Botschafter des Heils in Christo 1860

Der Mann Gottes zu Bethel

Wir sind hier in einer Wüste, geliebte Brüder, wo wir mancherlei Versuchungen zu begegnen haben. Der Herr erlaubt dies, um uns zu erziehen; aber auch um seine Macht und Liebe an uns kund zu tun, um sein völliges Mitgefühl gegen uns zu beweisen und um stets an den Tag zu legen, dass Er für uns und mit uns ist. Satan aber ist in den mannigfachen Versuchungen beschäftigt, unsere Abhängigkeit von Gott zu untergraben, und unsere Gemeinschaft mit Ihm zu unterbrechen. Er gebraucht allerlei Mittel und wendet allerlei List an, um diesen Zweck zu erreichen. Wenn er uns nicht durch das Böse verführen kann, dann versucht er es durch das scheinbar Gute. Kann er durch eine direkte Verführung zum Bösen seinen Zweck nicht erreichen, dann „verstellt er sich in einen Engel des Lichts,“ und naht in dieser Gestalt den Gläubigen. O, wie nötig ist es deshalb, stets die Ermahnungen zur Wachsamkeit zu beherzigen: „Seid nüchtern und wacht!“ – „Wacht und betet!“ – „Zieht an die ganze Waffenrüstung Gottes!“ Die große Gefahr wirklich anerkennen, auf seine eigene Kraft zu verzichten, auf Gottes Kraft völlig zu vertrauen und durch sein Wort allein sich leiten zu lassen – das ist es, was uns in allen Versuchungen aufrechterhält. Sobald aber das Auge sich nur ein wenig von Ihm abwendet, sobald das Ohr irgendeiner anderen Stimme, als der Seinen, Gehör gibt, sind wir in Gefahr zu fallen. Dies sehen wir bei dem Mann Gottes zu Bethel. In der vorliegenden Geschichte haben wir zunächst das Urteil über das Böse durch den Mann Gottes und dessen Empfang, sowie auch die Macht des Königs gegenüber der Macht Gottes.

Die Ungerechtigkeiten Jerobeams brachten das Urteil Gottes über ihn, und dies Urteil wurde auf Befehl Gottes durch seinen Knecht gegen den König und den Altar ausgesprochen. Dies zu tun war keine leichte Aufgabe für den Propheten. Ihm gegenüber stand der mächtige König Israels, umgeben von all den Angesehenen seines Reiches, inmitten der ganzen Pracht eines großen Opferfestes und in dem Bewusstsein, dass seine jetzige Verrichtung die Ruhe und den Frieden seines Reiches befördern und seine Untertanen verhindern würde, von ihm abzufallen. Und diese ganze Berechnung sollte der Prophet zerstören. Er musste denselben Altar, wodurch Israel vom Übertritt zu Juda verhindert werden sollte, verfluchen. Wahrlich, es war keine leichte Aufgabe, gerade in diesem Augenblick und in dieser Umgebung ganz allein vor dem König zu erscheinen, und ihm dies Urteil zu verkündigen. Es war kein Wunder, dass der König seine Hand ausstreckte und rief: „Greift ihn!“ – Der Mann Gottes aber wurde dadurch gar nicht beunruhigt. Er wankte keinen Schritt zurück, sondern hatte völliges Vertrauen zu der Macht und Hilfe Gottes. Der Herr hatte geredet, und der Diener erfüllte seinen Auftrag, ohne einen Augenblick zurück zu schaudern. Ein würdiges Vorbild! Es ist die Kraft des Glaubens, einfältig zu tun, was Gott geredet hat, ohne auf das zu sehen, was uns umgibt, ohne vor der Macht des Feindes zurückzuschrecken. Es ist die Kraft des Glaubens, selbst in den schwierigsten Umständen, das Auge einzig und allein auf Gott gerichtet zu halten. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Dieser Glaube allein behält das Feld, selbst in den schwierigsten Kämpfen, selbst wenn die ganze Welt gegen uns wäre. Er hat seine Kraft in Gott, auf Ihn bleibt er gerichtet, auf Ihn vertraut er, und: „Wer auf den Herrn vertraut, wird nicht beschämt werden.“ Er wird uns lehren, was wir zu tun haben; Er wird uns über alle unsere Feinde den Sieg verschaffen. Er wird in allen Lagen unsere Gedanken, Worte und Handlungen leiten. Er verließ seinen Knecht zu Bethel nicht, und Er wird auch uns nicht verlassen. Zu Bethel sahen wir die Kraft Gottes in Schwachheit, vollbracht. Ein Mann gegenüber Taufenden, und der Eine überwindet.

Der König wird von einem Herrscher ein Flehender. Wunderbare Macht Gottes! „Und seine Hand, die er wider ihn ausgestreckt hatte, verdorrte, und er konnte sie nicht wieder zu sich ziehen. Und der Altar zerriss, und die Asche war verschüttet vom Altar“ (V 4–5). Plötzlich ist die ganze Szene verändert. Jerobeams Hand ist gelähmt und der Altar zerrissen. Der Herr sagt: „Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.“ Jerobeam hat seine Hand wider Gott ausgestreckt, und kann sie nicht wieder zurückziehen. Deshalb fleht er den Propheten, für ihn zu beten. „Da bat der Mann Gottes das Angesicht des Herrn; und dem König ward seine Hand wieder zu ihm gebracht, und ward, wie sie vorhin war“ (V 6). Gott offenbarte hier zweimal seine Macht an dem König, zuerst, dass seine Hand verdorrte und dann, dass sie wieder gesund wurde. Dies blieb auch nicht ganz ohne Eindruck bei ihm? denn er sagte zu dem Mann Gottes: „Komm mit mir heim, und labe dich, ich will dir ein Geschenk geben“ (V 7). Dies war für den Propheten eine große Versuchung; allein er Widerstand entschieden. Er wies alle Geschenke des Königs ab, sagend: „Der Herr hat mir durch sein Wort geboten: du sollst kein Brot essen und kein Wasser trinken, und nicht wieder durch den Weg kommen, den du gegangen bist“ (V 9). Er hielt sich am Wort? des Herrn, wie fremd und unbegreiflich dies auch für den Verstand sein mochte. Der Herr hatte geredet und er folgte ohne zu überlegen.

Bis dahin war der Prophet dem Wort des Herrn gehorsam gewesen. Das Urteil über den Altar war ausgesprochen, der äußerliche Widerstand überwunden und das Geschenk des gottlosen Königs entschieden abgewiesen. Dennoch waren nicht alle Versuchungen für ihn beendigt. Satan kam bald von einer anderen Seite, um ihn zum Fall zu bringen. Und ebenso macht er es mit uns. Er lässt uns oft ein wenig in Ruhe, aber mir deshalb, um den Augenblick abzuwarten, wo er uns am besten überlisten kann. Und es wird auch immer für uns traurige Folgen haben, wenn das standhafte Ausharren der einen Versuchung die Meinung erweckt, dass wir jetzt für alle die folgenden Versuchungen stark genug seien. Dann werden wir bald gleichgültig und Satan wird uns leicht zu Boden werfen können. Außerdem sind meistens die. Versuchungen am gefährlichsten, die am wenigsten dafürgehalten werden. Große Schwierigkeiten treiben zum Herrn, aber in den scheinbar kleineren sind wir so leicht mit unserer eignen Kraft da. Als Petrus den starken Wind sah, wurde er furchtsam, und als er anfing zu sinken, rief er, sagend: „Herr, rette uns, wir gehen unter!“ Die größte Gefahr aber wartet des Volkes Gottes von einer anderen Seite. Paulus warnte die Ältesten zu Ephesus vor den verderblichen Wölfen, die in die Versammlungen hineindringen würden. „Aus eurer eignen Mitte“, sagt er, „werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20,30). „Seht zu, dass nicht jemand von der Gnade Gottes zurückbleibe, dass keine Wurzel von Bitterkeit ausschlagend, euch beunruhige und viele durch diese besteckt werden“ (Heb 12,15).

Solche Schriftstellen sind wohl geeignet alles Selbstvertrauen und alle Selbstzufriedenheit unter den Gläubigen niederzuhalten. Das Stützen auf eigene Kraft oder das blinde Vertrauen auf andere Gläubige, wenn sie auch noch so viel Ansehen genießen, bringt uns immer wieder zum Fall. Das Wort Gottes ermahnt nicht, dass sich einer auf den anderen, sondern dass sich ein jeder auf den Herrn lehnen solle. Hierin besteht auch nicht die Gemeinschaft der Gläubigen, sondern sie besteht darin, dass ein jeder auf Gott vertraue und nach dem Maß seines Glaubens bemüht ist, dem anderen zu helfen. Wenn die Bruderliebe ohne Gott unterhalten werden könnte, dann würden wir in dieser Hinsicht ohne Gott sein; „aber in Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge.“ Er gibt den Segen und Er gibt auch die Kraft, ihn zu bewahren. Wenn wir Ihn ehren, so werden wir uns auch einander ehren; wenn wir Ihn lieben, so werden wir uns auch einander lieben. Keine Bruderliebe ist möglich, ohne die Liebe Gottes – und die „Liebe Gottes freut sich mit der Wahrheit.“

Dies alles vergaß aber der Mann Gottes auf seiner Rückreise von Bethel nach Juda. Zufrieden mit sich selbst und über sein abgelegtes Zeugnis, setzte er sich unter einer Eiche nieder, und in diesem Zustand der Unwachsamkeit kam der Teufel zu ihm. Er mochte wohl denken, dass er jetzt alle Gefahren überstanden hätte, da Bethel hinter ihm lag. Aber er irrte sich. Seinen Auftrag, das ist wahr, hatte er vollendet, aber er war noch nicht wieder in Juda. Ebenso sind auch wir noch nicht in unserem Vaterland, da, wo keine Versuchung, kein Kampf mehr sein wird. Solange wir dies nicht vergessen, werden wir auch die Gefahr nicht vergessen, worin wir uns befinden, und werden wachsam bleiben.

„Ein alter Prophet nun wohnte zu Bethel; zu dem kam sein Sohn, und erzählte ihm alle Werke, die der Mann Gottes des Tages zu Bethel getan, und die Worte, die er zum König geredet hatte. Solches erzählten die Söhne ihrem Vater. Und ihr Vater sprach zu ihnen: Welches ist der Weg, den er gezogen ist? Und seine Söhne hatten den Weg gesehen, den der Mann Gottes gegangen war. Er aber sprach zu seinen Söhnen: Sattelt mir den Esel. Und da sie ihm den Esel gesattelt hatten, ritt er darauf, und zog dem Mann Gottes nach, und fand ihn unter einer Eiche sitzen, und sprach zu ihm: Bist du der Mann Gottes, der von Juda gekommen ist? Er sprach: Ja. Er sprach zu ihm: Komm mit mir heim, und iss Brot. Er aber sprach: Ich kann nicht mit dir umkehren, und mit dir kommen; ich will auch nicht Brot essen, noch Wasser trinken mit dir an diesem Ort. Denn es ist mit mir geredet worden durch das Wort des Herrn: Du sollst daselbst weder Brot essen, noch Wasser trinken; du sollst nicht wieder durch diesen Weg gehen, den du gegangen bist. Er sprach zu ihm: Ich bin auch ein Prophet, wie du, und ein Engel hat zu mir geredet durch des Herrn Wort, und gesagt: Führe ihn wieder mit dir in dein Haus, dass er Brot esst und Wasser trinke. Er log ihm aber. Und führte ihn wieder mit sich, dass er Brot aß und Wasser trank in seinem Haus“ (V 11–19).

Es wird gesegnet für uns sein, wenn wir uns durch solche Beispiele belehren lassen. Möchten wir durch die Geschichte des Mannes Gottes aus Juda uns warnen lassen, nicht jemand irgendwie Gehör zu geben, wenn das, was er sagt, nicht in völliger Übereinstimmung mit dem Wort Gottes ist. Wir dürfen ihm kein Gehör geben, selbst wenn er auch ein Bruder wäre und sogar schon lange auf dem Weg des Lebens gewandelt hätte. Gottes Wort ist die Richtschnur für alle; und wir – können nur auf das Wohlgefallen und den Segen Gottes in unserem Wandel hienieden rechnen, wenn wir uns einfach durch sein Wort leiten lassen. Vernachlässigen wir aber sein Wort, und folgen in irgendeiner Sache der Meinung anderer, so werden wir nicht gesegnet sein und sogar gezüchtigt werden, selbst wenn diese Meinung die Anerkennung aller Gläubigen hatte. Und dies ist besonders in unseren Tagen so sehr beherzigenswert.

„Und da sie zu Tische saßen, geschah das Wort des Herrn zum Propheten, der ihn wieder umgeführt hatte; und er schrie den Mann Gottes an, der von Juda gekommen war, und sprach: So spricht der Herr: Darum, dass du dem Mund des Herrn bist ungehorsam gewesen, und hast nicht gehalten das Gebot, das dir der Herr dein Gott geboten hat; und du bist umgekehrt und hast Brot gegessen und Wasser getrunken an dem Ort, davon Er dir sagte: du sollst weder Brot essen, noch Wasser trinken: so soll dein Leichnam nicht in deiner Väter Grab kommen“ (V 20–22). Und so geschah es auch. In Vers 23–25 wird uns die Ausführung der Strafe mitgeteilt.

Die Geschichte sagt uns freilich wenig von dem alten Propheten, aber es ist doch nicht schwer, die Triebfeder seiner Handlungsweise zu erforschen. Er war auch ein Prophet Gottes und wohnte zu Bethel, an dem Ort, wo das Urteil gesprochen werden musste. Gott aber hatte ihn nicht erwählt, um gegen die Abgötterei zu zeugen, sondern hatte aus Juda einen Propheten kommen lassen. Dies war für seinen Hochmut zu viel. „Ich bin auch ein Prophet,“ sagte er. Das eigene Ich war auf dem Plan und Gott ganz und gar bei Seite gesetzt. Er wollte wenigstens durch den Propheten aus Juda als Prophet anerkannt werden. Und um seinen Zweck zu erreichen, nahm er seine Zuflucht zu einer Lüge. Aber ach! der Hochmut seines Herzens brachte den Mitknecht zu einem tiefen Fall, der eine schwere Straft nach sich zog. Vielleicht mag er dies später bereut haben; aber dies änderte nichts an der Sache. Er konnte ihn wohl begraben, konnte wohl über ihn trauern, und sagen: Ach mein Bruder! aber dies alles, veränderte weder den Fall noch das Urteil Gottes. Der Mann Gottes war gestorben und zwar durch seine Schuld.

O wie schrecklich ist es, Ursache zu sein, dass ein Kind Gottes in eine Sünde fallt, wofür ihn das Urteil Gottes trifft! Dir Herr gebe, dass auch dies ernste Beispiel uns warne, damit wir nicht eine solche Schuld auf uns laden.

Zwei beherzigenswerte Ermahnungen werden uns durch diese lehrreiche Geschichte vor die Seele geführt. Zuerst sind wir ermahnt, zu jeder Zeit und in allen Versuchungen unverrückt an dem einfachen Worte festzuhalten und mit Gebet darüber zu wachen, und dann, dass wir uns nicht durch Eigenliebe und Hochmut verleiten lassen, uns selbst und anderen zum Unsegen statt zum Segen zu sein. Dies möge der Herr tief in unser aller Herzen einprägen!

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