Vorträge zum Matthäusevangelium

Kapitel 13

Am Ende des vorigen Kapitels brach unser Herr alle natürlichen Bande ab, die Ihn mit Israel verknüpften. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß Er diesen Wechsel nur als Gegenstand Seiner Lehre vorstellte; denn wir wissen, daß, geschichtlich gesehen, dieser Bruch erst wirklich und endgültig am Kreuz vollzogen wurde. Doch hinsichtlich des Dienstes, wenn man so sagen darf, war der Bruch schon geschehen und wurde jetzt aufgezeigt. Der Herr nahm die Anspielung auf Mutter und Brüder als Anlaß, um anzudeuten, wer nun Seine wahre Verwandtschaft ist. Es waren nicht länger die, welche mit Ihm über fleischliche Bande in Verbindung standen. Als einzige Familienmitglieder konnte Er jetzt nur noch diejenigen anerkennen, welche den Willen des Vaters im Himmel taten. Er anerkannte ausschließlich die Bindung, die durch die Annahme des Wortes Gottes im Herzen und durch Gehorsam gegen dasselbe geknüpft wurde.

Der Heilige Geist verfolgt dieses Thema weiter, indem Er eine Zusammenstellung von Gleichnissen berichtet, welche uns die Quelle, den Charakter, das Verhalten und die Zukunft dieser neuen Familie, bzw. auf jeden Fall derjenigen, welche dem Bekenntnis nach zu ihr gehören, gibt. Das finden wir in Matthäus 13. Dieses Kapitel ist wieder ein treffendes Beispiel, wie offenkundig der Heilige Geist den Stoff in die besondere Form gebracht hat, in welcher wir ihn finden; denn wir wissen, daß unser Herr mehr Gleichnisse ausgesprochen hat, als hier vorgestellt werden. Vergleichen wir diese nämlich mit denen im Markusevangelium, so finden wir dort ein Gleichnis, welches wesentlich von allen durch Matthäus aufgezeichneten abweicht. Bei Markus geht ein Mensch hin und besät den Acker. Danach wechseln für ihn Schlafen und Wachen in regelmäßiger Folge „Nacht und Tag“, während er auf Keimung, Reife und Ernte wartet. Zuletzt erntet er. (Markus 4, 26–29). Dieses Gleichnis unterscheidet sich beachtlich von den Gleichnissen des ersten Evangeliums; obwohl wir von Markus erfahren, daß alle genannten Gleichnisse am selben Tag erzählt wurden. „In vielen solchen Gleichnissen redete er zu ihnen das Wort, wie sie es zu hören vermochten. Ohne Gleichnis aber redete er nicht zu ihnen. . . Und an jenem Tage, als es Abend geworden war, spricht er zu ihnen: Laßt uns übersetzen an das jenseitige Ufer.“ (Markus 4, 33–35).

So wie der Heilige Geist durch Markus (und Lukas) gewisse Gleichnisse auswählte, um sie in sein Evangelium einzufügen, während Er andere wegließ, so war es auch bei Matthäus. Der Heilige Geist teilt uns durch letzteren ausführlich Gottes Gedanken über das neue Zeugnis mit, welches gewöhnlich „Christenheit“ oder „Christentum“ genannt wird. Folglich bereitet uns schon der Anfang des Kapitels auf den neuen Schauplatz vor. „An jenem Tage aber ging Jesus aus dem Hause hinaus und setzte sich an den See.“ (V. 1). Bis dahin stand das Haus Gottes mit Israel in Verbindung. Dort wohnte Gott, soweit, hinsichtlich der Erde, überhaupt von Seinem Wohnen gesprochen werden konnte. Er nannte Israel Seine Wohnung. Doch Jesus ging aus dem Haus hinaus und setzte sich an den See. Wir wissen alle, daß in der symbolischen Sprache des Alten und Neuen Testaments der See Menschenmassen versinnbildlicht, die außerhalb der festgesetzten Regierung Gottes hin und her getrieben werden. „Und es versammelten sich große Volksmengen zu ihm, sodaß er in ein Schiff stieg und sich setzte.“ (V. 2). Von dort aus belehrte Er sie. „Und die ganze Volksmenge stand am Ufer.“ Schon die Tat unseres Herrn deutete an, daß es sich um ein weitausgebreitetes Zeugnis handeln sollte. Die Gleichnisse selbst blieben nicht auf den Wirkungskreis der früheren Handlungsweisen unseres Herrn beschränkt. Sie füllten einen weit ausgedehnteren Bereich als irgend etwas, von dem in früheren Zeiten gesprochen worden war.

„Er redete vieles in Gleichnissen zu ihnen.“ (V. 3). Damit wird keineswegs angedeutet, daß uns alle Gleichnisse, die der Herr verkündete, mitgeteilt werden. Der Heilige Geist gibt uns eine Folge von sieben miteinander verbundenen Gleichnissen. Sie werden in ein übereinstimmendes System gebracht und zusammengefügt, wie ich versuchen will aufzuzeigen. Ganz offensichtlich übte der Geist Gottes hinsichtlich der Auswahl der Gleichnisse eine gewisse Autorität aus; denn wir wissen alle, daß die Zahl Sieben in der Bibel Vollständigkeit ausdrückt. Ob von bösen oder guten Geistern gesprochen wird, ob in der einen oder anderen Form – gewöhnlich wird die Zahl Sieben benutzt. Auch die „Zwölf“ weist in symbolischer Sprache auf eine Vollständigkeit hin; diese bezieht sich jedoch nicht auf geistliche Dinge, sondern auf Angelegenheiten der Menschen. Wo menschliche Verwaltung, um Gottes Absichten auszuführen, gezeigt werden soll, erscheint die Zahl Zwölf. Folglich gibt es zwölf Apostel, die in besonderer Beziehung zu den zwölf Stämmen Israels stehen. Wenn jedoch die Kirche (Versammlung) dargestellt werden soll, hören wir wieder von der „Sieben“ – von „sieben Versammlungen“. (Offenbarung 1–3). Wie dem auch sei, wir finden hier jedenfalls sieben Gleichnisse. Gott ordnete es so, um uns ein vollständiges Bild von der neuen Ordnung der Dinge zu geben, die eingeführt werden sollte. Es geht um Christentum und Christenheit, und zwar um die wahre Christenheit sowie auch um die unechte.

Als Erstes erhebt sich die Frage: Wie kommt es, daß wir im Matthäusevangelium diese Folge von Gleichnissen finden und nirgendwo sonst? Einige von ihnen stehen auch im Markus- bzw. Lukasevangelium; aber bei Matthäus finden wir sieben, also die vollständige Liste. Die Antwort lautet: Nichts könnte passender sein, als diese Gleichnisse in dem Evangelium zu schildern, welches uns Jesus als Messias an Israel vorstellt und uns zeigt, was Gott als Konsequenz Seiner Verwerfung als nächstes tun würde. Was konnte für die Jünger, nachdem ihre jüdischen Hoffnungen hinweg geschmolzen waren, wichtiger sein, als das Wesen und das Ende dieses neuen Zeugnisses kennenzulernen? Was würde sich ergeben, falls der Herr Sein Wort unter die Nationen aussandte? Darum ist Matthäus’ Evangelium das einzige, welches uns eine vollständige Skizze des Reiches der Himmel gibt. Das gilt auch für den Hinweis auf die Gründung der Kirche durch den Herrn. Ausschließlich dieses Evangelium stellt beide Wahrheiten heraus. Darauf wollen wir allerdings an anderer Stelle eingehen. Wir sollten jedoch beachten, daß das Reich der Himmel nicht dasselbe ist wie die Kirche (Versammlung). Ersteres ist vielmehr der Schauplatz, wo die Autorität Christi zumindest äußerlich anerkannt wird. Sei er es wirklich oder nicht – jeder bekennende Christ befindet sich im Reich der Himmel (und nicht ein Türke [d. h. Mohammedaner; Übs,], ein Jude oder natürlich ein Heide). Jede Person, die – vielleicht nur durch einen äußeren Ritus – sich zu Christus bekannt hat, bleibt nicht länger Jude oder Heide, sondern befindet sich im Reich der Himmel. Das ist etwas ganz anderes, als von neuem geboren zu sein und vom Heiligen Geist in den Leib Christi hineingetauft zu werden. Wer den Namen Christi trägt, gehört zum Reich der Himmel. Wenn auch nur als Unkraut – er befindet sich darin. Das ist eine sehr ernste Erwägung. Wo immer man Christus äußerlich bekennt, steht man unter einer Verantwortlichkeit, die jene der übrigen Menschen übertrifft.

Das erste Gleichnis wurde ganz offensichtlich verwirklicht, als Christus auf der Erde war. Es ist allgemein gehalten und kann auf den Herrn sowohl persönlich als auch dem Geist nach angewandt werden. Deshalb können wir sagen, daß das darin Geschilderte immer abläuft. Dafür spricht, daß wir auch im zweiten Gleichnis den Herrn als Sämann guten Samens beschrieben finden. Nur wird dort ausdrücklich vom „Reich der Himmel“ gesprochen, welches einem Mann gleicht, der guten Samen auf sein Feld sät. Das erste spricht von Christi Werk während Seiner Anwesenheit auf der Erde, als Er das Wort unter den Menschen verbreitete. Das zweite bezieht sich viel mehr auf unseren Herrn, wie Er durch Seine Knechte sät. Das heißt: Der Heilige Geist wirkt in ihnen nach dem Willen des Herrn, während Letzterer im Himmel weilt und das Reich der Himmel schon aufgerichtet ist. Diese Einsicht liefert sofort einen wichtigen Schlüssel zum Thema. Wenn der Gegenstand des ersten Gleichnisses also ganz allgemein ist, dann finden wir in seiner sittlichen Lehre vieles, das wir genauso gut auf die heutige Zeit anwenden können wie auf die damalige, als unser Herr über die Erde wandelte. „Der Säemann ging aus zu säen“ (V. 3) – wahrhaftig, eine wichtige Wahrheit!

Das war nicht das, was die Juden von ihrem Messias erwarteten. Die Propheten zeugten von einem strahlenden Herrscher, der sein Reich in ihrer Mitte aufrichten würde. Zweifellos gab es klare Vorhersagen von Seinen Leiden sowie auch von Seiner Erhöhung. Unser Gleichnis beschreibt weder Leiden noch äußere Herrlichkeit, sondern ein Werk unseres Herrn von ganz anderer Art, als irgendein Jude natürlicherweise aus der Fülle der Prophezeiungen herausgelesen hätte. Nichtsdestoweniger, glaube ich, spielte unser Herr auf Jesaja an. Genau genommen handelt es sich nicht um das Evangelium der Gnade und des Heils an die Armen, Elenden und Schuldigen. Er spricht von einer Person, die gekommen war, um die Früchte des Weinbergs in Israel zu beanspruchen (Jesaja 5), aber statt dessen ein völlig neues Werk beginnen mußte. Indem ein Sämann ausging, um zu säen, wird ganz offensichtlich gezeigt, daß etwas Neues anfing, welches es vorher noch nicht gab. Der Herr begann ein Werk, welches in der Welt bisher unbekannt war.

„Und indem er säte, fiel etliches an den Weg, und die Vögel kamen und fraßen es auf.“ (V. 4). Dieser Fall war offensichtlich am hoffnungslosesten. Alle Mühe war vergeblich. Das lag jedoch nicht am Samen, sondern an der zerstörerischen Wirksamkeit der Vögel, welche das Gesäte verschlangen.

„Anderes aber fiel auf das Steinichte, wo es nicht viel Erde hatte; und alsbald ging es auf, weil es nicht tiefe Erde hatte.“ (V. 5). Jetzt sah alles viel verheißungsvoller aus. Das Wort wurde angenommen; doch der Boden war steinig. Da war keine tiefe Erde. Man sah sehr schnell etwas – „alsbald ging es auf.“ Es ist sehr ernst, wenn Seelen sofort reagieren. Was die menschliche Natur in den Dingen Gottes bewirken kann, bringt sie in kürzester Zeit zur Reife. Sie hat kein oder nur wenig Empfinden von Sünde. Alles wird angenommen – aber viel zu bereitwillig. Sie findet den „Heilsplan“ ausgezeichnet; eine Erleuchtung des Herzens ist nicht zu leugnen. Eine solche Person hat allerdings niemals ihren schrecklichen Zustand in den Augen Gottes erwogen. Sie schmeckt das gute Wort Gottes; doch der Grund ist steinig. Das Gewissen ist nicht betroffen. Bei einem wirklichen Werk im Herzen ist das Gewissen der Boden, in welchem das Wort Gottes seine Wirkung entfaltet. Niemals kann ein echtes Werk Gottes stattfinden ohne ein Bewußtsein der Sünde. Das sollte eine Seele, die vom Evangelium angezogen und gefesselt ist, ernstlich bedenken. Sie hat es in Wahrheit mit dem gepriesenen Gott von Angesicht zu Angesicht zu tun, der zu ihr von ihrem Ruin spricht. In dem Fall vor uns werden warme Gefühle erregt; die Sünde bleibt hingegen unbeachtet. Das Wort wird „alsbald“ angenommen, doch der Grund ist steinig. Es fehlt jegliche Wurzel, weil die Erde nicht tief genug ist. Folglich, „als aber die Sonne aufging, wurde es verbrannt, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es.“ (V. 6).

Doch lesen wir weiter! „Anderes aber fiel unter die Dornen; und die Dornen schossen auf und erstickten es.“ (V. 7). Das ist ein neuer Fall. Hier geht es genau genommen nicht um ein Herz, welches das Wort sofort aufnimmt. Und, laßt es mich wiederholen, wir können dem Herzen genauso wenig trauen wie dem Kopf. Das Fleisch unterscheidet sich in den verschiedenen Menschen. Bei dem einen überwiegt der Verstand, bei einem anderen das Gefühl. Doch beide können nicht in einer errettenden Weise das Wort Gottes annehmen, wenn der Heilige Geist nicht an dem Gewissen wirkt und das Bewußtsein vom völligen Verlorensein weckt. Wo letzteres stattfindet, geschieht ein wirkliches Werk Gottes, welches durch Betrübnis und Schwierigkeiten nur um so tiefgründiger wird. Jene, die den Samen „unter Dornen“ annehmen, gehören zu einer Menschengruppe, welche sich von den Sorgen dieses Zeitlaufs verschlingen und durch den Betrug des Reichtums verführen lassen. Das Wort wird erstickt; und die Frucht kommt nicht zur Reife.

Zuletzt folgt der gute Boden. „Anderes aber fiel auf die gute Erde und gab Frucht: das eine hundert-, das andere sechzig-, das andere dreißigfältig. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (V. 8–9). Der Sämann hier ist unser Herr. Doch von Seinen vier Auswürfen des Samens bleiben drei fruchtlos. Nur im letzten Fall trägt der Same reife Frucht. Aber selbst da fällt die Ausbeute unterschiedlich aus und die Reifung wird behindert – „das eine hundert-, das andere sechzig-, das andere dreißigfältig.“ Welch eine Geschichte erzählt uns dies vom Herzen des Menschen und von der Welt! Sogar dort, wo das Herz die Wahrheit nicht abweist, sondern annimmt, gibt es sie leicht und schnell wieder auf. Derselbe Wille, der einen Menschen das Evangelium glücklich annehmen läßt, führt ihn auch dazu, es angesichts von Schwierigkeiten wieder fallenzulassen. Dennoch ruft das Wort in einigen Fällen gesegnete Wirkungen hervor. Es gelangt auf guten Boden und bringt in unterschiedlichem Maß Frucht. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Das ist eine ernste Ermahnung an die Seelen, gut darauf zu achten, ob sie entsprechend der Wahrheit, die sie empfangen haben, Frucht bringen oder nicht.

Der Herr erklärte diese Bilder. Doch zunächst kamen die Jünger und fragten Ihn: „Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen? Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Weil euch gegeben ist, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu wissen, jenen aber ist es nicht gegeben.“ (V. 10–11). Die Gleichnisse sollten der Wolke Israels in früheren Tagen gleichen – voll Licht nach innen, voller Dunkelheit für die, welche draußen sind. Ebenso ist es auch mit den Reden unseres Herrn. Die Krise war jetzt so ernst, daß der Herr kein klareres Licht zu geben beabsichtigte. Ein Gewissen war nicht mehr da. Der Herr war in ihrer Mitte und brachte volles Licht. Er wurde indessen abgelehnt – vor allem von den religiösen Führern der Nation. Er hatte jetzt mit ihnen gebrochen. Darin liegt der Schlüssel zu Seinem Verhalten. „Euch (ist) gegeben. . . zu wissen.“ Vor den Volksmengen wurde das Licht verborgen, und zwar, weil sie schon die eindeutigsten Beweise davon, daß Jesus der Messias Gottes war, verworfen hatten. Es geschah ihnen nach den Worten: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluß haben.“ (V. 12). Das galt für die Jünger. Sie hatten die Person des Herrn angenommen; und nun gab Er ihnen neue Wahrheiten, um sie weiterzuführen. „Wer aber nicht hat“ – das ist Israel, welches Christus verwarf – „von dem wird selbst was er hat, genommen werden.“ Der Herr war körperlich anwesend. Aber Seine Gegenwart und ihr Beweis durch die Wunder sollten bald zu Ende sein.

„Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören, noch verstehen.“ (V. 13). Jene Strafe der Verfinsterung, welche Jesaja schon vor Hunderten von Jahren verkündet hatte, sollte jetzt besiegelt werden. Dennoch gab ihnen der Heilige Geist ein neues Zeugnis. Daher wird dieser Richterspruch später noch einmal zitiert, um aufzuzeigen, daß seine Voraussage hinsichtlich Israels erfüllt ist. (Apostelgeschichte 28, 23–29). Sie liebten die Finsternis mehr als das Licht. Was nützt das Licht, wenn man die Augen schließt? Darum sollte es ihnen weggenommen werden. „Glückselig aber eure Augen, daß sie sehen, und eure Ohren, daß sie hören; denn wahrlich, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr anschauet, und haben es nicht gesehen; und zu hören, was ihr höret, und haben es nicht gehört.“ (V. 16–17).

Darauf folgt die Erklärung des Gleichnisses. Die Bedeutung der „Vögel“ wird uns mitgeteilt. Sie wird nicht unserer Mutmaßung überlassen. „So oft jemand das Wort vom Reiche hört. . .“ (V. 19). Dieses wurde damals gepredigt. Es ist also genaugenommen nicht „das Wort vom Evangelium“, sondern „vom Reiche“. „So oft jemand das Wort vom Reiche hört und nicht versteht. . .“ Im Lukasevangelium wird es nicht „das Wort vom Reiche“ genannt, auch lesen wir nicht den Ausdruck „und nicht versteht“. Es ist interessant, den Unterschied zu beachten, denn er zeigt die Art, wie der Heilige Geist in diesen Evangelien gewirkt hat. Betrachte zum Beispiel Lukas 13! Einige unserer Gleichnisse finden wir schon in Lukas 8. „Dies aber ist das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes“ (Lukas 8, 11) – nicht das „Wort vom Reiche“, sondern das „Wort Gottes“. Natürlich gibt es viele Gemeinsamkeiten in den beiden Berichten. Doch der Geist Gottes hat eine weise Absicht, indem Er diese unterschiedlichen Ausdrücke benutzt. Sie wären nur eine gefundene Gelegenheit für einen Feind der Wahrheit, wenn es nicht gute Gründe für diese Unterschiede gäbe. Ich wiederhole: Im Matthäusevangelium ist es „das Wort vom Reiche“ und bei Lukas „das Wort Gottes“. In letzterem heißt es: „auf daß sie nicht glauben“, und im ersteren: „und nicht versteht“.

Was wird durch diese Unterschiede gelehrt? Offensichtlich hat der Heilige Geist im Matthäusevangelium besonders das jüdische Volk vor Augen, obwohl das Wort zu gelegener Zeit zu den Nichtjuden ausgehen sollte. Im Lukasevangelium sieht der Herr insbesondere Letztere vor sich. Die Juden wußten, daß Gott ein großes Königreich aufrichten wollte, das alle anderen Königreiche verschlingen würde. Sie waren mit dem Wort Gottes bekannt und daher verantwortlich, das zu verstehen, was Gott lehrte. Sie besaßen schon Sein Wort, obwohl Aberglaube und Selbstgerechtigkeit es niemals verstanden haben. (Heftiger Widerspruch wäre die Folge gewesen, wenn man zu einem Juden gesagt hätte, er würde Jesaja nicht glauben!). Jetzt kam die ernste Frage: Verstehst du das Wort Gottes? Wenn wir hingegen die Heiden betrachten, so besaßen sie keine „lebendigen Aussprüche“. (Apostelgeschichte 7, 38). Bei ihnen ging es um Glauben an das, was Gott sagte. Dies finden wir im Lukasevangelium. Ein Nichtjude hat sich dem zu beugen, was Gott sagt, anstatt seine eigene Weisheit zu erheben.

Wir merken also, daß Völker, die das Wort Gottes nicht haben und durch das Evangelium, welches zu gegebener Zeit zu ihnen gelangte, geprüft wurden, an etwas glauben sollten, das ihnen vorher niemals vorgestellt worden war. Im Matthäusevangelium wird zu einem Volk gesprochen, welches das Wort Gottes schon besaß. Bei ihnen ging es um das Verständnis. Sie hatten jedoch keins. Der Herr deutete an, daß, auch wenn sie mit ihren Ohren hörten, sie mit ihren Herzen doch nicht verstanden. – So werden jene Unterschiede, wenn wir sie mit den verschiedenen Gedanken und Gegenständen der beiden Evangelien verbinden, für uns einsichtig sowie interessant und lehrreich.

„So oft jemand das Wort vom Reiche hört und nicht versteht.“ Daraus lernen wir noch eine andere ernste Wahrheit. Das große Hindernis für geistliches Verständnis ist das religiöse Vorurteil. Die Juden wurden beschuldigt, daß sie nicht verstanden. Sie waren weder Götzendiener, noch offen Ungläubige. Sie hatten jedoch ein religiöses System in ihren Herzen, in welches sie von Kindheit an eingeübt worden waren und welches ihr Verständnis für das, was der Herr herausstellte, verfinsterte. So ist es auch heute. Unter den wilden Heiden findet man einen bösen sittlichen Zustand und doch gleichzeitig jene Art unfruchtbarer Wildnis, in die man das Wort Gottes freigebig säen kann und wo es, wenn die Gnade will, auch geglaubt wird. Das ist dort nicht der Fall, wo die Menschen in religiösen Riten und Aberglaube auferzogen wurden. Hier besteht die Schwierigkeit im Verständnis des Wortes.

„Der Böse (kommt) und reißt weg, was in sein Herz gesät war.“ Die Vögel im ersten Gleichnis entsprechen also dem Bösen, der das Wort vom Reich wegnimmt, sobald es ausgesät ist. „Der aber auf das Steinichte gesät ist, dieser ist es, der das Wort hört und es alsbald mit Freuden aufnimmt.“ (V. 20). Hier wird das Herz mit seinen Gefühlen bewegt, ohne das Gewissen zu treffen. Das Wort wird schnell mit Freuden aufgenommen. Das Herz ist glücklich; doch damit ist schon alles zu Ende. Allein der Heilige Geist zeigt der Seele, indem Er am Gewissen wirkt, wie alles in den Augen Gottes aussieht. „Er hat aber keine Wurzel in sich, sondern ist nur für eine Zeit; und wenn Drangsal entsteht oder Verfolgung um des Wortes Willen, alsbald ärgert er sich.“ (V. 21). Danach folgt der dornige Boden. „Der aber unter die Dornen gesät ist, dieser ist es, der das Wort hört, und die Sorge dieses Lebens und der Betrug des Reichtums ersticken das Wort, und er bringt keine Frucht.“ (V. 22). Es mag Fälle geben, die eine Zeitlang verheißungsvoll aussehen. Doch Besorgnis wegen der Dinge dieser Welt oder die schmeichelnde Behaglichkeit des Wohlstands auf der Erde machen einen solchen Menschen fruchtlos; und alles ist aus. „Der aber auf die gute Erde gesät ist, dieser ist es, der das Wort hört und versteht [es geht immer um geistliches Verständnis], welcher wirklich Frucht bringt; und der eine trägt hundert-, der andere sechzig-, der andere dreißigfältig.“ (V. 23).

Jetzt kommen wir zum ersten Gleichnis vom Reich der Himmel. Dasjenige vom Sämann zeigte das vorbereitende Werk unseres Herrn auf der Erde. „Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel ist einem Menschen gleich geworden, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während aber die Menschen schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging hinweg.“ (V. 24–25). Genau das ist mit dem Bekenntnis Christi geschehen. Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Böse unter die Christen eindringen kann. Die erste ist die Unwachsamkeit der Christen. Sie verfallen in Sorglosigkeit und schlafen. Dann kommt der Feind und sät Unkraut. Das begann schon früh in der christlichen Zeit. Die Keime davon finden wir schon in der Apostelgeschichte und noch mehr in den Briefen. Der 1. Thessalonicherbrief ist der erste inspirierte Brief, den der Apostel Paulus schrieb; den zweiten sandte er kurze Zeit später. Und doch teilte er den Thessalonichern mit, daß das Geheimnis der Gesetzlosigkeit schon wirkte und daß weitere Entwicklungen folgen würden, wie der Abfall von Gott und der Mensch der Sünde. Wenn dann die Gesetzlosigkeit völlig offenbar geworden ist und nicht mehr nur heimlich wirkt, wird der Herr den Gesetzlosen und alles mit ihm Verbundene vernichten. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ähnelt dem Säen des Unkrauts in unserem Abschnitt. Einige Zeit später, „als aber die Saat aufsproßte und Frucht brachte“, als das Christentum anfing auf der Erde große Fortschritte zu machen, „da erschien auch das Unkraut.“ (V. 26). Es ist jedoch offensichtlich, daß das Unkraut gleich nach dem guten Samen ausgesät wurde. Welches Werk Gott auch immer unternimmt, Satan folgt Ihm unmittelbar auf dem Fuß. Als der Mensch erschaffen war, hörte er auf die Schlange und fiel. Als Gott das Gesetz gab, wurde es schon gebrochen, bevor es in die Hände Israels gelangte. Das ist regelmäßig die Geschichte der menschlichen Natur.

So wurde Unheil auf dem Feld angerichtet und nie wiedergutgemacht. Das Unkraut soll zur gegenwärtigen Zeit nicht ausgerissen werden; es wird jetzt nicht gerichtet. Heißt das: Wir sollen in der Kirche (Versammlung) Unkraut zulassen? – Wenn das Reich der Himmel mit der Kirche identisch wäre, dann gäbe es keine Zucht. Wir müßten jede Unreinheit des Fleisches und des Geistes zulassen, nämlich Flucher, Trunkenbolde, Ehebrecher, Sektierer, Irrlehrer, Antichristen und alle übrigen. Wir sehen also, wie wichtig es ist, den Unterschied zwischen der Kirche und dem Reich zu beachten. Der Herr verbietet, das Unkraut aus dem Reich der Himmel auszureißen. „Laßt es beides zusammen wachsen bis zur Ernte.“ (V. 30), das heißt, bis der Herr kommt zum Gericht. Wären Reich der Himmel und Kirche dasselbe, dann würde das, wie ich wiederhole, nichts weniger bedeuten, als daß nichts Böses, und sei es noch so empörend oder offensichtlich, vor dem Tag des Gerichts aus der Kirche hinausgetan werden dürfte. Wir erkennen also die Wichtigkeit dieser Unterscheidung, welche zu viele mißachten. Sie ist von allergrößter Bedeutung für die Wahrheit und Heiligkeit; denn es gibt kein einziges Wort Gottes, welches wir nicht unbedingt benötigen.

Was soll dieses Gleichnis aussagen? – Es hat nichts mit dem Problem der Kirchengemeinschaft zu tun. Hier ist vom „Reich der Himmel“ die Rede, das heißt dem Schauplatz, wo es ein echtes und ein unechtes Bekenntnis zu Christus gibt. Folglich sind die Griechisch-Orthodoxen, die Kopten, die Nestorianer, die Römisch-Katholischen sowie auch alle Protestanten im Reich der Himmel. Das sind nicht nur die Gläubigen, sondern auch alle schlechten Menschen, die den Namen Christi bekennen. Ein Mann, der weder Jude, noch Heide ist und äußerlich Christi Namen bekennt, befindet sich im Reich der Himmel. Er mag noch so unsittlich und ketzerisch sein, trotzdem soll er nicht aus dem Reich der Himmel geworfen werden. Aber wäre es richtig, ihn am Tisch des Herrn zuzulassen? – Gott bewahre! Die Kirche, d. h. die Versammlung Gottes, und das Reich der Himmel sind zwei ganz verschiedene Dinge.

Wenn ein Mensch, der sich in der Versammlung Gottes befindet, in offene Sünde fällt, muß er hinausgetan werden. Doch wir sollen ihn nicht aus dem Reich der Himmel entfernen. Tatsächlich kann letzteres nur geschehen, indem ihm sein Leben genommen wird; denn das bedeutet das Ausreißen des Unkrauts. In diesen Fehler fiel die weltliche Christenheit nicht lange, nachdem die Apostel die Erde verlassen hatten. Anstelle der Zucht wurden zeitliche Strafen eingeführt. Gesetze wurden aufgestellt, um den Widerspenstigen der diensteifrigen bürgerlichen Macht zu übergeben. Wenn Menschen die sogenannte Kirche nicht ehrten, durften sie nicht am Leben bleiben. Auf diese Weise geschah gerade das Übel, vor dem unser Herr Seine Jünger warnte. Der Kaiser Konstantin benutzte das Schwert, um kirchliche Übertreter zu unterdrücken. Er und seine Nachfolger führten zeitliche Strafen ein, um dem Unkraut zu begegnen und es nach Möglichkeit auszurotten.

Nehmen wir die Kirche Roms, wo die Verwirrung bezüglich der Kirche und dem Reich der Himmel sehr groß ist! Sie beansprucht für sich das Recht, einen Ketzer den Gerichtshöfen der Welt zu übergeben, damit er verbrannt werde. Sie bekannte oder korrigierte nie dieses Unrecht, weil sie behauptet, unfehlbar zu sein. Selbst wenn wir voraussetzen, daß ihre Opfer Unkraut waren, so war ihre Handlungsweise ein Herausreißen aus dem Reich der Himmel. Wenn ein Unkraut auf dem Feld ausgerissen wird, so stirbt es. Es gibt Menschen, die äußerlich den Namen Gottes bekennen und ihn trotzdem entweihen; dennoch haben wir sie Gott für Sein Gericht zu überlassen.

Das hebt nicht die Verantwortung der Christen jenen gegenüber auf, welche den Tisch des Herrn umgeben. Belehrung hierüber finden wir in den Bibelstellen, die sich mit der Kirche beschäftigen. „Der Acker aber ist die Welt.“ (V. 38). Die Kirche enthält nur diejenigen, welche wir als Glieder des Leibes Christi anerkennen können. Im 1. Korintherbrief stellt der Heilige Geist das wahre Wesen einer kirchlichen Zucht vor. Angenommen ein christlicher Bekenner ist irgendeiner denkbaren Sünde schuldig! Solchen sollen wir nicht als Glied am Leib Christi anerkennen, während er in jener Sünde verharrt. Ein wahrer Gläubiger kann in offene Sünde fallen. Die Kirche soll, wenn sie davon erfährt, eingreifen, um dem Urteil Gottes über die Sünde Ausdruck zu geben. Wenn sie allerdings vorsätzlich einem solchen Menschen erlaubt, zum Tisch des Herrn zu kommen, dann macht sie dem Wesen nach unseren Herrn zum Teilhaber an jener Sünde. Es geht nicht darum, ob die Person bekehrt ist oder nicht. Ein Unbekehrter hat in der Kirche ohnehin nichts zu suchen. Falls ein Bekehrter sündigt, dürfen wir die Sünde nicht übersehen. Der Schuldige soll nicht aus dem Reich der Himmel hinausgetan werden, aber unbedingt aus der Kirche (Versammlung).

So ist die Belehrung des Wortes Gottes über diese beiden Wahrheiten eindeutig. Es ist falsch, weltliche Strafen über einen Heuchler zu verhängen, auch wenn er entlarvt wird. Wir dürfen das Gute für seine Seele suchen. Das ist jedoch kein Grund, ihn auf diese Weise zu strafen [d. h. in staatlicher Strafverfolgung; Übs.]. Wenn jedoch ein Christ einer Sünde schuldig wird, darf die Kirche, auch wenn sie zur Geduld beim Urteilen aufgerufen wird, dieses niemals dulden, [d. h. im Form einer biblischen „Kirchenzucht“; Übs.]. Unbekehrte Schuldige überlassen wir hingegen dem Gericht des Herrn bei Seinem Erscheinen. Das ist die Lehre des Gleichnisses vom Unkraut. Es wirft ein sehr ernstes Licht auf die Christenheit. So gewiß wie der Sohn des Menschen guten Samen ausgesät hat, so säte sein Feind schlechten. Beide würden zusammen keimen. Und es gibt keine Möglichkeit, dieses Böse in der gegenwärtigen Zeit wieder loszuwerden. Gegen das Böse in der Kirche gibt es ein Heilmittel, aber nicht gegen das Böse in der Welt.

Ausschließlich das Matthäusevangelium enthält das Gleichnis vom Unkraut. Lukas berichtet vom Sauerteig. (Lukas 13, 20–21). Matthäus spricht außerdem vom Unkraut. Dieses Gleichnis lehrt insbesondere Geduld für die gegenwärtige Zeit im Gegensatz zu jüdischen Gerichtshandlungen. Zudem steht es im Gegensatz zu der durchaus berechtigten Erwartung eines gereinigten Feldes am Anfang des Tausendjährigen Reiches unter der Herrschaft des Messias. Juden hätten gefragt: Warum sollen wir Feinde, Gottlose und Irrlehrer dulden? Sogar als unser Herr auf der Erde war und einige Samariter Ihn nicht aufnahmen, wollten Jakobus und Johannes Feuer vom Himmel fallen lassen, um diese zu verzehren (Lukas 9, 52ff.). Das waren die natürlich-menschlichen Gedanken hinsichtlich des Umgangs mit dem Unkraut. Der Herr tadelte sie dafür. Sie wußten nicht, wes Geistes sie waren. (...)1 Dies verdeutlicht den Willen unseres Herrn bezüglich des Unkrauts. Jedes Töten widerspricht dem Christentum, dessen wahre Kraft allein im Heiligen Geist besteht und nicht in äußerer Gewalt. Das Schwert bleibt draußen.

Wir finden noch weitere Belehrungen. „Laßt es beides zusammen wachsen bis zur Ernte, und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Leset zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber sammelt in meine Scheune.“ (V. 30). So sollen die himmlischen Heiligen in die Scheune des Herrn gesammelt und von der Erde zum Himmel gebracht werden. Die „Zeit der Ernte“ spricht von einer gewissen Zeitperiode, die von den verschiedenen Vorgängen des Einsammelns erfüllt ist. In dieser Ernteszene wird der Herr zu den Schnittern sagen: „Leset zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen.“ Es steht hier nicht, daß der Weizen in Bündel gepackt werden soll, um in den Himmel getragen zu werden. Wir finden keine Anspielung auf ein besonderes, vorbereitendes Werk bezüglich der Heiligen, bevor sie droben aufgenommen werden. Aber Gott beschäftigt sich mit dem Unkraut. Die Engel müssen sie in einer bestimmten Weise bündeln, bevor der Herr sie von dem Feld wegräumt. Ich erlaube mir nicht zu sagen, wie das geschieht oder ob das Vereinigungsstreben der gegenwärtigen Tage den Weg für die abschließende Handlung des Herrn mit dem Unkraut bahnt. Auf jeden Fall nimmt die Neigung zur Vereinigung in der Welt schnell zu. Wenn die Zeit für das Gericht der Lebendigen naht, wird jenes den Engeln anvertraute vorbereitende Werk stattfinden und die Bösen in Bündel zusammengebunden, um verbrannt zu werden. Wie es geschieht, kann ich nicht sagen. Ich halte nur fest, was in dem Kapitel vor uns geschrieben steht.

Das Gleichnis vom Weizenfeld liefert den vollständigen Beweis für eine Wahrheit, die ein unerwarteter Schlag für die Gedanken der Jünger gewesen sein muß: Die gerade begonnene Haushaltung würde genauso ein Fehlschlag werden wie die vergangene, soweit es die Verantwortlichkeit des Menschen betrifft, Gottes Herrlichkeit zu bewahren. Israel hatte Gott verunehrt. Es hatte nicht Befreiung, sondern Schande und Verwirrung über die Erde gebracht. Es hatte unter dem Gesetz versagt und würde auch die Gnade so völlig verwerfen, daß der König gezwungen war, Seine Heere auszusenden, um jene Mörder umzubringen und ihre Stadt zu verbrennen. (Matthäus 22, 1–7). Damit war aber noch keineswegs klar, daß auch das neue Werk, in welchem Jünger durch die Predigt des Wortes zum Namen Jesu gesammelt werden, in der Hand des Menschen verderben würde. Andererseits hängt zu keiner Zeit das Heil der Seelen vom Geschöpf ab, das bei seiner Erprobung durch Gott, damals wie heute, immer nur Versagen zeigt.

Der Mensch bewahrte nicht die Herrlichkeit Gottes im Paradies. Später verdarb er seinen Weg und füllte die Erde mit Gewalttat. Dann erwählte sich Gott ein Volk und stellte es auf die Probe; doch es versagte. Und jetzt kam die neue Prüfung. Was würde aus den Jüngern werden, die den Namen Christi bekannten? Die Antwort wurde uns gegeben: Während die Menschen schliefen, säte der Feind Unkraut. Ein ernster Ausspruch verkündet, daß kein Eifer von ihrer Seite den Schaden gutmachen kann. Auch wenn sie selbst treu und gewissenhaft sind – das Böse, d. i. die Einführung von Unkraut (falsche Bekenner des Namens Christi), kann nicht mehr ausgerottet werden.

Der Herr spricht offensichtlich vom großen Feld des christlichen Bekenntnisses und von der traurigen Wahrheit, daß von Anfang an das Böse dort eingedrungen ist. Nachdem es einmal da ist, kann es nie mehr hinausgetrieben werden, bevor der Herr im Gericht zurückkehrt. Durch Seine Engel wird Er dann das Unkraut in Bündeln sammeln, um es zu verbrennen, während der Weizen in Seine Scheune gebracht wird. So sehen wir das Unkraut von frühester Zeit an mit dem Weizen vermischt. Das spricht nicht notwendigerweise von der Kirche (Versammlung), denn der Acker ist nicht die Kirche, sondern die Welt. Und das Unkraut redet von Menschen, die den Namen Christi tragen und trotzdem eindeutig böse sind. Wir wissen, daß solche sich fast überall unter denen, die den Namen des Herrn tragen, einen Platz erworben haben und ihn auch behaupten konnten. Doch der Acker – beachte es gut! – ist nicht die Versammlung, sondern der Bereich eines äußerlichen Festhaltens an Christus.

Wenn wir beim Lesen von Matthäus 13 nur an die Kirche denken, verstehen wir das Kapitel nie. „Der Acker ist die Welt“, jene Sphäre, in der man den Namen des Herrn bekennt und welche weit über das hinausreicht, was Kirche genannt wird. Es gibt viele Menschen, die weder Heiden, noch Juden, noch Mohammedaner sind und sich selbst Christen nennen und doch durch ihr Verhalten zeigen, daß sie keinen wirklichen Glauben besitzen. Diese werden als „Unkraut“ bezeichnet.

Das müssen nicht notwendigerweise bewußte Heuchler sein. Sie können es sein – oder auch nicht. Auf jeden Fall sind sie unwiedergeborene Bekenner des einen Herrn und des einen Glaubens. (Epheser 4, 5). Es sind getaufte Menschen, die Christus nicht zu schätzen wissen und sich nicht um Seine Herrlichkeit kümmern. Sie besitzen folglich kein Leben und sind nicht aus Wasser und Geist geboren. Dabei tragen sie den Namen Christi und zeigen vielleicht großen Eifer für den Glauben in einer äußerlichen Art. Diese finden wir heute überall in der westlichen Welt, so wie einst im Osten. Es gibt viele, die niemand für aus Gott geboren hält, welche nichtsdestoweniger schockiert wären, wenn sie als Ungläubige bezeichnet würden. Sie anerkennen Christus als Heiland der Welt und den wahren Messias, ohne daß dieses Bekenntnis die geringste Wirkung in ihrer Seele entfaltet. Sie gleichen darin den Menschen, die in Jerusalem an Christus glaubten, als sie die Wunder sahen, die Er tat. (Johannes 2, 23–25). Jesus vertraut sich solchen nicht an, wie Er es auch damals nicht getan hatte.

Das nächste Gleichnis zeigt, daß das Böse nicht nur in der Vermischung mit einem falschen Zeugnis besteht, sondern daß auch etwas dem Wesen nach gänzlich anderes sich entwickeln würde. Es mochte mit dem Unkraut in Verbindung stehen und aus ihm herauswachsen. Dennoch war ein neues Gleichnis erforderlich. Aus kleinst-möglichen Anfängen, aus etwas sehr Geringem in den Augen dieser Welt würde ein Gebilde von ungeheurer Ausdehnung auf der Erde entstehen und seine Wurzeln tief in die menschliche Gesellschaft einsenken und sich zu einem System der Macht und des irdischen Einflusses erheben. Das bedeutet das Senfkorn, welches zu einem großen Baum wird, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels sich niederlassen und wohnen. Der Herr hatte die Vögel schon als Sinnbild des Bösen und seiner Agenten bezeichnet (vgl. V. 4 u. 19!). Wir dürfen niemals innerhalb eines Kapitels die Bedeutung eines Symbols wechseln, es sei denn, es gibt neue und nachdrückliche Gründe dafür. In diesem Fall ist es nicht so. So lesen wir vom kleinsten Samenkorn, das zu einem Baum heranwächst. Aus diesem äußerst geringfügigen Anfang wächst ein Stamm hervor mit Ästen, die ausladend genug sind, um den Vögeln der Luft einen Schutz und ein Heim zu bieten. Was für eine Wandlung des christlichen Bekenntnisses! Der Zerstörer haust jetzt in seinem Schoß.

Darauf folgt das dritte Gleichnis, welches wieder etwas anderes darstellt. Es redet nicht von gutem oder schlechtem Samen. Es redet nicht von dem Geringen, welches stattlich und groß geworden ist, eine beschützende Macht auf der Erde – doch für wen? Hier finden wir die Ausbreitung einer Lehre, die alles, was ihr begegnet, ihrer eigenen Natur anpaßt. „Sauerteig“ wird im Matthäusevangelium und gelegentlich auch anderswo als Bild von der Lehre angewandt. Zum Beispiel lesen wir von der „Lehre der Pharisäer und Sadducäer“, welche „Sauerteig“ genannt wird. (Matthäus 16, 6–12). Zweifellos spricht der Herr dort von einer heuchlerischen Lehre. Unser Abschnitt soll nicht so sehr die Qualität der Lehre, gut oder schlecht, kennzeichnen, sondern vielmehr ihre Kraft, sich auszubreiten und alles zu durchdringen, was ihr ausgesetzt ist.

„Das Reich der Himmel ist gleich einem Sauerteig, welchen ein Weib nahm und unter drei Maß Mehl verbarg, bis es ganz durchsäuert war.“ (V. 33). Es gibt keinen berechtigten Grund, in den drei Maß Mehl die ganze Welt zu sehen. Wie ich voraussetze, sprechen sie von einem festumgrenzten Raum, welcher der durchsäuernden Lehre ausgesetzt ist und innerhalb dessen sie sich wirkungsvoll ausbreitet. Ob das Ergebnis zu einem guten oder schlechten Zustand führt, nachdem der Sauerteig sich alles angepaßt hat, müssen wir nach den allgemeinen Aussagen des Wortes Gottes beurteilen und nicht anhand eines einzelnen Bildes oder Ausdrucks. Normalerweise versteht man die Wahrheit der Bibel nur durch eine solche Untersuchung. Wir kennen das menschliche Herz. Daraus dürfen wir schließen, daß eine Lehre, welche unter dem Namen Christi so umfassend verbreitet wird, sich sehr weit von ihrer ursprünglichen Reinheit entfernt haben muß, wenn sie einer beachtlichen Masse von Menschen willkommen ist. Außerdem sahen wir schon das Unkraut, welches keineswegs von Gutem spricht, das sich unter den Weizen gemischt hat. Wir lasen vom Senfkorn, das zu einem Baum heranwuchs und erstaunlicherweise jene Vögel der Luft beherbergte, welche anfangs den Samen fraßen, den Christus gesät hatte. Darüber hinaus, wenn irgendwo im Wort Gottes „Sauerteig“ als Sinnbild erscheint, wird es immer verwandt, um Verderbnis zu kennzeichnen, welches aktiv wirkt und sich ausbreitet. Daher darf unsere Bibelstelle nicht auf die Ausbreitung des Evangeliums bezogen werden.

Der Sauerteig bedeutet, wie ich nicht bezweifle, ein System der Lehre, welches eine gewisse Masse von Menschen erfüllt und ihr einen bestimmten Charakter gibt. Was für eine Lehre das ist, müssen andere Erwägungen entscheiden. Sauerteig als Symbol von etwas Gutem wäre jedoch im Wort Gottes sicherlich recht ungewohnt. Andererseits ist das Evangelium der Same, der unverwesliche Same, des Lebens, weil es Gottes Zeugnis von Christus und Seinem Werk darstellt. Er kann weggepickt oder niedergetreten werden. Doch wo immer das Evangelium im Herzen Wohnung nimmt, bewirkt es durch die Gnade eine neue Natur. Der Sauerteig hat nirgendwo etwas mit Christus zu tun, noch vermittelt er Leben, sondern ausdrücklich das Gegenteil. Folglich gibt es nicht die geringste Übereinstimmung zwischen der Wirksamkeit des Sauerteigs und der Annahme des Lebens in Christus durch das Evangelium.

Ich glaube, daß der Sauerteig hier die Propagierung von Dogmen und Dekreten darstellt, nachdem die Christenheit zu einer großen Macht auf der Erde geworden war entsprechend dem großen Baum, der geschichtlich gesehen ab der Zeit Konstantins des Großen existiert. Wie wir wissen, folgte auf diese Machtübernahme ein schreckliches Abweichen von der Wahrheit. Als die Christenheit in der Welt eine gesellschaftliche Stellung erlangte, anstatt verfolgt zu werden und eine Schande zu sein, wurden Menschenmassen in dieselbe hineingezogen. Aufgrund eines Befehls wurde eine ganze Armee getauft. Jetzt gebrauchte man das Schwert, um das Christentum zu verteidigen oder zu erzwingen. Häufig sorgte eine irdische Belohnung oder die kaiserliche Gunst für den Zusammenbruch des Heidentums. All dieses war zweifellos Wegbereiter für die Ausbreitung des Sauerteigs, aber nicht für die Verbreitung der gesunden Wahrheit Gottes und Seiner Gnade.

Beachte auch, wie auf diese Weise die Auslegung in sich selbst harmonisch wird! Wir hören Gleichnisse, die sich auf verschiedene Dinge beziehen und in einem gewissen Grad miteinander übereinstimmen. Dennoch stellen sie unterschiedliche Wahrheiten in einen Zusammenhang, der eine vorurteilsfreie, geistliche Gesinnung für sich einnehmen muß. Viel hängt davon ab, was wir unter dem Ausdruck „Reich der Himmel“ verstehen. Laßt uns nicht vergessen, daß er einfach nur von der Autorität des Herrn im Himmel spricht, die auf der Erde anerkannt wird! Alle, die diese Autorität anerkennen, egal, ob sie aus Gott geboren sind oder nicht, befinden sich im Reich der Himmel. Einige sind wirklich wiedergeboren, während andere das Christentum nur als ein gutes Glaubensbekenntnis und eine gesunde sittliche Regel angenommen haben. Sobald die Welt vom Christentum als einer zivilisatorischen Macht auf der Erde Kenntnis nahm und es nach dem Maßstab menschlicher Weisheit maß, war es mehr als nur ein Acker, welcher mit gutem Samen besät worden war und den der Feind mit schlechtem verdorben hatte. Jetzt wurde es zum turmhohen Baum und zum weiträumig und tief wirkenden Sauerteig – ein Gebilde, welches die Menschenmenge bewundert, der Weise jedoch durchschaut. Das war die völlig unerwartete Enthüllung, die unser Herr machte. Falls die Jünger dachten, daß sich alles nach dem Wunsch des Herrn entwickeln würde, irrten sie sich. Daher werden sie über Verhältnisse in der Welt belehrt, die vollkommen von denen abwichen, die sie nach den Vorhersagen der Propheten erwarteten. Denn diese sprachen in glühenden Ausdrücken von einer Zeit, in der allgemeiner Friede, Segen und Herrlichkeit auf der Erde herrschen. Jetzt erfuhren sie, daß, obwohl der Messias gekommen war, Er wieder weggehen würde. Sie mußten hören, daß, während Er im Himmel ist, das Reich mit Geduld und nicht in Macht, geheimnisvoll und vor den Augen verborgen, eingeführt werden sollte. Außerdem durfte der Teufel darin genauso wirken wie früher, nur daß er aus der neuen von Gott geoffenbarten Wahrheit, wie üblich, seinen Nutzen ziehen würde.

Soweit zeigen also diese Gleichnisse das allmähliche Anwachsen des Bösen. Zuerst wird etwas Böses mit viel Gutem vermischt, wie in dem Fall des Weizenfelds. Danach lesen wir von dem Aufsprossen eines großen, mächtigen und einflußreichen Systems aus den geringen Anfängen der Christenheit. Anstatt Verfolgung seitens der Welt zu finden, wurde der christliche Leib in der Ausübung seiner Autorität zum Schirmherrn und Wohltäter. In ihm suchten die ehrgeizigsten Männer der Welt ihre Zuflucht, um ihre Begierden zu stillen. Nach diesem fand eine großangelegte Ausbreitung der Lehre statt, als die Torheit des Heidentums und die Enge des Judaismus den Menschen um so augenfälliger geworden war, je mehr ihre eigenen Interessen sie von diesen lösten.

Beachte jetzt den Wechsel! Der Herr beendet Seine Rede an die Volksmenge. Wer sah nicht, daß der Herr den Weizen säte? Wer könnte, seitdem die Erfüllung und damit die Auslegung gekommen ist, nicht erkennen, was der Herr meinte, als Er von dem Wachstum des Senfbaums und der Ausbreitung des Sauerteigs sprach? Nun wendet sich der Herr von der Volksmenge ab, die Er bisher vor sich hatte. Es wird gesagt: „Dies alles redete Jesus in Gleichnissen zu den Volksmengen, und ohne Gleichnis redete er nicht zu ihnen.“ (V. 34). Jesus entläßt jetzt die Volksmengen und geht ins Haus. Ich lenke eure Aufmerksamkeit hierauf, weil durch dieses Ereignis die Gleichnisse unterteilt werden und eine neue Gruppe von ihnen eingeführt wird. Die folgenden Gleichnisse sind für Menschen nicht so einsichtig und leicht zu verstehen im Unterschied zu den ersten. Durch die Weisheit der Welt wurde die Christenheit zu einer Institution, auf die man stolz ist, die aber, wie alle anderen, allein durch ein Glaubensbekenntnis noch keine sittliche Verantwortlichkeit bedingt – ein Sauerteig, der sich alles angleicht, und zwar die Menschen von Geburt an, ihre Gewohnheiten, die Kolonisation, usw.

Obwohl diese Gleichnisse verschiedene Gesichtspunkte und Zustände schildern, geht die Predigt des Wortes vom Reich die ganze Zeit weiter. Diese Predigt hat einen Platz für sich. Sie gleicht darin dem Sabbat. Es gab unter den Juden viele Feste; doch der Sabbat war eines, das ständig wiederholt wurde, nämlich Woche für Woche. – Wir kommen in unserem Kapitel jetzt zu einem großen Wechsel; und wir lesen von einem ähnlichen bei jenen Festen, denn auch sie sind unterteilt. Nachdem Passah, Fest der ungesäuerten Brote und Fest der Wochen aufeinander gefolgt sind, finden wir einen Einschub. (3. Mose 23). Danach werden das Fest des Posaunenhalls, der große Versöhnungstag und zuletzt das Laubhüttenfest aufgezählt. Der Apostel lehrt, daß Christus, unser Passah, für uns geschlachtet wurde. Darum sollen wir das Fest der ungesäuerten Brote untrennbar zusammen mit demselben feiern. (1. Korinther 5, 7–8). Das ist jedoch nicht alles. Wir lesen in Apostelgeschichte 2: „Als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde.“ Das sind also die Feste, die in uns Christen schon erfüllt sind. Das Fest des Posaunenhalls, der Versöhnungstag und das Laubhüttenfest können wir unmöglich auf die Kirche (Versammlung) beziehen. Ihre Anwendung beschäftigt sich mit den Juden, obschon wir ihre geistliche Bedeutung natürlich als Unterpfände des Geistes genießen dürfen.

So wie in 3. Mose 23 die Unterbrechung auf eine neue Themenfolge hinweist, so auch in unserem Kapitel. Die ersten Gleichnisse sprechen von dem äußeren Bekenntnis zum Namen Christi, die letzten besonders und im wesentlichen von dem, was wahre Christen betrifft. Die Volksmengen konnten sie nicht verstehen. Sie sind Familiengeheimnisse. Darum führt der Herr die Jünger ins Haus und erklärt ihnen dort alles.

Bevor Er jedoch den neuen Boden betritt, gibt Er uns weitere Belehrungen zu den früheren Gleichnissen. Die Jünger baten Ihn: „Deute uns das Gleichnis vom Unkraut des Ackers.“ (V. 36). So unwissend sie waren, hatten sie doch Vertrauen zu ihrem Herrn, daß Er ihnen gerne das bisher Gesagte erklären würde. „Er aber antwortete und sprach: Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen, der Acker aber ist die Welt; der gute Same aber, dies sind die Söhne des Reiches, das Unkraut aber sind die Söhne des Bösen.“ (V. 37–38). Wie durchaus zutreffend bemerkt wurde, sind der Sohn des Menschen und der Böse einander entgegen. So wie in der Dreieinheit jede der gesegneten göttlichen Personen ein besonderes Teil in Ihrem Werk der Segnung einnimmt, so sehen wir auch eine traurige Parallele dazu in der äußeren Welt. Der Vater stellt vor allem Seine Liebe vor und trennt uns durch ihre Offenbarung in Christus von der Welt. Der Heilige Geist steht im Gegensatz zum Fleisch und wirkt als der große Vermittler der Gnade, Ratschlüsse und Wege des Vaters. In ähnlicher Weise stellt die Bibel heraus, daß Satan immer als der hauptsächliche, persönliche Gegner des Sohnes handelt. Der Sohn Gottes ist gekommen, die Werke des Teufels zu zerstören. (1. Johannes 3, 8). Der Teufel benutzt die Welt, um die Menschen in sie zu verwickeln, das Fleisch anzureizen und das natürliche Verlangen nach gegenwärtiger Ehre und Wohlleben anzustacheln. Im Gegensatz dazu, stellt der Sohn Gottes die Herrlichkeit des Vaters als den Gegenstand vor, für den Er durch den Heiligen Geist wirkt.

Ein Hauptpunkt in der Erklärung des Herrn an die Jünger im Haus ist Unterscheidungsvermögen. Im ersten Gleichnis vom Reich der Himmel ist das Gute gänzlich vom Bösen getrennt; im dritten bildet alles eine einzige ununterscheidbare Masse. Zu Anfang war alles eindeutig. Auf der einen Seite stand der Sohn des Menschen und säte guten Samen. Daraus entwickelten sich die Söhne des Reiches. Auf der anderen stand der Feind. Er säte den schlechten Samen, nämlich falsche Lehren, Ketzereien, usw. Daraus erwuchsen die Söhne des Bösen. Die Existenz der Christenheit in der Welt gab dem Teufel die Gelegenheit, die Menschen noch viel schlechter zu machen, als wenn es niemals irgendeine neue und himmlische Offenbarung gegeben hätte. Ein ungläubiger Historiker hat das Ergebnis in ein schreckliches Licht gerückt: „Die Annalen der Christenheit sind die Annalen der Hölle.“ Wir wissen, daß sein Urteil auf einer Verwechslung des dem Namen nach christlichen Systems, nämlich Babylon, mit der wahren Kirche (Versammlung) beruht. Auch in den Augen Gottes ist das, was den Namen Christi trägt, der allerböseste Gegenstand in der Welt. Nie wurde soviel gerechtes Blut vergossen wie seitens der sogenannten Religion. Ist das nicht ernst? Im Papsttum finden wir die vollste Ausprägung einer irdischen Religion. Jedes weltliche Religionssystem neigt dazu, das zu verfolgen, was nicht mit ihr übereinstimmt. Das sehen wir auch jetzt, wo wir ein gewisses Maß an Treue gegen Christus feststellen können.2 Die Bitterkeit und der Widerstand gegen jene, die in unseren Tagen dem Herrn nachfolgen möchten, sind von gleicher Art, wie sie in den Schrecken der finstersten Zeiten ausbrachen. Auch heute noch3 lauern sie im „Heiligen Offizium“ der Inquisition, wann und wo dieses auch immer sein Haupt erheben mag.

Fahren wir jedoch fort! „Die Ernte aber ist die Vollendung des Zeitalters, die Schnitter aber sind Engel.“ (V. 39). (...)4. Die Ernte ist die Vollendung des Zeitalters, das heißt, dieser gegenwärtigen Haushaltung. Es ist die Zeit, während der unser Herr abwesend ist und das Evangelium auf der Erde verkündigt wird. Die Gnade schreitet jetzt aktiv voran. Die einzigen Mittel, die Gott benutzt, um auf Seelen einzuwirken, sind sittlicher und geistlicher Art. Die Engel führen das Gericht durch die Vorsehung ein und beschäftigen sich mit den bösen Menschen, um sie zu verderben, während das Evangelium arme Sünder ergreift, um sie zu retten. Der Herr weist hier darauf hin, daß das gegenwärtige Aussenden des Wortes vom Reich einmal ein Ende haben und ein Tag kommen wird, an dem die Wirkung der Tätigkeit Satans voll entwickelt ist und gerichtet werden muß. „Die Schnitter aber sind Engel.“ Wir haben mit der gerichtlichen Seite nichts zu tun, sondern mit der Verbreitung des Guten. Die Engel beschäftigen sich mit dem Gericht über die Bösen. „Gleichwie nun das Unkraut zusammengelesen und im Feuer verbrannt wird, also wird es in der Vollendung des Zeitalters sein.“ (V. 40). (...).5

Viele Bibelverse zeigen einen Zustand der Welt in zukünftigen Zeiten, der völlig anders ist als der, mit dem sich das Evangelium befaßt. Ich möchte dazu auf ein oder zwei Stellen in den Propheten verweisen. Nehmen wir Jesaja 11! Am Anfang wird von unserem Herrn im Bild eines Reises aus dem Stumpf Isais gesprochen. Offensichtlich gilt diese Aussage für Christus sowohl bei Seinem ersten, als auch bei Seinem zweiten Kommen. Er wurde als Israelit und in der Familie Davids geboren. Und wenn der Heilige Geist auf Ihm ruhen sollte (Jesaja 11, 2), so wissen wir, daß diese Vorhersage während Seiner Menschheit hienieden erfüllt wurde. Aber in Vers 4 finden wir etwas anderes. „Er wird die Geringen richten in Gerechtigkeit, und den Demütigen des Landes Recht sprechen in Geradheit.“ Wenn du einwendest, daß diese Worte für die gegenwärtige Zeit gelten, weil der Herr sich im Reich der Himmel mit den Seelen der Demütigen, usw. beschäftigt, dann bitte ich dich, noch etwas weiter zu lesen. „Und er wird die Erde schlagen mit der Rute seines Mundes, und mit dem Hauche seiner Lippen den Gesetzlosen töten.“

Handelt der Herr in der gegenwärtigen Zeit so? Offensichtlich nicht! Sendet Er nicht eine Botschaft der Barmherzigkeit über die ganze Erde? Bekehrt Er nicht die Bösen durch das Wort Seiner Gnade, anstatt sie mit dem Hauch Seiner Lippen zu töten? All das steht im Gegensatz zu dem, was Jesaja in seinen Versen sagt. Manchmal wird der Ausdruck „Hauche Seiner Lippen“ auf das Evangelium angewandt. Doch laßt uns sehen, ob das mit Jesaja 30, 33 übereinstimmt! „Denn vorlängst ist eine Greuelstätte zugerichtet; auch für den König ist sie bereitet. Tief, weit hat er sie gemacht, ihr Holzstoß hat Feuer und Holz in Menge; wie ein Schwefelstrom setzt der Hauch Jehovas ihn in Brand.“ Hier sehe ich eine wertvolle Hilfe zum Verständnis von Jesaja 11. Wozu benutzt Jehova den Hauch Seines Mundes? Er tötet den Gesetzlosen. „Der Hauch Jehovas“, so wie der Heilige Geist ihn erklärt, zwingt uns zu der Überzeugung, daß er von der Ausübung des Gerichts seitens des Herrn an dem Gesetzlosen spricht. Der Herr Jesus kam, um zu erretten. Doch ein Zeitpunkt steht bevor, an dem Er vernichten wird. „Er wird die Erde schlagen mit der Rute seines Mundes, und mit dem Hauche seiner Lippen den Gesetzlosen töten.“ Auch die Offenbarung liefert uns einen Schlüssel, wo Er gesehen wird, wie ein Schwert aus Seinem Mund hervorkommt. (Offenbarung 19, 15). Es versinnbildlicht das gerechte Gericht, welches durch das Wort des Herrn ausgeübt wird. So wie Er die Welt durch Sein Wort ins Dasein rief, so wird Er den Bösen durch Sein Wort in das Verderben stoßen.

Wenn wir diese Auslegung als die unbezweifelbare Bedeutung des Verses festhalten, was folgt dann? Ein Zustand, der sich völlig von dem unterscheidet, den wir zur Zeit des Evangeliums haben. „Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein, und die Treue der Gurt seiner Hüften. – Und der Wolf wird bei dem Lamme weilen, und der Pardel bei dem Böcklein lagern; und das Kalb und der junge Löwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben. Und Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen zusammen lagern; und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird spielen an dem Loche der Natter, und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle des Basilisken. Man wird nicht übeltun, noch verderbt handeln auf meinem ganzen heiligen Gebirge; denn die Erde wird voll sein der Erkenntnis Jehovas, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken“ (Jesaja 11, 5–9).

Darum geht es in Matthäus 13 nicht. Ob wir die Evangelien betrachten oder die Briefe – so wie der Heilige Geist von der gegenwärtigen Predigt spricht, haben wir zu erwarten, daß einige glauben, die große Mehrheit jedoch abweisend ist. Außerdem erfahren wir, daß in den letzten Tagen schwere Zeiten kommen werden. (2. Timotheus 3, 1). Dann wird nicht die Wahrheit des Christus vorherrschen, sondern die Lüge des Antichristen. (1. Johannes 2). Bevor der Herr alles in Seine Hand nimmt, werden nicht die Guten triumphieren, sondern die Schlechten. Diese Übernahme aller Dinge ist Seinem Erscheinen und Seinem Reich vorbehalten. „Er wird die Erde schlagen mit der Rute seines Mundes, und mit dem Hauche seiner Lippen den Gesetzlosen töten.“ Als Folge davon sehen wir die oben geschilderten gesegneten Wirkungen. Noch schlägt Er die Erde nicht. Er hat den Himmel geöffnet; bald wird Er auch von der Erde Besitz ergreifen.

In der Offenbarung sehen wir in einer Vision den starken Engel, der seinen rechten Fuß auf das Meer und seinen linken auf die Erde stellt. (Offenbarung 10, 1–2). Das ist der Herr, der das ganze Universum Seiner unmittelbaren Herrschaft unterwirft. In der heutigen Zeit bleibt das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ungerichtet (2. Thessalonicher 2, 7); und das Böse darf sich in der Welt zügellos ausbreiten. Doch nicht für immer. Das Geheimnis Gottes findet eine Vollendung. (Offenbarung 10, 7). Dann beginnt jener überraschende Wechsel, die „Wiedergeburt“, wie unser Herr ihn nennt. (Matthäus 19, 28). Der Geist Gottes wird über die Erde ausgegossen; und die Erde wird voll der Erkenntnis des Herrn sein, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken. Jene Periode, bevor diese Zeiten der Erquickung aus der Gegenwart des Herrn kommen, nennt die Schrift die „gegenwärtige böse Welt“. In Galater 1, 4 ist nicht die materielle Welt gemeint, sondern der sittliche Lauf der Dinge – der „gegenwärtige böse Zeitlauf.“ (Vergl. Fußnote!). Das neue Zeitalter hingegen wird herrlich, heilig und gesegnet sein.

In den nächsten Versen von Jesaja 11 wird die Wiederherstellung des alten Volkes Gottes vorhergesagt, nämlich die Sammlung von ganz Israel sowie auch Judas. Das geschah nicht bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Eine unbedeutende Minderheit aus Juda und Benjamin kam zurück, und aus dem übrigen Israel nur einige Einzelpersonen. Die zehn Stämme werden allgemein „die verlorenen Stämme“ genannt. „Es wird geschehen an jenem Tage, da wird der Herr noch zum zweiten Male seine Hand ausstrecken, um den Überrest seines Volkes, der übrigbleiben wird, loszukaufen aus Assyrien und Ägypten und aus Pathros und aus Äthiopien und aus Elam und aus Sinear und aus Hamath und aus den Inseln des Meeres. Und er wird den Nationen ein Panier erheben und die Vertriebenen Israels zusammenbringen, und die Zerstreuten Judas wird er sammeln von den vier Enden der Erde. Und der Neid Ephraims wird weichen, und die Bedränger Judas werden ausgerottet werden; Ephraim wird Juda nicht beneiden, und Juda wird Ephraim nicht bedrängen. Und sie werden den Philistern auf die Schultern fliegen gegen Westen, werden miteinander plündern die Söhne des Ostens; an Edom und Moab werden sie ihre Hand legen, und die Kinder Ammon werden ihnen gehorsam sein. Und Jehova wird die Meereszunge Ägyptens zerstören.“ Letzteres oder Ähnliches ist bisher nie geschehen. Die ägyptische Meereszunge besteht unverändert. Wenn diese Prophetie schon erfüllt wäre, müßte es äußere Anzeichen geistlicher und materieller Art davon geben. „Und er wird seine Hand über den Strom schwingen mit der Glut seines Hauches, und ihn in sieben Bäche zerschlagen und machen, daß man mit Schuhen hindurchgeht. Und so wird eine Straße sein von Assyrien her für den Überrest seines Volkes, der übrigbleiben wird, wie eine Straße für Israel war an dem Tage, da es aus dem Lande Ägypten heraufzog.“ (Jesaja 11, 11–16). Sowohl an dem Meer Ägyptens als auch an dem Nil6 wird Gott dieses große Werk tun. Damit übertrifft Seine Handlungsweise noch diejenige von damals, als Er Sein Volk durch Mose und Aaron aus Ägypten führte. So wird es im zukünftigen Zeitalter sein.

Doch in der gegenwärtigen Zeit sollen Unkraut und Weizen bis zur Ernte, d. i. die Vollendung des Zeitalters, zusammen wachsen. Wenn diese Ernte kommt, sendet der Herr Seine Engel; „und sie werden aus seinem Reiche alle Ärgernisse zusammenlesen und die das Gesetzlose tun.“ (V. 41). Nun findet die Scheidung statt. Das Unkraut wird gesammelt und in den Feuerofen geworfen. „Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reiche ihres Vaters.“ (V. 43). Beachte die Genauigkeit des Ausdrucks! „Dann werden die Gerechten leuchten.“ Wir lesen nicht: „Dann werden die Gerechten aufgenommen“; denn sie werden schon vor dieser Zeit in den Himmel geholt worden sein. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit.“ (Kolosser 3, 4). Die Bedeutung dieser Ausdrücke ist demnach so klar wie möglich. Ein neues Zeitalter wird eröffnet, in dem sich Gute und Böse nicht mehr mischen. Das Heraussammeln der Bösen zum Gericht schließt unser gegenwärtiges Zeitalter ab, damit die Guten im folgenden gesegnet werden können. Die Gerechten, von denen hier gesprochen wird, leuchten wie die Sonne und befinden sich in einer himmlischen Sphäre. Doch Himmel und Erde werden dann zu einem System miteinander verbunden sein ohne Durcheinander zwischen den einzelnen Teilen. Es wird himmlische und irdische Herrlichkeiten geben. Die eine Gruppe der Erlösten wird droben leuchten, die andere ist für reiche Segnungen auf der Erde ausersehen. Es wird ein einziges Königreich sein, doch mit himmlischen und irdischen Bereichen, wie der Herr in Johannes 3 genau unterscheidet: „Wenn ich euch das Irdische gesagt habe, und ihr glaubet nicht, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch das Himmlische sage?“ (Johannes 3, 12).

So wird hier der obere Bereich „das Reich des Vaters“ und der untere „das Reich des Sohnes des Menschen“ genannt. „Der Sohn des Menschen wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reiche alle Ärgernisse zusammenlesen und die das Gesetzlose tun.“ Sie dürfen nicht auf der Erde bleiben, sondern werden in einen Feuerofen geworfen. „Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reiche ihres Vaters.“ Beide Bereiche gehören zum „Reich Gottes“. Was für eine herrliche Aussicht! Ist es nicht ein lieblicher Gedanke, daß sogar dieser gegenwärtige Schauplatz des Ruins und der Verwirrung befreit werden soll – daß Gott die Freude Seines Herzens nicht nur daran findet, die Himmel mit Seiner Herrlichkeit zu füllen, sondern auch den Sohn des Menschen an dem Ort, wo Er verworfen wurde, zu ehren?

Doch laßt uns jetzt das nächste Gleichnis betrachten! „Das Reich der Himmel ist gleich einem im Acker verborgenen Schatz, welchen ein Mensch fand und verbarg; und vor Freude darüber geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.“ (V. 44). Das ist das erste der neuen Gleichnisse im Haus. Der Herr zeigt hier nicht den Zustand, der unter dem öffentlichen Bekenntnis des Namens Christi gefunden wird, sondern das Verborgene, zu dem man Unterscheidungsvermögen benötigt. Es geht um einen Schatz, der in einem Acker vergraben liegt und den ein Mensch fand, aber wieder verbarg. Vor Freude darüber verkauft er alles, was er hat und kauft das Feld. Ich bin mir bewußt, daß dieses Gleichnis gewöhnlich auf eine Seele angewandt wird, die Christus findet. Doch was tut der Mensch in dem Gleichnis? Er verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker. Ist das der Weg, auf dem ein Mensch errettet wird? Wenn ja, dann wäre die Erlösung für den, „der wirkt.“ (Römer 4, 4–5). Das Heil ist dadurch keine Frage des Glaubens mehr, sondern eines Menschen, der alles aufgibt, um Christus zu gewinnen. Das wäre nicht Gnade, sondern das Gesetz bis zum Übermaß. Wenn ein Mensch Christus besitzt, wird er zweifellos alles für Ihn aufgeben. Das ist aber nicht die Art, wie ein Mensch zuerst Christus um der Bedürfnisse seiner Seele willen aufnimmt. Wir lesen noch mehr. Der ganze Acker wird aufgekauft. Was verstehst du darunter? „Der Acker aber ist die Welt.“ Muß ich die ganze Welt kaufen, um Christus zu bekommen. Diese Gedanken zeigen die Schwierigkeiten, in die wir geraten, wenn wir von der Einfachheit der Bibel abweichen. Falls wir jedoch wirklich forschen und Schriftstelle mit Schriftstelle vergleichen, wird die Bedeutung klar. Der Herr widerlegt die obige Auslegung. Er zeigt, daß es nur ein einziger Mensch war, der den Schatz inmitten der Verwirrung sah. Wer ist es? Natürlich der Herr! Er gab alle Seine Rechte auf, damit Er Sünder in Seinem Blut waschen und mit Gott versöhnen konnte. Er kaufte die Welt, um den wertvollen Schatz zu besitzen. Beide Gesichtspunkte werden eindrücklich in Johannes 17, 2 vorgestellt. „Gleichwie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, auf daß er allen, die du ihm gegeben, ewiges Leben gebe.“ Wir sehen den Schatz – „die du ihm gegeben“. „Alles Fleisch“ ist nämlich keineswegs der Schatz. Letzteres ist die Dreingabe, die zum Kauf gehört – wenn ich mich so volkstümlich ausdrücken darf. Sie ist jedoch nicht der Schatz Seines Herzens. Er kauft die ganze, die äußere Welt, um diesen verborgenen Schatz zu besitzen.

Danach folgt: „Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Kaufmann, der schöne Perlen sucht; als er aber eine sehr kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.“ (V. 45–46). Das Gleichnis vom verborgenen Schatz reichte nicht aus, um mitzuteilen, was die Heiligen für Christus bedeuten; denn der Schatz mochte aus hunderttausend Stücken Gold und Silber bestehen. Wie könnte dieses Bild den Segen und die Schönheit der Kirche (Versammlung) ausdrücken? Der Kaufmann findet „eine sehr kostbare Perle.“ Der Herr sieht nicht nur die Kostbarkeit der Heiligen, sondern auch die Einheit und himmlische Schönheit der Versammlung. Jeder Erlöste ist kostbar für Christus. Aber Er liebte auch die Versammlung und gab Sich selbst für sie. (Epheser 5, 25). Das sehen wir hier – „eine sehr kostbare Perle.“ Ich bezweifle nicht im Geringsten, daß diese Stelle ihrem Geist nach auf jeden Christen bezogen werden darf; dennoch glaube ich, daß ihr Sinn vor allem darin besteht, die Lieblichkeit der Versammlung in den Augen Christi vorzustellen. Andererseits kann man wohl kaum sagen, daß hier ein Mensch geschildert wird, der erweckt ist, um dem Evangelium zu glauben. Stellen wir uns einen Sünder vor, der Christus noch nicht angenommen hat – sucht er schöne Perlen? Nährt er sich nicht vielmehr mit den Schweinen von Träbern? Wir lesen von einem Mann, „der schöne Perlen sucht.“ Kein Unbekehrter sucht danach. Unmöglich können diese Gleichnisse auf jemand anderen als den Herrn oder das Wirken des Heiligen Geistes in Seinem Volk bezogen werden. Wie gesegnet, daß Christus inmitten all der Verwirrung, die der Teufel angerichtet hat, den Schatz Seiner Heiligen und die Schönheit der Kirche sieht, trotz aller Schwachheiten und allem Versagen!

Am Ende dieser Serie finden wir das Gleichnis vom Netz, welches ins Meer geworfen wurde. Dieses Bild soll uns daran erinnern, daß unsere Kräfte und Wünsche auf jene gerichtet sein sollten, die im Meer der Welt umhertreiben. Das Netz wurde ins Meer geworfen und brachte von jeder Gattung zusammen, „welches sie, als es voll war, ans Ufer heraufgezogen hatten; und sie setzten sich nieder und lasen die Guten in Gefäße zusammen, aber die Faulen warfen sie aus.“ (V. 48). Wer sind die „sie“? Nirgendwo wird gesagt, daß Engel die Guten sammeln. Sie lesen immer nur die Bösen zusammen für das Gericht. Die Fischer sind genauso Menschen wie die Knechte im ersten Gleichnis. Doch wir haben hier nicht einfach das Evangelium vor uns. Das Netz brachte von jeder Gattung zusammen. Bedeutet das Sammeln der Guten in Gefäße nicht mehr? Bedeutet es nicht ein Sammeln der Erlösten nach den Gedanken Gottes? Wir erfahren, daß, bevor der Herr im Gericht zurückkehrt, in jeder Gattung von Menschen ein mächtiges Wirken des Heiligen Geistes durch die Menschenfischer stattfindet. Dabei werden in beispielloser Weise Erlöste gesammelt. Handelt der Heilige Geist nicht gerade heute in dieser Weise? Das Evangelium zieht mit bemerkenswerter Kraft über alle Länder dahin.7 Es gibt jedoch noch mehr zu tun. Die Guten werden gesammelt und in Gefäße gefüllt. Dies findet nicht im Himmel statt. Die Bösen werden weggeworfen. Das ist jedoch nicht ihr Ende. Sie sind für den Feuerofen aufbewahrt. Dieser zusätzliche Hinweis steht in den nächsten Versen. „Die Engel werden ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern.“ (V. 49). Die Engel beschäftigen sich stets mit den Bösen, die Knechte mit den Guten. Das Aussondern der Bösen aus der Mitte der Guten ist keineswegs die Arbeit der Fischer; und das Wegwerfen der Schlechten spricht nicht vom Feuerofen.

Bei der Auslegung der Kapitel 8 und 9 unseres Evangeliums haben wir schon einige auffallende Fälle von Umstellungen des Textes herausgestellt. So füllen die Ereignisse um die Überfahrt auf dem See im Sturm, der zuletzt zur Ruhe gebracht wurde, die Befreiung der Besessenen, die Auferweckung der Tochter des Jairus und die Heilung der blutflüssigen Frau am Weg geschichtlich gesehen die Zeitspanne zwischen dem Verkünden der gerade besprochenen Gleichnisse und der folgenden Schilderung der Verwerfung des gepriesenen Herrn. Ich habe schon versucht zu erklären, nach welchem Grundsatz, wie ich glaube, es dem Heiligen Geist gefiel, die Ereignisse zusammenzustellen. Dadurch konnte Er am lebendigsten den messianischen Dienst unseres Herrn in Israel parallel zu Seiner Verwerfung und ihren Folgen entfalten. Deshalb sind die dazwischenliegenden Geschehnisse schon in jenen früheren Abschnitt des Evangeliums eingefügt worden. So folgt hier der Unglaube Israels auf Seine Belehrungen in den Gleichnissen. Er ging in Seine Vaterstadt und lehrte in ihrer Synagoge. Doch das Ergebnis war trotz des Staunens über Seine Weisheit und die Wunderwerke die verächtliche Frage: „Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?. . . Und sie ärgerten sich an ihm.“ (V. 55–57). Er war ein Prophet, allerdings ein Prophet ohne Ehre in Seiner eigenen Stadt und Seinem Vaterhaus. Niemand leugnete die Offenbarung der Herrlichkeit. Dennoch wurde das Gefäß nicht dem Willen Gottes gemäß aufgenommen, sondern nach dem Anschauen und der Auffassungsgabe des natürlichen Menschen beurteilt.

Fußnoten

  • 1 Hier steht bei Kelly ein Satz, der sich auf den wohl nicht authentischen Text der englischen „King-James-Bibel“-Übersetzung stützt: „Darum fügte der Herr hinzu: „Denn der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um das Leben der Menschen zu zerstören, sondern um sie zu erretten.““ (Vergl. „Lutherbibel“ bis wenigstens 1960!) (Übs.).
  • 2 d. h. in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Kelly seine Vorträge hielt. (Übs.).
  • 3 d. h. zu Kelly's Lebzeiten. Das „Heil. Offizium“ wurde erst auf dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) von der Röm.-Kath. Kirche offiziell aufgelöst (und in die „Glaubens­kongregation“ verwandelt). Doch täuschen wir uns nicht; bei günstigen Rahmen­bedingungen kann und wird die katholische Kirche jederzeit die Inquisition wieder ins Leben rufen. (Übs.).
  • 4 Anm. d. Übers.: Kelly geht hier auf ein Problem in der damals verbreiteten englischen Übersetzung, der „King-James-Bible“ („Authorized Version“), vergleichbar unserer „Luther-Bibel“, ein, das ich hier als Fußnote gebe. Der Grund dafür, daß ich diesen Text hier einfüge, obwohl wir doch mit unserer „Elberfelder Bibel“ eine nach heutigem Kenntnisstand des griechischen Urtextes genaue Übersetzung haben, liegt darin, daß man erfahrungsgemäß durch eigene oder fremde Fehler und Irrtümer sehr viel lernt. Diese Fehler machen gewisse Wahrheiten um so deutlicher, weil sie zum Nachdenken darüber zwingen, was Wahrheit und was Irrtum ist, und auch darüber, warum das eine Wahrheit und das andere Irrtum ist. In der verbreiteten englischen Übersetzung des griechischen Textes steht: „Die Ernte ist das Ende der Welt.“ Dazu schreibt Kelly in der im obigen Text weggelassen Stelle: „Die „Welt“ in Vers 38 darf nicht mit der „Welt“ in Vers 39 verwechselt werden. Es handelt sich um gänzlich andere Worte und Gegenstände. Die „Welt“ in Vers 39 meint das Zeitalter. Es spricht von einem Zeitlauf und nicht von einem geographischen Bereich. In Vers 38 wird der Bereich angezeigt, in dem sich das Evangelium ausbreitet, in Vers 39 die Zeitspanne, in der es verbreitet oder von der Macht des Feindes behindert wird.“ (W. K.).
  • 5 siehe vorige Anm.: „In Vers 40 wird dasselbe Wort für „Welt“ benutzt wie in Vers 39. Unglücklicherweise gibt unsere Übersetzung dasselbe englische Wort in allen drei Versen.“ (W. K.). Anm. d. Übers.: Es handelt sich um die Worte „a¸ònçv“ („Zeitalter“) und „kçsmov“ („Welt“).
  • 6 Anm. d. Übers.: Sollte es sich nicht vielmehr um den Euphrat handeln, da wir doch im 16. Vers von einer Straße von Assyrien nach Israel lesen? (Vergl. Fußnote in der Elberfelder Bibel!).
  • 7 D. h., zur Zeit der großen Erweckungen im 19. Jahrhundert. (Übs.).
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