Betrachtung über den Propheten Hesekiel

Kapitel 25

Mit diesem Kapitel sind wir beim zweiten Hauptteil unseres Buches angekommen. Dieser Teil reicht bis Kapitel 32 und handelt von den Gerichten des Herrn über sieben Nationen: zuerst über vier Nachbarvölker Israels, dann über Tyrus, Sidon und Ägypten. Diese Aufteilung in vier und drei finden wir in mehreren Siebenern in der Heiligen Schrift. Hier besteht die Unterteilung darin, dass die ersten vier, die wir in unserem Kapitel zusammengefasst finden, sich besonders durch ihren Hass gegen das Volk Gottes auszeichnen, während die anderen drei eher den Charakter zeigen, dass sie Gott ausschließen und sich den Platz aneignen, der Ihm zusteht.

Es ist sehr ernst, zu bedenken, dass Gott diese beiden Prinzipien bei seinen Gerichten, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft, getrennt anwendet. Er berücksichtigt diese beiden Prinzipien auch bei den Gerichten, die bald über die Christenheit kommen werden. Und dass dieses bevorstehende Gericht, das sicherlich erfolgen wird, und zwar sehr bald, nachdem die Versammlung entrückt ist, nicht durch Versuche der Verbrüderung zwischen kirchlichen Gruppen abgewendet werden kann. Im Gegenteil, in dieser Verbrüderung wird der Hass weitergehen, denn er wird auf Kosten der Unterdrückung der echten Kinder Gottes gehen – Unterdrückung nicht durch Feuer und Schwert, sondern durch die Verletzung von Grundsätzen, deren Aufrechterhaltung für den Gläubigen in der praktischen Ausübung der Gemeinschaft mit Gott und mit Jesus Christus lebenswichtig ist.

Was die Abstammung der beiden erstgenannten Völker – Ammon und Moab – betrifft, so besteht eine gewisse Verwandtschaft mit dem Volk Gottes, denn sie stammen (durch Inzest) von Lot ab, dem Neffen Abrahams, dem Stammvater Israels. Vom Vorbild her stellen sie für uns Züge der Welt dar, die uns umgibt und mit uns als Christen verbunden ist. Nicht das Heidentum, sondern diejenigen, die uns durch natürliche Verwandtschaft als Nachkommen Lots nahestehen.

Für diese natürlichen Verwandten, die die eindeutige Absonderung vor Gott und den Ort der Absonderung nicht kennen, kann es nichts anderes geben als einen Haha-Ausruf, wir würden es einen Hurra-Schrei nennen, wenn das Heiligtum des Herrn geschändet wird (V. 3). Denn die Tatsache, dass Gott hier auf der Erde ein Heiligtum hat, sei es ein weltliches wie in den Tagen der alten Haushaltung, sei es ein geheimnisvolles, indem Er in die Mitte der zwei oder drei kommt, die zu seinem Namen versammelt sind (Mt 18,20), verurteilt ihre eigene Stellung.

Es kann auch nicht ausbleiben, dass sie einen Haha-Ruf ausstoßen, wenn das Land Israel zerstört wird. Wenn durch Untreue und Weltlichkeit der Kinder Gottes der Genuss ihres geistlichen Besitzes in den himmlischen Örtern in Christus Jesus verlorengeht. Denn sie können diesen wirklichen Genuss nicht erlangen, und wenn der Unterschied zwischen denen, die sich geistlich in himmlischen Örtern befinden und sie in Besitz nehmen, und ihre armen Stellung als Bekenner deutlich wird, so zeigt sich lediglich ihre Armut.

Und schließlich, was für einen Haha-Ausruf muss es auslösen, wenn das Haus Juda in die die Gefangenschaft zieht. Wenn die Stimme derer, die Gott lieben, verstummt oder in den Gesang einer toten Liturgie herabsinkt und es nicht mehr bekannt ist, dass diese wahren Gottesfürchtigen ein Haus bilden – das Haus Christi, der der große Gottesfürchtige in der Auferstehung ist, jetzt in der Mitte der Versammlung und bald in der Mitte Israels.

Nun, hier in Ammon, und wie ernst ist das für diese Tage, ist die Ankündigung des Gerichts allein für diesen Haha-Ausruf – mehr nicht. Das ist ernst genug für Gott, dass man darüber Schadenfreude hat, dass das, was Er hier auf der Erde zum Zeugnis seines Namens und zum Segen seiner Kinder eingesetzt hat, durch die Untreue dieser Kinder verlorengeht. Wenn Er richten und wegnehmen muss und es zu einer Vermischung zwischen Gläubigen und Bekennern kommt, gibt dies Anlass zu einem Haha-Ausruf. Diesen Haha-Ausruf hört Er, auch wenn er nicht öffentlich ausgesprochen wird. Auch wenn das, was in den Herzen der Menschen in dieser Hinsicht lebt, zum Vorschein kommt, weil Gelegenheiten ergriffen werden, die lange Zeit durch die Vitalität bei der Aufrechterhaltung der Trennungsprinzipien abgeschnitten waren. Das sind Gelegenheiten, die endlich eine breitere Basis zwischen Gruppen von Gläubigen finden, ob nun in Verbindung mit denen, die den Herrn kennen oder nicht.

In Vers 6 wird das noch einmal bis in kleinste Einzelheiten dargelegt: Der Ammoniter klatschte in die Hände und stampfte mit dem Fuß in der ganzen Verachtung seiner Seele über das Land Israel. So stampfte der Feind mit dem Fuß, als Bruder Darby in der Mitte des 19. Jahrhunderts den Finger auf die Wunde legte, indem er musste, dass das eingetretene Übel auf die Aufgabe der Wahrheit über die himmlische Berufung des Gläubigen zurückzuführen war; diese Wahrheit war den Brüdern in ihrem Zeugnis besonders wichtig geworden.1 Wer nicht selbst im „Land Israel“ wohnt, kann das traurige Phänomen, dass Gläubige diesen reich gesegneten Boden verlassen, nur mit der ganzen Verachtung seiner Seele betrachten.

In Vers 8 werden diese Gedanken des Herzens weiter in dem Gericht über das entfaltet, was Moab und Seir gesagt haben: „Siehe, das Haus Juda ist wie alle [anderen] Völker“. Das ist es, was Moab und Seir beobachteten, zumindest das, was ihr Herz sie zu sagen veranlasste, als der Herr in seinen gerechten Wegen die äußeren Zeichen seiner Gunst an seinem Volk aufheben und es streng züchtigen musste. Und das wird leider auch heute gesagt, und zwar mit der gleichen Häme derer, die einst reiche geistliche Segnungen von Gott empfangen haben, aber durch Untreue oder Weltlichkeit auf das allgemeine Niveau der bekennenden Christenheit zurückgefallen sind. Man erkennt noch an, dass Gott ganz am Anfang, sei es in der Reformation oder in der Erweckung, viele seiner Kinder jahrhundertelang in den Genuss ungeahnten Reichtums gebracht hat. Und man erkennt auch an, dass die Aufnahme dieser Segnungen mit einem „Anders-Sein als alle anderen Nationen“, mit einem gewissen „Exklusivismus, Separatismus“, oder was immer man sich dafür ausdenkt, verbunden war. Aber man stellt mit Freude fest, dass die Grenzen verschwommen sind. Denn bei den meisten dieser „Exklusiven“ wird auf geistlicher und „sozialer“ Ebene derzeit recht viel geredet und gemeinschaftlich gehandelt.

„Weil Moab und Seir sprechen“. Es ist so, als hätten sie sich in ihrer Beobachtung des Gottesvolkes gefunden. Es ist dasselbe Seir, das schon ein paar Jahrhunderte zuvor den Propheten spöttisch fragt: „Wächter, wie weit ist es in der Nacht; Wächter, wie weit in der Nacht?“ (Jes 21,11). Mit anderen Worten: Statt geistlicher und moralischer Erhebung und Wohlstand habt ihr immer nur von einer Nacht der Gerichte geweissagt, die kommen würde – wie sieht es jetzt aus? Wird etwas daraus werden? Aber du hast auch den Morgen vorausgesagt, der über Israel aufgehen würde. Du hast über einen Tag des Segens und der Herrlichkeit für dein unterdrücktes Volk geweissagt. Wird daraus etwas werden? Du hast über ein Joch der Assyrer geweissagt, das vom Hals des Volkes zerbrochen werden würde. Du magst die beste Hoffnung gehabt haben, dass Salmaneser ihnen mit der Belagerung Samarias (722) das Genick brechen würde, doch du hast dich geirrt, so dass die laufenden Dinge von der Sargon-Dynastie übernommen werden würden, wird der helle Morgen noch anbrechen? Wie weit ist es jetzt damit? Wie spät ist es auf deiner angenommenen Weltenuhr?“

Das ist das Seir aus Vers 8. Das sind die spöttischen Fragen, die man oft unausgesprochen von denen zu hören bekommt, die äußerlich mit den herrlichen Wahrheiten des letzten Jahrhunderts über das Kommen des Herrn und die damit verbundene Prophetie vertraut sind. Wird etwas daraus werden? Die Brüder des 19. Jahrhunderts, die von der Wiederherstellung des Römischen Reiches und der Zukunft Russlands gesprochen und geschrieben und die Napoleon I. und sogar Napoleon III. in ihr prophetisches Bild einbezogen, sind zu Staub geworden. Großmächte, die sie nie in ihr prophetisches Bild einbezogen haben, haben in zwei Kriegen von sich hören lassen – „Wächter, wie weit ist es in der Nacht?“ Ist es nicht an der Zeit, dass du deine interessante Lektüre über diese Dinge zum Altpapierhändler bringst?

Aber es kann nicht bei diesen Aussagen des Herzens und spöttischen Fragen bleiben. In Vers 12 lesen wir: „So spricht der Herr, Herr: Weil Edom mit Rachsucht gegen das Haus Juda gehandelt hat und sie sich sehr schuldig gemacht haben, indem sie sich an ihnen rächten“. Wenn diese Gefühle, diese falschen Gedanken des Herzens nicht gerichtet und vor Gott bekannt werden, wird man früher oder später unbemerkt von der Ammon-Moab-Seir-Haltung zum Handausstrecken von Edom übergehen. Es ist nicht einfach, die geographische Grenze zwischen dem gebirgigen Seir und dem Land Edom zu ziehen. Unbemerkt gehen wir von den spöttischen Rufen des Gebirges Seir mit Edom in das Land, und bald landen wir bei dem Idumäer Herodes, wie er das heilige Kind Jesus verfolgt und wie man sich gegen Gottes heiligen Knecht Jesus versammelte (Apg 4,27). Dass Gott noch immer viele dieser „Racheakte“ aus Vers 12 verhindert, ist nicht das Verdienst des Zeugnisses. Es liegt daran, dass Er sie aufgrund ihrer großen Schwachheit in seiner Vorsehung abwenden muss, was nicht mehr mit innerer Kraft wie im 19. Jahrhundert abgewehrt werden kann. Wenn die Bereitschaft, um Christi willen zu leiden, bei der Bewahrung dessen, was Philadelphia hat, so groß wäre wie die beim Kauf der Wahrheit des 19. Jahrhunderts, könnte Gott seinen Namen noch auf ganz andere Weise verherrlichen, als nur dadurch, dass Er in seiner Vorsehung das abwendet, was über die Tragfähigkeit der Seinen hinausgeht.

„Edom“ setzt auch ein größeres Wissen darüber voraus, was Gott seinem schwachen Zeugnis geschenkt hat und was er damit beabsichtigt hat. Es ist „Gewalttat gegen deinen Bruder Jakob“ (Obad 10). Es ist nicht nur das Wissen um die Verheißungen Gottes für den Bruder, sondern auch um seine Schwächen. Auch um seine sündigen Versuche, sich mit fleischlichen Mitteln das anzueignen, was nur durch den Glauben und die Abhängigkeit von Gott ergriffen werden kann. Und es ist bereit, sich auf jede Handlung zu stürzen, die die Stellung der Absonderung des Bruders mit all seiner Schwachheit zu zerstören sucht (siehe Obad 10-14).

An vierter Stelle in dieser Gruppe vervollständigen die Philister also das Bild. Sie sind keine Familie des Volks Gottes, haben sich aber in der südwestlichen Ecke seines Landes eingenistet. Dort waren sie von früher her, aus Kreta stammend (siehe V. 16). Hätte das Volk Gottes bei der Eroberung des Landes die Macht des Namens „des Herrn der ganzen Erde“ (Jos 3,11) so angewandt, wie es der Glaube gebietet, so hätte die Stellung dieser Philister schlecht ausgesehen. Aber das Volk tat es nicht, im Gegenteil, die Philister konnten sich behaupten. Mehr noch, die Volksverschiebungen in der Zeit der Richter, haben über den nördlichen Seeweg ihre Stellung mit verwandten Gruppen gestärkt, die der zweieinhalb Stämme jenseits des Jordan, an die Pinehas sich richtete (siehe Jos 22,19). Diese Familienstämme der Philister haben eifrig von ihren Stammesverwandten gelernt, und die Stellung der Philister ist dadurch dauerhaft gestärkt worden, wie die Tage Simsons und Samuels bezeugen.

Doch sie wissen, dass sie nicht dort hingehören. „Denn welche Genossenschaft haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit der Finsternis. Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern (2. Kor 12,14-16)? Sie können daher nicht anders als „zur Zerstörung in ewiger Feindschaft“ hinausgeworfen zu werden“ (Hes 25,15). Sie sind nicht durch „die Tür“ eingegangen (Joh 10,9). Das Recht, errettet zu werden und „ein- und auszugehen und Weide zu finden“, fehlt ihnen daher völlig. Sie kannten nicht die Seelenübungen, die mit dem Jordan und der Überquerung dieses Flusses verbunden sind; sie stiegen woanders hinüber. Sie wählten den einfacheren Weg uns sind über das Meer gekommen. Der abfallende „Strand des Meeres“ gab ihnen die Möglichkeit, sie entgingen den Herzens- und Gewissensübungen wie wir sie in den ersten Kapiteln Josuas finden, wir man in den Bereich der Segnungen des Volkes Gottes kommt.

Und Gott hat ihnen nicht widerstanden. Wenn Er seinem Volk Prüfungen auf der östlichen Seite des Landes gibt, erlaubt Er, der die Grenzen des Landes leicht hätte schließen können, auf der Westseite ein Eindringen in diesen Bereich der Segnungen ohne Prüfungen, an einem Strand. Denn Er weiß, dass auf die Prüfungen der Väter eine Generation folgen wird, die diese Prüfungen nicht gekannt hat, und dass Er sie demütigen muss, indem Er sie dem Volk zur Seite stellen würde (Ri 2,3). Er wird in seiner Treue Israel dadurch prüfen: Und dies sind die Nationen, die der Herr bleiben ließ, um Israel durch sie zu prüfen, alle, die nichts wussten von allen Kriegen Kanaans – nur damit die Geschlechter der Kinder Israel Kenntnis davon bekämen, um sie den Krieg zu lehren: nur die, die vorher nichts davon gewusst hatten –: die fünf Fürsten der Philister“ (Ri 3,1-3).

Und Gott wird in seiner unerschütterlichen Treue und Barmherzigkeit dafür sorgen, dass es bis zum Kommen des Herrn Jesus solche geben wird, die diesen Krieg führen. Der Krieg, den die Väter kannten, als sie das Land in Besitz nahmen, lernte im demütigen Kampf gegen die unrechtmäßigen Besitzer dieses Landes, die dort bleiben werden bis zur Zeit der Entrückung der Versammlung. Und bis dahin werden sie versuchen, ihre unrechtmäßige Stellung zu verteidigen, die Gott jedoch zum Zweck der Erziehung seines Volkes zugelassen hat, „zur Zerstörung in ewiger Feindschaft“ (V. 15).

Lasst uns, geliebte Brüder, diese demütige Stellung anerkennen. Nur wir können sie erkennen, denn wir wissen um den Krieg der Väter. Und lasst uns unser Herz prüfen, inwieweit wir Kompromisse eingehen und den letzten Rest an Widerstand dem Feind überlassen wollen. Israel konnte in den Tagen Simsons die letzten Übriggebliebenen, die diesen Krieg noch aufnehmen wollten, in die Hände der Philister übergeben – nicht aus Hass gegen die Person Simsons, sondern nur um Ruhe zu haben (Ri 15,11-13). Soweit kann es auch bei uns kommen. Wir sind in der Lage, den letzten Bruder, der diesen Krieg führt, auszuliefern, nicht aus Hass gegen ihn, sondern wegen der Unruhe, die er verursacht, indem er sich in Dinge einmischt, „die ihn nichts angehen“. „Weißt du nicht, dass die Philister über uns herrschen? Und warum hast du uns das getan? Und er sprach zu ihnen: Wie sie mir getan haben, so habe ich ihnen getan“, sagen die Männer aus Juda zu Simson (Ri 15,11).

Es ist gut zu wissen, dass letztendlich der Herr selbst die Kontrolle über diese Angelegenheit übernehmen wird. Kein Simson wird unter ans am Ende Rache an den Philistern nehmen, sondern da der Herr selbst wird „durch Züchtigungen des Grimmes große Rache an ihnen üben. Und sie werden wissen, dass ich der Herr bin, wenn ich meine Rache über sie bringe“ (Hes 25,17).

Und dann wird, bald durch die herrliche Vereinigung Christi mit den Seinen, seine Versammlung mit Ihm eins sein in den Gedanken Gottes und deren Verwirklichung. Dann gibt es kein Ausliefern Simsons mehr. Und von Gottes Seite aus besteht keine Notwendigkeit mehr für eine Aufrechterhaltung der Feinde im Bereich seines Landes, das seinem Volk zur Demütigung gegeben wurde. „Und sie werden den Philistern auf die Schultern fliegen nach Westen, werden miteinander plündern die Söhne des Ostens; an Edom und Moab werden sie ihre Hand legen, und die Kinder Ammon werden ihnen gehorsam sein“ (Jes 11,14).

Fußnoten

  • 1 Siehe Le Darbysme, étudié à la lumière de la Parole de Dieu von Gustave A. Kruger, S. 32–34.
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