Botschafter des Heils in Christo 1884

Die Berufung der Braut - Teil 2/3

3.: Im 24. Kapitel befinden wir uns auf einem ganz neuen Boden. Segnungen und Ratschlüsse, die mit dem Bund zwischen Gott und seinem irdischen Volk in Verbindung stehen, werden für einen Augenblick beiseitegesetzt, und eine Person erscheint vor unseren Blicken, von der bisher noch nicht die Rede war. Die Berufung und Erhöhung Rebekkas sind die Hauptgegenstände in diesem Kapitel, und wiederum sind alle Umstände und Ereignisse voll des tiefsten Interesses und werfen ein helles Licht auf unsere gegenwärtige Stellung in und mit Christus, sowie auf die Gnadenwege Gottes, „der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus“ (1. Pet 5,10).

Neue Vorsätze des Vaterherzens werden uns mitgeteilt, und Elieser, der treue Knecht Abrahams, muss hinabziehen nach Mesopotamien, um dort, unter der ernsten Verpflichtung eines Eides, eine Braut für den Sohn seines Herrn zu suchen. Dies ist sehr bedeutungsvoll, da es der Opferung Isaaks und dem Begräbnis Sarahs unmittelbar folgt. Vorbildlich erblicken wir in diesen drei aufeinander folgenden Ereignissen: 1. den Tod Christi, 2. das Verschwinden Israels und 3. die Berufung der Braut durch den Heiligen Geist, um in die neue und erhabene Stellung der Braut des Lammes eingeführt zu werden.

Unter den schönen Vorbildern des 24. Kapitels sind es besonders vier, welche unsere sorgfältige Beachtung verdienen: 1. der Vorsatz Abrahams; 2. die Stellung Isaaks; 3. die Sendung Eliesers und 4. die Berufung und der Charakter Rebekkas. 1. Der Vorsatz Abrahams

Abraham erscheint in diesem Kapitel als ein Mann Gottes, der seinen Platz und Charakter nicht nur völlig kennt, sondern auch diesen Platz einnimmt und diesen Charakter offenbart. Alles, was er sagt und tut, beweist dieses. Er war vertraut mit den Gedanken Gottes. Wie köstlich ist es, einen bejahrten Pilger, wie Abraham es jetzt war, gleichsam in der Frische der ersten Liebe handeln zu sehen! Ein solcher Anblick fesselt das Herz und erweckt den Wunsch, sich einen Augenblick damit zu beschäftigen.

Abraham hatte sein Land, seine Verwandtschaft und seines Vaters Haus verlassen; er war nach Kanaan gekommen, aber die Kanaaniter wohnten noch im Land Rund um ihn her gab es nichts als Feinde; er war mit seinem Zelt und seinem Altar ein Pilger und Fremdling in dem Land der Verheißung. Nichtsdestoweniger war das Land sein Eigentum, die Berufung und Verheißung Gottes gehörten ihm; und diese göttlichen Wirklichkeiten, welche durch den Glauben in seinem Herzen, wohnten, leiteten und befähigten ihn, sein Haus nach den Gedanken Gottes einzurichten und vor den Bewohnern des Landes in wahrer moralischer Würde und geziemender Unabhängigkeit zu wandeln. Dies ist, auch von einem christlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, ein Gegenstand von der höchsten Wichtigkeit. Ich meine, die Berufung Gottes und die Antwort, welche unser Herz und unser Leben auf diese Berufung geben. Nur in dem Maß, als wir unter der Macht und dem Einfluss dieser Berufung stehen, können wir unseren Platz als Pilger und Fremdlinge in dieser Welt einnehmen und mit der Verheißung Gottes zufrieden sein, wenn auch alles um uns her gegen uns ist. Nur so vermögen wir in einer Gott wohlgefälligen Weise, getrennt von der Welt, hienieden zu wandeln, bis unser Herr und Heiland kommt, um uns in die Wohnungen des Vaterhauses einzuführen. Wir wissen, dass wir alles in Christus besitzen, aber nur die Berufung Gottes kann uns von dem gegenwärtigen, bösen Zeitlauf brennen, so wie Christus von demselben getrennt ist. „Sie lind nicht von der Welt, gleich wie ich nicht von der Welt bin.“ „Denn so viele der Verheißungen Gottes sind, in Ihm ist das Ja und in Ihm das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns“ (Joh 17,16; 2. Kor 1,20).

Leider wird im Allgemeinen so wenig von den Christen hieran gedacht. Man vergisst so gern, dass wir unter einer solchen Berufung stehen und verpflichtet sind, ihr zu gehorchen, weil ein solcher Gehorsam schwierig und für die Natur schmerzlich ist. „Gehe aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft!“ so lautete das Gebot Gottes an unseren Vater Abraham, als er in Mesopotamien wohnte. Dieses Gebot forderte Trennung, und die Berufung Gottes ist heute noch ebenso bestimmt und unbedingt, wie sie es damals war; sein Wort bleibt immer dasselbe. Es wendet sich mit unerbittlicher Schärfe und Gründlichkeit gegen alles, was unserer Natur lieb und weit ist. Alte und liebgewordene Verbindungen müssen abgebrochen. Freunde und Verwandte zurückgelassen, das eigene Ich verleugnet und die Stimme Gottes befolgt werden. Und wenn dies in aller Treue geschieht, so werden wir finden, dass viele unserer alten Freunde in der Welt, ja selbst in der bekennenden Kirche, mehr als bereit sind, sich von uns zu trennen, und zwar nicht selten mit vieler Bitterkeit und Feindschaft. Wir werden vielleicht auch manchen Kampf zu bestehen haben, bis wir in Bezug auf alle diese Dinge zur Ruhe gebracht sind, oder bis die Autorität des Wortes Gottes völlig in unseren Herzen aufgerichtet ist. Indes Gott wartet auf uns. Er musste eine lange Zeit warten, ehe Abraham in den rechten Herzenszustand gelangt war, aber Er wartete; und so wartet Er auf uns. Er muss uns früher oder später dahin bringen. Eher kann Gott nicht befriedigt sein.

„Also nun ein jeglicher von euch“, sagt unser gepriesener Herr, „der nicht allem entsagt, was er hat, kann nicht mein Jünger sein“; und: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und Mutter und Weib und Kinder und Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,26.33). Diese Bedingungen der Jüngerschaft Christi hat man oft sehr hart und unverständlich genannt. Die Stelle meint natürlich nicht, dass wir unsere Verwandten hassen sollen, so wie ein natürliches Herz hasst; wir werden sie als Gläubige im Gegenteil inniger und zärtlicher lieben, als je vorher. „Ohne natürliche Liebe“ ist ein Charakterzug des Abfalls der letzten Tage. Der Herr will uns vielmehr belehren, dass wir uns so völlig selbst verleugnen, unser Kreuz auf uns nehmen und Ihm nachfolgen müssen, dass es anderen scheinen könnte, als wenn wir die nächsten und stärksten Bande der natürlichen Zuneigung und verwandtschaftlichen Liebe geringachteten. Dies ist sicher für den, der Christus nachfolgt, in allen Fällen eine weit größere Prüfung, als für diejenigen, welche er zu vernachlässigen scheint. Die Bande, welche dazu angetan sind, uns an der Nachfolge Christi zu hindern, müssen zerrissen werden. Wenn Terach Abraham daran hinderte, in das verheißene Land zu ziehen, so musste er zu Haran sterben (1. Mo 11,32). Wir haben anzuerkennen, dass die Gnade stärker ist, als alle Bande der Natur. „Kommt her zu mir!“ – „Folge mir nach!“ und: „Bleibt in mir!“ Das sind die eignen Worte des Herrn, und sie belehren uns klar und deutlich, dass es nicht genug ist, zu Ihm zu kommen, sondern dass wir Ihm dann Tag für Tag nachzufolgen und in Ihm, als unserem verherrlichten Haupt in den Himmeln, zu bleiben haben. Er ist der Maßstab unserer Trennung von der Welt durch den Glauben, mittels der Macht des Heiligen Geistes.

Doch ehe wir diesen Gegenstand von so hoher praktischer Bedeutung verlassen, möchte ich den christlichen Leser ermuntern, weniger auf das zu blicken, was er aufgegeben, als auf das, was er anstatt dessen gewonnen hat. Lasst uns alles das, was wir dahinten gelassen haben, als unseres Bedauerns unwürdig betrachten (Phil 3,4–10)! In seinem Brief an die Epheser bittet der Apostel Paulus, dass die Gläubigen zu Ephesus, erleuchtet an den Augen ihres Herzens, wissen möchten, welches „die Hoffnung seiner Berufung“ sei, und welches „der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen.“ Wir sind zu nichts Geringerem berufen, als zu dem Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes; nichts weniger als das würde dieser Berufung angemessen sein. In diesem Reichtum gibt es sicherlich genug, um das Auge und Herz zu dem Himmel empor zu richten und sie von den Dingen hienieden abzuziehen. Überdies dürfen wir nicht vergessen, dass die moralische Ehre und Würde, die Erben eines solch reichen Erbes zu sein, uns anspornen sollte, in unbedingter Trennung von den erniedrigenden und verunreinigenden Dingen dieser Erbe zu wandeln. Wir sind berufen mit „heiligem Ruf“; eine „himmlische Berufung“ und „die Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ ist unser Teil (2. Tim 1,9; Heb 3,1; Phil 3,14).

Wir kehren jetzt zu unserem Patriarchen zurück. Die Verpflichtungen, welche Abraham seinem Knecht Elieser auferlegt, zeigen uns, wie völlig er in dem Geist und entsprechend der Stellung eines himmlischen Fremdlings in dem Land handelt, und wie ernst sein Begehren ist, dass Isaak in demselben Platz der Trennung erhalten bleiben möchte, den er selbst eingenommen hatte. Alle seine Gedanken und Pläne haben jetzt nur seinen Eingeborenen zum Mittelpunkt. Eine Braut muss für den Erben gesucht werden. Aber unter keiner Bedingung kann Abraham seine Zustimmung dazu geben, dass Isaak nach Mesopotamien hinabziehe oder mit den Töchtern Kanaans eine Verbindung eingehe. Dies ist sehr belehrend für uns. „Lege doch“, so sagt er zu seinem Knecht, „deine Hand unter meine Hüfte, und ich werde dich schwören lassen bei Jehova, dem Gott des Himmels und dem Gott der Erde, dass du meinem Sohn nicht ein Weib nimmst von den Töchtern der Kanaaniter, in deren Mitte ich wohne; sondern in mein Land und in meine Verwandtschaft sollst du ziehen und ein Weib nehmen meinem Sohn, dem Isaak“ (V 2–4). Das war eine neue und völlig ungewohnte Arbeit für einen Knecht, und deshalb macht Weser naturgemäß den Einwurf, dass sich ihm Schwierigkeiten in den Weg stellen könnten. Er hatte ohne Zweifel schon oft die Wünsche seines Herrn ausgeführt, aber dies war für ihn ein ganz neuer Dienst. „Vielleicht“, sagt Elieser, „willigt das Weib nicht ein, mir zu folgen in dieses Land; soll ich dann deinen Sohn jedenfalls zurückbringen in das Land, aus welchem du weggezogen bist?“ (V 5) Abrahams Antwort lautet so entschlossen und bestimmt wie möglich; sein Vorsatz steht fest, mögen sich auch noch so große Schwierigkeiten der Ausführung desselben entgegenstellen. „Und Abraham sprach zu ihm: Hüte dich, dass du nicht meinen Sohn dahin zurückbringst!“ (V 6)

In allem diesem erkennen wir ein treffendes Vorbild von den ewigen Ratschlüssen und Vorsätzen Gottes, bestätigt durch sein Wort und seinen Eid, nämlich seinen Sohn als den in den Himmel versetzten Menschen zu verherrlichen und zugleich die Kirche, als verbunden mit Ihm, zu segnen und zu verherrlichen. Der Glaube ruht nicht allein auf dem in der Zeit vollbrachten Werke Christi, sondern er geht zurück zu den Gedanken und Ratschlüssen des Herzens Gottes, wie Er sie sich vorgesetzt hat in sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens, bevor die Grundlagen der Welt gelegt wurden. Rebekka wusste nichts von den Gedanken und Ratschlüssen der Familie Abrahams, solange sie in Mesopotamien war; nichtsdestoweniger waren ihre Berufung und zukünftige Erhöhung auf dieselben gegründet. Ebenso ist es mit dem Christen und mit der Kirche im Allgemeinen. Deshalb können wir mit dem Apostel ausrufen: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie Er uns auserwählt hat in Ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor Ihm in Liebe!“ (Eph 1,3–4) 2. Die Stellung Isaaks

Der Charakter der Übereinkunft zwischen Abraham und Elieser zeigt uns deutlich die Stellung, welche Isaak zu jener Zeit einnahm. Er war bei seinem Vater im Land Kanaan, und dort musste er bleiben, bis eine Braut für ihn gefunden wurde. Mochte kommen, was da wollte – das Eine stand fest, dass Isaak nicht nach Mesopotamien hinabgehen durfte. Das ist sehr bezeichnend und redet zu unseren Herzen. Es erinnert uns lebhaft an den wahren Isaak. Er weilt bei dem Vater in den Himmeln, während die Kirche aus Juden und Heiden gesammelt wird, um die himmlische Braut, das Weib des Lammes zu bilden. Christus stieg hinauf in den Himmel, ehe der Tag der Pfingsten gekommen war, und Er verlässt Ihn nicht wieder, bis Er die Gläubigen zu sich nimmt. Isaak ist von dem Augenblick an, da er Moria verlässt, als tot und auferstanden, vor unseren Blicken verborgen, bis er erscheint, um Rebekka entgegen zu gehen. Wie bei der Opferung auf dem Berg Moria, so handelt er auch hier in völliger Übereinstimmung mit den Gedanken des Vaters, sowie mit seinem vorbildlichen Charakter, und erscheint nicht eher wieder auf dem Schauplatz, bis ihm die Braut von Elieser zugeführt wird.

Doch was lehrt dich diese Wahrheit, mein lieber Leser? Gehe nicht gleichgültig darüber hinweg, ich bitte dich. Was sie dich lehrt, ist einfach genug zu verstehen; aber die Trennung, welche sie von dir fordert, ist zu bestimmt und entschieden, um ebenso leicht und gern verstanden zu werden. Viele Christen sind gewohnheitsmäßig so sehr mit der Welt vermischt, dass sie keine praktische Bekanntschaft mit dieser überaus wichtigen Wahrheit haben. Doch ich will mich genauer ausdrücken. Alle wahren Christen geben zu, dass Christus der einzige wahre und allein passende Gegenstand für ein Christenherz ist. Dies lehrt das Wort zu deutlich in Aussprüchen, wie die folgenden: „Eins tue ich, vergessend, was dahinten und mich ausstreckend nach dem, was da vorne ist ...“ – „Zu leben für mich ist Christus.“ – „Sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist.“

Wenn ich nun sehe, dass Christus hinaufgestiegen ist in die Höhe und sich gesetzt hat zur Rechten Gottes, so muss ich mein Herz auf das richten, was droben ist, und hienieden einen Pfad verfolgen, der mit seinen Gedanken in Übereinstimmung steht, wenn ich anders mit meinem verherrlichten Haupt in den Himmeln in Gemeinschaft zu leben und zu wandeln wünsche. Es ist vollkommen klar, dass ich jetzt, wo Christus keinerlei Verbindung mit der Welt hat, nicht in seiner Gemeinschaft wandeln kann, wenn ich in einer weltlichen Gesinnung einhergehe oder mich in einer Stellung befinde, die seinen Gedanken nicht entspricht. Das ist eine ebenso einfache, wie praktisch wichtige Wahrheit. Sie verdient unsere ernsteste Beachtung und übt, wenn sie verstanden und beherzigt wird, einen unermesslichen Einfluss auf das ganze Verhalten eines Gläubigen aus. Alle Fragen, alle Beschäftigungen, alle Verbindungen müssen in dem Licht der Herrlichkeit Christi und in dem Bewusstsein unseres Einsseins mit Ihm untersucht, geordnet und eingerichtet werden. Es gibt nur einen Maßstab, nur eine Richtschnur für den Christen, und das ist Christus in der Herrlichkeit. Wir arbeiten für Ihn, unser verherrlichtes Haupt; aller unser Dienst gilt Ihm allein. Die einzige Frage für uns ist: Wie gefällt dieses, wie gefällt jenes meinem Herrn? Auf diese Weise wird Christus, je mehr wir in der Erkenntnis seiner Person wachsen und in Treue Ihm zu dienen suchen, unser Beweggrund, unser Gegenstand, unser Teil und unsere Kraft zum Dienst.

Gerade der unausforschliche Reichtum, den ich in Christus finde, macht mich praktisch zu einem Fremdling hienieden. Die Gemeinschaft mit Ihm, der zur Rechten des Vaters ist, erweckt in mir eine himmlische Gesinnung und zugleich das Gefühl, dass ich in dieser Welt ein Pilger und Fremdling bin. Nur die Reichtümer seiner Liebe vermögen das Herz von den gegenwärtigen Dingen abzuziehen und es auf das hinzulenken, was droben ist. Du magst, wie es viele vor dir getan haben, dich anstrengen, durch vieles Beten, durch eine unausgesetzte Beschäftigung mit religiösen Pflichten, oder durch große Wachsamkeit über deinen Geist, deinen Gedanken und Gefühlen eine himmlische Richtung und einen himmlischen Charakter zu geben; aber du wirst erfahren müssen, dass alles das wenig nützt, solange du nicht dein Verhältnis zu Ihm, der zur Rechten Gottes sitzt, kennst und genießest.

So richtig alle jene Pflichten auch sein mögen und so wenig sie vernachlässigt werden sollten, so wirst du doch finden, dass eine noch so genaue Ausübung derselben dich weder zu einem Fremdling hienieden machen, noch das Bewusstsein in dir erwecken kann, dass du in dem Himmel daheim bist. Sich zurückzuziehen von der Welt Vermittelst einer genauen Beobachtung religiöser Pflichten, oder sich von ihr zu trennen durch den Glauben, sind zwei unendlich verschiedene Dinge, obwohl sie oft mit einander vermengt werden mögen. Der Einsiedler und der Mönch nehmen die Welt mit sich in die einsamste Klause und in die engste Zelle.

Das große Geheimnis und die praktische Kraft des wahren Christentums, einer himmlischen Gesinnung, einer wahren Fremdlingschaft in dieser Welt, ist daher die glückselige Gemeinschaft mit einem himmlischen Christus. Er bleibt von der Welt getrennt, solange die Berufung und Sammlung der Kirche vor sich geht, und deshalb sollten auch alle Christen, im Blick auf ihre Gesinnung und ihre Wege, von der Welt getrennt bleiben. Sie sind berufen, mit Ihm in den Himmeln eins zu sein und als Zeugen für Ihn durch diese Welt zu wandeln. Aber ach! Wie viele Christen schenken dieser Wahrheit von unserer innigen Verbindung mit Christus wenig oder gar keine Beachtung! Wie viele entziehen sich der ernsten Bedeutung der Worte des Apostels: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt seid, so sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnt ans das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,1–3). Und indem jene Christen mit Willen diese ernsten Wahrheiten vernachlässigen, kommen sie mehr und mehr in eine falsche Stellung hinein, werden weltlich und sind untreue, falsche Zeugen für Christus, sowohl in der Welt, als in der Kirche. Nichts vermag den Gläubigen vor aller Art von Weltförmigkeit zu bewahren, als allein die durch den Glauben genossene Kraft eines auferstandenen Christus. Wenn nun das Maß unseres Genusses eines himmlischen Christus auch das Maß unserer Trennung von der Welt ist, so können wir leicht ermessen, worin die erschreckende Weltförmigkeit, welche sich bei so vielen Christen unserer Tage findet, ihren Grund hat.

Doch man möchte hierauf erwidern: „Wie ist es aber möglich, stets auf das zu sinnen, was droben ist, wenn man den ganzen Tag hindurch mit den Beschäftigungen dieses Lebens überladen ist?“ – Es ist unmöglich, solange das Herz nicht allein für Christus schlägt. Dazu bedarf es eines ungeteilten Herzens. Der Herr selbst sagt: „Kein Hausknecht kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den Einen hassen und den Anderen lieben, oder er wird dem Einen anhängen und den Anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Lk 16,13). Das ist ein ernstes Wort, das die Seele auf die Probe stellt; aber seine Bedeutung ist klar: kein Herz kann wahr und aufrichtig sein, wenn seine Zuneigungen geteilt sind. Christus beansprucht ein ungeteiltes Herz. „Gib mir, mein Sohn, dein Herz.“ Die einzig richtige Frage ist daher: Wer und was ist mein Gegenstand, der Zweck meines Lebens? Es handelt sich nicht darum, welcher Art meine Beschäftigung ist, noch was ich tue, sondern darum, was der leitende Gegenstand ist, der vor meiner Seele steht. Der Christ hat unaufhörlich die göttliche Kunst zu studieren, durch alle seine irdischen Wichen mit einfältigem, abhängigem Herzen hindurchzugehen und sie zu ebenso vielen Gelegenheiten des Dienstes für seinen Herrn zu machen. Was er nicht von ganzem Herzen als einen Dienst für seinen Herrn tun kann, sollte er beiseitelassen. Sicher ist in all diesem göttliche Gnade und Weisheit nötig, aber Gott ist bereit, einem jeden Weisheit zu geben, der Ihn darum bittet. Der Pfad ist schmal, und nur ein einfältiges Auge kann ihn stets erkennen. Aber die Seele, welche ihn mit Treue und Einfalt wandelt, wird reichen Segen auf ihm ernten.

Der Pfad des Christen durch diese Welt ist auf allen Seiten von so vielen Gefahren umgeben, dass ein richtiges Bewusstsein von seiner eignen Schwachheit und großen Verantwortlichkeit Furcht und Zittern in dem Gläubigen hervorrufen wird. Und zwar mit Recht. Aber diese Furcht wird ihn nicht zur Verzweiflung treiben, sondern ihn dahinführen, sein Vertrauen auf den lebendigen Gott zu setzen. Wo das Bewusstsein der eignen Schwäche und Verantwortlichkeit wenig vorhanden ist, da kann man auch wenig auf Beständigkeit und Festigkeit im Zeugnis und Wandel rechnen. Begehrlichkeit, Stolz, eigene Ehre, Selbstbefriedigung und die Sucht nach fleischlicher Bequemlichkeit sind einige von den Schlingen, welche den Pfad weltlichen Wohlergehens umgeben. Und der Feind, der unsere Neigungen kennt, weiß diese Schlingen sehr wohl zu erhalten und zu befestigen. Man findet daher nicht selten Personen, welche eifrige Gegner eitler Prunksucht und der Befriedigung der Begehrlichkeiten des Fleisches sind, die aber in der Schlinge der Habsucht gefangen liegen und dies noch unter dem Vorwand der Genügsamkeit oder gar der Demut zu verbergen suchen. Auch äußere Not und Schwierigkeiten haben ihre Schlingen. Sehr oft findet man bei Christen, denen es äußerlich nicht gut geht, Murren, Unzufriedenheit, Neid und Bitterkeit. Doch wir verweilen nicht länger bei diesen traurigen Erscheinungen. Lieber wollen wir uns mit dem Heilmittel beschäftigen, durch welches wir vor allen Listen des Feindes bewahrt werden können. Und dieses Heilmittel besteht, wie wir schon oben angedeutet haben, in der persönlichen Gemeinschaft mit Christus Jesus, unserem Herrn. Tiefe Gemeinschaft mit dem Sohn, der zur Rechten des Vaters sitzt, vermag allein die Seele in den mannigfaltigen Gefahren des äußeren Wohlergehens oder der äußeren Not zu bewahren und sie über sich selbst, über die Welt und über alle die anziehenden Dinge dieser Erde zu erheben.

Der Herr wolle uns in seiner großen Gnade alle diese Lektionen des Glaubens lehren und uns befähigen, die gesegnete Wirkung des Genusses seiner Gegenwart inmitten der Prüfungen und Beschwerden dieser Welt zu offenbaren! (Schluss folgt)

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