Botschafter des Heils in Christo 1884

Eli und seine Söhne

Auszug (aus Vorträgen von G. R. über 1. Samuel 1–2)

Bei den Opfern des alten Bundes war es von Gott festgestellt, welchen Teil der Priester von denselben erhalten sollte. Bei den Brandopfern gehörte alles Gott allein; bei anderen Opfern erhielten der Priester und der Opfernde ihr Teil, wodurch sie mit Gott in Gemeinschaft traten. Meistens war es die Schulter oder ein anderes genau beschriebenes Stück. Die Söhne Elis aber nahmen vom Opferfleisch, was sie wollten, mit Verachtung der Gebote Gottes und mit Gewalttat gegen die Opfernden, und gerade dies wurde ihnen als eine schwere Sünde angerechnet. „Und die Sünde der Jünglinge war sehr groß vor Jehova, denn die Leute verachteten das Speisopfer Jehovas.“ Wenn Gott eine besondere Verordnung gegeben hat, so muss diese aufrechterhalten bleiben, es sei denn, dass Gott sie selbst wieder aufhebt. Allein jene Männer fragten nichts nach Gott und seinem Wort, sondern taten, was sie wollten. Wir finden im Wort Gottes viele Beispiele davon, wie der Mensch in allem, was Gott ihm gegeben, sich als Übertreter erwiesen hat. So gingen die beiden Söhne Aarons, Nadab und Abihu ins Heiligtum hinein mit fremdem Feuer und wurden dafür mit augenblicklichem Tod bestraft; „denn“, sagt der Herr, „unter denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor dem ganzen Volk will ich verherrlicht werden“ (3. Mo 10,3).

So sehen wir auch hier, dass Gott die Söhne Elis wegen ihrer Sünden härter strafte, als andere, weil sie ihm als Priester näherstanden. Denn je höher unsere Stellung, desto größer ist auch unsere Verantwortlichkeit; je näher wir Gott stehen, desto genauer wird Er es auch mit uns nehmen. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert werden. „Jeglichem aber, dem viel gegeben ist, bei dem wird viel gesucht werden; und dem man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr fordern“ (Lk 12,48). Mose und Aaron durften wegen einer Sünde das gelobte Land nicht betreten. „Darum dass ihr nicht an mich geglaubt habt, mich zu heiligen vor den Augen der Kinder Israel, deswegen sollt ihr diese Versammlung nicht bringen in das Land, das ich ihnen gegeben habe“ (4. Mo 20,12). So wurde die Sünde des Unglaubens an diesen beiden Männern weit strenger heimgesucht, als an allen anderen Israeliten. Der Herr wird in seiner Regierung den Ungehorsam stets am meisten an solchen rügen, welche die größte Erkenntnis besitzen. Jeder wird beurteilt nach seiner Stellung und nach dem Licht, das er hat. Lasst uns deshalb nicht vergessen, dass, wenn Gott uns mehr Wahrheit gegeben hat, als anderen, wir Ihm auch umso viel treuer dienen sollten. Wenn wir es nicht tun, so wird der Herr uns mehr richten als andere, denn es ist offenbar, dass der Herr durch unsere Untreue und Gleichgültigkeit weit mehr verunehrt wird, als wenn andere, die weniger Erkenntnis besitzen als wir, dieselben verkehrten Wege gehen. Unser Ungehorsam beleidigt die Majestät Gottes weit mehr, und wir sind weit schuldiger. Infolge dessen wird der Herr auch einen bösen Zustand bei uns in seiner Regierung viel schwerer rügen als bei jenen.

Der hervorragendste Charakterzug der Sünde der Söhne Elis war Eigenwille und Gewalttat. Der Eigenwille ist in den Augen Gottes etwas überaus Schlechtes. In 1. Samuel 15,23 heißt es: „Denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst.“ Wir sehen deshalb auch, welch schwere Gerichte diese Sünde über Eli und sein ganzes Haus brachte. Mit der Zeit durfte kein Priester mehr aus dem Haus Elis dem Herrn dienen, nach dem Wort des zu Eli gesandten Mannes Gottes (Kap 2), dessen Weissagung unter Salomo in Erfüllung ging. Abjatar wurde, weil er an der Empörung gegen David teilgenommen hatte, vom Priestertum ausgeschlossen (1. Kön 2,26–27). Wenn trotz aller Warnungen das Herz sich nicht zu Gott wendet, so ist das Gericht unabwendbar (vgl. Spr 29,1). Eli war zwar fromm, aber schwach. In der Art und Weise, wie er sich gegen Hanna und ihren Sohn benahm, zeigte er Frömmigkeit, aber er hatte keine Energie, weder für das Gute, noch gegen das Böse. Gott sandte daher jenen Propheten zu ihm, um ihn daran zu erinnern, wie Er seinen Vater aus allen Stämmen Israels sich zum Propheten erwählt habe und auch sein Haus und seines Vaters Haus habe beständig vor Ihm wollen wandeln lassen. So hatte Gott einst zu dem Vater Elis reden können, aber was musste Er ihm heute sagen lassen angesichts der Sünde seiner Söhne, welche er ungehindert hingehen ließ? „Fern sei es von mir! denn die mich ehren, werde ich ehren; die aber, die mich verachten, werden geringgeachtet werden“ (Kap 2,30).

Gott hatte sich dereinst Aaron und seine Söhne zu Priestern erwählt, und als Korah mit seinem Anhang sich gegen das priesterliche Haus erhob, hatte Gott das Priestertum Aarons bestätigt, indem Er dessen Stab grünen ließ (4. Mo 17,8). Wenn Gott sich in dieser Weise zum Haus Elis bekannt hatte, so war es dessen Pflicht, sich dafür dankbar zu erweisen. Allein daran ließ er es gänzlich fehlen. Wie wichtig ist es, sich zu prüfen, ob man nicht sich selbst und die Seinen mehr liebt, als Gott! Das priesterliche Geschlecht hätte immer denselben Eifer für die Ehre Gottes an den Tag legen sollen, wie im Anfang von den Leviten gesagt werden konnte: „Der zu seinem Vater und zu seiner Mutter spricht: Ich sehe ihn nicht, und seine Brüder erkennt er nicht, und von seinen Söhnen weiß er nichts; denn sie beobachten dein Wort, und deinen Bund bewahren sie“ (5. Mo 33,9). Wenn Gott die Leviten für sich absonderte, so tat Er es deshalb, weil Er vor allem ihr Teil sein wollte. Genauso verhält es sich mit jedem Kind Gottes. Es bleibt immer wahr: „Wer Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder mehr liebt, als mich, der ist meiner nicht wert.“ Bemerkenswert ist es, dass der Mann Gottes nicht sagt: „Warum schlagen deine Söhne aus Wider mein Schlachtopfer und mein Speisopfer?“ sondern: „warum schlagt ihr aus wider mein Schlachtopfer“ usw.? Und ebenso: „Und du ehrst deine Söhne mehr denn mich, dass ihr euch mästet von den Erstlingen aller Opfer Israels, meines Volkes.“ Zwar schwieg Eli nicht ganz still zu der Sünde seiner Söhne, doch verhielt er sich viel zu gleichgültig ihrem ruchlosen Treiben gegenüber, und deshalb wurde ihre Übertretung ihm ebenfalls zugerechnet.

Das ist sehr ernst. Wohl ist es wahr, dass Gott treu ist; nichts wird uns von seiner Liebe in Christus Jesus, unserem Herrn, zu scheiden vermögen. In Trübsal, Angst, Verfolgung, Blöße, Hungersnot, Gefahr oder Schwert sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Aber es steht auch geschrieben, dass, wenn einer für alle gestorben ist, somit alle gestorben sind, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Wenn wir jetzt leben, so haben wir dem zu leben, der uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat. Die Seele wird keinen wahren, völligen Frieden finden, bis sie für Ihn lebt. Wir sind erkauft, um dem Herrn zu dienen. Die Leviten hatten kein Erbteil, weil der Herr ihr Erbteil war, und so hat auch der Christ in dieser Welt nichts zu suchen; er hat keine Verheißung für diese Erde, sein Erbteil ist ebenfalls der Herr, und diesem Herrn zu folgen und zu dienen, ist sein Beruf. Wo das Herz nicht für den Herrn schlägt, da kann auch kein wahrer Segen sein. „Die mich ehren, werde ich ehren“, sagt der Herr, „die aber mich verachten, werden geringgeachtet werden.“ Fragen wir uns, geliebte Brüder, ob wir immer die Ehre des Herrn gesucht, oder ob wir nicht manches Mal Ihn und seine Ehre vernachlässigt und geringgeschätzt haben!

Wir sehen, wie der Herr sich wirklich von dem Haus Elis abwandte. Es war schon eine Demütigung für Eli, dass der Herr sich nicht ihm, sondern dem zarten Knaben Samuel offenbarte und ihm die Gerichte anzeigte, welche Er über das Haus Elis bringen wollte. Doch wie konnte es anders sein? Der Herr hatte gesagt: „Unter denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor dem ganzen Volk will ich verherrlicht werden“, und Er hatte dies gezeigt, indem Er Nadab und Abihu, die Söhne Aarons, nicht verschonte. So konnte Er auch hier das böse Treiben der Söhne Elis nicht ungestraft lassen. Aber es ist köstlich zu sehen, wie ungern Gott richtet, und dass Er es nur tut, wenn Ihm kein anderer Weg übrigbleibt. Sogar dem Gesetzlosesten gegenüber verzieht der Herr mit dem Gericht, wenn dieser sich demütigt. Aber Eli demütigte sich nicht, trotzdem er wusste, wie es mit seinen Söhnen stand, und welch ein schreckliches Gericht ihn und sein Haus treffen sollte. Er hätte als ein treuer Diener Gottes und als ein rechter Vater seine Söhne ernstlich zurechtweisen und strafen sollen, aber er tat es nicht. Wie ernst hatte der von Gott gesandte Prophet mit ihm geredet! Aber Eli scheint trotzdem kein Leid getragen zu haben. Und doch wäre es für ihn an der Zeit gewesen, in Sack und Asche Buße zu tun. Es zeigt dies, wie wenig Gefühl Eli vor Gott hatte. Wenn jemand mit einem solchen Auftrag kommt, wie der Mann Gottes, und es macht keinen Eindruck, so begreift man, warum Gott strafen muss. Der Herr hätte so gern anders gehandelt. Wenn das Herz sich wirklich demütigt, so ergreift der Herr mit Freuden jeden Anlass, um sich die angedrohte Strafe reuen zu lassen. Sobald Ahab, der böse, götzendienerische Ahab, Buße tat, ließ Gott mit seinem Zorn von ihm ab. Aber so groß einerseits die Langmut des Herrn ist, so zeigt Er andererseits doch auch seinen Ernst. Er lässt seinem untreuen Priester durch Samuel jagen: „Ich habe ihm kundgemacht, dass ich sein Haus richten will ewiglich um der Ungerechtigkeit willen, die er gewusst hat, dass seine Söhne sich den Fluch zugezogen, und er hat ihnen nicht gewehrt“ (Kap 3,13).

Wie wichtig und lehrreich sind diese Dinge für das Leben eines jeden Einzelnen, besonders des Christen. Der wahre Gläubige wird, Dank der Gnade Gottes, zwar nicht verloren gehen, dennoch kann die Züchtigung gehen bis zum Tod. Darum sollten wir ein ernstes Selbstgericht üben über unsere Gedanken, Worte und Werke. Wie traurig, wenn Gott züchtigen muss, Er, von dem Mose sagt, dass Er sich das Böse gereuen lässt, wenn nur das Herz sich demütigt! Aber ach! Eli demütigte sich, wie gesagt, nicht. Welch eine Gleichgültigkeit und Härte des Herzens offenbaren seine Worte: „Er ist Jehova, er tue, was gut ist in seinen Augen“ (Kap 3,18). Welch eine traurige Sprache gegenüber all der Langmut und Geduld, welche Gott ihm und seinem Haus erwiesen hatte! Seine Geduld war wahrlich groß gewesen.

Wie köstlich ist es andererseits, in diesen ernsten Kapiteln neben der Untreue und Gleichgültigkeit Elis die kindliche Einfalt und Treue Samuels zu betrachten und zu sehen, wie der Herr mit ihm in lieblichen Verkehr tritt und ihn vor den Menschen ehrt. „Die mich ehren, werde ich ehren“, ist ein göttlicher Grundsatz, der stets wahr bleibt. Wenn wir uns zu verurteilen haben, so lasst es uns doch tun, denn Gott ist größer, als unser Herz und kennt alles. Der Herr gebe uns in allen Dingen ein zartes Gewissen, ein Herz, das sich durch Ihn belehren lässt!

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