Botschafter des Heils in Christo 1884

Die Liebe Gottes

Gott ist „Licht“ und „Liebe.“ Das sind die beiden Seiten seiner Natur. Es sind nicht bloße Eigenschaften Gottes, sondern sie machen sein Wesen, seine Natur aus. Deshalb, wer aus Ihm geboren ist, muss derselben Natur teilhaftig geworden sein. Er ist „ein Licht im Herrn“, und er „liebt.“ „Ein jeglicher, der liebt, ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht gekannt“ (V 7–8).

Der Apostel Johannes stellt uns die Liebe Gottes, wie sie sich in Verbindung mit uns entfaltet hat, von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus vor. Zunächst redet er von der Offenbarung dieser Liebe „zu uns“ (V 9–10), dann von ihrer Vollendung „in uns“ (V 12), und endlich von ihrer Vollendung „mit uns“ (V 17).

Wann hat sich diese Liebe Gottes zu oder gegen uns offenbart? – Als wir noch Sünder und Feinde waren. Und wie hat sie sich offenbart? – Indem sie den eingeborenen Sohn für uns dahingab. Das ist in der Tat wahre, göttliche Liebe, die das Teuerste für ihre Feinde aufopfert. Und zwar hatte diese Dahingabe des Eingeborenen einen doppelten Zweck. Zunächst hat Gott Ihn in die Welt gesandt, auf dass wir durch Ihn leben möchten. Wir waren im Tod, und um mit Gott in Verbindung zu kommen, mussten wir Leben haben. Doch das war noch nicht alles. Wir waren auch bedeckt mit unzähligen Sünden und Übertretungen, und diese mussten hinweggetan werden, sollten wir anders in der Gegenwart eines heiligen Gottes glücklich sein. Und so hat Gott seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Er seinen Sohn in die Welt sandte, „als eine Sühnung für unsere Sünden.“

So hat die Liebe Gottes an uns gedacht und uns besucht, als wir noch Feinde und verdammungswürdige Sünder waren. Aber sie hat auch für uns gesorgt, während wir durch eine feindselige Welt gehen. Sie ist „ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (Röm 5,5); sie ist uns in ihrer ganzen Fülle und Vollkommenheit geschenkt, so dass wir sie genießen und, weil sie in unsere Herzen gesenkt ist, auch ausstrahlen lassen können inmitten der Versuchungen und Schwierigkeiten dieser armen Wüste. Und gerade diese Tatsache, dass wir fähig gemacht sind, zu lieben, wird von dem Apostel als Beweis angeführt, dass sie „in uns vollendet“ ist. Je mehr wir die Liebe Gottes genießen, desto mehr werden wir sie gegen unsere Brüder offenbaren, und wiederum, je mehr wir einander in Wahrheit lieben, desto mehr beweisen wir, dass die Liebe Gottes in uns vollendet ist. Zugleich sind wir als solche, in deren Herzen die Liebe Gottes ausgegossen ist, berufen, Gott selbst in dieser Welt zu offenbaren. Einst war es der Sohn, der den Vater hienieden kundmachte; jetzt haben wir die hohe Berufung, den Gott, den niemand jemals gesehen hat, in unserer Gesinnung, in Wort und Wandel zu offenbaren. Wir sind berufen, „die Tugenden dessen zu verkündigen, der uns aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1. Pet 2,9). Welch eine Berufung!

Richten wir jetzt unseren Blick auf das Ende unseres Pfades, so entdecken wir wiederum die Liebe Gottes. Sie ist mit uns, oder in Bezug auf uns vollendet worden, so dass wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, indem sie uns Ihm, unserem Herrn und Heiland, völlig gleichgemacht hat. Wenn es wahr ist – und Gott selbst versichert es mir – dass ich jetzt schon, in dieser Welt, Ihm gleich bin, – „wie Er ist“, – dann habe ich keine Ursache mehr, irgendwie besorgt zu sein bei dem Gedanken an den Augenblick meines Offenbarwerdens vor dem Richterstuhl Christi. Wie könnte mich der Richter verurteilen, wenn ich Ihm gleich bin? Wahrlich, das Bewusstsein, so vollkommen von Gott geliebt zu sein, dass Er mich seinem Geliebten gleich macht, verbannt jede Furcht aus meinem Herzen. „Die vollkommene Liebe“ – d. h. nicht meine Liebe zu Gott, denn diese ist nie vollkommen, sondern die Liebe Gottes zu mir – „treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe“ (V 18), d. h. er erkennt und genießt nicht völlig diese Liebe.

O wie anbetungswürdig ist die Liebe Gottes! Wie hat sie an uns gedacht und für uns gesorgt in der Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft! Möchten wir alle sie mehr genießen und mit dankbarem Herzen Ihn wiedergeben, der uns zuerst geliebt hat!

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