Botschafter des Heils in Christo 1869

Die Anbetung in Geist und Wahrheit

Haft du es je einmal im Licht der Schrift betrachtet, was die Anbetung eigentlich ist? Leider ist es dem Feind gelungen, die meisten Gläubigen hinsichtlich ihrer Stellung in Christus – als durch ein Opfer auf immerdar vollendet und in Ihm, dem Auferstandenen, vollkommen gemacht – so sehr in Verwirrung gebracht zu haben, dass sie ganz und gar kein Auge haben für das, wozu Gott sie gebracht hat, und an dessen Stelle Ersatzmittel aller Art suchen. – „Gott ist ein Geist; und die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in Wahrheit anbeten“, und: „der Vater sucht solche, die Ihn anbeten.“ – Es muss im Geist sein – keine äußere Form genügt; und es muss in Wahrheit sein – der Grund muss so fest und untrüglich gelegt sein, dass Gott selbst dadurch befriedigt ist und das Opfer des Anbeters als einen duftenden Wohlgeruch annehmen kann. Zu diesem Zweck muss die Sünde vom Anbeter entfernt sein. Es genügt nicht, dass ihm seine Sünden vergeben sind, sondern die Sünde muss hinweggetan sein, und zwar in einer so vollkommenen Weise, dass er geheiligt und fähig gemacht ist, ja sogar aufgefordert wird, nicht in den äußeren Vorhof, nicht in das Heilige, welches den Priestern einen Eintritt gestattete, sondern als Anbeter ins Allerheiligste einzugehen – in jene Stätte, in welches als Vorbild nur der Hohepriester und zwar nur einmal im Jahr hineingehen durfte. Welch eine Reinigung muss es sein, die ihn hierzu befähigt! Nicht in seiner eigenen Person, sondern in Christus Jesus geht er hinein. Das Gericht Gottes ist über die Sünde ergangen, indem der Sohn selbst sie an seinem eigenen Leib auf dem Holz getragen hat. Er, das Schlachtopfer, – das einzige, welches, weil es unbefleckt und göttlich war, uns vollkommen vertreten konnte – trank an unserer statt den Kelch des Gerichts bis auf die Hefen, so dass – wenn man sich so ausdrücken darf – nicht das kleinste Teilchen der Gerechtigkeit Gottes unbefriedigt oder für uns zu befriedigen übriggeblieben ist. Am Kreuz wurde der Mensch für immer bei Seite gesetzt, und zwar als gründlich verdorben, ohne Hoffnung, tot in Sünden. Der Tod Christi ist das über den Menschen als Sohn Adams gefällte Urteil Gottes, so dass das Leben aus Adam für alles Gute als völlig unbrauchbar erklärt worden ist.

Welch eine Beruhigung für den Gläubigen, dem „elenden Menschen“, so zu sagen, Lebewohl zurufen zu dürfen, ihn ins Grab, wo Christus lag, gelegt zu sehen, sich selbst für tot halten zu dürfen, (Röm 6,3–11) sowohl den Leib der Sünde, als auch die Sünden hinweggetan (Kol 2,11) und sich vom Leib dieses Todes (Röm 7,24) erlöst zu sehen! Und noch mehr: Die Schuld ist bezahlt – was ist aus dem Schuldner geworben? – Wir haben gesehen, dass er gestorben ist. Ist das alles? Keineswegs. Er ist in ein neues Leben eingegangen. Nicht ein Fünklein, nicht eine Spur des alten Lebens ist übriggeblieben; „siehe. Alles ist neu geworden.“ Und von welcher Art ist dieses neue Leben? Es ist das Leben Christi. „Das Gesetz des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht“ (Röm 8,2). „Der Geist ist das Leben der Gerechtigkeit wegen“ (Röm 8,10). „Dies ist das Zeugnis, dass Gott uns das ewige Leben gegeben hat; und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, hat das Leben“ (1. Joh 5,11–13). „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (Kol 3,3). Ist das nicht die richtige Zubereitung zum Eintritt in das Allerheiligste? Ja, wir sind in dem Allerheiligsten, mit Ihn: dorthin versetzt; denn „Er hat uns mit auferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (Eph 2,7). dieses und kein anderes, kein geringeres ist unser Heiligtum. Können wir Christus aus diesem Heiligtum herunterziehen? Kann Gott Ihn anderswo sehen, als in dem Heiligtum? Kann Er uns in Ihm anderswo sehen? Gewiss nicht; und wenn wir diesen Platz nicht einnehmen, so heißt das Ihn verunehren und sein Werk geringachten. Wenn du diese Stellung als Anbeter nicht einzunehmen vermagst, so betrachtest du dich entweder in deiner alten Natur und hast sie nicht völlig aufgegeben, oder du unterschätzest den Wert der Person und des Werkes Christi, an den zu glauben du behauptest. Suche nicht Licht und Finsternis mit einander zu vermengen; bediene dich des Lichtes, welches Gott in Christus hat hervorstrahlen lassen, und lass das Kreuz dich scheiden von aller Finsternis in dir, wie das Kreuz es nach Gottes Gedanken und nach seinen, Worte bereits getan hat (2. Kor 5,17–18; Eph 2,10; 5,8). Lausche auf die Worte: „Das Alte ist vergangen, siehe! Alles ist neu geworden.“ – Betrachte sie und vertiefe dich in sie. „Vergangen“ – „neu geworden“. – Nicht nur die Sünden, nein, „das Alte“, d. h. Alles, was uns von Adam her anklebte, „ist vergangen“ – „Alles ist neu geworden.“ Und noch mehr: „Alles aber aus Gott.“ – Kannst du dir dieses Wort aneignen? „Alles aus Gott.“ Vom Alten nichts mehr vorhanden – alles neu geworden – alles aus Gott. Wunderbar aber wahr. Das Wort Gottes sagt es; und darum kann es nicht anders sein. Weder die Gefühle, die Erfahrungen, noch die verschiedenen Arten von Zweifeln und Vernünfteleien vermögen diese köstliche Wahrheit umzustoßen. Es ist das wahrhaftige Wort Gottes. Fragst du, wie das möglich sei, so ist die einzige Antwort: Gott hat es wahrgemacht, indem Er das „Alte“ in den Tod gegeben und das „Neue“ in Christus uns geschenkt hat. Und fragst du: warum? – so lautet die Antwort: „Weil Gott reich ist an Barmherzigkeit wegen der vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, hat uns mit dem Christus lebendig gemacht – damit er erwiese den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns in Christus Jesus“; (Eph 3,4–7) und damit schon „jetzt durch die Versammlung die mannigfaltige Weisheit Gottes kundgemacht sei“ (Eph 3,10).

Doch wer soll die Frucht dieses Gnadenwerkes ernten? Sicherlich der Gläubige; aber nicht Er allein. Soll Gott säen und – wenn man es in Ehrfurcht sagen darf – nicht auch ernten? Darfst du Ihm seinen Anteil an diesem wunderbaren Werk rauben? „Oder willst du, mit anderen Worten, Ihm den Ausfluss eines befriedigten, eines vollen und überfließenden Herzens versagen, welches in Lob, Preis und Anbetung zu Ihm hinaufstrebt? Wer war es, der zur festlichen Freude einlud? War es der verlorene Sohn? O nein; es war der Vater, welcher sagte: „Lasst uns fröhlich sein.“ – „Der Vater sucht solche, die Ihn anbeten“, – „Durch Ihn lasst uns denn Gott stets das Schlachtopfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen ...; denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“ (Heb 13,15–16). „Seid mit dem Geist erfüllt, redend unter einander in Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singend und spielend dem Herrn in euren Herzen“ (Eph 5,19). Welches ist die erste Frucht des Kreuzes, welche in Psalm 22 erwähnt wird? – „Ich will“ – spricht Christus – „Deinen Namen verkündigen unter meinen Brüdern; inmitten der Versammlung will ich dich loben.“

Geliebte Brüder! Haben wir den Vater kennen gelernt als den, dem wir „nahe geworden“ sind? (Eph 2,13–19) Fühlen wir uns in seinen! Haus heimisch? Haben wir von dem gemästeten Kalbe gegessen? Ist der Vater, welcher sagt: „Freut euch mit mir!“ – fröhlich unter uns? Der Brief des Paulus an die Epheser, sowie auch der Brief des Petrus an die auserwählten Fremdlinge von der Zerstreuung – Beide beginnen mit den Worten: „Gepriesen sei der Gott unseres Herrn Jesus Christus.“ Das ist Anbetung. Kann sonst etwas das Herz Gottes befriedigen? Wenn deine Kinder mit dir an deinem Tisch säßen, und alles, was das Herz nur ersinnen oder wünschen könnte, für sie gedeckt und bereitet wäre, was würde dann dein Begehren sein? Würdest du wünschen, dass deine Kinder trotz einer solchen Zubereitung dich immerfort um Brot anflehten? Würde es dir nicht vielmehr eine Freude sein, wenn sie fein zugriffen und dir für deine Güte dankten? Wodurch würdest du dich am meisten geehrt fühlen? – Sicher wird sich unser Mund zu Bitten und Gebet öffnen müssen; aber sollen wir dieses an die Stelle dessen setzen, was Gott von uns fordert, nämlich an die Stelle der Anbetung, der Danksagung und des Opfers unserer Erstlinge? (5. Mo 26,1–11) Gerade das Herz dessen, welches am meisten seine Abhängigkeit im Gebet fühlt, wird am weitesten geöffnet sein, um von Gott mit Lob und Dank erfüllt zu werden (Lk 34,53).

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