Botschafter des Heils in Christo 1884

Errettet und bewahrt

Dass Seelen durch die Gnade Gottes errettet worden sind und immer noch errettet werden, ist eine gesegnete Wahrheit. Unser Herr und Heiland selbst hat in den Tagen seines Fleisches oft von dieser gegenwärtigen Errettung gesprochen. Als die große Sünderin weinend zu Sehnen Füßen lag, wandte Er sich zu ihr mit den Worten: „Dein Glaube hat dich errettet; gehe hin in Frieden!“ Auch der Apostel schreibt, wenn er von dem Evangelium spricht: „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft“; und: „durch Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens“ (1. Kor 1,18; Eph 2,5.8). An einer anderen Stelle erklärt er nicht nur, „dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten“, sondern er sagt auch: „Ich leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der Kraft Gottes, der uns errettet und berufen hat mit heiligem Ruf“ (1. Tim 1,15; 2. Tim 1,9). Auch wird uns in der Apostelgeschichte erzählt, dass einem Mann, der in der größten Seelenangst ausrief: „Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich errettet weide?“ die unmittelbare Antwort zuteilwurde: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus.“ Die Errettung, die dem Glaubenden zuteilwird, ist daher eine gegenwärtige Errettung, gegründet auf den ewigen Wert des vollbrachten Werkes des Sohnes Gottes, und wird einem jeden umsonst geschenkt, der an Ihn glaubt.

Wenn ein Ertrinkender aus dem Wasser gezogen und lebendig ans Ufer gebracht worden ist, so sagt man von ihm: „Er ist gerettet worden.“ Man sagt dasselbe, wenn jemand aus einem brennenden Haus, aus welchem es für ihn kein Entrinnen mehr gab, unversehrt herausgeholt wird. Und ebenso sind Sünder, welche an den Herrn Jesus von Herzen geglaubt haben, nicht nur von allen ihren Sünden in seinem Blut abgewaschen, sondern auch von der Welt, die unter dem Gericht steht, befreit; sie sind nicht mehr tot in ihren Sünden, sondern sie leben Gott – mit einem Wort, sie sind errettet. Die Schrift nennt sie Errettete, und Gott will auch, dass sie selbst das völlige Bewusstsein ihrer Errettung haben. „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es“ (Eph 2,8). „Der uns errettet und berufen hat mit heiligem Ruf“ (2. Tim 1,9; vgl. auch Apg 16,31; 1. Kor 1,18; Tit 3,5).

Der Apostel Petrus spricht in seinem ersten Briefe jedoch noch von einer anderen Errettung, „welche bereit sei, in der letzten Zeit offenbart zu werden“ (Kap 1,5); und Paulus schreibt an die Gläubigen in Rom: „Jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben. Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe“ (Röm 13,11–12). Obgleich wir, die Gläubigen, uns der Errettung unserer Seelen schon in der Gegenwart erfreuen dürfen, so warten wir doch noch auf die Errettung unserer Leiber, welche, wie wir wissen, bei der Ankunft des Herrn stattfinden wird. Daher lesen wir denn auch: „Unser Wandel ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit des Leibes seiner Herrlichkeit, nach der Wirksamkeit, mit der Er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,20–21). Und an die Korinther schreibt derselbe Apostel, ebenfalls im Blick auf unsere Leiber: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werben aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen und dies Sterbliche Unsterblichkeit anziehen“ (1. Kor 15,51–53). Obwohl wir daher im gegenwärtigen Augenblick die Errettung unserer Seelen besitzen, so warten wir doch noch auf die Errettung unserer Leiber, und diese wird ans Licht treten, wenn wir aufgenommen werden, um dem Herrn in der Luft zu begegnen und für allezeit bei Ihm zu sein.

Von dem ewigen Leben wird in derselben doppelten Beziehung gesprochen. Auch die Erlösung wird uns in diesem zweifachen Sinne vorgestellt. Wir besitzen, was unsere Seelen betrifft, die Erlösung schon in der Gegenwart – „in welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen“ (Eph 1,7), – aber wir warten noch auf die Erlösung unserer Leiber, wie der Apostel sagt: „Nicht allein aber sie (die ganze Schöpfung), sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes“ (Röm 8,23). Es ist der Vorsatz des Vaterherzens Gottes, dass wir „dem Bild seines Sohnes gleichförmig“ sein sollen, „damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.“ Welch eine Gnade!

Zwischen diesen beiden Arten oder, wenn man will, zwischen dem Anfangs– und dem Endpunkt der Errettung liegt jedoch noch etwas, das mit unserer Errettung oder unserer Seligkeit in Verbindung steht. Wir sind ermahnt, „mit Furcht und Zittern unsere eigene Seligkeit zu suchen“ (Phil 2,12). Indes könnte gefragt werden: Was für Personen sind es, an welche sich diese Ermahnung richtet? Und in der Tat, diese Frage muss zunächst entschieden sein, wenn man anders eine Stelle des Wortes Gottes richtig verstehen will. In dem vorliegenden Fall ist die Frage nicht schwer zu beantworten. Die Personen, an welche sich die Ermahnung richtet, werden in demselben Verse die „Geliebten“ des Apostels genannt, sie hatten sich allezeit durch einen freudigen Gehorsam ausgezeichnet, und nachher redet sie Paulus als seine „geliebten und ersehnten Brüder, seine Freude und Krone“, an. Hieraus können wir mit unzweifelhafter Gewissheit entnehmen, dass sie nicht nur Errettete, sondern auch hingebende, treue Christen waren. Sie werden deshalb auch im Eingang des Briefes „Heilige in Christus Jesus“ genannt, und der Apostel erinnert sie unmittelbar nach seiner Ermahnung daran, dass Gott es sei, der in ihnen wirke sowohl das Wollen, als auch das Wirken, nach seinem Wohlgefallen. Es ist daher klar, dass die in Rede stehenden Personen die Errettung ihrer Seelen besahen, dass sie „in Christus Jesus“ waren und auf die Errettung ihrer Leiber warteten (Kap 3,20–21), und dennoch werden sie ermahnt, ihre eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu suchen. Wie ist das zu verstehen?

Der bejahrte Apostel, der früher mit aller Hingebung und Treue unter den Philippern gearbeitet und für sie gekämpft und gewirkt hatte, befand sich jetzt, weit von ihnen entfernt, im Gefängnis, bereit, als Märtyrer sein Leben zu lassen, wenn es der Wille Gottes sein sollte. Und jetzt war es sein sehnlichster Wunsch, dass sie sich selbst Tag für Tag vor den vielen Versuchungen und Fallstricken der Welt, des Fleisches und des Teufels, denen sie ausgesetzt waren, bewahren möchten. Es handelt sich hier selbstverständlich nicht um die ewige Errettung, denn diese besaßen sie schon; überdies ist die ewige Errettung einzig und allein eine Gabe Gottes in Gnade, zu welcher man weder etwas ab– noch zutun kann. Das Bewirken unserer eignen Seligkeit ist mit anderen Worten der Wandel auf dem Pfad der Trennung von der Welt und dem Bösen, auf dem Pfad, welchen ein jeder, der wirklich von Gott geboren ist, betreten hat und naturgemäß zu wandeln wünscht. Und diesen Wandel sollen wir führen mit Furcht und Zittern, angesichts unserer eignen Ohnmacht und der Macht des Feindes, sowie in dem Bewusstsein der Heiligkeit des Gottes und Vaters, der uns in seine Gemeinschaft berufen hat. Stets sollten wir uns fürchten, den heiligen Gott, mit welchem wir es zu tun haben, zu betrüben und zu verunehren. Zugleich aber werden wir durch die kostbare Tatsache ermutigt, dass Gott durch seinen Geist in uns wohnt und in uns die Kraft zu allem Guten ist. „Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen, als auch das Wirken, nach seinem Wohlgefallen.“

Es gibt zwei Dinge, welche für den Gläubigen auf seinem Weg durch diese versuchungsreiche Welt von unermesslichem Trost sind, und diese sind: die Macht Gottes, uns zu bewahren, und die Errettung, welche wir in Christus besitzen, der für uns gestorben ist und zur Rechten Gottes lebt, um sich allezeit für uns zu verwenden. Wenn Petrus von der Errettung redet, auf welche die Kinder Gottes warten, so sagt er: „Die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden“ (1. Pet 1,5). Welch ein kostbarer Trost! Es ist die Macht Gottes, die uns bewahrt, und der Weg, auf welchem Er es tut, ist der Glaube. Und wie lange will Er uns bewahren? Bis zur Errettung, die bei der Wiederkunft unseres Herrn und Heilands offenbart werden soll. Wie kommt es, dass ich heute noch auf dem Pfad des Glaubens stehe und mich aller der Segnungen, die es in seiner Person für mich gibt, erfreuen kann? Weil die Macht Gottes mich durch Glauben bis heute bewahrt hat. Welch ein Bewahrer! Ewig sei Ihm Dank und Anbetung dafür!

Und wenn wir dann unseren Blick über die gegenwärtige Zeit der Prüfungen und Schwierigkeiten hinauswandern lassen, so wissen wir, die wir mit Gott versühnt sind durch den Tod seines Sohnes, dass wir „durch sein Leben“ werden errettet werden. Denn Er vermag „völlig“, d. h. bis zu dem Ende unserer Reise hin, „zu erretten, die durch Ihn zu Gott kommen, indem Er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden“ (Heb 7,25). Er bringt uns durch alle Schwierigkeiten und Versuchungen hindurch, bis wir in dem Haus des Vaters anlangen und dort mit allen den Seinen in alle Ewigkeit seinen Ruhm erhöhen werden.

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