Botschafter des Heils in Christo 1884

Gedanken über 2. Korinther 4,16 - 5,10

Der Weg des Apostels, dieses treuen Dieners Christi, war hienieden voll von Mühen und Beschwerden aller Art. Sein Leben war ein unaufhörlicher Kampf; er ergänzte in seinem Fleisch, wie er in Kolosser 1 sagt, was noch rückständig war an den Trübsalen des Christus für seinen Leib, das ist die Versammlung. Er konnte sagen: „Ich sterbe täglich“; „wir sind gerechnet wie Schlachtschafe“; „wir, die wir leben, werden allezeit dem Tod überliefert um Jesu willen“; „allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend“ usw. Er wusste, dass sein Leben in dem Tod Christi sein Ende gefunden hatte, und damit dieses Bewusstsein in ihm stets lebendig erhalten bleibe und er sich auch praktisch für tot halte, kam der Herr ihm mit allerlei Schwierigkeiten und Leiden zu Hilfe. Ja der Tod Christi hat unserem natürlichen Leben, worin wir Sklaven der Sünde waren, ein Ende gemacht; wir sind der Sünde gestorben, wir sind mit Christus gekreuzigt. Wir haben jetzt das Vorrecht, uns der Sünde für tot zu halten und Gott zu leben. Wir sind in Christus – „eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden.“ Zugleich bildet das Kreuz die Scheidewand zwischen uns, den Glaubenden, und der Welt; wir sind auf jener, die Welt ist auf dieser Seite des Kreuzes. Unser so wohl verdientes Gericht liegt hinter uns, es ist an Christus auf dem Kreuz an unserer statt vollzogen worden.

Welch eine überschwängliche Gnade, welch eine herrliche Stellung ist uns durch Christus und in Ihm zu teil geworden! Es ist unser Vorrecht, und wir sind auch dazu berufen, diese gesegnete Stellung durch die Kraft des Geistes zu verwirklichen. Wir können es aber hienieden nur durch Glauben; denn alles, was in dieser Welt gefunden wird, steht im Widerspruch mit unserer Stellung in Christus und wird uns stets Kampf bereiten. Sehr viele Christen sind unbekannt mit ihrer neuen Stellung in Christus, und bei ihnen kann natürlich von keiner Verwirklichung derselben die Rede sein. Sie sehen in dem Kreuz Christi nur die Versöhnung, die Vergebung ihrer Sünden, verstehen aber nicht, dass sie selbst mit Christus gestorben und auferweckt, aus aller Sklaverei der Sünde errettet und in Christus schon in die himmlischen Örter versetzt sind. Diese Befreiung, die wir durch Christus erlangt haben, ist ihnen unbekannt. Man kann andererseits aber auch die Lehre der Befreiung kennen, ohne das Wesen oder die Wirklichkeit derselben im Herzen zu haben – und das ist noch trauriger; man bekennt dann eine Wahrheit mit dem Mund, die man im Wandel verleugnet.

Paulus verwirklichte die durch Christus erlangte Befreiung in seinem ganzen Verhalten hienieden. Er hielt sich allem gegenüber für gestorben und lebte für Christus. Sein Blick war nicht auf das Sichtbare und Zeitliche, sondern auf das Unsichtbare und ewig Bleibende gerichtet. Wie viele und große Schwierigkeiten ihm auch auf seinem Weg begegnen mochten, er ermattete nicht; er sah darin nur Gewinn für sich. Wenn auch der äußere Mensch in unausgesetzten Leiden verfiel, so wurde doch der innere von Tag zu Tage erneuert; er wurde dadurch genährt, gekräftigt und dem Bild Christi gleichförmiger gemacht. Und welch eine tröstliche Hoffnung belebte sein Herz! Er sagt: „Das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit.“ Unser Aufenthalt in dieser Welt ist nur ein ganz kleiner Schritt auf dem nie endenden Wege unseres Lebens; er wird schnell zurückgelegt, und die kleinen oder großen Schwierigkeiten, die uns auf demselben begegnen, werden uns leicht gemacht durch die Kraft Gottes und die reichen Tröstungen seines Wortes. Droben aber wartet unser eine Herrlichkeit, deren überschwängliches Gewicht wir in diesem irdischen Leib, in dieser schwachen, gebrechlichen Hütte nicht zu ertragen vermöchten; es würde uns erdrücken. Nur ein himmlischer Leib, gleichförmig dem verherrlichten Leib Christi, wird in dem göttlichen Glänze jener Herrlichkeit ewige Freude und Wonne finden.

Gott aber hat in dem vollkommenen Werk Christi auch für unseren armen, schwachen Leib Sorge getragen und wird ihn für jene Herrlichkeit passend machen. „Denn wir wissen (wir, die Gläubigen), dass, wenn unser irdisches Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau ans Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges, in den Himmeln“ (V 1). Auf dem drangsalsvollen Pfad des Apostels im Dienst des Herrn war sein Leib stets der Zerstörung preisgegeben und dem Tod ausgesetzt; aber auch in Bezug auf diesen armen Leib war sein Herz von einer sicheren und tröstlichen Hoffnung beseelt. Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben und ebenso wenig das Verwesliche die Unverweslichkeit. Aber wir werden diesen Leib, die Hütte, worin der Geist Gottes hienieden Wohnung gemacht hat, ablegen und an seiner Statt einen Bau empfangen, der aus Gott ist, der nicht von den Händen der Menschen gemacht, und darum nicht verderblich und zerbrechlich, sondern unzerstörbar und ewig ist – einen Leib, dessen Wohnplatz nicht auf der Erde, sondern im Himmel zu suchen ist. Dieser Leib der Niedrigkeit wird umgestaltet werden zur Gleichförmigkeit des Leibes seiner Herrlichkeit (Phil 3,21); und diese Umgestaltung wird stattfinden, wenn der Herr kommt, um seine Versammlung aufzunehmen. Die in Christus Entschlafenen werden auferweckt, und die zu der Zeit auf der Erde noch lebenden Gläubigen werden verwandelt werden, und zwar in einem Nu, in einem Augenblick, bei dem Ton der letzten Posaune. „Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel“ (vgl. 1. Kor 15,51–55; 1. Thes 4,13–18).

Der Apostel spricht dann weiter von den Gefühlen, die uns während unseres Aufenthalts in diesem irdischen Haus beherrschen. „Denn in diesem freilich seufzen wir, uns sehnend, mit unserer Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden“ (V 2). Solange wir in dieser irdischen Hütte sind, sind wir fern von unserer Heimat, fern von dem Haus unseres Vaters, wohin Christus vorangegangen ist, um auch für uns dort eine Stätte zu bereiten, auf dass wir seien, wo Er ist. Wenn nun schon ein gottseliger Israelit in fremdem Land Jerusalems nie vergessen konnte und mit tiefem Verlangen nach dem Haus Jehovas sich sehnte, um dort zu wohnen und anzubeten, so haben wir noch weit mehr Ursache, zu seufzen und sehnend aufzublicken nach unserer himmlischen Heimat, nach der Herrlichkeit droben, die wir mit Jesu, unserem hochgepriesenen Heiland, für immer teilen sollen. Unsere irdische Hütte, die wir bewohnen, hält uns noch zurück, aber unser Seufzen wird gestillt und unser Sehnen erfüllt sein, sobald wir mit unserer Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet werden. Und diese Überkleidung wird stattfinden, falls wir bei der Ankunft Christi zu unserer Aufnahme noch in dieser irdischen Hütte angetroffen werden. Bei den Entschlafenen in Christus kann selbstverständlich nicht von einer Überkleidung die Rede sein. Sie sind entkleidet worden, d. h. gestorben oder entschlafen, und werden mit einem verherrlichten Leib auferweckt werden. Es ist aber nicht genug, dann, wenn der Herr kommt, noch in diesem Leib, oder noch bekleidet zu sein; wer nicht das Leben aus Gott hat, wer in Bezug auf dieses wirkliche Leben nackt erfunden wird, hat kein Teil an jener Überkleidung, kein Teil mit Christus an der Herrlichkeit droben. Für ihn gibt es nur ein furchtvolles Erwarten des Gerichts. Dieser ernsten Warnung bedurfte eine Versammlung, wie die in Korinth, weil sich solche in ihr befanden, die durch ihren Wandel wenig oder gar kein Zeugnis gaben, dass sie wirklich das ewige Leben besaßen; und noch ernster und eindringlicher dringt diese Warnung in unseren Tagen in das Ohr aller, die sie hören, in einer Zeit, wo so viel Form der Gottseligkeit gefunden, die Kraft derselben aber verleugnet wird.

In Vers 4 spricht der Apostel noch einmal von unserem Seufzen während unseres Aufenthalts in dieser Hütte. Allein dieses Seufzen trägt hier einen anderen Charakter als vorhin. Es geschieht, wie ich glaube, im Blick auf das, was uns hier umgibt, auf die schmerzlichen Erfahrungen, die wir hienieden zu machen haben, weshalb der Apostel auch das Wörtchen: „beschwert“ hinzufügt. „Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert.“ Wir befinden uns in einer Welt voller Sünde und Elend, in einer Welt, die unseren geliebten Herrn verworfen und gekreuzigt hat, und die auf alle Weise fortfährt, seinen Namen zu entehren; und das kann in dem Herzen eines wahren Jüngers nur ein stetes Seufzen hervorbringen. Zugleich haben wir in dieser Hütte mancherlei Mühen und Beschwerden, Kummer und Schmerz, Krankheiten und Leiden durchzumachen. Und auch dieses hat zur Folge, dass wir beschwert seufzen, solange wir in derselben sind. Dennoch wünscht der Apostel nicht, „entkleidet, sondern überkleidet zu werden, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben.“ Vor ihm lag die Herrlichkeit, und sein irdischer Leib war für ihn ein Hindernis, um in den vollen Genuss derselben einzutreten. Zugleich wusste er, dass in dem Christus eine solche Macht des Lebens vorhanden war, dass sie die Sterblichkeit seines Leibes gleichsam verschlingen konnte, so dass er gar nicht durch den Tod zu gehen brauchte. Die Korinther waren mit dieser Wahrheit ebenfalls bekannt, da der Apostel sie ihnen in seinem ersten Briefe bereits mitgeteilt hatte (Kap 15). Kam nun dieser glückselige, glorreiche Augenblick der Überkleidung, so war Paulus mit einem Mal für immer bei seinem geliebten Herrn und mit allen Heiligen im Vollgenuss seiner Herrlichkeit. Köstliche Hoffnung!

Diese Hoffnung hat aber auch einen sicheren und festen Grund. Gott selbst hat uns, die wir durch Christus erlöst sind, für diese Herrlichkeit zubereitet. Er hat uns eines Lebens teilhaftig gemacht, das für jene Herrlichkeit passend ist und in derselben allein seine wahre Befriedigung finden kann. Es ist dasselbe Leben, welches bei dem Vater war und in Christus hienieden offenbart und angeschaut worden ist. Ja, alles verdanken wir Gott selbst, und dies gibt uns die völlige Gewissheit, dass Er uns vollkommen liebt. Er bat Christus für uns hingegeben, Er hat in Ihm uns alle Quellen des Heils und des Lebens eröffnet, und Er hat uns für jene himmlische Herrlichkeit zubereitet. Zugleich aber hat Er uns den Geist gegeben als Unterpfand, um diese Herrlichkeit jetzt schon in Hoffnung zu genießen, während wir noch in dieser Hütte sind. Der in uns wohnende Geist ist nicht nur die Quelle und die Kraft des Lebens, das wir empfangen haben, sondern die Tatsache, dass Er in uns wohnt, sichert uns auch die Herrlichkeit, zu welcher wir bereitet sind, und füllt das Herz mit Vertrauen, wenn es auch unser Los sein sollte, nicht verwandelt, nicht überkleidet, sondern entkleidet zu werden. Unser Leben, das uns in Christus geschenkt ist, kann durch nichts angetastet werden; der Tod hat keine Macht über dasselbe. Es hat in Christus über alle Macht des Todes und des Feindes triumphiert; es ist unauflöslich und unantastbar. Deshalb „sind wir allezeit gutes Mutes und wissen, dass, weil einheimisch in dem Leib, wir von dem Herrn ausheimisch sind; denn wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen“ (V 6–7). Sobald wir diese Hütte verlassen, sind wir beim Herrn; und der Apostel sagt bei einer anderen Gelegenheit: „Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser.“ Ja, es ist weit besser, denn wir werden dann ohne Störung Ihn genießen und verherrlichen; Er wird dann nie mehr, wissentlich oder unwissentlich, von uns verunehrt werden. Solange wir einheimisch in dem Leib sind, sind wir ausheimisch von dem Herrn; nur noch eine kurze Zeit, und wir werden einheimisch bei Ihm sein. Inzwischen wandeln wir durch Glauben; wir sehen weder die himmlische Herrlichkeit, die droben unser wartet, noch Christus, der unser Leben ist; aber wir sind dennoch gutes Mutes, denn wir haben das sichere Unterpfand und kennen die Liebe dessen, dem wir alles verdanken. Von dieser Liebe kann uns nichts mehr trennen, und sie hat uns für jene Herrlichkeit passend gemacht. Auch der Glaube ist eine Gabe von Ihm – nichts ist aus uns – und derselbe ist „eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht“ (Heb 11,1).

Obwohl wir aber gutes Mutes sind, so möchten wir doch „lieber ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei dem Herrn sein“ (V 8). Ein jeder, der Ihn kennt, liebt Ihn und sehnt sich nach Ihm. Wir haben freilich schon jetzt das Vorrecht, durch den Glauben und im Geist mit Ihm zu verkehren; aber gerade dieses: „durch Glauben“ lässt uns fühlen, dass wir von Ihm getrennt sind, dass unsere Augen Ihn nicht schauen. Verlangen wir nun wirklich, ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei Ihm zu sein, so beweist dies, dass wir Ihn lieben und dass hienieden uns nichts befriedigen kann.

Zugleich hat dann, wenn unser Herz in Liebe für Ihn schlägt und mit inniger Zuneigung zu Ihm erfüllt ist, sein Wohlgefallen einen hohen Wert für uns. „Deshalb beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ausheimisch. Ihm wohlgefällig zu sein.“ Wenn wir das innige und unauflösliche Band kennen, durch welches wir mit Ihm verbunden sind, und im Genuss seiner Liebe hienieden wandeln, so wird auch unser Herz mit der innigsten Liebe zu Ihm erfüllt sein; und diese Liebe zu Ihm ist der wahre Beweggrund aller Hingebung und alles Eifers für Ihn, während wir noch in dieser Hütte einheimisch sind. All unser Dichten und Trachten ist dahin gerichtet, Ihm wohlgefällig zu sein, wenn Er kommt, um uns seiner Herrlichkeit teilhaftig zu machen, sei es nun, dass wir alsdann noch im Leib oder außer demselben gefunden werden.

Die Sehnsucht nach Ihm lenkt das Herz von allem hienieden ab, was das Fleisch liebt, von allem, was sichtbar ist, und gibt unserem ganzen Wandel eine himmlische Richtung. Es gibt aber noch eine andere Wahrheit, welche, wenn sie unser Inneres beherrscht, einen großen Einfluss auf unser ganzes Verhalten hienieden ausübt. „Wir müssen alle offenbart werden vor dem Richterstuhl des Christus, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leib getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (V 10). Ein ernster, feierlicher Gedanke! Er könnte nur Angst und Schrecken in uns wachrufen, wenn wir nicht wüssten, dass die Frage der Gerechtigkeit in Bezug auf uns völlig entschieden ist. Das Wort versichert uns, dass wir in dieser Welt sind, wie Er, Christus, ist (1. Joh 4,17), vor dessen Richterstuhl wir offenbar werden müssen. Gott hat zum Beweis seiner Gerechtigkeit Ihn, den alle Welt in ihrer Ungerechtigkeit verworfen hatte, zu seiner Rechten gesetzt, und wir sind in Ihm, der für uns zur Sünde gemacht war, die Gerechtigkeit Gottes geworden und sind in Ihm jetzt schon in die himmlischen Örter versetzt (2. Kor 5,21; Eph 2,6). Es handelt sich daher bei unserem Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi keineswegs um die Frage der Gerechtigkeit und um Gericht; denn sicher wird die Gerechtigkeit Gottes, welche wir in Christus geworden sind, ohne den geringsten Flecken sein. Der Apostel sagt deshalb auch nicht, dass wir dort gerichtet, sondern dass wir alle offenbart werden müssen. Haben wir nun unsere Stellung erkannt, haben wir verstanden, dass die Gnade und Liebe Gottes uns einen so sicheren Platz in Christus gegeben hat, so wird uns diese Frage beim Gedanken an den Richterstuhl nicht im Geringsten beunruhigen. Aber andererseits können wir nur dann mit Ruhe und Freude an jenes Offenbarwerden denken, wenn wir praktisch mit unserem Willen und Gewissen im Licht wandeln, wenn wir im Licht jenes Richterstuhls jetzt schon alles beurteilen und richten, so dass nichts im Herzen verborgen bleibt. Dann ist es für uns eine gesegnete Sache; wir sind glücklich, dass vor Ihm alles offenbar ist, dass Er alles weiß; denn Er, der Licht ist, ist auch Liebe, Er, der heilig und gerecht ist, ist auch reich an Huld und Gnade. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergabt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“ Ohne wahre Erkenntnis der Gnade und Liebe Gottes fürchte ich das Licht; aber wenn ich erkannt habe, dass Gott in dem Licht, in welches ich gestellt bin, vollkommene Liebe ist, so freue ich mich desselben. Es ist mir ein wirkliches Bedürfnis, darin zu sein und zu wandeln, und Friede und Freude erfüllen das Herz. Das Leben, das wir in Christus empfangen haben, steht in völliger Übereinstimmung mit dem Licht; der neue Mensch liebt dasselbe vermöge seiner Natur, die nicht die geringste Vermischung mit dem Bösen ertragen kann. Wir sind schon „Licht in dem Herrn“, und darum lieben wir es, in dem Licht zu sein.

Es handelt sich an dieser Stelle, wie schon gesagt, nicht um Gericht, sondern um Vergeltung. Christus hat auf dem Kreuz unseren Platz im Gericht eingenommen, der Gerechte für die Ungerechten. Das Gericht liegt hinter uns; für die, welche in Christus sind, gibt es keine Verdammnis mehr. Wir können daher dem Tag des Gerichts mit Freimütigkeit entgegengehen. „Denn wie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt“; allein wir werden vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden und empfangen, was wir im Leib getan haben. Alle Dinge, auch selbst die verborgensten Ratschläge des Herzens, werden in dem vollkommenen Licht des Richterstuhls erkannt und gesehen und nach ihrem wahren Werte geschätzt und beurteilt werden. Für alles Gute, das wir getan, werden wir Belohnung finden. Haben wir uns hienieden wirklich beeifert, um Ihm wohlgefällig zu sein, so werden wir dort die gesegneten Früchte davon ernten. Es wird nicht das Geringste vergessen sein, was wir für Ihn und um seinetwillen getan haben; es ist seine Freude, uns reichlich zu belohnen. Wir wissen wohl, dass wir alles Gute, welches wir hienieden vollbringen, allein seiner Gnade zu verdanken haben; aber am Tag der Vergeltung will Er uns dafür belohnen, als hätten wir es durch uns selbst getan. Welche Gnade! Wie groß aber wird der Verlust sein, wenn wir diese Gnade hienieden mehr oder weniger vernachlässigt, wenn wir unser Gewissen vor dem Wort und dem Zeugnis des Heiligen Geistes verschlossen und es versäumt haben, das Fleisch zu richten, welches uns verhindert hat, die gesegneten Früchte des Geistes hervorzubringen! Beim Rückblick auf unser Leben hienieden werden wir die unzähligen Beweise seiner Gnade und Liebe, seiner Güte und Sorgfalt, seiner Geduld und Langmut klar erkennen; wir werden sehen, wie Er auf dem ganzen Wege sein Auge nicht von uns abgewandt, uns nie versäumt, noch vergessen hat, und sicher werden wir im Blick auf das, was Er stets gegen uns gewesen ist, im Blick auf alle die Wege, die seine Liebe uns geführt hat, mit Anbetung niedersinken und Ihn preisen. Zugleich aber werden wir auch erkennen, wie oft wir seine reiche Gnade und herablassende Liebe so wenig beherzigt, seine Treue und Sorgfalt so wenig beachtet und die Ermahnung seines Wortes und die Stimme seines Geistes so wenig befolgt haben, und dass infolge dessen auch so wenig wahre Früchte zum Vorschein gekommen sind. Wir werden dann jedes Hindernis klar erkennen, welches uns zur Hervorbringung jener Früchte im Weg gestanden hat, und werden es beurteilen und richten, so wie Gott es richtet, gemäß des vollkommenen Lichtes jenes Richterstuhls; Gott selbst wird der Maßstab sein, nach welchem alles Gute und Böse gemessen werden wird. Dann werden wir auch alle Wege Gottes mit uns verstehen und die Liebe bewundern und anbeten, die solche Wesen, wie wir von Natur sind, verdorben und gottlos, zum Genuss jenes wolkenlosen Lichtes gebracht hat, um ewig glücklich darin zu sein; wir werden die Weisheit Gottes bewundern, wenn wir sehen, dass in Bezug auf einen jeden Einzelnen, was auch sein Herzenszustand hienieden gewesen sein mochte, der Ratschluss Gottes erfüllt worden ist, und dass ein jeder den Platz innehat, der ihm vom Vater bereitet ist. Wie anbetungswürdig ist die Weisheit und Liebe Gottes! Möchten wir alle, die sein sind, doch hienieden immer mehr beide erforschen und hochschätzen! Möchte es stets unser Streben sein, in jenem Licht zu wandeln, in welchem wir bald offenbar werden müssen! Der Herr wirke es durch seinen Geist!

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel