Botschafter des Heils in Christo 1884

Ewiges Leben - ein gegenwärtiger Besitz

„Ewiges Leben“ ist eine Gabe Gottes. Der Mensch bedarf dieses Lebens; denn er ist „tot in Sünden und Übertretungen.“ Wie könnte jemand in der ewigen Herrlichkeit sein, ohne ewiges Leben zu besitzen? Wir hören deshalb in dem Wort Gottes, dass Er „Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch Ihn leben“ (1. Joh 4,9). „In ihm war das Leben“ (Joh 1,4). Er war jenes „ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist“ (1. Joh 1,2); so dass Er in Wahrheit sagen konnte: „Ich bin das Leben“, und: „Ich bin gekommen, auf dass sie Leben haben und es in Überfluss haben“ (Joh 10,10). Und im Blick auf viele seiner Zuhörer konnte Er klagen: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, auf dass ihr das Leben habt“ (Joh 5,40). Dieselben folgten Ihm nach, weil sie Wunder und Zeichen sehen wollten; Er war für sie nur ein Gegenstand der Neugierde, nicht aber der Zuneigungen des Herzens. Sie wollten essen von den Broten, um ihren Hunger zu stillen, aber sie wollten nicht zu Ihm kommen, um das Leben zu haben. Stattdessen schrien sie: „Hinweg mit diesem!“ „Kreuzige Ihn!“ Das ist der Mensch in seinem natürlichen Zustand.

Gott ist also der Geber des ewigen Lebens. Er ist die Quelle desselben, und es strömt uns zu durch seinen Sohn. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16). Wir bedurften nicht nur der Vergebung unserer Sünden, sondern auch des ewigen Lebens – und dieses hat uns Gott in seiner unergründlichen Gnade durch den Tod seines Sohnes nahegebracht. Nachdem der Eingeborene für unsere Sünden gelitten hat und dieselben in seinem Kreuzestod gerichtet worden sind, kann die göttliche Liebe sich jetzt ungehindert offenbaren in der Gabe des ewigen Lebens an einen jeden, der da glaubt. „Der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Röm 6,23).

Das ewige Leben ist daher, wie schon gesagt, eine Gabe Gottes. Es kann nicht durch irgendwelche Werke, Gefühle, Übungen, Leiden oder Erfahrungen erworben werden. Nein, es ist ganz und gar ein Geschenk von Seiten Gottes. Er selbst ist die Quelle desselben und der Sohn seiner Liebe die Person, durch welche und in welcher es jedem zuteilwird, der an Ihn glaubt. Johannes schrieb sein Evangelium, auf dass wir glauben möchten, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und dass wir glaubend das Leben haben sollten in seinem Namen (Kap 20,31). Die überaus wichtige Frage für einen jeden Menschen ist daher. Habe ich das ewige Leben empfangen oder nicht? Bis zu dem gegenwärtigen Augenblick strömt das ewige Leben gleich einer Quelle lebendigen Wassers von Gott zu uns herab, und immer noch ertönt der Ruf von dem Thron der Gnade aus: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst!“ Ja, es wird umsonst gegeben, ohne dass es in uns irgendwelchen Beweggrund gäbe, es sei denn unsere völlige Hilflosigkeit und unser gänzliches Elend. Die göttliche Liebe ist es, welche dem Sünder, der tot in Sünden und Übertretungen ist, ewiges Leben bringt. Gott schenkt es umsonst einem jeden, der es haben will, und es wird unser Teil durch den einfältigen Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn, ohne irgendwelchen Beweggrund in uns selbst, ohne Verdienst, ohne Geld und ohne Kaufpreis.

Der Leser möge ferner beachten, dass es ewiges Leben ist, welches Gott auf diese Weise gibt, nicht ein Leben für eine Woche, einen Monat oder ein Jahr, sondern ein Leben für immer und ewig, denn „dieses Leben ist in seinem Sohn.“ Ist Er, der tot war, wieder lebendig geworden, und zwar für immer und ewig? Dann ist auch das Leben, welches Er uns gibt, für immer und ewig, denn Christus ist unser Leben. Es ist nicht ein Leben, getrennt von Christus, sondern „unser Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.“ Es ist das Leben des auferstandenen Christus, welches allen denen zuteilwird, die an Ihn glauben. Wie könnte es daher anders als ewig sein? Der Apostel verbindet deshalb, wenn er an Gläubige schreibt, das Leben, welches wir empfangen haben, so völlig mit Christus selbst, dass er sagt: „Wenn der Christus, der unser Leben ist, offenbar werden wird, dann werdet auch ihr mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4).

Der Gläubige steht also in dem gegenwärtigen Besitz des ewigen Lebens. „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben.“ Er hat das Wort gehört, er hat geglaubt, und jetzt hat er das ewige Leben. Ohne Zweifel ist dies der Weg, auf welchem wir das Leben erlangen, und die Art und Weise, in welcher der Heilige Geist wirkt. Jesus selbst sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ (Joh 5,24). So hat also der Gläubige jetzt das ewige Leben, und zwar weil er glaubt, nicht etwa weil er es in sich fühlt oder so und so viele Erfahrungen gemacht hat; auch empfängt er es nicht erst dann, wenn er stirbt, sondern jetzt, in dem gegenwärtigen Augenblick, nach den Worten des Herrn: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat ewiges Leben“ (Joh 6,47). Das Wort Gottes ist über diesen Punkt sehr bestimmt und klar. Nicht nur entfallt es die köstliche Lehre, dass Gott der Geber des ewigen Lebens ist, sondern es spricht auch wieder und wieder in den bestimmtesten Ausdrücken davon, dass der Gläubige dasselbe in der Gegenwart besitzt. Der Apostel Johannes schreibt: „Und dies ist das Zeugnis: dass Gott uns das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.“ Dann beschreibt er in der einfachsten und klarsten Weise die Personen, welche in dem gegenwärtigen Besitz des ewigen Lebens stehen. Es sind alle diejenigen, welche, ob arm oder reich, alt oder jung, den Sohn Gottes als ihren Heiland angenommen haben; niemand anders. „Wer den Sohn hat, hat das Leben“ – nicht: er hofft, es einst zu empfangen – „wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht“ (1. Joh 5,11–12). Die Sprache des Apostels ist so einfach und bestimmt, dass eine jede aufrichtige Seele zu der Überzeugung kommen muss, dass, wenn sie den Sohn aufgenommen, welchen der Vater in die Welt gesandt hat, sie dieses neue Leben, das ewige Leben, besitzt. Es ist nicht eine Verbesserung oder Veränderung der alten Natur, sondern etwas ganz Neues – eine Natur, die nicht mit dem ersten Adam, sondern mit dem auferstandenen und verherrlichten Christus in Verbindung steht.

Überdies schreibt derselbe Apostel im weiteren Verlauf seines Briefes: „Dies habe ich euch geschrieben, auf dass ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes“ (Kap 5,13). Gott gibt uns nicht nur das ewige Leben, sondern Er will auch, dass wir ebenso bestimmt wissen, dass wir ewiges Leben haben, als wir uns des Besitzes des natürlichen bewusst sind. Zugleich erwarten wir ewiges Leben für unseren Leib; wir warten auf „die Erlösung unseres Leibes“ bei der Ankunft des Herrn. Was aber unsere Seelen betrifft, so sind wir schon jetzt aus dem Tod in das Leben hinübergegangen, wir haben ewiges Leben; denn Gott hat es uns und allen, die an seinen Sohn glauben, gegeben. Wir sind von neuem geboren. „So viele Ihn aber annahmen, denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben; die nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12–13; vgl. 1. Pet 1,23; Joh 3,5–6).

Indes möchte gefragt werden: Ist es möglich, dass wir ewiges Leben in uns haben, ohne dass dasselbe seine Wirkungen hervorbringt? Sicherlich nicht. Wenn wir aus Gott geboren sind, so können wir nicht anders, als lieben, so wie es die Natur Gottes ist, zu lieben. Wir lesen deshalb: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tod.“ Und weiter: „Ein jeglicher, der da glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und ein jeglicher, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus Ihm geboren ist“ (1. Joh 3,14; 5,1). Nichts könnte uns in einfacherer und klarerer Weise vorgestellt werden. Gott gibt ewiges Leben, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer irgend zu dem Sohn kommt, als ein Sünder zu seinem Heiland, empfängt ewiges Leben, und dieses Leben offenbart sich in der Liebe zu Gott und zu seinen Kindern. Ein Mensch mag besitzen, was er will – er mag ehrbar, tugendhaft und religiös sein – wenn er aber den Sohn Gottes nicht hat, so hat er das Leben nicht und ist daher noch in seinen Sünden, tot und schuldig in den Augen Gottes.

Aber obgleich wir ewiges Leben haben, so sind wir doch abhängig von unserem Herrn, als dem Erhalter dieses Lebens; wie Er selbst sagt: „Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe des Vaters wegen, so auch, wer mich isst, der wird auch leben meinetwegen“ (Joh 6,57). Wir haben zu lernen, dass alle unsere Quellen in Ihm sind, und dass unsere Seelen dadurch allem genährt und gekräftigt werden können, dass wir durch den Glauben das Wort in unsere Herzen nehmen, welches von Ihm zeugt. „Unser innerer Mensch wird erneuert von Tag zu Tage.“ – „Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes ausgeht.“ Bleiben wir in Christus, d. h. wandeln wir in steter Gemeinschaft und Abhängigkeit von Ihm unter Gebet und Flehen, so bringen wir Frucht. Ohne Ihn können wir nichts tun. Das Leben des Gläubigen sollte daher ein Leben des gläubigen Festhaltens an Christus sein, ein Leben des Glaubens an den Sohn Gottes, der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat.

Wie köstlich ist es für den Gläubigen, die göttliche Gewissheit zu haben, dass er in der Gegenwart schon das ewige Leben besitzt, und zwar auf Grund des unfehlbaren Wortes Gottes und mittels des vollbrachten Werkes seines Sohnes! Wie gesegnet ist es für ihn, in seiner eignen Seele zu erfahren, dass er von dem Tod in das Leben hinübergegangen ist, weil er die Brüder liebt! Wer diese Gewissheit hat und diese gesegnete Erfahrung macht, kann sich in Wahrheit in Christus Jesus erfreuen, Ihm mit dankbarem Herzen dienen und mit Freuden seine Ankunft erwarten.

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