Betrachtung über den Propheten Hesekiel
Kapitel 1
Der Thron Gottes und die Kampfwagen seiner Regierung1
Es gibt viele Leser des Propheten Hesekiel, die nach der Lektüre des ersten Kapitels seines Buches wie der Prophet Sacharja (Sach 4,4) ausrufen mussten: „Was sind diese?“ Und bevor sie die Antwort auf diese Frage hatten, lasen sie weiter, ohne etwas zu verstehen. Sacharja erhob seine Augen, weil er wusste, dass die Antwort von oben kommen muss. Wir müssen bedenken, dass Gott hier wie überall zu unserem Nutzen zu uns spricht und dass Er allein uns den Einblick in seine Gedanken geben kann. Es gibt andere Leser, die mit ihrem eigenen Verstand und ihrer eigenen Weisheit eindringen wollen, doch sie haben vergessen, dass dies die Tiefen Gottes sind: Diese Weisen haben nichts gesehen und nichts verstanden. „Gott fängt die Weisen in ihrer List“ (1. Kor 1,27; Hiob 5,13). Er verbirgt diese Dinge vor ihnen und offenbart sie den Kindern. Die Mitteilungen dieses Buches sind für den demütigen Gläubigen nicht wie ein versiegeltes Buch, das man jemandem gibt, der lesen kann, und zu ihm sagt: Lies das, bitte; und er muss sagen: Ich kann nicht, denn es ist versiegelt (vgl. Jes 29,11.12). Nein, es ist ein aufgeschlagenes Buch, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Schauen wir es uns genauer an, und von der ersten Seite an, die wir lesen, werden wir etwas für uns darin finden. Wir alle können allein Jesus darin sehen, denn diese Schrift gibt, wie alle anderen, Zeugnis von Ihm. Wir sehen Ihn nicht in seinem Herabkommen und in seiner Erniedrigung, wie in den Evangelien, sondern auf einem Thron, und zwar über dem Firmament, droben – erhöht. Wie erhaben ist Er! Wie wunderbar ist es, Ihn mit Herrlichkeit umgeben zu betrachten! Hat es sich nicht gelohnt, dieses Kapitel zum ersten Mal zu lesen? Lesen wir es noch einmal, und wenn wir es zehnmal lesen, wird es für uns keine Zeitverschwendung sein: Jedes Mal werden wir etwas Neues entdecken, nämlich das eine oder andere Wunder.
Dieses Kapitel beschreibt uns den Thron Gottes und den Wagen seiner Regierung in den Himmeln und auf der Erde: Die Flügel sind für den Himmel, die Räder für die Erde. Es lehrt uns auch, den zu erkennen, der auf dem Thron sitzt, den, der alles über und unter dem Firmament regiert, leitet und lenkt. Ich muss nicht daran erinnern, dass Gott die Ausdehnung Himmel nannte (1. Mo 1,8).
Wenn wir das Wort lesen, müssen wir zunächst die Grundzüge des Themas betrachten, die uns der Heilige Geist vor Augen führt, bevor wir in Einzelheiten gehen. Wenn wir anders vorgehen, setzen wir uns der Gefahr aus, viel von dem Segen zu verlieren, der in den Seiten enthalten ist, die wir gerade lesen, und diese Empfehlung ist für das Kapitel, mit dem wir uns gerade beschäftigen, wirklich wichtig. Hier sind also die Grundzüge:
- Die Einleitung (V. 1–3)
- Die vier Attribute Gottes im Gericht vor, die die Träger seines Throns sind (V. 4–12).
- Dieser Thron zeichnet sich dadurch aus, dass er ein Thron des Gerichts ist (V. 13.14).
- Der Wagen seiner Regierung, dessen Räder auf der Erde sind (V. 15–21).
- Nun sind es nicht mehr Räder auf der Erde, sondern Flügel, die über die Ausdehnung fliegen (V. 22–25).
- Was sich über der Ausdehnung befindet. Dort ist ein Thron, und auf diesem Thron sitzt Er, der das Aussehen eines Menschen hat, ringsum von Glanz umgeben. Wie bewundernswert ist seine Person zu allen Zeiten! (V. 26–28)
Mögen diese wenigen Leitlinien, die wir aufgezeigt haben, uns befähigen, in Einzelheiten zu gehen. Möge der Herr uns dazu mit seiner mächtigen Hilfe beistehen, und wir werden von einem Wunder zum anderen geführt werden: Sein Wort ist voll davon, und in der Ewigkeit werden wir sie völlig kennen.
„Und es geschah im dreißigsten Jahr“. Was ist dieses dreißigste Jahr? Zu welchem Zweck gibt uns der Heilige Geist dieses Datum? Viele Gedanken sind zu diesem Punkt geäußert worden. Sicher ist, dass es sich um das dreißigste Jahr nach dem Passahfest handelt, das unter der Herrschaft des frommen Königs Josia in Jerusalem gefeiert wurde (2. Chr 35), und das lässt sich leicht nachprüfen.2 Diese Tatsache hat bereits einige andere beeinflusst. Damals wurde dem Volk Gottes eine sehr große Gnade zuteil: Es feierte das Fest seiner Befreiung aus Ägypten in größerem Maß als während der Regierungszeit aller Könige Israels. Man muss in der Geschichte des Volkes sehr weit zurückgehen, um ein solches Passahfest zu finden: bis in die Zeit des Propheten Samuel. Der fromme David und der herrliche Salomo hatten kein solches Fest gefeiert, wie das, das in jenem dreißigsten Jahr stattfand. Nun wurde das Volk in das Land der Chaldäer verschleppt: Der Prophet selbst befindet sich inmitten der Gefangenen, am Fluss Kebar. Welch ein Gegensatz! In Psalm 81,9 hatte der Herr gesagt: „Höre, mein Volk, und ich will gegen dich zeugen. O Israel, wenn du mir gehorchtest!“ Ach, Israel hatte nicht gehört; nicht einmal die Gnade hat es beeindruckt, deren Gegenstand es unter der Herrschaft Josias war. Es war zu seinen Götzen zurückgekehrt, und folglich kam das Gericht über das Volk. Der Thron Gottes ist nicht mehr in Jerusalem, sondern sehr weit von dieser Stadt entfernt, und was noch schrecklicher ist, sie hat sich gegen es und das Volk gewendet. Der Prophet sah die Visionen Gottes, und der Himmel wurde ihm geöffnet. Er sah den Thron des Gerichts und beschrieb ihn auf der ersten Seite seines Buches.
Wir müssen, wie schon gesagt, in erster Linie die vier lebendigen Wesen betrachten, die gleichsam die unerschütterlichen Träger dieses Throns waren. Sie sahen aus wie ein Mensch, und jedes von ihnen hatte vier Gesichter: das Angesicht eines Menschen, das für den Verstand, die Einsicht steht. Das Gesicht eines Löwen: die Stärke; denn der Löwe ist „der Held unter den Tieren, der vor nichts zurückweicht“ (Spr 30,30). Das Gesicht eines Adlers: Schnelligkeit im Gericht: Der Adler stürzt sich auf seine Beute, bevor er die Gefahr, die ihm droht, überhaupt wahrnimmt.
Der Sturmwind, der aus dem Norden kommt, die Wolke und das Feuer, die ineinander verschlungen sind, haben nur wenig Zeit, um die Bösen einzuhüllen und wegzutragen, wie ein Strohballen vor dem Wirbelwind. Der Anblick der lebendigen Wesen ist also der der Vernunft. Ihre Füße sind gerade, alles ist gerade in ihrem Gang. Diese Füße sind wie die Fußsohle eines Kalbes, ein fester und sicherer Gang. Sie glänzten wie leuchtendes Kupfer, was nicht zu verwechseln ist mit der Farbe des Metalls in Vers 4, von der wir noch sprechen werden. Hier erinnert es an den Verlauf des Gerichts, das die Schuldigen trifft. Sie hatten Flügel, die sie befähigten, sich über die Erde zu erheben, denn die himmlischen Bereiche sind auch ihr Wirkungskreis. Sie hatten Hände, mit denen sie arbeiteten. Sie wandten sich nicht um, wenn sie gingen, sondern gingen geradeaus, denn ihre Angesichter blickten in alle Richtungen. Der Geist leitete sie: Der Geist ist immer dort tätig, wo Gott wirkt, und durch den Geist wirkt Er alles.
In den Versen 13 und 14 finden wir die Gestalt der Tiere; ihr Aussehen war wie brennende Feuerkohlen. Wir finden glühende Ginsterkohlen in Psalm 120,4 als Bild für das Gericht, das die betrügerische Zunge verzehrt; und in Jesaja 6 verzehrten die glühenden Kohlen das Opfer des Altars und reinigten die verunreinigten Lippen des Propheten: die Hitze des Gerichtes. Und dann gibt es Fackeln, die die ganze Szene erhellten, nichts kann vor diesem Thron verborgen bleiben; Feuer, Blitze, nichts als Symbole des Gerichts. Der Prophet besieht sich die Tiere. Wir wollen sie auch betrachten.
Ab Vers 15 sehen wir ihr Wirken auf der Erde: „siehe, da war ein Rad auf der Erde neben den vier Tieren: vier Räder, die alle denselben Struktur hatten, als wäre ein Rad inmitten des Rades, und in der Lage, in die vier Richtungen zu gehen. Die Wagen der Menschen können nur vorwärts und rückwärts fahren; die Wagen der Völker (Sach 6,1) konnten nicht fahren, wohin sie wollten, da sie zwischen zwei Bergen aus Erz oder Kupfer standen. Mit dieser Art von Wagen kann man nicht fahren, wohin man will. Diejenigen, die sie lenken, haben nur eine begrenzte Kraft und einen begrenztes Arbeitsgebiet. Wenn aber der „Held, der in seiner Herrlichkeit reitet“, seinen Wagen lenkt, führt Er ihn, wohin Er will, ohne dass Er sich jemals umdrehen muss und ohne dass ein einziges Hindernis Ihn in seinem herrlichen Lauf aufhalten kann. Die Felgen seines Wagens waren hoch und furchtbar. Wie klein ist der Mensch in ihrer Gegenwart: Furchterregend ist er, wenn er vorbeifährt, weil er alles vor ihm zerschmettert. Diese Felgen waren voller Augen ringsum. Es ist ein Wagen, der aber nicht blind vorwärts fährt, denn alles ist ihm bekannt: das Verborgene wie alles andere; und Gott weiß, wen Er schlagen muss und wie Er es tun muss. Das Aussehen der Räder war wie der Anblick ein Chrysoliths; dieser Chrysolith ist ein Edelstein, der die Farbe des Goldes hat, das im Wort Gottes immer die göttliche Gerechtigkeit und Herrlichkeit darstellt. So erinnern diese Räder die Menschen an die göttliche Gerechtigkeit, die sie lernen werden, wenn die Gerichte Gottes die Erden treffen (Jes 26,9). Sie werden sie nicht lernen, wenn die Gnade durch die Gerechtigkeit regiert; sie werden sie durch das Gericht lernen. Die lebendigen Wesen führen den Wagen, und sie selbst werden vom Geist geführt. Der Wagen kann fahren, er kann stehenbleiben und er kann sich über die Erde erheben. Wehe dem Volk, wenn er sich in Bewegung setzt! Wunderbare Gnade, wenn er stillsteht! Nachdem er das Gericht über alles ausgeübt hat, was sich gegen Gott auflehnt, wird er sich über die Erde erheben können. Was für eine glückliche Zeit wird das sein!
In den Versen 22–25 erheben wir uns nun über die irdischen Dinge und betrachten die Ausdehnung, dies über allen mächtigen Autoritätsträgern der Regierung Gottes ist. Was über ihren Häuptern ist, sieht aus wie ein wundervoller Kristall. Der Kristall ist das Symbol der vollkommenen, unveränderlichen Reinheit, die durch nichts verändert werden kann. Wir sehen es im gläsernen Meer wie Kristall, das vor dem Thron ist (Off 4,6), und im Strom von Wasser des Lebens, glänzend wie Kristall, der von dem Thron Gottes und dem Lamm hervorgeht (Off 22,1). Das Wasser kann verunreinigt, beschmutzt werden, aber nichts kann den Glanz und die Reinheit des Kristalls auslöschen. Es ist schrecklich für einen Menschen, der ein Sünder und schuldig ist und im Schmutz der Sünde lebt, die unbewegliche und unveränderliche Reinheit des Himmels zu betrachten.
Über der Ausdehnung war eine Stimme, denn im Himmel ist derjenige, der befiehlt und die ganze Herrschaft ausübt, der kein Geschöpf in den Himmeln und auf der Erde entkommen oder sich entziehen kann. Hier wird diese Herrschaft in Verbindung mit den himmlischen Geschöpfen ausgeübt: Sie sind nicht mehr Räder auf der Erde, sondern Flügel. Diese Flügel sind gerade, wie die Füße der Tiere, denn alles in ihm ist gerade: Ob sie gegenüber den Menschen oder den Engeln handeln, es ist nie etwas Verkehrtes an ihnen. Mit zwei Flügeln bedecken sie ihren Körper, so wie die Seraphim in Jesaja 6 ihre eigene Schönheit bedeckten. Sie flogen, denn der Bereich ihres Wirkens erstreckt sich auch auf die himmlischen Dinge. Das Rauschen ihrer Flügel war wie das Rauschen großer Wasser, wie die Stimme des Allmächtigen, ein Rauschen eines Getümmels, wie das Rauschen eines Heerlagers. Was sind die Menschen angesichts der Stimme des Allmächtigen, und was sind ihre Heere im Vergleich zu den himmlischen Heerlagern?
Der Heilige Geist leitet uns an und lässt uns in den Versen 26–28 das sehen, was über der Ausdehnung ist: Da ist der Thron und der, der auf dem Thron sitzt: dort oben, in der Höhe. Über den Tieren ist die Ausdehnung, und über den Himmeln ein Thron, der wie ein Saphirstein aussieht. Der Saphir, ein blauer Stein, ist das Symbol der himmlischen Dinge.
Wir weisen auf das Wort „die Gestalt [Gleichnis]“ hin, das in diesem Kapitel so oft vorkommt. Der Heilige Geist bedient sich irdischer Dinge, um uns das Himmlische begreiflich zu machen, und natürlich sind es dann nur Abbilder: Es ist die Gestalt von Lebewesen, denn solche Lebewesen findet man auf der Erde nicht. Es ist die Gestalt eines Thrones; was sind die Throne dieser Welt gegenüber dem Thron, den wir hier haben? Es ist das Aussehen eines Menschen, und dieser Mensch war auf der Erde „in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“ (Röm 8,3). Auf der Gestalt eines Thrones war das Aussehen eines Menschen. Ja, aber in seiner ganzen Größe und Unendlichkeit ist Er auch ein Mensch, und ein Mensch, der richtet; Gott, der das irdische Reich in Gerechtigkeit richten muss durch den Menschen, den Er dazu bestimmt hat, und allen die Gewissheit gibt, indem Er Ihn von den Toten auferweckt hat (Apg 17,31).
Was für eine Person ist Er! Wenn ich in den Himmel hinaufsteige, ist Er da; wenn ich in die Hades hinabsteige, siehe, Er ist da! Hier ist Er im höchsten der Himmel. Von seinen Lenden aufwärts abwärts (d. h. seine Beine) hat Er das Aussehen von Feuer. Er wandelt im Gericht. Vorher wandelte Er in der Welt in Gnade. Er, der der Retter ist, ist auch der Richter. Von seinen Lenden aufwärts (das heißt: seinem Körper, seine Person) sieht Er aus wie ein Glanz um ihn. Das heißt: leuchtendes Metall, aus einer uns unbekannten Substanz; wahrscheinlich eine Verbindung von Gold und Silber. Wenn das so ist, dann sehen wir hier symbolisch, was übrigens immer für Ihn gilt: göttliche Gerechtigkeit, Sühnung und Gericht.
Welch eine herrliche Person ist Er: Es umgibt Ihn ein Glanz! Dieser Glanz hat das Aussehen eines Bogens, der sich am Regentag mit strömendem Regen in der Wolke befindet. Der Regenbogen ist das bleibende Zeichen des Bundes der Gnade Gottes mit der Schöpfung, die Erde nicht mehr durch die Wasser der Sintflut zu zerstören (1. Mo 9). Sogar auf dem Thron seiner Regierung vergisst Er nicht seinen Bund mit seinen Geschöpfen.
So sieht das Aussehen des Bildes der Herrlichkeit des Herrn aus. Der Prophet fällt nieder auf sein Angesicht: Er, der auf dem Thron sitzt, ist würdig, unablässig angebetet zu werden. Mögen wir Ihn besser kennenlernen, uns für alles interessieren, was mit seiner Herrlichkeit zu tun hat, und die Heilige Schrift prüfen, denn sie legt Zeugnis von Ihm ab. Mögen diese wenigen Zeilen uns dazu bringen, dieses wunderbare Kapitel zu betrachten und daraus viele andere Reichtümer zu schöpfen: Es ist das Unendliche, wie alles Göttliche unendlich ist.
Fußnoten
- 1 Diese Betrachtung des ersten Kapitels ist die Übersetzung eines Artikels von Fr. A. Guignard in Le messager évangélique von 1929; übersetzt von D. Boom.
- 2 Andere Ausleger denken an das Alter des Propheten, in dem er zu einem Priester geweiht worden wäre, wenn der Gottesdienst noch hätte ausgeführt werden können (vgl. die Erklärung zu Kapitel 1,1 in http://biblische-lehre-wm.de/wp-content/uploads/AT-26-Hesekiel.pdf) [WM].