Botschafter des Heils in Christo 1860

Die Berufung Gottes - Betrachtung der Charaktere Abrahams und Lots Teil 3/3

Kapitel 20 und 21

Lot ist jetzt von dem Schauplatz abgetreten; seine Sonne ist hinter dicken Wolken und in einer trüben Atmosphäre untergegangen. Wir haben jetzt noch die Wege Abrahams und die Führungen Gottes mit ihm zu betrachten.

Im zwölften Kapitel habe ich einen Punkt unberührt gelassen. Als nämlich Abraham hinab nach Ägypten ging, verabredete er mit Sarah, seinem Weib, einen Teil der Wahrheit zu verheimlichen. „Sage doch, du seist meine Schwester“ (Kap 12,13). Eine Sünde führt stets zur anderen. Abraham bewegte sich in einer schlechten Richtung, als er nach Ägypten hinabging, um dort Hilfe zu suchen und darum zeigt er hier auch nicht das zarte Gewissen, welches ihm diese moralische Unlauterkeit vorgehalten hätte. „Redet Wahrheit, ein jeglicher mit seinem Nächsten,“ (Eph 4,25) ist ein göttlicher Grundsatz, welcher stets seinen Einfluss auf den ausüben wird, der in Gemeinschaft mit Gott wandelt; aber Abrahams Wunsch, der gegenwärtigen Prüfung zu entgehen, zeigt ganz deutlich den Mangel dieser Gemeinschaft, und darum war auch sein moralisches Gefühl nicht so zart oder so tief, wie es hätte sein sollen. Obgleich nun der Herr das Haus Pharaos plagte, weil er Sarai hineingenommen hatte, und obgleich Pharao nachher den Abraham wegen seiner Handlungsweise tadelte, so sagte dieser doch kein Wort über das Übereinkommen mit seiner Frau, einen Teil der Wahrheit zu verschweigen. Er nimmt vielmehr, ohne ein Wort zu sagen, den Verweis hin und geht seiner Wege; aber die Wurzel des Nebels blieb in seinem Herzen, um unter ähnlichen Umständen aufs Neue hervorzubrechen. Es ist nun wunderbar zu sehen, wie Abraham aus Ägypten heraufkommt – seinen Altar und sein Zelt aufrichtet – die Großmut des Glaubens an anderen beweist – den Kedorlaomer besiegt und der Versuchung des Königs von Sodom widersteht – wie er die Bitte in Betreff eines Sohnes und Erben vor Gott bringt und die gnädigste Antwort erhält – wie er vor dem Herrn im Gefühl seiner allmächtigen Gnade und Macht auf seinem Angesicht liegt – wie er die himmlischen Fremdlinge bewirtet und für seinen Bruder Lot Fürbitte einlegt; mit einem Wort, es ist wunderbar, sage ich, den Abraham zu sehen, wie er während einer Reihe von Jahren durch alle die erhabenen Szenen hindurchgeht, ohne dass dieser eine Punkt, in welchem er beim Beginn seiner Laufbahn gefehlt hatte, in seinem Herzen berichtigt worden wäre. Es ist wahr, dass dieser Fehler sich während des Zeitraums, von welchem wir reden, nicht weiterentwickelte; und warum nicht? Weil Abraham nicht in Umstände kam, die denselben hervorriefen; aber dessen ungeachtet war er da. Das Übel war nicht völlig ans Licht gebracht – nicht völlig erkannt und beseitigt; denn sobald sich Abraham wieder in Umständen befand, die auf diese schwache Seite einwirkten, zeigte sich sogleich sein Vorhandensein. Die Versuchung, welcher er in der Angelegenheit des Königs von Sodom ausgesetzt war, hatte keineswegs den Charakter, diesen besonderen Punkt zu berühren, noch war ihm von der Zeit, wo er aus Ägypten heraufkam, bis er jetzt nach Gerar hinabging, etwas begegnet, wodurch derselbe auf die Probe gestellt wurde, denn sonst würde er sicher zum Vorschein gekommen sein. Wir können nie wissen, was in unseren Herzen ist, bis sich Umstände ereignen, welche es ans Licht bringen. Petrus wollte nicht zugeben, dass es möglich sei, seinen Herrn zu verleugnen; sobald er sich aber in Umständen befand, welche geeignet waren, auf diese besondere Schwachheit einzuwirken, so bewies er klar, dass sie da war. – Es bedurfte des langen Zeitraums von vierzig Jahren in der Wüste, um den Kindern Israel zu zeigen, „was in ihren Herzen war“ (5. Mo 8,2); und es ist eins der großen Resultate einer fortgesetzten Züchtigung, durch welche jedes Kind Gottes geführt wird, dasselbe zu einer liefern Kenntnis seiner Schwachheit und Nichtigkeit zu bringen. „Wir selbst aber hatten das Urteil des Todes in uns selbst, auf dass unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt“ (2. Kor 1,9). Je mehr das Bewusstsein unserer Schwachheit zunimmt, desto mehr werden wir fühlen, wie notwendig es ist, uns fest an Christus anzuklammern, desto mehr das Bedürfnis nach seiner Gnade haben, und desto völliger in die reinigende Kraft und in den Wert des versöhnenden Blutes eindringen. Beim Beginn der Laufbahn kennt ein Christ sein eigenes Herz noch nicht, und er würde auch die völlige Erkenntnis desselben sicher nicht ertragen können; es würde ihn überwältigen. Darum führt der Herr die Seinen stets solche Wege, auf welchen ihre Erkenntnis von seiner Gnade mit dem Wachstum in der Selbsterkenntnis; gleichen Schritt hält.

In diesem 20. Kapitel sehen wir nun, wie Abraham nach einer Reihe von Jahren in einen alten Fehler zurückfällt, nämlich die Wahrheit zu verheimlichen, was ihm den Tadel eines Weltmenschen zuzieht. Dieser Weltmensch scheint hier mehr moralisches Zartgefühl zu besitzen, als der Mann Gottes: „Hat er nicht zu mir gesagt,“ sprach er, „sie ist meine Schwester? Und hat sie nicht auch gesagt: Er ist mein Bruder? Habe ich doch das getan mit einfältigem Herzen und unschuldigen Händen“ (V 5). Doch lasst uns hier wohl bemerken, auf welche Weise Gott eintritt, um seinen Knecht zu verteidigen. Er sagt zu Abimelech: „Siehe, du bist des Todes!“ (V 3) Ja, mit all der „Einfalt seines Herzens“ und der „Reinheit seiner Hände,“ war er nur ein Mann „des Todes,“ sobald es sich einen Augenblick um ihn und um ein, wenn auch fehlendes Kind Gottes handelte. Gott in seiner Gnade betrachtete seinen teuren Knecht von einem Gesichtspunkt aus, der von dem des Abimelech ganz und gar verschieden war. dieser sah in Abraham nur einen Mann, der sich eines offenbaren Betrugs schuldig gemacht hatte; aber Gott sah mehr als dieses, und deshalb sagte Er zu Abimelech: „So gib nun dem Mann sein Weib wieder, denn er ist ein Prophet; und lass ihn für dich bitten, so wirst du lebendig bleiben“ (V 7). Welch eine Würde wird hier auf Abraham gelegt! Gott selbst verteidigt ihn vor der Welt. Nicht eine Silbe des Vorwurfs! Nicht ein Laut der Missbilligung! – nein; „er ist ein Prophet und lass ihn für dich bitten, so wirst du lebendig bleiben.“ Welch ein köstlicher Trost ist es für einen armen, schwachen und bedrängten Gläubigen, sich daran zu erinnern, dass sein Vater ihn stets nach seiner gesegneten Stellung in Christus Jesus ansieht. Er erblickt in allen seinen Kindern immer die Vortrefflichkeit und Vollkommenheit Jesu. Während also ein Weltmensch ein Kind Gottes zu tadeln vermag, zeigt Gott, dass Er den Charakter, welchen der Gläubige von Ihm selbst empfangen hat, höher schätzt, als alle Liebenswürdigkeit, Unschuld und Rechtschaffenheit, welcher sich die Natur rühmen mag.

Dies erinnert uns daran, wie der Herr den Johannes, den Täufer, vor der Menge verteidigte, obgleich Er ihm selbst eine Botschaft zuschickte, die ihn aufs Tiefste bewegen musste. „Ich sage euch: unter denen, die von Weibern geboren sind, ist kein größerer Prophet, als Johannes, der Täufer“ (Lk 7,28). Welch ungünstige Meinung auch die Welt von einem Kind Gottes haben mag, Gott selbst wird stets als sein Verteidiger auftreten. „Er ließ niemand ihnen Schaden tun, und strafte Könige um ihretwillen. Tastet meinen Gesalbten nicht all, und tut meinem Propheten kein Leid!“ (1. Chr 17,21–22)

Abraham wird beim Gedanken an das Vorgefallene sicher aufs Tiefste ergriffen worden sein, und das Bewusstsein, dass Gott ihn deshalb nicht richtete, wird dies Gefühl noch verschärft haben. Als Abraham in Ägypten zum ersten Mal in diesen Fehler verfallen war, da sehen wir nicht, das Pharaos Zurechtweisung eine besondere Wirkung bei ihm hervorbrachte. Er wurde nicht so tief dadurch gedemütigt, dass er zum völligen Bekenntnis der Sache gekommen wäre. Er verlässt Ägypten, aber die Wurzel des Übels bleibt in seinem Herzen, um in ihren verderblichen Zweigen aufs Neue hervor zu sprossen. Anders aber ist es in diesem 20. Kapitel. Hier kommen wir gleich an die Wurzel der Sache. Abraham öffnet sein ganzes Herz; er bekennt, dass er diese Sache, die ihn nun schon zweimal zu einer solchen Handlung verleitet hatte, seit dem Beginn seiner Laufbahn in seinem Herzen beherbergt habe – eine Sache, die nach der gelindesten Auslegung, das Licht nicht ertragen konnte. Und da er jetzt sein Übel völlig bekannt hatte, entsagte er auch demselben ganz und wurde völlig davon befreit. Der Sauerteig war aus jedem Winkel seines Herzens hervorgetrieben. Er nimmt Abimelechs Tadel hin, und zieht Nutzen daraus. Dieser war Gottes Werkzeug, durch welches Er die Sache aus Licht brachte, und die Seele seines Knechts von der Gewalt des Bösen befreite.

Es war jetzt noch eine andere Sache in Ordnung zu bringen, ehe Abraham den erhabensten Standpunkt seiner Laufbahn als Mann des Glaubens erreichen konnte. „Die Magd und ihr Sohn“ waren noch im Haus. Er muss diese aus seinem Haus entfernen, wie er das Böse aus seinem Herzen entfernt hatte. Das Haus und das Herz müssen gereinigt werden. Im 21. Kapitel finden wir die Angelegenheit in Betreff der Magd und ihres Sohnes, von wo wir eigentlich bis dahin nur wenig gehört haben, zur Entscheidung gebracht. Das Element der Knechtschaft hatte bis dahin ruhig im Haus Abrahams geschlummert, weil es durch nichts, was seiner Natur und Tendenz entgegen war, in Tätigkeit gebracht wurde. Allein durch die Geburt des Isaak, des Sohnes der Freien – des Kindes der Verheißung – sehen wir ein neues Element hineingeführt. Der Geist der Freiheit und der Knechtschaft kommen in Berührung, und der Kampf muss damit enden, dass der eine oder andere ausgetrieben wird. Sie können sich nicht in Harmonie fortbewegen; denn wie können zwei zusammen wandeln, wenn sie nicht einig sind?

In dem Brief an die Galater redet der Apostel von den zwei Bündnissen – das eine, welches zur Knechtschaft, und das andere, welches zur Freiheit gebiert; und weiter spricht er von dem fleischlichen und dem geistlichen Samen Abrahams, wovon ersterer „nach dem Fleisch“ und letzterer „nach dem Geist“ geboren ist. Wie könnte noch etwas klarer bezeichnet sein, als die Scheidelinie zwischen diesen beiden Bündnissen sowohl, als auch zwischen den beiden Samen. Sie sind durchaus voneinander verschieden und können nie zusammen vermengt werden. Abraham musste dies auf eine schmerzliche Weise erfahren. „Treibe diese Magd aus mit ihrem Sohn; denn dieser Magd Sohn soll nicht erben mit meinem Sohn, mit Isaak“ (Kap 21,10). Hier zeigen sich die natürlichen Folgen. Die beiden Elemente konnten nicht vermengt werden. Wir könnten ebenso sehr erwarten, dass der Nord– und Südwind in ihrer vollen Kraft zusammenbrausten, ohne dass eine Erschütterung der Elemente hervorgebracht würde.

Es war aber sehr schmerzlich für Abraham, also seinen Sohn hinauszustoßen. „Das Wort gefiel Abraham sehr übel um seines Sohnes willen“ (V 11). Aber dies war nicht zu ändern, er musste hinausgestoßen werden; denn der Sohn der Magd konnte niemals die Verheißung erben, welche allein dem geistlichen Samen gemacht sind. Wäre Ismael zurückbehalten worden, so würden dadurch offenbar dem Fleisch Ansprüche eingeräumt worden sein. Abraham würde etwas gefunden haben, „was dem Fleisch angehörte,“ und würde also etwas gehabt haben, dessen er sich hätte rühmen können. Doch nein – alle Verheißungen Gottes sind denen zugesichert, die, wie Isaak, Kinder der Verheißung sind, geboren nach dem Geist – „welche nicht aus dem Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,13). Ismael war offenbar aus dem Willen des Fleisches und aus dem Willen des Mannes geboren, und „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben.“ Das Fleisch muss deshalb unterdrückt und niedergehalten werden, wie sehr dies auch unserem Herzen wehe tun mag. Der Christ wird es oft schmerzlich genug finden, um das alte Wesen niederzuhalten, welches wider das neue streitet; aber der Herr gibt Kraft zum Kampf, „so dass wir mehr als Überwinder sind durch den, der uns geliebt hat.“

Ich wiederhole hier, dass es nicht meine Absicht ist, die Kehrpunkte dieser interessanten Geschichte zu verfolgen; denn wäre dies meine Absicht, so würde ich die Grenzen, welche ich mir bei diesen Zeilen gestellt habe, viel weiter ausdehnen müssen. Mein Zweck ist hier, auf einige leitende Grundsätze, die in dieser Geschichte vorkommen, hinzuweisen. Ich werde deshalb zu dem nächsten Kapitel übergehen, dem letzten, welches unserer Betrachtung hier vorliegt. Kapitel 22

Die Umstände, durch welche Abraham im 20. und 21. Kapitel ging, waren in der Tat von der größten Wichtigkeit. Ein Übel, welches er solange Zeit in seinem Herzen beherbergt hatte, wurde hinweg getan; die Magd und ihr Sohn, welche solange ruhig in seinem Haus gewohnt hatten, wurden ausgetrieben, und er stand jetzt da, als „ein geheiligtes Gefäß, dem Hausherrn nützlich und zu jedem guten Werk gebräuchlich.“

„Und es geschah nach diesen Dingen, dass Gott den Abraham versuchte“ (V 1). Hier wird Abraham auf einmal in einen Platz der Ehre und Würde gesetzt. Wenn Gott einen Menschen versucht, so ist dies ein gewisses Zeichen seines Vertrauens zu Ihm. Wir lesen niemals, dass Gott den Lot versuchte; nein, die Güter Sodoms waren eine hinreichende Versuchung für Lot. In der wasserreichen Ebene von Sodom legte ihm der Feind eine Schlinge, und er war nur zu geneigt, sich darin fangen zu lassen. Es war aber nicht so mit Abraham; er lebte völliger in der Gegenwart Gottes, und deshalb war er auch weniger den Einflüssen, welche seinen fehlenden Bruder umstrickten, ausgesetzt.

Die Prüfung nun, welcher Gott den Abraham unterwirft – der Feuerofen, in welchem er ihn erprobt, lässt auf ein reines und unvermischtes Metall schließen. Wäre der Glaube Abrahams nicht vom reinsten und echtem Charakter gewesen, so würde er sicher in dieser Feuerprobe, durch welche wir ihn in diesem schönen Kapitel gehen sehen, zurückgeschreckt sein. Als Gott dem Abraham einen Sohn verhieß, da glaubte er der Verheißung, „und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ „Er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern war stark im Glauben, Gott die Ehre gebend“ (Röm 4,20). Aber nachdem er diesen Sohn empfangen hatte und die Wahrheit der Verheißung verwirklicht war, war er da nicht in Gefahr, anstatt in dem Geber, in der Gabe zu ruhen? war er da nicht in Gefahr, dass er sich beim Gedanken an den zukünftigen Samen, und an das zukünftige Erbteil, mehr auf Isaak als auf Gott stützen würde, der ihm den Samen verheißen hatte? Sicher war es so und Gott wusste es. Deshalb versuchte Er seinen Knecht auf eine Weise, die mehr als jede andere dazu berechnet war, ihn in Betreff des Gegenstandes, worauf sein Herz ruhte, auf die Probe zu stellen. Die große Frage bei dieser wichtigen Verhandlung an Abrahams Herz war diese: „Wandelst du noch immer vor dem allmächtigen Gott, der die Toten lebendig macht?“ Gott wünschte zu wissen, ob er Ihn als den Gott erkannte, der ebenso fähig war, aus der Asche seines geopferten Sohnes Kinder zu erwecken, wie Er auch fähig gewesen war, aus dem erstorbenen Mutterleib der Sarah Samen hervorzubringen. Mit anderen Worten: Gott wünschte zu beweisen, dass Abrahams Glaube sich bis zur Auferstehung erstrecke; denn wäre dies nicht der Fall gewesen, so wurde er diesem entsetzlichen Befehl nimmer Folge geleistet haben. „Nimm deinen Sohn, deinen eignen, den du liebhast, Isaak, und gehe hin in das Land Morija; und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem von den Bergen, den ich dir sagen werde“ (V 2). Abraham aber „zweifelte nicht.“ Er kam sofort dieser Berufung entgegen. Gott hatte Isaak verlangt, und Isaak musste gegeben werden, und sogar ohne Murren. Abraham konnte alles hingeben, solange sein Auge auf dem allmächtigen Gott ruhte. Der Gesichtspunkt, von welchen! aus er seine Reise nach dem Berg Morija betrachte, ist sehr bemerkenswert: „Ich und der Knabe wollen dort hingehen und anbeten.“ Ja, es war eine Handlung der Anbetung; denn er war im Begriff, Denjenigen, in welchem sich alle Verheißungen Gottes konzentrierten, auf den Altar dessen zu legen, der die Toten lebendig macht. Es war eine Handlung der Anbetung – der erhabensten Anbetung; denn er war im Begriff angesichts des Himmels und der Holle zu beweisen, dass kein anderer Gegenstand seine Seele erfülle, als der allmächtige Gott. Darum, welche Ruhe! welche Selbstüberwindung! welche reine Ergebenheit! welche Erhabenheit des Gemüts! welche Entsagung! Er zaudert während der ganzen Szene keinen Augenblick. Er sattelt den Esel, bereitet das Hol; und zieht nach dem Berg Morija, ohne den geringsten Ausdruck eines ängstlichen Gedankens an den Tag zu legen, und doch musste er, soweit das menschliche Auge, sehen konnte, den Gegenstand seiner innigsten Zuneigung, den Einzigen, von dem die zukünftige Wohlfahrt seines Hauptes abhing, verlieren.

Abraham bewies auf das völligste, dass sein Herz, so teuer auch Isaak für dasselbe war, noch einen teureren und welchem Gegenstand gefunden hatte; er bewies ferner, dass sein Glaube, in Betreff der zukünftigen Wohlfahrt seines Samens, auf einem anderen Gegenstand ruhte – dass seine Ruhe, vor wie nach der Geburt Isaaks, auf die Verheißung des allmächtigen Gottes gegründet war.

Siehe, wie dieser Glaubensmann den Berg ersteigt, indem er seinen Geliebten mitnimmt! Welch eine ergreifende Szene! 1 Wie müssen die himmlischen Heerscharen diesen erhabenen Vater bewacht haben, als er von Station zu Station diese wunderbare Reise zurücklegte, bis er zuletzt seine Hand nach dem Messer ausstreckte, um seinen Sohn zu opfern – diesen Sohn, nach welchem er sich solange und so innig gesehnt, und um dessentwillen er so fest auf Gott vertraut hatte. Dann auch, welche Gelegenheit für Satan, um seine, feurigen Pfeile abzuschießen! Welch ein Spielraum für allerlei Eingebungen, wie etwa diese: „Was wird aus der Verheißung Gottes in Betreff des Samens und des Erbteils werden, wenn du deinen einzigen Sohn opferst? Nimm dich in Acht, dass du nicht durch eine falsche Offenbarung irregeleitet wirst. – Sollte Gott, wenn Er dies wirklich gesagt hat, nicht wissen, dass von dem Tag an, wo du deinen Sohn opferst, alle deine Hoffnungen für immer dahin sind? Was wird aus Sarah werden, wenn ich ohne den Isaak zurückkehre, nachdem sie dich dahin gebracht hat, den Ismael auszustoßen?“ – Mit allen diesen und viele andere Eingebungen wird sicher der Feind dem Herzen Abrahams nahegetreten sein. Und wie sehr waren alle derartigen Gedanken geeignet, in solch einer Stunde der Versuchung, worin Abraham war, auf das Herz einzuwirken? Was aber war die Antwort auf alle diese traurigen Eingebungen? Die Auferstehung! „Durch den Glauben opferte Abraham, als er versucht ward, den Isaak; und der, welcher die Verheißung empfangen hatte, brachte den Eingeborenen dar, über welchen gesagt war: „In Isaak wird dir dein Same genannt werden;“ (1. Mo 21,12) weil er urteilte, dass Gott auch aus den Toten zu erwecken vermöge, woher er ihn auch in einem Gleichnis empfing“ (Heb 11,17–19). – Die Auferstehung ist das mächtige Heilmittel Gottes gegen alles Elend und Verderben, welches Satan eingeführt hat. Sind wir bis. zu diesem Punkt gelangt, so hat es mit der Macht Satans, dessen letzte Anstrengung wir im Tod sehen, ein Ende. Er kann das Leben, das wir in der Auferstehung erlangt haben, nicht antasten. Die letzte Ausübung seiner Macht, wird in dem Grab Christi gesehen; darüber hinaus vermag er nichts zu tun. Welch eine Sicherheit hat darum die Kirche in ihrer Stellung; „ihr Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“ Gesegnete Verborgenheit! Der Herr gebe, dass wir uns mit jedem Tag derselben mehr erfreuen.

Ich denke hiermit diese Betrachtung zu schließen. – Wir sind von Ur in Chaldäa bis zum Berg Morija dem Abraham in seiner Laufbahn gefolgt – wir haben gesehen, wie er bei der Berufung Gottes allem entsagte, seiner Familie und Verwandtschaft, seinem Gut und Eigentum, dem weltlichen Wohlleben und der Gemächlichkeit, und zuletzt haben wir ihn in der Kraft des Glaubens gesehen, wie er der Berufung Gottes Folge leistete, wie er den einsamen Berg bestieg, und zwar in der Absicht, um „seinen Eingebogen“ auf dem Altar Gottes darzubringen und um dadurch zu beweisen, dass er bereit und fähig war, alles, ausgenommen Gott selbst, aufzugeben – und dass er mit der Bedeutung der Worte: „der Allmächtige“ und Auferstehung vertraut war, und dass er nicht daran gezweifelt haben würde, wenn er berufen gewesen wäre, von den Steinen für sich Samen zu erwarten.

Auf der anderen Seite sind wir auch dem Lot von Ur in Chaldäa gefolgt; aber ach, wie verschieden war sein Pfad von dem seines Bruders! Er scheint die Kraft der Berufung Gottes in seiner eigenen Seele nicht verwirklicht zu haben. Er bewegt sich mehr unter dem Einfluss Abrahams, als unter dem von Jehova. Deshalb finden wir auch, dass, während Abraham bei jedem Schritt seiner Reise die Welt fahren ließ, Lot das Gegenteil tat. Er haschte nach der Welt, in welcher Gestalt und Form sich dieselbe ihm auch anbieten mochte, und er erhielt das, wonach er haschte; aber was geschah weiter? Was war das Ende? Ja, darauf allein kommt es an? Was war Lots Ende? Anstatt den Engeln ein erhabenes Schauspiel zu sein, anstatt allen kommenden Generationen der Gläubigen zu beweisen, wie der Glaube einen Mann befähigen kann, für Gott zu wirken und zu leiden, bewies er das Gegenteil. Er wurde durch den Feind seiner Seele, der ihn durch die Dinge dieser Welt betörte, verleitet, und nachdem er in der Unreinigkeit Sodoms seine Tage verlebt hatte, endete seine Laufbahn in jenem traurigen Auftritt in der Höhle. Alles, was er für Gott oder sein Volk tat, war, dass er die Ammoniter und Moabiter, die Feinde von beiden, zeugte.

Wie bewundernswürdig aber ist die Gnade, welche, indem sie von der Geschichte eines solchen Mannes redet, noch sagen kann: ... „und den gerechten Lot, der von den Ausschweifungen des Wandels der Ruchlosen gequält ward, errettet; denn der unter ihnen wohnende Gerechte quälte durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken“ (2. Pet 2,7–8).

Fußnoten

  • 1 Ich zweifle nicht, dass uns in der Reife Abrahams nach dem Berg Morija ein bemerkenswertes Vorbild der geheimnisvollen Szene, welche sich später auf dem Berg, genannt Schädelstätte, ereignete, wo Gott wirklich sich selbst „ein Lamm ausersah,“ gegeben ist. Es wird uns nicht schwierig sein, Herodes und Pilatus, die Hohepriester und Schriftgelehrten, die Pharisäer und die Volksmenge bei Seite zu lassen, und also nur den Vater und den Sohn zu sehen, welche zusammen den Berg besteigen, und das gnadenreiche, Werk der Erlösung in der gänzlichen Einsamkeit dieses Ortes zu erfüllen.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel