der Herr wendet sich auch von dem Götzendienst zu Silo in 1. Samuel 3 ab, um nie wieder zurückzukehren bis zu der Zeit Davids und Salomos. Er findet einen Mann, Samuel, „der Ohren hat, zu hören“; geradeso neigt sich auch der Herr Jesus in dieser Zeit einem Überrest zu, der Ohren hat, zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt.

Möchten wir doch zu denen zählen, die diese Ohren haben. Wir dürfen nicht uns das Vorrecht zuschreiben, dieser kleinen Schar von Gläubigen anzugehören. Es ist möglich, dass wir, die wir mit reicher prophetischer Literatur gesegnet sind und das so genannte freie Wirken des Heiligen Geistes in unserer Mitte verspüren können, weniger in den Genuss des Heiligen Geistes kommen, als der auf das Kommen des Herrn Jesus wartende Überrest von Thyatira und Sardes. Wenn es in den Tagen von 1.Samuel einen Mann gab, der mit theologischen Schriften und Wissen bevorrechtigt war, so war es Eli. Doch die Stimme des Herrn ging an ihm vorüber zu dem furchterregten Samuel, der den Namen des Herrn nicht auszusprechen wagte und sich nicht traute, dem ehrenvollen Amtsträger das Gericht anzukündigen.

Ab Vers 22 wird über Oholiba (Jerusalem) das Gericht angekündigt: „Siehe, ich erwecke gegen dich deine Liebhaber, von denen deine Seele sich losgerissen hat.“ Eine große Völkerschar wird sich über Oholiba her machen: die Söhne Babels, die Chaldäer, die im Südosten von Babel ansässig sind, dann drei aus alten Schriften bekannte syrische Volksstämme und schließlich alle im Nordwesten von Babel wohnhaften Assyrer.

Wir stoßen hierbei auf eine gewisse Schwierigkeit, die vor allem bei solchen auftritt, die die Schrift nur nach ihrem historischen Wert betrachten und ihren prophetischen Gehalt nicht verstehen. Wann sah sich Juda diesen Völkern gegenübergestellt? War es die Verwüstung Jerusalems durch Nebukadnezar im Jahre 586 v.Chr.? Schwerlich können wir von einem Trans-Euphratischen Zusammenschluss unter einem Neubabylonischen Reich sprechen. Hierzu war meines Erachtens doch der Groll über das Elend des Krieges und die damit verbundenen Gräuel in Assyrien zu groß. Eher könnte man hier die Heerscharen Zyperns als die der Trans-Euphratischen Koalition in Betracht ziehen. Zypern legte stets mehr Menschlichkeit als die Neubabylonischen Heereszüge an den Tag – im Gegenteil.

Wenn wir weiter in der Geschichte der von Osten kommenden Bündnisse von Völkern suchen, die sich gegen Palästina richteten, so könnten wir noch an die Mohammedaner und Türken denken. Doch soll die Prophetie auf diese Zeit noch zutreffen, so müsste auf jeden Fall „Oholiba“ noch bestehen. Was jedoch von Juda noch übrig ist, seitdem im Jahre 70 n.Chr. durch Kaiser Titus die Zerstörung eingeleitet und Jerusalem für die Juden durch die Verwüstung Judäas unter Hadrian (132–135) unzugänglich gemacht wurde, kann kaum als „Oholiba“ angesehen werden, über das das Gericht aufziehen wird. Wir können daher keine andere Erklärung geben, als dass in den Tagen der Züchtigung Oholibas die Kirche Jesu Christi bereits aufgenommen ist. Dann wird das ungläubige Juda wieder wie vor alters bis zum Euphrat hin im Einflussbereich des Römischen Reiches sein.

Zweimal wird Gott die alte Ostgrenze des römischen Reiches, den Euphrat, der Koalition der assyrischen Machthaber öffnen. Erstens in der Zeit vor der großen Drangsal. J.N.Darby schreibt: „Das Gericht wird durch die Reiter des Euphrats oder des Nordens kommen“. Wir finden diese Ereignisse in Offenbarung 9,13-21 beschrieben. Zweitens am Ende der großen Drangsal, wenn der Weg der Könige, die vom Aufgang der Sonne her kommen, durch das Austrocknen der Wasser des Euphrat bereitet ist; daraufhin wird die große Völkerschlacht bei Amagedon eingeleitet. All das vollzieht sich, wenn Christus selbst kämpft, „wie an dem Tag, da er kämpft, an dem Tag der Schlacht“ (Sach 14,3).

Jetzt erklärt sich auch der Zweck dieses Kapitels für uns: Was hat dies im Hinblick auf die Verantwortlichkeit der Kirche Jesu Christi für eine Bedeutung? Gerade der erste Einfall des Römischen Reiches erstreckt sich nicht allein auf Judäa, sondern wird im Besonderen die Christenheit in furchtbarer Weise berühren. Bruder Darby schreibt in einer seiner Betrachtungen über die Offenbarung wie folgt: „Ein Wort aus dem Mund Gottes würde genügen, um unabsehbar viele Reiterscharen aufziehen zu lassen, die die Kriegsfackel in das weite Gebiet des Römischen Reiches tragen.“

Wie gewaltig das sein wird, lässt uns Jesaja 28,15 nur ahnen. Sobald die verheerenden Eindringlinge zur anderen Seite des Euphrat weggezogen waren und die Leidgenossen zu Jerusalem sich mittels verstohlener Verträge gegen eine weitere Flutwelle von einfallenden Kriegern deckten, können sie nicht anders, als in die Worte einstimmen: „Wir haben einen Bund mit dem Tod geschlossen und einen Vertrag mit dem Scheol gemacht: wenn die überflutende Geißel hindurchfährt, wird sie an uns nicht kommen.“

Eine treffendere Benennung von dem, was uns Offenbarung 9,17-19 vorstellt, kann wohl nicht anders als in den drei Worten gegeben werden: Tod – Scheol – Geißel.

Doch vergleichen wir jetzt einmal Hesekiel 23 mit dem, was wir soeben in eine zeitliche Folge im Rahmen der prophetischen Geschehnisse eingeteilt haben.

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die drei Übersetzungen Darbys eine Fußnote haben, die die Bedeutung der drei Namen „Pekod, Schoa und Koa“ auch als „Aufseher, Vornehme und Edle“ zulässt. Der Ausdruck Pekod, den wir auch in Jeremia 50,21 finden, besagt eigentlich „Strafheimsuchung“. Diese Aufseher sind also Personen, die im Besonderen mit dem Vollzug der Strafe betraut sind. Wenn man einigermaßen über diese Strafen bei diesen Völkern, von denen wir sprachen, Bescheid weiß, graut einem bei dem Gedanken, welchen See der Leiden die Christenheit und die Juden, die sich im Machtbereich des wiederhergestellten Römischen Reiches befinden, erdulden müssen. Als wir eines Abends etwas von der durchtriebenen Art und Weise vorlasen, mit der diese Strafvollzieher die Menschen peinigen, um die Rachebegierde des Monarchen nach monate- ja jahrelanger Zeit, in der er sie gefügig machen wollte, zu befriedigen, taten wir gut daran, das Buch zuzuschlagen, um nicht mit diesen Bildern des Grauens vor Augen zu Bett zu gehen. Wir bekommen einen kleinen Eindruck davon in Vers 25: „Deine Nase und deine Ohren werden sie abschneiden“ – ein bekannter Racheakt, den wir von den Tagen der Assyrer und Babylonier bis hin zu den „allerchristlichsten“ byzantinischen Kaisern im nahegelegenen Osten verfolgen können.

Gott selbst wählt diese Männer gegen sie aus. Es sind keine früheren Banditen, die aus den Zellen jenseits des Euphrat auf den Westen freigelassen werden. Alle Gemusterten der trans-euphratischen Völker nehmen an diesem Feldzug teil (Vers 23). Jede mögliche Waffenart führen sie mit (Vers 24). Gott selbst legt ihnen gegen den Westen die Rechtssache aus, wie Er sie einst Nebukadnezar gegen Juda und Jerusalem vorlegte. Der Gedanke ist wert, überdacht zu werden, dass nämlich Gott in seinen Wegen der Vorsehung mit den Völkern dieser Erde – mit der Christenheit – den Barbaren das Recht spricht. Natürlich will das nicht heißen, dass Gott von ihnen ein Urteil erwartet, das einst, gestützt auf geistliche Einsicht, die Heiligen mit Christus auf der Erde fällen werden. Viele elementare Sittengesetze der westlichen Welt sind ihr aus dem Gedächtnis gerückt, doch die Führer der östlichen Koalition haben ohne Bibel und Zeugnis in ihrer Mitte in ihren Satzungen das Betragen des römischen Bürgers zu Gott und Mitmensch geregelt (Vers 24 Schluss).

Aller äußerer religiöse Prunk, jede Verehrung von Heiligen muss verschwinden (Verse 26 und 27). Oholiba wird wieder in die Hand derer übergeben, denen sie angehörte und von denen sich ihre Seele losgerissen hatte (Verse 28. 29). Die westlichen Völker hegen im tiefsten Grund ihres Herzens noch einen Hass gegen jene Völker, die früher jenseits des Euphrat gewohnt haben. Damals haben mehr die tiefen Empfindungen als heikle Gelübde den Bruch zwischen Rom und Konstantinopel verursacht. Rom hat den Führern des Oströmischen Reiches nie vergessen können, dass sie die Vorherrschaft des Papstes missachteten und orientalisch-hellenistische Denkmale über ihre Lehrsätze stellten. Sie sprachen es auch offen aus, dass sie sich „lieber zu den Türken als zum Papst“ bekannten.

Auch war ihnen kein „orientalischer“ Kaiser genehm, der am Weihnachtsabend des Jahres 300 n.Chr. von der Hand des Papstes Leos III in der Kirche St. Petrus gegen seinen Willen zum Herrscher der ganzen westlichen Welt gekrönt wurde.

Die orientalischen Völker „werden im Hass mit dir verfahren, und deinen ganzen Erwerb wegnehmen'' (Vers 29). Alles, was auf kirchlich-politischem Sektor in mühevoller Kleinarbeit im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut worden ist, wird nun durch den Einfall in den östlichen Teil des Reiches zerstört. Ohne Zweifel wirkt sich dieser Rückschlag auch auf den Westen, also Rom, aus.

In der Bildsprache der Verse 33 und 34 über Oholiba kommt die Tobsucht, die die westlich-religiösen Führer beseelt, anschaulich zum Ausdruck, wenn bald die Katastrophe über den östlichen Teil des Römischen Reiches kommt. Trunkenheit, Kummer, Entsetzen und Betäubung. „Deine hurerische Blöße und deine Schandtat und deine Hurereien werden aufgedeckt werden“ (Vers 29). Vor aller Augen wird einst die vorsehende Leitung Gottes für den Menschen deutlich, wenn er den Ursprung des Kultus der Bilderverehrung sowie der Missbräuche kirchlicher Anordnungen in den satanischen und verderblichen Lehren erkennt, die die aus den Osten kommenden Reiterscharen einführen (Off 9,19). In 1. Samuel 28 wird bei der Erscheinung Samuels auch die Wirklichkeit der Person Sauls deutlich. Über diese Frau, in deren Wegen wir so deutlich ein Bild der Hurerei der Kirche sehen, wird dasselbe Gericht wie über Saul in 1. Samuel 28 ausgesprochen: „Darum, so spricht der Herr, Herr: Weil du mich vergessen und mich hinter deinen Rücken geworfen hast, so trage du auch deine Schandtat und deine Hurereien“ (Vers 35).

Diese Aussprüche auf das christlich orientierte Westeuropa anzuwenden, scheint einigen unserer Leser wohl gewagt. Liest man dann aber die ganze Geschichte Sauls mit seinen guten Vorsätzen und seiner Meinung über Gott (und dem Forschen nach seinem Willen) aufmerksam durch, so bestätigt man das unbeirrbare Urteil Gottes am Schluss von 1. Chronika 10.

Immerhin ist wilde Raserei um ein unabwendbares Los keine Bekehrung und kein offenbares Verurteilen des Bösen. Das Tragen der Schandtat und der Hurereien (Vers 35), das auch die abgefallene christlich-religiöse Welt auf sich nehmen muss, wird in Offenbarung 9,20 beschrieben: „Und die Übrigen der Menschen, die durch diese Plagen nicht getötet wurden, taten nicht Buße von den Werken ihrer Hände, dass sie nicht anbeteten die Dämonen und die goldenen und die silbernen und die ehernen und die steinernen und die hölzernen Götzenbilder, die weder sehen noch hören noch gehen können.“ Der von den Kirchenführern eingeführte Götzendienst ruht nicht.

Unvergesslich bleiben mir die Worte, die Bruder Darby über Offenbarung 9 geschrieben hat: „Wie verhärtet verhält sich doch in unseren Tagen der Mensch gegenüber der Sünde! Gott lässt ein Gericht auf das andere folgen; die Zuchtrute seiner Hand wendet sich in vernichtenden Schlägen gegen die Arbeit des Menschen wie gegen ihn selbst; die eine Strafe richtet sich an die bis zur Verzweiflung gebrachte und geängstigte Seele, die andere lässt durch satanische Werkzeuge den Tod folgen. Alles umsonst! In den dunklen Herzen regt sich weder eine Spur von göttlich gewirkter Reue in Bezug auf religiös noch sittlich Böses (Verse 20. 21). Ach, man könnte den Menschen an den Rand der Hölle setzen, ihm die Qual derer vor Augen führen, die vergebens nach einen Tropfen Wasser schmachten, um ihre Zunge zu benetzen, er würde nicht Buße tun. Der Götzendienst und die gegen Gott und den Menschen gerichtete Ungerechtigkeit sind und bleiben stets die charakteristischen Züge seines Wesens.“

Liebe unbekehrte Seele, flieh heute noch mit deinem dir hier unverblümt vorgestellten Charakter zum Kreuz von Golgatha, ehe es zu spät ist, ehe die, die den Herrn Jesus als ihren alleinigen Retter angenommen haben, von dieser Erde entschwunden sind und all das Furchtbare noch vor der Stunde der Versuchung eintrifft. Wie furchtbar würde es sein, solltest du dann noch einmal dieses Blatt in die Hand bekommen und feststellen, dass die von uns angekündigten Ereignisse eingetroffen sind; für dich und deine Angehörigen gäbe es kein Zurück. Alle Macht dieser Welt wird früher oder später zuschanden werden. Meine Bitte an dich drückt sich in der Strophe des Sonntagsschulliedes aus:

„Die seligsten Freuden,

Den Frieden, die Lust,

Die findest du nur

An des Heilandes Brust.

Nur dort wird man glücklich;

Zu Jesu denn geh!

Ja, eilet zu Jesu,

Bald ist es zu spät!“

Uns scheint fast, als hätte Gott mit dem letzten Abschnitt genug gesagt. Warum ist es nun trotzdem noch nötig, den Faden von Vers 36 abermals aufzunehmen?

Der Herr, der Gott Israels, stellte – so glaube ich – dem Propheten im vorigen Teil die rein geschichtlichen Abläufe vor, um ihm nachher seine Wege mit diesem Volk im Gericht zu zeigen, das Er in seiner Vorsehung bereithält. So erkennen wir ab Vers 23 mehr die sittliche Seite. Selbst die Evangelien Matthäus und Markus machen uns zunächst mit dem Gegenstand der Verwerfung des Herrn Jesus als Messias in seiner Geschichte vertraut und kommen danach auf dessen sittliche Anwendung.

Vers 36 meldet also jetzt Gottes Forderungen an: „Menschensohn, willst du Ohola und Oholiba richten? So tu ihnen ihre Gräuel kund.“ Genau das wird sich bald erfüllen. Der wahre Sohn des Menschen wird diesem göttlichen Gebot nachkommen und sowohl dem gottlosen Israel als auch der abfällig gewordenen Christenheit deren Gräuel vorhalten. „Denn wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst; und er hat ihm Gewalt gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh 5,26.27).

Kommen wir zu den nun folgenden Versen, dann liegt zwar wieder das gleiche Bild der Gräuel dieser beiden Frauen vor uns, doch wir nehmen hierbei einige Besonderheiten wahr, die im vorigen Abschnitt fehlten; ebenso liefert uns das Lukasevangelium viele für die beiden vorangegangenen Evangelien außergewöhnliche Berichte, die die sittlichen Grundsätze der Gerechtigkeit wie der Ungerechtigkeit angehen. Treffend umreißt der Evangelist diesen Gedanken in seiner zweiten neutestamentlichen Schrift in Apostelgeschichte 10,36: „In Wahrheit begreife ich, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jeder Nation, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ist ihm angenehm.“

„Denn sie haben Ehebruch getrieben, und Blut ist an ihren Händen“, lautet die Anklage von Vers 37. Hat sie uns nicht viel zu sagen? In der Ehe finden die Streitigkeiten zwischen Mann und Frau unweigerlich ihren Niederschlag im geistlichen Wohl der Kinder; sie bedeuten eine Verleugnung der göttlichen Gebote und ruinieren sie sogar. Das trifft auch, in geistlicher Hinsicht bei dem Herrn und seinem Volk oder Christus und seiner Versammlung in ihrer Verantwortlichkeit zu. Nicht umsonst steht im Gegensatz zu den in Vers 4 gemachten Ausführungen im 37. Vers: „Und sogar ihre Kinder, die sie mir geboren, haben sie ihnen durch das Feuer gehen lassen zum Fraß.“ So war, wie wir schon weiter oben erwähnten, das Band zwischen dem himmlischen Bräutigam und der Kirche schnell in Vergessenheit geraten und die Söhne und Töchter, die zwar in christlichem Milieu geboren wurden, gelangten nie zu der Kenntnis lebendiger christlicher Gemeinschaft. Die Verantwortlichkeit aber, die in der Taufe von denen bekundet wird, die der Herr in seiner Gnade den Seinen anvertraute, blieb.

Welch ein ernster Gedanke, dass wir durch unsere Untreue gegenüber dem Herrn, indem wir statt der göttlichen Dinge heidnische oder weltliche Dinge vorherrschen lassen, unsere Kinder, auf die nur Er „Anrecht“ hat, der Welt zum Fraß ausliefern können. Das hat nichts damit zu tun, ob diese Kinder nun bekehrt oder unbekehrt sind. Die uns anvertrauten Kinder werden bewusst oder unbewusst in die Sphäre der geistlichen Hurerei gezogen. Immer gibt es eine Macht, die unsere Kinder in ihre Arme einschließt. Ob es der Heiland ist, der in Markus 10,16 die Kinder in seine Arme nahm, die Hände auf sie legte und sie segnete, oder der Moloch, der sie in seinen glühenden Armen empfängt und sie unter grausamen Qualen verzehrt. Dieser Moloch ist stets derjenige, dem wir, verantwortungsvolle Eltern, uns gegenübersehen und dem wir ausgeliefert sind (Anm. des Überarbeiters: wenn wir nicht beim Heiland bleiben!).

Wir müssen noch etwas erwähnen, was wir auch in den vorherigen Versen fanden: Gottes Heiligtum ist verunreinigt und seine Sabbate durch die Ihm geborenen Söhne entheiligt worden. „Denn wenn sie ihre Kinder ihren Götzen schlachteten, so kamen sie an demselben Tage in mein Heiligtum, es zu entweihen.“ Das geistliche Glück und die geistlich harmonische Entwicklung der Kinder wurden durch den Widerspruch des äußerlichen Bekenntnisses und der religiösen Bande zu einem Ritus ohne lebendige Verbindung durch die Kraft des Heiligen Geistes zerstört. „Und siehe, so haben sie getan inmitten meines Hauses.“

Für Gott hat der feierliche Brauch, der forciert gefühlvolle Ablauf in seinem Haus, keinen Wert, wenn nicht die Gesinnung damit in Übereinstimmung steht. Hierbei wird sein Heiligtum verunreinigt und sein Sabbat entheiligt. Doch anstatt, dass Er in dem zur Ruhe findet, was in den Familien für Ihn, für Christus und sein Zeugnis, unter den erwärmenden Strahlen christlichen Glaubens heranreift, finden wir die Worte in Jesaja 43,24: „Aber du hast mir zu schaffen gemacht mit deinen Sünden, du hast mich ermüdet mit deinen Missetaten.“ Möglicherweise werden noch die Söhne, die die Taufe erfahren haben und das christliche Bekenntnis hoch halten, in züchtigender Weise wie ein Brandscheid aus dem Feuer gerettet – doch nur auf Kosten großen Leids, bitterer Vorwürfe und schmachvoller Schande für das Zeugnis.

Schließlich werden ab Vers 40 nochmals die unsittlichen Züge der Hurerei beider Frauen in anschaulicher Weise dargestellt: „Ja, sie haben sogar zu Männern gesandt, die von ferne kommen sollten.“ Wird hierbei nicht bildlich von einer Christenheit gesprochen, die sich nach dem Vorbild des persischen Dualismus und des indischen Hinduismus ausrichtet und sich seit den Tagen der Gnostiker in der modernen theosophischen Fassung niederschlägt? „Für die du dich auf ein prächtiges Polster setztes, vor dem ein Tisch zugerichtet war; und darauf setztest du mein Räucherwerk und mein Öl.“ Die Philosophen der christlichen Kirche der ersten Jahrhunderte kleideten durch ihre Kenntnis vom Neuen Testament ihr antichristliches Gedankengut in ein apostolisches Gewand und erzielten so bei der nach Wahrheit suchenden Menge einen durchschlagenden Erfolg.

„Aber gerechte Männer, die werden sie richten nach dem Recht der Ehebrecherinnen und nach dem Recht der Blutvergießerinnen“ (Vers 45). Dieser Vers drückt etwas anderes aus als Vers 28: „Denn so spricht der Herr, Herr: Siehe, ich gebe dich in die Hand derer, die du hasst, in die Hand derer, von denen deine Seele sich losgerissen hat.“ Dort benutzte Gott in seiner Vorsehung Menschen, die – mit Rachegefühlen beseelt – seinen Willen ausführten. Hier geht es um sittliches Recht, mit diesen sündigen Frauen ins Gericht zu gehen, wie die Königin von Scheba und die Männer von Ninive (Lk 11,31-32.) ihrer sittlichen Würde zugunsten der Botschaft derer entsagten, die als Vorbilder Christi das Urteil über das gottlose Geschlecht Israels aussprachen.

In den folgenden Versen kündigt der Herr das Urteil über solche an, die mit all dem Bösen in Verbindung, stehen. Es wird eine Versammlung einberufen, die sie steinigen wird: Das Urteil über die Ehebrecherinnen nach dem Grundsatz seines heiligen Gesetzes.

Es kommt noch etwas hinzu: Er wird sie mit ihren Schwertern zerhauen. Das Urteil war vollkommen ihrem eigenen Charakter angepasst, denn moralisch waren sie in Stücke zerteilt. Ihr Herz schlug nicht für den Herrn, sondern für die Götzenbilder; ihre Leiber boten sie vielen Liebhabern an. Wir lesen von jenem Knecht in Matthäus 24,48ff, dass er in der Ansicht mit den Trunkenen aß und trank, dass sein Herr das Kommen verzieht. Er achtete wohl darauf, dass er nicht betrunken wurde, doch war seine Haltung zweigeteilt: Bei seinem Essen und Trinken mit den Trunkenen musste er möglicherweise oft verstohlen nach draußen spähen, ob nicht sein Herr in der Ferne ankäme, so dass er noch schnell seinen Platz verlassen und ihm entgegenkommen konnte.

Doch wenn ihn dann der Herr unerwartet überrascht, ist es doch ein passendes Urteil (Vers 51), dass er ihn in zwei Teile zerschneidet. Sein Herz, seine Aufmerksamkeit und seine ganze Interessenssphäre waren geteilt. Er konnte sich jedoch nach jeder Seite hin entscheiden.

„Und so werde ich die Schandtat wegschaffen aus dem Land, damit alle Frauen sich zurechtweisen lassen und nicht nach eurer Schandtat tun.“ Das so ausgeführte Gericht ist eine wahrhaft pädagogische Maßnahme. Jesaja 26,9 sagt: „Denn wenn deine Gerichte die Erde treffen, so lernen Gerechtigkeit die Bewohner des Erdkreises.“ Die praktische Gerechtigkeit im 1000-jährigen Reich ist sittlich gesehen ein Ausfluss dieser Lehre. Esther 1,20 gibt den Rat der Weisen, die sich auf die Zeiten verstanden, an den König Ahasveros: „Und wird man den Befehl des Königs, den er erlassen wird, in seinem ganzen Königreich hören – denn es ist groß –, so werden alle Frauen ihren Männern Ehre geben, vom Größten bis zum Kleinsten.“ So wird es sich im Hinblick auf die Christenheit und den treuen Überrest bewahrheiten: Der Herr Jesus wird nicht allein mächtig und groß und Gott gerechtfertigt sein, sondern eine sittliche Frucht geziemender Unterwürfigkeit und Anhänglichkeit wird im 1000-jährigen Reich buchstäblich und im übertragenen Sinn offenbart werden. Das gereicht zur Ehre Gottes und zur Macht unseres Herrn Jesus Christus. Dann wird Er, unser Heiland, dem am Ende des Reiches alles seinen Füßen unterworfen sein wird, in vollkommener Schönheit bekunden, was Unterwürfigkeit in seinen Augen heißt, so dass Gott schließlich seine Ewigkeitsgedanken zum Ausdruck bringen wird.

Fußnoten

  • 1 Anmerkung des Überarbeiters: Da die Versammlung Gottes ein geistlicher Ort ohne jede geografische Lage oder Zuordnung ist und die Sichtbarkeit und Darstellung der Wahrheit auch nicht in prachtvollen Klöstern und Kapellen liegt, sondern in dem schlichten Gehorsam gegenüber der Wahrheit, ist diese Auslegung mindestens irreführend.
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