Betrachtung über den Propheten Hesekiel

Kapitel 24

Zu Beginn dieses Kapitels finden wir wieder eine Zeitangabe, und es ist gut, sich erneut damit zu befassen. Es ist die Rede vom neunten Jahr, dem zehnten Monat, dem Zehnten des Monats. Wir befinden uns hier genau an dem Zeitpunkt, der in 2. Könige 25,1 mit denselben Worten angegeben wird. Die Datierung bei Hesekiel geht immer von dem Zeitpunkt aus, an dem Jojakin freiwillig zum König von Babylonien hinausgeht. In Hesekiel 1,2 heißt es daher: „das war das fünfte Jahr der Wegführung des Königs Jojakin“.

Zwei Dinge sind so bedeutsam für Gott, dass Er sie in seinem heiligen Wort im Buch Hesekiel mit einer Datierung versieht: Hesekiel 1,1, das Passahfest unter Josia (diese Datierung kommt nur hier vor) und dann in 1,2 und den folgenden Stellen, die eine Zeitangabe enthalten: die Wegführung des Königs Jojakin. Das erste Ereignis, so könnte man sagen, ist das, was immer für das Herz Gottes selbst übrigbleibt und eine Beständigkeit bis zur Passahfeier später im Tausendjährigen Reich gibt (siehe Hes 45,21-24). Das zweite Ereignis weist auf die veränderte Ordnung der Dinge hin, in der die Dinge und der Zustand der Menschen vor Gott endgültig zum Abschluss gebracht werden. Die Körbe mit Feigen, wie wir sie bei Jeremia finden, können vor den Tempel gestellt werden. Die Personen, die mit Josia an den König von Babylon ausgeliefert wurden, werden für gut befunden, die anderen für schlecht befunden. Der Rest ist lediglich Entwicklung. Und auf das, was von diesem Jahr an folgt, könnten wir anwenden, was wir in Offenbarung 22,10.11 lesen: „Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches; denn die Zeit ist nahe. Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt.“

Die moralische Anwendung dieser beiden Tatsachen ist in ihrer Bedeutung in Bezug auf die Wege Gottes auch für uns Gläubige dieser Haushaltung von herausragender Bedeutung. Was für das Herz Gottes übrigbleibt, bleibt auch für das Herz der Gläubigen übrig, die in „der Wegführung Jojakins“ konsequent die Regierungswege Gottes erkannt haben. Ja, sogar für ihn allein – es ist ihm ausdrücklich von Gott selbst als sein Anteil zugewiesen. Deshalb lesen wir in Kapitel 11,16 besonders für diese Art von Verheißung für die Zeit der Erniedrigung, in der sie diese Konsequenz erfahren (nämlich für die Gegenwart, nicht für die Zukunft): „So spricht der Herr, Herr: Obgleich ich sie unter die Nationen entfernt, und obgleich ich sie in die Länder zerstreut habe, so bin ich ihnen doch ein wenig zum Heiligtum geworden in den Ländern, wohin sie gekommen sind.“ Vorläufig ist Gott ihr Heiligtum. Wenn Gott selbst ihr Heiligtum ist, dann ist das, was im Herzen Gottes beständig da ist und nicht durch ein Versagen des festgelegten Zeugnisses ausgelöscht werden kann, ihr Trost und ihre Hoffnung. Dann kann, um mit den Worten des Johannesevangeliums zu sprechen, das Passahfest zu einem „Fest der Juden“ geworden sein (Joh 6,4), das der Herr Jesus in Kapitel 7,2 als das Laubhüttenfest ansehen muss, das auch vom Heiligen Geist als „Fest der Juden“ bezeichnet wird und von dem Er sagt: „Ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest“ (V. 8), denn die „guten Feigen“ bleiben dort das „kleine Heiligtum“ von Kapitels 13,1, und dort finden wir dann nicht ein Fest der Juden, sondern „das Fest des Passah“.

Für das widerspenstige Haus aus Vers 3 unseres Kapitels gibt es kein „kleines Heiligtum“, sondern es wird ihnen ein Gleichnis vorgelegt, und zwar ein eindrucksvolles Gleichnis: In den Topf, der aufgestellt wird, bevor ein Holzstoß darunter geschichtet und angezündet wird, müssen die besten Fleischstücke und die auserlesensten Knochen gelegt werden.

Es ist merkwürdig, wie sich dieses Gleichnis bei den beiden Belagerungen Jerusalems verwirklicht hat. Nehmen wir nur die zweite, die Belagerung unter Titus, so sehen wir darin die wörtliche Erfüllung. Kein Titus selbst hätte die besten Fleischstücke und die Auswahl der Knochen in der belagerten Stadt so völlig zusammenbringen können, wie es durch die Umstände geschah, in denen die Regierungswege Gottes mit Israel zu sehen sind. Menschlich gesprochen hätte sich ein ganzes Volk mit seinen Führern nicht auf törichtere Weise zur Beute des Feindes machen können, indem sie zuerst ihre fähigsten Führer in Jerusalem übereinander schichten ließen und dann, als es zu spät war und sie entdeckt hatten, dass sie in der Falle saßen, eine verzweifelte Verteidigung begannen.

„Stück für Stück hole sie heraus; nicht ist über sie das Los gefallen [FN: d. h., damit Einzelne verschont blieben]“ (V. 6). So war es bei der ersten Belagerung, so war es bei der zweiten. Es gab kein Stück Fleisch, das vor dem Verderben verschont werden konnte. Als im oben genannten Jahr der König von Babylon gegen Jerusalem zieht, hat Gott die „guten Feigen“ bereits gesichert, indem er sie mit Jojakin weggeführt hat. Als im Herbst 66 der Statthalter von Syrien im Vorgriff auf das Kommende gegen Jerusalem marschiert und den nördlichen Vorort Jerusalems, Bezetha, erreicht, von wo aus er auf seinem Rückzug „beträchtliche Verluste an Menschen und Material“ erleidet (Prof. Beeks Einleitung zu Josephusʼ Fall Jerusalems), ist noch Zeit zum Nachdenken, und diejenigen, die mit dem Aufstand nicht einverstanden sind, verlassen die Stadt. Die Glieder der christlichen Versammlung in Jerusalem flohen in das berühmte Pella östlich des Jordans.

Und bald, wenn die Versammlung vom Herrn Jesus entrückt wird, ist auch die Christenheit zu einer belagerten Stadt geworden, die ihrem Gericht entgegengeht. Dann wird es für diejenigen, die die Botschaft der Gnade nicht angenommen haben, zu spät sein, sie werden nicht verschont werden. Dieses Schicksal wird jetzt über den geworfen, der noch nicht bekehrt ist, wenn er unter das Hören des Wortes des Evangeliums kommt. Jetzt ist noch die Zeit, in der die Widersacher nach 2. Timotheus 2, von dem Knecht des Herrn „in Sanftmut zurechtgewiesen werden“, und dass es ein betendes Warten des Knechtes auf den Ausgang des Loses gibt: „ob ihnen Gott nicht etwa Buße gebe zur Erkenntnis der Wahrheit“ (V. 25).

„Denn ihr Blut ist in ihrer Mitte“ (V. 7), heißt es hier über Jerusalem, und entsprechend dazu lesen wir im letzten Vers von Offenbarung 18,24 über das große Babylon: „Und in ihr wurde das Blut von Propheten und Heiligen gefunden und von all denen, die auf der Erde geschlachtet worden sind.“

Und dann erhalten wir ein ergreifendes Bild. Auf dem Kupfer des Topfes sind die Blutflecken, die sich in Rostflecken verwandelt haben. Die Menschen haben versucht, die Rostflecken zu entfernen, doch vergeblich: „Weil ich dich gereinigt habe und du nicht rein geworden bist“ (V. 13). Sie hat ihr Blut auf den kahlen Felsen getan und es nicht auf die Erde gegossen, um es mit Erde zu bedecken. Sogar das, was Gott in der frühen Vorsehung zur Deckung der Schuld gegeben hatte, wurde von Jerusalem, der Stadt des Blutes, nicht angenommen. Und jetzt gibt es keine Rettung mehr. Jetzt sagt Gott: Ich habe sie auf den kahlen Felsen gelegt, damit sie nicht bedeckt wird. Es bleibt Gott noch ein Mittel übrig, um die Rostflecken zu entfernen, wogegen kein Scheuern hilft – wenn alles in ihm gekocht oder verbrannt ist, wird geschehen: „Und stelle ihn leer auf seine Kohlen, damit sein Kupfer heiß und glühend wird und seine Unreinheit in ihm schmilzt, sein Rost vergeht“ (V. 11). Wenn sich der viele Rost trotz aller Mühe immer noch nicht ablöst, bleibt von Gottes Seite nur ein Rat: ab ins Feuer mit seinem Rost.

Nun, dieser Rost kommt ins Feuer. Er war im Feuer bei den Belagerungen unter Nebukadnezar und Titus, aber das waren nur erste Erfüllungen dessen, was bald mit Jerusalem geschehen wird, wenn die Tage von Jesaja 29 erfüllt werden und Jerusalem den bedeutungsvollen Namen „Ariel“ bekommt, und zwar im Zusammenhang mit unserem Kapitel hier in Hesekiel: „Herd des Herrn“.1

Aber dann gibt es noch etwas Wunderbares. Diesen Namen „Ariel“, Herd des Herrn, für Jerusalem, den Topf, dessen Kupfer am Tag seines Zorns glüht, finden wir noch einmal in der Schrift, und zwar in Hesekiel. In Kapitel 43,13, unmittelbar nachdem in den vorhergehenden Versen beschrieben wird, dass die Herrlichkeit des Herrn nach Jerusalem und in den Tempel zurückgekehrt ist, werden wir über die Grundlage dieser Rückkehr und die neue Stellung Jerusalems informiert: den ehernen Brandopferaltar im Vorhof, ein Abbild des Kreuzes unseres Erlösers, dessen oberer Teil Ariel, der feurige Ofen des Herrn, genannt wird (siehe „Gottesberg“, Hes 43,15.16).

Hier sehen wir die Grundlage für die Wiederherstellung Jerusalems. Eine Stadt, nicht mehr mit unauslöschlichen Rostflecken der Blutreinigung, sondern eine Stadt, die unmittelbar nach dem vollbrachten Werk des Erlösers prophetisch „die heilige Stadt“ genannt wurde (Mt 27,53).

In jenem Augenblick äußerster Bedrängnis, als die Grausamkeit der Völker, „aller Nationen“, die zusammen mit dem König des Nordens Jerusalem eingenommen haben, die Bevölkerung Jerusalems, wenn auch schon zum Teil, ausgedünnt haben, kommt der Herr selbst und werden seine Füße auf den Ölberg stehen, der vor Jerusalem gegen Osten liegt. Wenn dieser Berg in zwei Hälften gespalten wird und ein großes Tal entsteht, fliehen die in der Stadt verbliebenen Gottlosen in dieses Tal (Sach 14,1-5). Sie werden schreien wie in Jesaja 33,14: „Wer von uns kann weilen bei verzehrendem Feuer? Wer von uns kann weilen bei ewigen Gluten?“

Dann ist in diesem Augenblick der Topf „leer auf seinen Kohlen“ (Hes 24,11), bis auf einen armen, gedemütigten Rest, den wir im nächsten Vers 15 von Jesaja 33 finden. Und wird dieser Überrest dann in diesem Augenblick der glühendsten Hitze mitsamt dem Topf und allem verzehrt?

Oh, wie wunderbar groß ist das Kreuz. Wunderbar sind die Ratschlüsse des Herzens Gottes. In diesem Augenblick sieht Er das schuldige Jerusalem, das von seiner Bosheit gereinigt wurde und nun in seiner Glut seine Blutflecken ausbrennt, durch die Identifikation mit dem, was in den drei Stunden der Finsternis auf dem wahren Ariel des Brandopferaltars, am Kreuz, geschah. Als dort die Dunkelheit hereinbrach und die letzten Bösen, die Ihn umgaben, vor den Blicken und der Aufmerksamkeit verborgen waren, fand das Feuer des Zorns Gottes das Opfer für die Sünde. Dann nahm Er in Wirklichkeit den Platz des schuldigen Jerusalems ein. Und wenn die feurige Glut seines Zorns so ihre Nahrung fand, was ist dann das Ergebnis für den armen Überrest in diesem schuldigen Jerusalem? Wird er in dieser Glut verzehrt? Nein! Flieht er dann mit den Gottlosen durch das Tal? Nein. „Der wird auf Höhen wohnen, Felsenfestungen sind seine Burg; sein Brot wird ihm dargereicht, sein Wasser versiegt nie. Deine Augen werden den König schauen in seiner Schönheit, sehen werden sie ein weithin offenes Land“ (Jes 33,16.17).

Einen solcher Ort, wie es ihn bald für das schuldige Jerusalem geben wird, wird es für das Gericht der Christenheit nicht geben. Er wird jedoch für jeden einzelnen Sünder da sein, der jetzt seine Zuflucht zum Kreuz nimmt und der dort, in der Glut des Zornes Gottes, sein eigenes Gericht sieht und anerkennt. So jemand wird schon hier auf der Erde, was seine ewige Stellung betrifft, von Gott in Felsenfestungen erhöht. Und später, wenn der Herr kommt, um die Seinen zu sich zu holen, die Er in der Feuerglut am Kreuz von Golgatha so teuer erkauft hat, für ihn gilt: „Deine Augen werden den König schauen in seiner Schönheit“ (Jes 33,17). Und in einer Schönheit, wie sie die Erde, wie sie Jerusalem nie sehen wird, die Schönheit seiner sittlichen Herrlichkeit vor Gott, als Er dort seine Feuersglut als Brandopfer auf dem Ariel ertrug. „Und ich sah inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein Lamm stehen wie geschlachtet“ (Off 5,6).

Der Abschnitt, den wir jetzt vor uns haben (Hes 24,15-27), ist sehr schwierig. Schwieriger, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, als die vorhergehenden Verse dieses Kapitels.

Um eine Erklärung für die Gesamtheit dieser Verse zu geben, möchte ich zunächst etwas über die letzten drei Verse sagen und sie mit dem Charakter der Gleichnisse vom Reich der Himmel in Matthäus 13 in Verbindung bringen und dann zu den Versen 15–24 zurückkehren.

Das Geheimnis dieses Abschnitts und insbesondere der Verse 25–27 liegt wohl in dem, was wir in Vers 27 lesen: „an jenem Tag wird dein Mund geöffnet werden gegen den Entronnenen“. Nicht Worte der Gnade, sondern des Gerichts finden wir später in der Erfüllung dieser Aussage in Kapitel 33,21–33.

Diese Worte des Gerichts, die Hesekiel, als Jerusalem geschlagen wird und in die Hände des grausamen Belagerers fällt, in Kapitel 33 im Auftrag Gottes ausspricht, sind nur die Bestätigung des Zeugnisses gegen Israel durch sein Verstummen (vgl. Hes 3,26.27).

Nun ist Hesekiel, wie wir schon gesehen haben, ein Vorbild des wahren Sohnes der Menschen, und zwar als „Wahrzeichen“, wie wir den Ausdruck in Vers 27 finden, der auch mit „Wunder“ oder „Vorzeichen“ übersetzt werden kann. Wir haben ihn schon in Kapitel 12,6 als ein mächtiges Vorbild unseres Herrn gefunden, und hier ist es wieder dasselbe.

Nicht bei Hesekiel selbst und auch nicht in dem, was Nebukadnezar der Stadt und dem Land antat, liegt die endgültige Erklärung für dieses „Wahrzeichen“. Auch nicht mit der Einnahme und Zerstörung der Stadt und des Tempels unter Titus im Jahr 70 n. Chr. Die Erfüllung liegt in unserem Herrn Jesus Christus. An jenem Tag, an dem Gott die Schuld des Hauses Jakob heimsuchen wird und an dem das Letzte jenes Menschen schlimmer sein wird als das Erste (Mt 12,45), wird der Mund des großen Propheten aufgetan werden, und er wird „reden und nicht mehr verstummen“. Nicht, dass Er dann noch einmal reden müsste: „Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am letzten Tag“, sagt Er in Johannes 12,48. Und gerade dieses Zeugnis in seinem „Verstummen“ gegenüber Israel, das heißt, wie wir es zuvor herausgearbeitet haben, in den Gleichnissen, wird Israel bald lautstark richten. Denn das prophetische Zeugnis in den Gleichnissen war ein Zeugnis der Unordnung in Israel und damit des Gerichts.

In diesem Zusammenhang zitiere ich J. N. Darby, Prophetic No. 1, Vol. 2, in „The Dispensation of the Kingdom of Heaven“, S. 592: „Die erste haben wir in der großen prophetischen Sendung des Jesaja (Kap. 6) gesehen, wo das Sehen der vollen offenbarten Herrlichkeit des Herrn notwendigerweise die Folgen der gerichtlichen Blindheit für diejenigen mit sich bringt, die diese Herrlichkeit nicht sehen, nachdem sie offenbart wurde. Dies hat sich in unserem Herrn erfüllt. Es gab die volle Herrlichkeit des Herrn und den Geist der Offenbarung, und das Wort von der gerichtlichen Verblendung wurde daher direkt angewandt; und er spricht dies in Gleichnissen zu ihnen. Ein Vergleich der Sprache Hesekiels und Sacharjas wird diese Beobachtung bestätigen:,Dann wirst du erkennen, dass der Herr der Heerscharen mich zu dir gesandt hat‘ (Sach 2,11).,An jenem Tag wird dein Mund dem Entronnenen aufgetan werden‘ (Hes 24,27).“

Der Grundsatz in Sacharja 2 ist derselbe wie hier in Hesekiel 24. „Das Gericht über die Völker wird der Beweis dafür sein, dass es Gottes Wort war, das zu Israel gesprochen wurde“ (J. N. D., Synopsis). Christus rechtfertigt seinen Dienst, ob in der Mitte und an Israel oder darüber hinaus, immer in einer nachfolgenden zweifachen Auswirkung: (1) Wenn Er angenommen wird, in Gnade und Lebendigmachen; (2) wenn Er verworfen wird, in Gericht und Tod. Diesen Grundsatz finden wir in Johannes 5 erörtert. Der Vater, der den Sohn liebt, zeigt ihm nach Vers 20 größere Werke als die der Heilung des Kranken am Teich vom Bethesda, der vom Herrn als Jude unter der direkten Herrschaft Gottes belassen wird. Diese größeren Werke sind von zweierlei Art:

  1. Der Sohn macht lebendig, wen Er will,
  2. das Gericht wird dem Sohn übergeben (Joh 5,21.22).

Nun wenden wir denselben Grundsatz praktisch auf das an, was sein prophetisches Wirken in den Gleichnissen vom Reich der Himmel ausmacht. Wir nehmen die Gleichnisse vom Unkraut unter dem Weizen, vom Senfkorn und vom Sauerteig.

Der gleiche Grundsatz, der für Israel galt, gilt auch für die Christenheit: Der Dienst des Herrn Jesus wurde verworfen. Ich meine damit nicht, dass Tausende in den vergangenen Jahrhunderten das Evangelium der Erlösung nicht angenommen haben. Aber die Christenheit als solche hat in ihrer Verantwortung das Zeugnis eines verworfenen, himmlischen Christus nicht angenommen, dessen Reich nun nicht von hier ist, wie Er selbst vor Pilatus gesagt hat, sondern dass Er das Zentrum einer himmlischen Regierung und eines himmlischen Dienstes ist. Im Prinzip ist dies schon am Ende des Lebens des Apostels Paulus so: „Du weißt dies, dass alle, die in Asien sind, sich von mir abgewandt haben“ (2. Tim 1,15). Sein Dienst im Sinne eines himmlischen Charakters wurde nicht angenommen und durch den Gnostizismus und den Neuplatonismus verdrängt.

Die Folgen offenbaren sich als anerkannte Religion des Christentums unter Konstantin dem Großen und danach als unter Staatsreligion unter Theodosius. Die Gleichnisse vom Reich der Himmel werden völlig falsch verstanden. Der Grundsatz „Lasst beides zusammen wachsen bis zur Ernte“ (Mt 13,30) wird mit Füßen getreten. Das Unkraut muss ausgerissen werden, wenn es nicht unter dem Zwang der Waffen in bekennenden „Weizen“ verwandelt werden soll. Und das Gleichnis vom Senfkorn und vom Sauerteig wird bis heute allgemein so gedeutet, das man darin die äußere Größe und den Segen findet, und das verbunden mit einem noch andauernden, segensreichen Einfluss im Inneren. Dass man überall sonst in der Schrift den Baum als Bild einer Macht hier auf der Erde findet, die ganz außerhalb der direkten Herrschaft Gottes steht, und den Sauerteig als Bild des Bösen, kommt den Auslegern überhaupt nicht in den Sinn. Man sieht hier dasselbe Prinzip am Werk wie bei Israel, das den Messias verworfen hat: Wenn das Licht der Offenbarung in und durch Christus verworfen wird, macht das Gleichnis für solche, die dieses Licht verworfen haben, die Finsternis nur noch dunkler.

Doch hier heißt es in Hesekiel 24: „siehe, an dem Tag, an dem ich ihre Stärke, die Freude ihrer Pracht, die Lust ihrer Augen und die Sehnsucht ihrer Seelen, ihre Söhne und ihre Töchter von ihnen wegnehmen werde, ... an jenem Tag wird dein Mund geöffnet werden gegen den Entronnenen, und du wirst reden und nicht mehr verstummen“ (V. 25.27). In der „Zeit der Ernte“, wie die Vollendung des Zeitalters in Matthäus 13 genannt wird, werden diejenigen, die dann hier auf der Erde wohnen und zu dem gehören, was das Reich der Himmel in seiner äußeren Form geworden ist, zu ihrem großen Entsetzen deutlich erkennen, was der Weizen war und was das Unkraut war. Wenn dann der Befehl Christi an die Schnitter, die Engel, ergeht: „Lest zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen“ (eine Entwicklung, die wir bereits in Vorbereitung sehen), werden diese Unkräuter wissen, dass sie Unkraut waren (Mt 13,30). Nicht nur das, sie werden wissen und erkennen, was der Weizen war, der in der Scheune gesammelt wird. Weiter heißt es: „Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters“ (V. 43).

In ähnlicher Weise wird der Traum vom Baum des Wohlstands und des Segens, der aus dem „Senfkorn des Christentums“, wie es heißt, hervorgegangen ist, jäh zerstört werden, wenn der Engel in Offenbarung 18 mit großer Stimme ausruft, dass das große Babylon „ein Gewahrsam jedes unreinen und gehassten Vogels“ geworden ist (V. 2). Und was den Traum vom Sauerteig betrifft: Die Augen werden geöffnet werden für das „Geheimnis der Gesetzlosigkeit“, das bereits wirksam ist“, wenn der, „der zurückhält, bis er aus dem Weg ist, und dann wird der Gesetzlose offenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten wird durch die Erscheinung seiner Ankunft“ (2. Thes 2,7,8).

Dasselbe Prinzip finden wir in 2. Mose 14 beim Durchzug durch das Rote Meer. Wir haben schon früher in dieser Betrachtung den Gedanken dargelegt, dass die Gleichnisse die zweifache Wirkung haben, die wir dort von der Wolkensäule finden: „Und der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, brach auf und trat hinter sie; und die Wolkensäule brach auf von vorn und stellte sich hinter sie. Und sie kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels, und sie wurde dort Wolke und Finsternis und erleuchtete hier die Nacht; und so näherte jenes sich diesem die ganze Nacht nicht“ (V. 19.20). Nun, in Vers 24 finden wir die bemerkenswerten Worte: „Und es geschah in der Morgenwache, da schaute der Herr in der Feuer- und Wolkensäule auf das Heer der Ägypter und verwirrte das Heer der Ägypter.“ Aus derselben Wolke, die in der Verstockung ihres Herzens Finsternis für sie bedeutete, kommt nun zu ihrem Schrecken der Anblick dessen, den sie verachteten. In den Worten unseres letzten Verses von Hesekiel 24 heißt es: „an jenem Tag wird dein Mund geöffnet werden gegen den Entronnenen, und du wirst reden und nicht mehr verstummen“ (V. 27).

Aber nun kehren wir zu Vers 15 unseres Kapitels zurück, und ausgehend von dem, was wir im letzten Vers gefunden haben, wollen wir versuchen, auch etwas von der Bedeutung des ersten „Wunderzeichens“ zu verstehen: Der Prophet wird durch einen Schlag vonseiten des Herrn plötzlich von seiner geliebten Frau getrennt; die Lust seiner Augen wird plötzlich von ihm weggerissen, und doch soll er nicht trauern. Es ist unmöglich, dabei nicht konsequent zu sein und darin nicht auch ein Bild unseres Erlösers zu sehen.

In der Tat ist es wahr, dass auch ihm die Lust seiner Augen durch einen Schlag genommen wurde. Wer diese Lust seiner Augen war, sagt uns Psalm 16,3 in Verbindung mit Johannes 3,29. Es war die jüdische Braut, der Überrest, mit dem Er sich durch die Taufe am Jordan verband. Die Beziehung mit dieser Lust seiner Augen, die bald am Vorabend des Tausendjährigen Reiches wieder aufgenommen wird, finden wir in voller Länge im Hohelied beschrieben. Nur: Die Beziehung ist anders. Es ist der Geist Christi, der im Überrest wirkt und in ihrer Seele die Empfindungen des Bräutigams für sie kundtut. Aber der Bräutigam ist nicht körperlich bei ihnen – und Er wird auch nie wieder so körperlich zu ihnen kommen, wie Er es in den Tagen seines Fleisches tat. Das empfindet auch die Braut in Psalm 45, wenn sie in dem vom Geist Christi geleiteten Lied der Liebe zu Ihm sagt: „Du bist schöner als die Menschensöhne“ (V. 3). Es ist eine Schönheit, die nicht mit den Maßstäben der Schönheit gemessen werden kann, die unter den Menschen vorherrschen, da sie im strahlenden Glanz des Auferstehungslebens erkannt wird.

Und in Anbetracht dieser Wahrheiten spricht der Herr Jesus zu Maria Magdalena die uns so vertrauten Worte: „Rühre mich nicht an“ (Joh 20,17). Fahrt nicht fort, sagt der Herr in ihr zum jüdischen Überrest, euch Mir zu nähern, wie ihr es vor meinem Sterben getan habt, in den Tagen meines Umhergehend. Und nun ist es wahr, dass besonders im Johannesevangelium nach dem Abbruch dieser formellen Beziehung der Überrest zu einer viel erhabeneren Höhe in der Stellung der Versammlung erhoben wird. Aber was den Abbruch der Beziehung im Zustand vor dem Kreuz betrifft, so ist der Schlag, der die Lust seiner Augen von dem Sohn des Menschen trennt, unwiderruflich. So sehen wir Ihn in der Gestalt Moses im fünften Buch Mose, für den das Verbot, das gute Land zu betreten, unwiderruflich war. Josua wird jedoch – als Bild Christi in seinem Auferstehungsleben – das Land an der Spitze der Kinder Israels betreten. Aber wegen des Zorns, der wegen des schuldigen Volkes über Ihn gekommen ist, ist das Urteil unwiderruflich.

Die Würde, die Christus dabei zeigt, wie es Hesekiel tun musste, das Fehlen äußerer Trauer, und das alles im Hinblick auf das, was mit dem Heiligtum und den Söhnen und Töchtern des Hauses Israel geschehen würde, finden wir im Hebräerbrief deutlich vor Augen geführt. Dort finden wir unseren Erlöser nicht im Zeichen der Trauer, sondern im Zeichen von „binde dir deinen Kopfbund um und zieh deine Schuhe an deine Füße, und deinen Lippenbart sollst du nicht verhüllen“ (Hes 24,17). Wir finden ihn in diesem Brief in priesterlicher Würde und Tätigkeit, zur Rechten Gottes, wo es keine Trauer gibt, sondern Sättigung mit Freuden und Wonnen. Und die Tatsache, dass Er dort so dargestellt wird, während Stadt und Heiligtum noch intakt sind, macht Ihn angesichts der bevorstehenden Zerstörung beider, wie Hesekiel hier in unserem Kapitel, zu einem Wunderzeichen. Und an mehreren Stellen des Briefes spielt der Heilige Geist darauf an, was in Ihm als dieses Wunderzeichen angekündigt wird:

  1. Ein Acker, der „Dornen und Disteln hervorbringt, ist unbewährt, und der Fluch ist nahe, und sein Ende ist die Verbrennung“ (Heb 6,8).
  2. „und das umso mehr, je mehr ihr den Tag näher kommen seht. Denn wenn wir mit Willen sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, so bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, sondern ein gewisses furchtvolles Erwarten des Gerichts und der Eifer eines Feuers, das die Widersacher verzehren wird. ... Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen! (Heb 10,25-27.31).
  3. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Heb 13,14).

Fußnoten

  • 1 Vergleiche die Fußnote in der durgesehenen Ausgabe der Elberfelder Übersetzung: „D. i. Gotteslöwe (d. h. Heldenstadt), o. Gottesherd (Hes 43,15.16); vgl. Jes 31,9“ (WM).
  • 2 The first we have exhibited in the great prophetic mission of Isaiah (chap. 6), where the seeing the full revealed glory of Jehovah necessarily involves those not seeing that glory, now it was revealed, in the consequences of judicial blindness. This was fulfilled in our Lord. There was the full glory of Jehovah and the Spirit of revelation, and the word, therefore, of judicial blindness applied directly; and He speaks this to them in parables. A comparison of the language both of Ezekiel and Zechariah will much confirm this observation: „Then shalt thou know that the Lord of hosts hath sent me unto thee” (Zech. 2:11). „In that day shall thy mouth be opened to him that is escaped” (Hes 24:27).
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