Botschafter des Heils in Christo 1860

Die glückselige Hoffnung

„So komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh 14,3).

Mit diesen Worten tröstete der Herr kurz vor seinem Hingang zum Vater seine vielgeliebten Jünger, die Er in dieser Welt noch zurücklassen musste.

Der Herr kommt also wieder und will uns zu sich nehmen. Wir werden Ihn ewig schauen und werden Ihm gleich sein. Welch eine glückselige Hoffnung! Er kommt nicht, um mit uns von unseren Sünden zu reden. Diese Frage ist bei seinem ersten Kommen völlig beseitigt worden. Der Kommende ist der, „…der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut.“ (Off 1,6) Er ist unsere Gerechtigkeit, unser Friede und unser Leben. Er ist unser Freund, unser Bräutigam und unser Haupt, das Haupt seines Leibes. Was ist da noch zu fürchten? Nur wer Ihn und seine Gnade und Liebe nicht kennt, hat Ursache, mit Furcht und Schrecken an sein Kommen zu denken. Für die Seinen aber soll es nur der Gegenstand einer glückseligen Hoffnung sein.

Aber ach, auch diese haben sich so vielfach von dieser gesegneten Hoffnung abwenden lassen. In den Herzen vieler Gläubigen ist der Herr nicht der einzige und teuerste Gegenstand ihrer Verehrung geblieben und darum hat auch seine Wiederkunft aufgehört, der nächste und köstlichste Gedanke darin zu sein. Sie haben sich mehr mit dem Kommen ihres Todes, als mit beim Kommen des Herrn befreundet. Denken sie an den Augenblick, wo sie diese Wüste verlassen werden, so denken sie an ihr Sterben und nicht an die Ankunft des Herrn zur Aufnahme seiner Versammlung. Das ist die Wirkung des Unglaubens. So war es zur Zeit der Apostel unter den Gläubigen nicht. Der eingetretene Tod etlicher Brüder hinderte die Lebenden nicht, ungeschwächt den Herrn zu erwarten, und der heilige Geist hörte auch deshalb nicht auf, seine Ankunft als eine stets zu erwartende Sache und als die glückselige Hoffnung vor ihre Seele zu stellen. Und wenn Er kommt, so werden wir seinem Bild, dem Bild des Sohnes Gottes in Herrlichkeit gleichförmig sein. „Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (1. Kor 15,49). Dies ist unser Verlangen und der Gegenstand unserer Hoffnung. Jetzt tragen wir das Bild des Irdischen, aber wir hoffen, dem Bild Christi gleichförmig zu sein. „Wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, Ihm gleich sein werden“ (1. Joh 3,2).

Gott konnte uns keine herrlichere Hoffnung geben und auch keine herrlichere Macht, um uns von der Welt abzusondern. Aber wann werden wir seinem Bild gleichförmig sein? Im Tod? Gewiss nicht, denn dann sind unsere Leiber im Grab. Unsere Hoffnung aber ist, dem verherrlichten Leib Christi gleich gestaltet zu werden. Die Schrift spricht nie von verherrlichten Seelen. Paulus sagt zwar in Philipper 1,23: „indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser.“ und dies möchte ich durchaus nicht schwächen. „Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert…“ sagt der Apostel an einer anderen Stelle, aber er fügt hinzu: „…weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben“ (2. Kor 5,4). Dies ist es, was er wünscht: die Umwandlung des sterblichen Leibes, ohne den Tod zu sehen.

Es gibt vier Stellen im Neuen Testament, welche von der Freude des entkörperten Geistes reden. Zuerst in Lukas 23,43, wo der Herr dem sterbenden Mörder am Kreuz zuruft: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Dann Apostelgeschichte 7,59, wo Stephanus ausruft: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“  Weiter in 2. Korinther 5,8: „Wir sind aber guten Mutes und möchten lieber ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei dem Herrn sein.“ Und endlich in Philipper 1,23, wovon schon die Rede gewesen ist.

Wie glücklich nun aber auch die Seele sein mag, wenn sie, geschieden von dieser Welt und befreit von allen Beschwerden und Versuchungen dieses Lebens, den Herrn genießt, so ist dies doch nicht der Gegenstand unserer Hoffnung. Wir werden Christo gleich sein. „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworben, was wir sein werden; wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, wie Er rein ist“ (1. Joh 3,2.3). Das ist die praktische Wirkung dieser Hoffnung. Ich werde eifrig bemüht sein, Ihm jetzt schon, so viel als möglich, gleich zu sein.

Und diese Hoffnung haben wir mit allen Heiligen gemein. Es ist die Hoffnung der Versammlung. In 1. Korinther 11,26 ist gesagt: „Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis Er kommt.“ Der Tod Christi ist die Basis unserer gemeinschaftlichen Hoffnung. Und wir gehen voran und verkündigen dies, bis Er wiederkommt, um uns zu sich zu nehmen.

Wenn ich an den Tod denke, an mein Abscheiden, um bei Christo zu sein, so denke ich an mich. Ich werde glücklich sein, aber die ganze Versammlung ist nicht verherrlicht. Wenn Christus kommt, so wird jeder Heilige dort sein und dann wird Christus die Arbeit seiner Seele sehen und befriedigt sein. Die Braut wird den Bräutigam und der Bräutigam die Braut haben und ich werde dann nicht allein glücklich sein. Der Geist Gottes leitet meine Gedanken von mir ab zu dem ganzen Leib Christi hin. Christus wird die Versammlung, welche Er liebt, und für welche Er sein Leben gegeben hat, (vgl. Eph 5,25) bei sich in der Herrlichkeit haben.

Diese Hoffnung richtet aber auch unsere Herzen auf Christum selbst. Ich erwarte eine Person, welche ich liebe. Ich erwarte den, der mich geliebt und mich von meinen Sünden in seinem Blut gewaschen hat. Er wird wiederkommen, um mich zu sich zu nehmen, und ich erwarte Ihn.

Die Engel sagten: „Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird ebenso kommen, wie ihr Ihn habt auffahren sehen in den Himmel.“ (Apg 1,11) Den, welchen sie liebten, hatten sie verloren. Sie standen und sahen Ihm unverwandt nach, und der erste Gedanke, welchen Gott ihrem Herzen nahe brachte, war: „Er wird wieder kommen.“ Diese große und herrliche Wahrheit sollte stets als eine gegenwärtige Sache vor ihrer Seele stehen.

Die Versammlung zu Korinth war in allem reich gemacht und sie hatten nur noch die Offenbarung unseres Herrn Jesu Christi zu erwarten (vgl. 1. Kor 1,7). Und seine Wiederkunft erwarteten sie, und nicht ihren Tod. Es gibt auch viele Gläubige, die noch eine neue Ausgießung des heiligen Geistes erwarten. Sie vergessen, dass die Innewohnung des heiligen Geistes der besondere Charakterzug der Versammlung ist. Dies ist nicht unsere Hoffnung, sondern etwas, was wir schon haben. Der heilige Geist kam am Pfingsttag hernieder. Er ist der „andere Tröster“ oder Sachwalter, der in Ewigkeit bei uns bleiben soll (vgl. Joh 14,16).

Betrachten wir den ersten Brief an die Tessalonicher, so sehen wir, dass jede Sache dort in Beziehung zu der Wiederkunft des Herrn steht. Sie verbindet sich mit allen Umständen des täglichen Lebens, mit allen Gedanken, Hoffnungen und Gefühlen in den Herzen der Heiligen. Im ersten Kapitel steht sie in Verbindung mit ihrer Bekehrung. Die Macht des Wortes hatte einen reichen Eingang unter ihnen gehabt. Sie hatten „sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“ (1. Thes 1,9.10). Gewiss, wenn diese Erwartung in unseren Herzen lebt, so durchschneidet sie jedes Band, welches uns an die eitlen Dinge dieser Welt bindet und vereinigt uns im Herzen mit dem Herrn und mit seinen Heiligen.

Im zweiten Kapitel, wo wir des Apostels zärtliche Liebe und Sorgfalt für die Herde sehen, schließt er mit den Worten: „Denn wer ist unsere Hoffnung, oder Freude, oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserm Herrn Jesus bei seiner Ankunft?“ (1. Thes 2,19). Dann ist die Zeit, will er sagen, wo ich die ganze Freude der christlichen Gefühle und Zuneigungen genießen werde.

Weiter sehen wir im dritten Kapitel, dass die Ankunft Christi mit der Heiligkeit in den Seinen verbunden ist: „...um eure Herzen zu befestigen, dass ihr untadelig seid in Heiligkeit, vor unserm Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen“ (1. Thes 3,13).

Das vierte Kapitel zeigt uns, wie gegenwärtig die Ankunft Christi bei den Heiligen in Thessalonich war, dass sie sogar durch den Tod etlicher ihrer Mitbrüder in Unruhe versetzt wurden. Zugleich aber ist es sehr bemerkenswert, dass der heilige Geist die Versammlung dort nicht nur in Betreff der Entschlafenen beruhigte, sondern sie auch im Ausharren der steten Erwartung der Ankunft Christi ermunterte. Welch ein Vorrecht, am Sterbebett eines Heiligen zu sitzen und sich der gemeinschaftlichen Versammlung mit Jesu zu trösten! Wenn Er mit seinen Heiligen kommt, so wird keiner derselben fehlen. „So wird auch Gott die durch Jesus Entschlafenen mit Ihm bringen“ (1. Thes 4,14). Und fragen wir, wie solches zugehen wird, so finden wir die Antwort in den folgenden Versen: „Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in den Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten“ (1. Thes 4,15–18). Der Trost des Apostels, als die Heiligen über den Tod ihrer Brüder trauerten, war nicht: „Seid zufrieden, sie sind in den Himmel gegangen und ihr werdet ihnen ja bald nachfolgen,“ sondern er richtet ihre Herzen auf die Ankunft Christi. Dies ist und bleibt der wahre Trost des Christen selbst in der Gegenwart des Todes.

Im zweiten Brief ist das Kommen des Herrn mit dem Trost in den Trübsalen und Verfolgungen verbunden. Die Thessalonicher hatten große und schwere Leiden zu erdulden. Aber sie harrten aus, ihr Glaube wuchs sehr und ihre Liebe untereinander war überströmend. Und welchen Trost gab ihnen der Apostel? Sagte er: „Ihr werdet bald in den Himmel gehen?“ Nein! sondern er sagte: „Ihr werdet Ruhe haben, wenn Jesus kommt“ (vgl. 2. Thes 1,7).

Zum Schluss will ich hier noch mehrere Stellen angeben, um zu zeigen, wie fast alle Briefe der Apostel mit dieser großen und herrlichen Wahrheit von der Ankunft des Herrn in Verbindung stehen: Röm 8,19–24; 1. Kor 1,8; 6,2.3; 4,5; 15,23.51–54; 2. Kor 1,14; Phil 1,9–11; 3,20.21; 4,4.5; Tit 2,11–13; Heb 9,28; 10,37; Jak 5,7.8; 1. Pet 1,7; 5,4; 1. Joh 2, 28; Jud 14; Off 1.7; 2,25; 3,11; 22,7.

Der Herr aber möge seine gesegnete Ankunft wieder recht lebendig in unseren Herzen machen, damit sie uns in Wahrheit eine glückselige Hoffnung und in allen Umständen auf dieser Erde der nächste Gedanke sei!

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