Das Reich Gottes und das Reich der Himmel

Kapitel 2

Kapitel 2: Allgemeine Gedanken über das Reich

Nicht selten werden bei Wortbetrachtungen oder in Zeitschriften Fragen über das Reich gestellt. Es ist in der Tat ein wichtiges Thema, auf das die Schrift an vielen Stellen eingeht. Einige der am häufigsten gestellten Fragen lauten: Was ist das Reich Gottes? Welcher Unterschied besteht zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Himmel, bzw. dem Reich des Sohnes und dem des Vaters? Zu welcher Zeitperiode oder Haushaltung gehört diese oder jene Stelle? Nimmt sie Bezug auf die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft?

Viele widersprüchliche Antworten sind auf diese Fragen gegeben worden, die die Fragesteller offensichtlich nicht zufrieden stellen konnten, weil sie diese einfachen Fragen immer wieder stellen und damit zeigen, dass das Thema „Reich Gottes“ noch immer wenig verstanden wird.

Die Hauptschwierigkeit des Bibellesers bei der Erfassung der Bedeutung der vielen Stellen über das Reich scheint darin zu liegen, dass dem Reich unterschiedliche Bezeichnungen gegeben werden und dass es offensichtliche Bedeutungsunterschiede zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Himmel gibt.

So kommt die Frage auf, wie die unterschiedlichen Bezugnahmen auf das Reich verstanden und angewendet werden müssen. Zum Beispiel wird an einer Stelle gesagt, dass das Reich Gottes „nahe gekommen“ sei. Die Schwierigkeit wird deutlich, wenn wir einige Verse hintereinander setzen: „Damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich auf Thronen sitzt, richtend die zwölf Stämme Israels“; „Das Reich der Himmel ist einem Menschen gleich geworden, der guten Samen auf seinen Acker säte“; „ist gleich einem Senfkorn geworden“; „ist gleich einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Maß Mehl verbarg“; „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“; „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“; „Der Kleinste aber im Reich der Himmel ist größer als er (Johannes der Täufer)“; „welche den Tod nicht schmecken werden, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich“; „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ und viele andere mehr.

Bei der Betrachtung dieser und anderer Stellen könnte es sein, dass wir geneigt sind zu denken, dass sie auf mehr als nur ein Reich Bezug nehmen, dass es also verschiedene Königreiche gibt, die zu verschiedenen Zeiten aufgerichtet werden. Aber wir brauchen nicht lange nachzudenken, um festzustellen, dass das nicht sein kann. Es ist offensichtlich, dass es zu allen Zeiten und in allen Umständen nur ein Reich Gottes geben kann.

Wenn wir dagegen dahin geführt werden zu sehen, dass dieses eine Königreich auf verschiedene Weisen vorgestellt wird und von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann, dann kommen wir in die Lage das Thema besser zu erfassen. Außerdem müssen wir bedenken, dass die zahlreichen Schriftstellen auf unterschiedliche Zeitepochen Bezug nehmen, was eine angepasste Darstellung nötig macht.

Es ist selbstredend, dass ein Königreich notwendigerweise einen König impliziert, der die Herrschaftsgewalt und Regierungsmacht besitzt. Die Schrift macht deutlich, dass dieses Reich Gottes den Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als König über sich hat, dem im Himmel und auf der Erde alle Gewalt gegeben worden ist (Mt 28,18). „Alles ist mir übergeben von meinem Vater“ (Mt 11,27). „In Bezug auf den Sohn aber: „Dein Thron, o Gott, ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Aufrichtigkeit ist das Zepter deines Reiches““ (Heb 1,8). „Und der HERR wird König sein über die ganze Erde“ (Sach 14,9). „Wer ist er, dieser König der Herrlichkeit? Der HERR der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit!“ (Ps 24,10). „Habe ich doch meinen König eingesetzt auf Zion, meinem heiligen Berg!“ (Ps 2,6). „Und alle Könige werden vor ihm niederfallen, alle Nationen ihm dienen“ (Ps 72,11).

Wird dieses Königreich umfassend und in seinen wesentlichen Charakterzügen betrachtet, könnte man es als die Regierung Gottes bezeichnen, bzw. den Bereich, in welchem er die höchste Regierungsgewalt innehat. Das trifft sowohl auf das Reich Gottes wie auf das Reich der Himmel zu. Diese Regierung Gottes, welche die Grundlage seines Reiches bildet, entfaltet sich auf zwei Wegen: einmal in Gottes geistlicher Regierung über die Herzen und das Leben der Gläubigen und zweitens dadurch, dass der Herr als König buchstäblich über das Haus Israel und die ganze Welt im tausendjährigen Reich herrschen wird, was dann die herrliche Erfüllung des Reiches sein wird.

Die oben erwähnte Definition trifft auf alle Phasen des Reiches zu - die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - weil sein Charakter wegen der Unveränderlichkeit Gottes durch alle Zeitepochen hindurch derselbe bleibt.

Wenn wir das gesamte Stellenverzeichnis einmal durchgehen, stellen wir fest, dass das Wort „Königreich“ ohne den Zusatz „Gottes“ oder „der Himmel“ im Allgemeinen als Äquivalent des Reiches Gottes im Neuen Testament angesehen werden kann. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sich die Stellen (von wenigen Ausnahmen abgesehen), die das Wort „Königreich“ sowohl im Neuen wie auch im Alten Testament enthalten, ausschließlich auf die dritte Phase beziehen und damit auf die Aufrichtung des Königreichs auf der Erde während des tausendjährigen Reichs.

Es ist wahr, dass auch unter den anderen Bezeichnungen des Reiches auf das tausendjährige Reich Bezug genommen wird (wodurch die Identität des einen Reiches bestätigt wird). Trotzdem geschieht das nicht in dem Maß wie bei dem Wort „Königreich“, das sich stets auf die dritte Phase des Reiches, bzw. der Regierung Christi auf der Erde bezieht.

Studiert man alle direkten Schriftstellen über das Königreich im Alten Testament, stellt man mit Interesse fest, dass die inspirierten Propheten von frühesten Zeit an durch den Geist Gottes in der Lage waren ihren Gesichtskreis durch alle Zwischenzeiten hindurch zu erweitern (besonders der christlichen Zeitepoche, die den Juden nie bekannt gemacht worden war und in der jüdischen Zeitrechnung keine Rolle spielte) bis zur Zeit des Endes, wenn der Herr persönlich wiederkommen wird, um seine herrliche Regierung in Gerechtigkeit auf der Erde aufzurichten. Es ist die Zeit, in welcher ihm alles unterworfen und er der alleinige König in Heiligkeit und Gerechtigkeit über diese Welt sein wird. Das war der Gegenstand ihrer erhabensten Prophezeiungen. Es war das große Thema, das ihre begeisterten Lieder inspirierte und ihre Freude nährte, und dem sie mit heiligem Frohlocken entgegensahen.

Durch diese inspirierten Aussprüche der Propheten an Gottes damaliges Volk, Israel, wurde der zukünftige Ausblick auf den kommenden Messias die große und alles beherrschende Hoffnung. Es hat den Anschein, dass sie der großartige Glanz, der diese herrliche Hoffnung umgab, vollständig daran gehindert hat zu sehen, dass irgendeine Demütigung oder irgendwelche Leiden mit ihrem Messias verbunden sein könnten. Sie übersahen, dass diese Dinge klar vorhergesagt worden waren und rechneten nicht damit, dass sie zwischen ihre Erwartungen und der endgültigen Aufrichtung des Reiches treten könnten. Ihre Augen waren einzig und allein auf ihren Messias-König fixiert, der ihren Erwartungen entsprechend in aller Herrlichkeit seiner göttlichen Majestät erscheinen sollte, um über das Haus seines Vaters David zu regieren. Und bis heute sehen wir, dass sich daran nichts geändert hat und noch immer die strahlende Hoffnung jedes frommen Israeliten ist.

Wenn einem Juden die Frage gestellt würde was das Reich Gottes, bzw. das Reich der Himmel ist, würde er ohne zu Zögern antworten: „Die Ankunft des Messias, um über das Haus seines Vaters David zu herrschen und um König über die ganze Erde zu sein“. Zweifellos ist diese Antwort prinzipiell korrekt und in Übereinstimmung mit den alttestamentlichen Prophezeiungen, die dem Juden als Referenz für seine Fragen zur Verfügung standen. Darüber hinaus müssen wir bedenken, dass es die wesentliche Antwort ist, die man auf solch eine Frage geben würde. Sie enthält den Kerngedanken bzw. den tiefer liegenden Grundsatz, der sich mehr oder weniger durch alle Schriftstellen zieht, die sich auf das Königreich im Alten und Neuen Testament beziehen.

Dennoch müssen wir diese Antwort durch die weitergehende Kenntnis ergänzen, die wir durch das Neue Testament erhalten haben. Die Ergänzung bezieht sich dabei auf die geistliche Regierung Gottes während der gegenwärtigen Zeitepoche oder christlichen Haushaltung, die als eine verborgene und eingeschobene Zeitspanne (Phase) des Reiches der Himmel angesehen werden kann. Deshalb können wir unmöglich zu einem richtigen Verständnis vieler neutestamentlicher Stellen kommen, wenn wir außer Acht lassen, dass sie sich ausschließlich auf diese eingeschobene Zeitperiode beziehen und nicht auf das tausendjährige Reich.

Als Beispiel dafür können wir die Gleichnisse in Matthäus 13 nehmen, wo das Reich der Himmel mit einem Menschen verglichen wird, der guten Samen auf seinen Acker sät, bzw. mit einem Senfkorn sowie mit Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Maß Mehl verbarg. Die Anwendung bezieht sich hier offensichtlich auf die jetzige Phase des Reiches inmitten des Zustands und der Umstände der Christenheit als Gesamtheit, weshalb eine Anwendung auf das tausendjährige Reich ausgeschlossen ist.

Wir werden uns diesen Punkt etwas näher anschauen, wenn wir uns mit den drei Teilen unseres Themas, den Aspekten, der Beschaffenheit und den Phasen, weiter beschäftigen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel