Botschafter des Heils in Christo 1869

Der Herr Jesus als der mitleidige Hohepriester - Teil 2/2

Außerdem also, dass unser Herr das ewige Wort, der Sohn des Vaters ist, finden wir auch in seiner Person zunächst die Erfüllung davon, dass das „ungesäuerte Feinmehl mit Öl gemengt“, und dann, dass das Öl darauf „geschüttet“ wurde. Ersteres ist die Wirkung des Heiligen Geistes, beschrieben in Lukas 1, vom Beginn seiner Menschheit an, auf dass das, was von Maria empfangen und geboren wurde, „heilig“ sein sollte. Das Zweite aber wird uns in Lukas 3,22 und in Apostelgeschichte 10,38 mitgeteilt. Diese beiden Wahrheiten dürfen, wie dieses leider oft geschehen ist und noch geschieht, nicht miteinander verwechselt werden; denn auf diese Weise wird, was die menschliche Seite seiner Person betrifft, der Heiland, der Christus Gottes zu einem Kind Adams herabgewürdigt. Man erkennt nicht das Geheimnis seiner gesegneten Person, welches völlig von der Salbung mit dem Heiligen Geist zu unterscheiden ist, welche dreißig Jahre später stattfand, als Er vor Beginn seines Dienstes im Jordan getauft wurde.

Die Salbung steht in keiner Beziehung zu der Bildung der vollkommenen reinen menschlichen Natur für die Person Christi, sondern ist nur eine Handlung, wodurch der reinen Natur die Kraft des Heiligen Geistes verliehen und wodurch, im Blick auf das öffentliche Amt, der niedrige und gehorsame Mensch mit göttlicher Kraft gesalbt wurde. „Denn diesen (den Sohn des Menschen) hat Gott versiegelt.“ Seine inneren Erfahrungen waren nach der Salbung nicht heiliger oder Gott wohlgefälliger, als vor derselben. Es galt hier, anderen die mächtige Gnade des Geistes in dem Menschen offenbar zu machen. Danach kam Satan, um den Herrn zu versuchen, wie wir in Lukas 4,13 lesen; jedoch soll hier durch das Wort „Versuchung“ nur das Ansuchen eines äußeren Feindes angedeutet werden, und hat keineswegs, wie sonst in anderen Stellen des Wortes, die Bedeutung, als sollte dadurch die Wirkung der inneren Schwachheit oder Verderbtheit ans Licht gestellt werden.

Die erste in den drei großen Versuchungen in der Wüste war „Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich zu diesem Stein, auf dass er Brot werde.“ Jesus war der Sohn Gottes, und Er war hungrig. Das war sicher eine außergewöhnlich günstige Gelegenheit, um seine göttliche Sendung zu beweisen und zu gleicher Zeit die Bedürfnisse seines Leibes zu befriedigen. Konnte Er keine Steine in Brot verwandeln? Gewiss. Wir können diese Versuchung eine natürliche nennen. Die zweite Versuchung (wenigstens wie Lukas die Reihenfolge nach ihrer moralischen und nicht wie Matthäus nach ihrer geschichtlichen Ordnung angibt) galt dem weltlichen Elemente. Es war das Anerbieten aller Königreiche der Welt unter der Bedingung, dass Christus den Teufel anbeten sollte. Die dritte Versuchung war auf den geistlichen Grundsatz gerichtet; und darum bedient sich der Teufel des Wortes Gottes.

Wie wir wissen, weigert sich der Herr, aus Steinen Brot zu machen. Er erkannte hier die Einflüsterung des Teufels; und dies war auch nicht das Wort Gottes, welches die wahre Speise des Gläubigen ist. Christus als Mensch, der Sohn Gottes auf Erden, lebt in unwandelbarer Vollkommenheit durch das Wort Gottes. Er ehrt Jehova, seinen Gott, und dient Ihn: allein als der Sohn des Menschen; Er vertrautes Ihn als der Messias und versucht Ihn nicht, wie einst das Volk in der Wüste Ihn versuchte. Bemerken wir den Unterschied zwischen Christus und anderen, die sich in ähnlichen Umständen befanden. Moses und Elias fasteten vierzig Tage; aber Moses wurde auf dem Berg während dieser Zeit durch die Gegenwart Gottes unterstützt; und Elias wurde auf eins wunderbare Weise durch einen Engel ernährt. Also geschah es nicht mit dem Herrn Jesus; Er befand sich nicht wie Moses in der Gegenwart Gottes, sondern in der Gegenwart des Teufels; und Ihm mangelte jeder Lebensunterhalt, während Elias mit Speise versehen wurde.

Es ist vollkommen wahr, dass der Herr Jesus nicht auf eine fleckenlose und glückliche, sondern auf eine gefallene Erde gekommen ist; doch daraus den Schluss zu ziehen, dass Er den gefallenen Zustand der Menschheit angenommen habe, ist ein grober, unverzeihlicher Irrtum. Ohne Zweifel litt Er und konnte Er leiden durch Hunger, Durst und Müdigkeit; aber dieses ist kein Beweis, dass die Menschheit in Ihm eine gefallene war, sondern zeigt uns nur die Umstände, in welche die Menschheit, mag sie heilig oder unheilig sein, kommen kann. In seiner Unschuld machte Adam solche Erfahrungen nicht. Die heilige Person Jesu war solchen Misshelligkeiten unterworfen und verherrlichte Gott in denselben; aber was hat dieses mit dem Zustand der Heiligkeit seiner Menschheit, gegenüber dem Zustand der Menschheit Adams vor oder nach dem Fall, zu tun? Und wer will es zu behaupten, wagen, dass Adam in Eden, wenn er sich der Speise enthielt, keinen Hunger gelitten haben würde? Gewiss, man ist nur bemüht, den Herrn der Herrlichkeit in den gefallenen Zustand unseres Geschlechts herab zu ziehen. Wenn man zu diesem Zweck in dem Hunger, dem Durst und der Ermüdung des Herrn Beweise suchen will, so hascht man nach Trugschlüssen, indem man die Umstände, denen die Menschheit unterworfen ist, mit der Menschheit selbst verwechselt. Gott teilt uns jene Tatsachen mit, um unsere Begriffe von der Gnade des Heilands zu erhöhen und um seine moralische Größe vor unseren Augen zu verherrlichen, während der Mensch, durch Satan vorgeschoben, diese Tatsachen ausbeutet, um seine Menschheit zu besudeln und seine Person zu erniedrigen. Sicher ist Er versucht worden bis zum Äußersten; doch daraus zu schließen, dass Er, wie wir, eine gefallene menschliche Natur besessen habe, ist eine Schmach gegen Christus und eine verwerfliche Lüge. Indem die Schrift die Menschheit Christi ins Licht stellt, trägt sie die augenscheinlichste Sorge, seine unbefleckte Herrlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Und kein Wunder! Gott wacht darüber, dass die unaussprechliche Gnade unseres Heilands nicht in irgendeiner Weise angetastet werden kann.

In Hebräer 2 lesen wir: „Jetzt aber sehen wir Ihm noch nicht alles unterworfen. Wir sehen aber den, ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigten Jesus mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, dass Er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte.“ Die Bedeutung dieser Worte ist, dass Christus wegen des Leidens des Todes zur Belohnung für sein Werk mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt ist; (siehe Phil 2,9) und zwar der Christus, der ein wenig unter die Engel erniedrigt worden ist, um durch die Gnade Gottes für alles den Tod zu schmecken. Die Menschwerdung allein vermochte, wie wichtig sie auch war, uns nicht zu erlösen. Sollte der Mensch nach der Gerechtigkeit Gottes von der Sünde erlöst werden, so war der Tod durchaus nötig. „Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung.“ – „Denn es geziemte Ihm, um dessentwillen alle Dinge, und durch den alle Dinge sind, indem Er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Anführer ihrer Errettung durch Leiden zur Vollkommenheit zu bringen“ (V 10). Es geziemte sich also, dass Christus für die vielen Söhne, die Gott zur Herrlichkeit führte, durch Leiden zum Himmel gehen sollte. Nicht um seinetwillen, sondern als Anführer unserer Errettung musste Er durch Leiden geheiligt werden. Unser Zustand erfordere dieses. Auf dem Kreuz wurde Er zur Sünde für uns gemacht; und das ist das entsetzliche Leiden, wovon hier die Rede ist; ohne Sünde aber, die Er dort trug, stand Er auf aus den Toten, und ist mithin an unserer Stelle durch Leiden geheiligt, „Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle ans einem, um welcher Ursache willen Er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“ (V 11). Erst nach seiner Auferstehung stellt der Herr seine Jünger in das Verhältnis, von Brüdern. Die Worte „Alle aus einem“ bezeichnen nicht den Eintritt Jesu in, ihren Zustand, sondern ihre Einführung in seinen Zustand. In seinen! Tod war der Grund dazu gelegt; nach seiner Auferstehung ans den Toten vereinigt Er sie mit sich. Sie waren also „alle aus einem“. „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Auch ist es deutlich, dass die Menschwerdung des Sohnes in Vers 14 als da notwendige Mittel bezeichnet wird, um durch den Tod die Macht des Teufels zunichte zu machen, um die zu erlösen, die „durch Furcht des Todes während des ganzen Lebens der Knechtschaft verfallen waren.“ Er allein hat das mächtige Werk vollbracht, kraft dessen Er nach seiner Auferweckung sie, die geheiligt werden, in Gemeinschaft mit sich selbst bringt.

Die Kraft Gottes war in Christus. Leuchtete etwa diese Kraft weniger hervor, weil ihr Strahl durch ein Leben der völligsten Abhängigkeit vom Vater, und durch die Leiden einer unbegrenzten Erniedrigung – Leiden, die nur eine Folge seines Erbarmens gegen den Menschen, sowie eine Folge seiner Liebe für die Seinen und eine Folge seiner Widmung bezüglich der Herrlichkeit Gottes waren – hindurchdringen müsste? Man richte den Blick auf den Gipfelpunkt von allem, auf das Kreuz – das Törichte und das Schwache Gottes. „Ich habe Macht, es (mein Leben) zu lassen, und habe Macht, es wieder zu nehmen.“ Dennoch bediente Er sich dieser Macht nur in völligem Gehorsam, sowie Er hinzufügt: „Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh 10,18). Es ist daher ein verwerflicher Irrtum, wenn etliche behaupten, dass in seiner Natur nicht nur die Möglichkeit und Fähigkeit, sondern auch die Notwendigkeit zu sterben gelegen habe. Die Geschichte seines Lebens lehrt uns das Gegenteil. Der kurze Zeitabschnitt, in welchem es dem Herrn gefiel, seinen Geist aufzugeben, und worüber selbst Pilatus sich verwunderte, und die laute Stimme, die Er noch kurz zuvor zum Erstaunen des Hauptmanns vernehmen ließ – alles dieses zeigt uns seine Macht im Sterben, wie im Leben und verrät keineswegs die völlige Erschöpfung seiner leiblichen Kraft, worauf etliche, als auf die Folge seiner vorangegangenen Leiden, hinweisen. Wenn man behauptet, dass Jesus in seiner Natur von Anfang an gezwungen gewesen sei zu sterben, oder dass Er am Ende darum sterben musste, weil Er seiner Kraft beraubt war, dann leugnet man die göttlich? Herrlichkeit seiner Person. Dieses aber stellt sofort die Lehre der Verhöhnung in Frage; denn wie sehr ist die im Tod Jesu offenbarte Gnade untergraben, wenn der Herr Jesus am Kreuz nur einen Tod starb, den Er unter der einen oder der anderen Form doch einmal hätte sterben müssen. Ich bekenne, dass für mich eine solche Vorstellung mit dem Hohn derer, die das Kreuz umringten, im Einklänge steht, als sie riefen: „Andere hat Er gerettet. Sich selbst kann Er nicht retten“ (Mt 27,42).

Nein, der Tod unseres Herrn ist im vollsten Sinne des Worts vom Anfang bis zum Ende ein freiwilliger, obschon im Gehorsam gegen den Vater vollbrachter Tod gewesen. Niemand als der Heilige Gottes und Zugleich eine göttliche Person konnte sagen: „Ich habe Macht, mein Leben zu lassen usw.“ Er litt den Tod, nicht wegen des Urteils, welches über die gefallene Natur gefällt ist, sondern durch die Gnade Gottes. In Philipper 2 lesen wir es in der unzweideutigsten Weise, dass der Tod Jesu durchaus keine Folge der allgemeinen Sterblichkeit des gefallenen Fleisches war. Denn „in seiner Stellung wie ein Mensch erfunden“ musste er nicht notwendig sterben, sondern wegen des Vorsatzes der Gnade hat „Er sich selbst erniedrigt und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.“ Es geschah unserer Sünden wegen, und darum nach einem ganz verschiedenen Grundsatz. „Er ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.“ Jesus wurde für uns zur Sünde gemacht; Er ward zum Fluch für uns. Er ist in Schwachheit gekreuzigt; aber nicht weil es seine menschliche Natur forderte; denn wenn dieses wahr wäre, so wären wir ohne Hoffnung. Es war der Triumph der Gnade in dem Sohn des Menschen, der sein Leben zum Lösegeld für viele hingeben wollte. Gott war in dieser Weise in Ihm verherrlicht; und „darum“ – sagt Jesus – „liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme.“ – Ich weiß in der Tat nicht, was noch von der Wahrheit, der Liebe, dem Gehorsam, der versöhnenden Kraft oder von der Verherrlichung Gottes in dem Tod Jesu beim Festhalten jenes traurigen Irrtums übrigbleibt, der Christus in seiner eigenen Person den Gesetzen der gefallenen Menschheit unterwirft.

„Denn er nimmt fürwahr sich nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams nimmt er sich an“, lesen wir in Hebräer 2. Dass hier keineswegs gesagt werden soll, dass Er nicht die Natur der Engel, sondern die Natur Abrahams angenommen habe, geht deutlich aus den Worten hervor: „Und deswegen sollte Er in allem den Brüdern gleich werden, auf dass Er in den Sachen mit Gott cm barmherziger und treuer Hohepriester werden möchte, um die Sünden des Volkes zu versöhnen“ (V 17). Er nimmt sich nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams – das will sagen: Er kam nicht, um die Engel, sondern um den Samen Abrahams zu erlösen; und darum musste Er in allem den Brüdern gleich werden. Er musste Mensch werden, um den Menschen erlösen zu können.

„Denn in dem Er selbst gelitten hat, da Er versucht ward, vermag Er denen zu helfen, die versucht werden“ (V 13). Man bemerke es, dass hier nicht steht, dass Jesus gelitten habe, nachdem Er versucht war; denn dieses kann nur jemand tun, der sich überwunden sieht und darüber trauert. In Jesus konnte eine Betrübnis des Gewissens ebenso wenig sein, als die Wirkung des Unglaubens, wie dieses bei uns der Fall ist. Er litt in seiner ganzen moralischen Stellung das Leiden in Heiligkeit und Gnade. Er verabscheute und verwarf alles, was der Feind seiner heiligen Natur vorstellte. Darum ist Jesus, der in der menschlichen Natur Versuchung und Leiden kennen lernte, mehr denn irgendein Mensch im Stande, den versuchten Heiligen zu trösten. Dieses ist der wirkliche Begriff und die richtige Anwendung des hier gebrauchten Wortes „Versuchung“. Es bezeichnet durchaus keine innere Neigung oder Empfänglichkeit für das Böse, wie in Jakobus 1,14, wo das Wart mit der „Lust“ in Verbindung steht. Will dieses jemand auf Jesus anwenden, der sage es sofort frei heraus, auf dass die Schafe Christi die Stimme des Fremden hören und fliehen. Jakobus gebraucht indessen in demselben Kapitel (V 2–12) das Wort Versuchung in seiner mehr gewöhnlichen Bedeutung als Prüfung. Die Verwirrung entsteht dadurch, dass man kein Acht hat auf den Unterschied, der zwischen den inneren Wirkungen der gefallenen Natur, wie sie in Jakobus 1,14 vorkommen, und Zwischen den Versuchungen besteht, welche Satan außer uns hervorruft. In Adam und Eva war keine Sünde, als sie versucht wurden; daher ist es, um versucht werden zu können, nicht notwendig, eine gefallene Natur zu haben. Doch vergessen wir nicht, dass als unsere ersten Eltern versucht wurden, noch kein Leiden bestand; sie gaben sich der Verführung hin. Dieses steht im Gegensatz zu dem zweiten Adam, der unendlich mehr versucht wurde, aber in nichts einwilligte. Er begegnete jedem Anfall mit dem Wort Gottes, anstatt dieses Wort fallen zu lassen und es zu übertreten, gleich wie der erste Adam es tat. Er kam, um den Willen Gottes und nicht um seinen eigenen zu tun. Er handelte in der Kraft des Heiligen Geistes, der für die Bedürfnisse des Augenblicks die richtige Schriftstelle anführt. Freilich haben wir, als Menschen, das sündige Fleisch, welches Jesus nicht besaß; aber als Gläubige sind mir doch aus Gott geboren, da Christus selbst unser Leben ist; und also haben wir durch den Heiligen Geist Kraft zum Widerstand empfangen. Besonders aber dürfen wir nicht vergessen, dass der Teufel nun für uns um Christi willen ein überwundener Feind ist. Doch die alte menschliche Natur ist noch stets in uns unverbessert, so dass in unserem Fall unsere Überwindung nicht von der Veredlung der Natur abhängt, sondern eine Frucht des Glaubens ist. Christus hatte hingegen nie die Kämpfe zu bestehen, die in uns durch den Widerstand des Fleisches gegen den Heiligen Geist hervorgebracht werden. In Ihm war die völligste Übergabe jedes Gedankens und jedes Gefühls an den Willen Gottes. Eine scheinbare Ausnahme zeigte sich nur, als Er in seiner Angst ausrief: „Nimm diesen Kelch von mir!“ Doch wie war es auch möglich, dass Er, der sich allzeit während seiner Laufbahn auf Erden des ununterbrochenen Lichtes des Wohlgefallens Gottes erfreut hatte, begehren konnte, von Gott Verlassen zu werden? Es wäre Gleichgültigkeit und keine Liebe gewesen; ja, es hätte eine Geringschätzung der seligen Gemeinschaft zwischen Ihn: und dem Vater verraten. Darum war es ein Teil der Vollkommenheit Christi, wenn Er ausrief: „Nimm diesen Kelch von mir: doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe!“ Seine Menschheit konnte, wenn ich mich so ausdrücken darf, gerade weil sie vollkommen war, nicht nach dem entsetzlichen Schauspiel des Zornes Gottes verlangen; doch auch hierin, wie in allen Dingen, war Er dem Willen Gottes unterwürfig. „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“

Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf Hebräer 4,15: „Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht mit unseren Schwachheiten Mitleid haben kann, sondern der in allem gleich wie wir versucht worden ist, ausgenommen die Sünde.“ – Heißt das vielleicht nur, dass Jesus in allem gleich wie wir versucht morden sei, ohne zu sündigen? Gewiss nicht. Vielmehr ist der Sinn dieser Stelle, dass Er, ausgenommen die Sünde, jede Art der Versuchung durchgemacht habe. Obwohl daher in allem versucht, so unterschied Er sich doch besonders dadurch, dass Er durchaus keine Sünde in seiner Natur hatte. Von uns wird gesagt: „Wenn wir sagen, dass wir nicht Sünde haben, so betrugen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Wir haben also innere Versuchungen, die mit der Sünde in uns in Verbindung stehen, sowie Jakobus davon redet; Jesus hingegen hatte solche Versuchungen nicht. Mit der Sünde hatte Er in den Versuchungen nichts zu tun. Er besaß nicht die allergeringste Neigung dazu in seiner menschlichen Natur. War Er auch des Fleisches und Blutes teilhaftig, so besaß Er doch nichts von dem, was Paulus „das Fleisch“ nennt. In Ihm, der vollkommen Gott und vollkommen Mensch war, bestand kein Anknüpfungspunkt für die Sünde. In dem ersten Menschen Adam war ein solcher Anknüpfungspunkt; und er fiel. Doch der zweite Mensch, der letzte Adam besaß solche Schwachheit nicht, sondern hatte die Menschheit angenommen, um leiden und am Kreuz, wann und wie es Ihm gefiel, doch stets im Gehorsam gegen Gott, für unsere Sünder sterben zu können (2. Kor 13,4). Innere, moralische Schwachheiten kannte Jesus nicht.

Wenn Adam in seiner Natur und zwar im vollsten Sinne des Wortes „aus Gott geboren“ gewesen wäre, so würde er, ohne eine göttliche Person zu sein, doch nicht haben sündigen können (Siehe 1. Joh 3,9). Wenn der Christ sündigt, so geschieht solches, weil er, gegen den Willen der neuen Natur und des in ihm wohnenden Geistes, der nicht aus Gott geborenen alten Natur nachgibt. Er hat aufgehört wachsam zu sein, wird durch den Feind angefallen und fällt. Ein Anknüpfungspunkt für die Sünde wird sicher in einer ausschließlich heiligen Natur nicht sein. Und wer sollte einen solchen voraussetzen bei Christus, wenn Er in Herrlichkeit wiederkommt? Und gerade derselbe Ausdruck „ohne Sünde“ wird sowohl in Verbindung mit seiner Wiederkunft, (Heb 9,28) als auch in Bezug auf seine Versuchung auf Erden gebraucht (Heb 4,15). In den Tagen seines Fleisches war Jesus „ohne Sünde“. Auf dem Kreuz hat Gott Ihn „für uns zur Sünde gemacht“. Kommt Jesus zum zweiten Mal für die Seinen, dann wird Er „ohne Sünde erscheinen“. Einmal ist Er geopfert, um die Sünden vieler zu tragen; bald wird Er nicht zum Gericht, sondern zur Seligkeit derer erscheinen, die Ihn erwarten; aber dann wird Er als völlig von der Sünde geschieden gesehen werden, weil Er den Willen und das Werk Gottes in Bezug auf die Sünde durch das Opfer seines Leibes ein für alle Mal vollbracht hat. Ohne die geringste Spur von Sündhaftigkeit oder Neigung zur Sünde in seiner menschlichen Natur zu besitzen, wurde Jesus dennoch bis zum Äußersten durch den Teufel angefallen; Danach hat Er die Sünde ausgelöscht durch das Opfer seiner selbst. Zum zweiten Mal wird Er ohne Sünde, d. h. von der Sünde getrennt, erscheinen, nachdem Er das Werk vollbracht und Gott auf dem Kreuz verherrlicht hat. Niemand wird es wagen, Christus in Herrlichkeit die geringste Empfänglichkeit für inneres Böse beizumessen; doch wer in diesem Sinn bezüglich seiner Menschheit, während Er hienieden auf der Erde war, über seine Person zu sprechen oder zu denken sich erlaubt, der steht ebenso sehr mit der heiligen Schrift im Widerspruch. Der Heilige Geist sagt in beiden Fällen, dass Er auf Erden „ohne Sünde“ war, und dass Er in Herrlichkeit ohne Sünde erscheinen wird.

Und in der Tat, wäre nur das geringste Teilchen der gefallenen menschlichen Natur in Christus gefunden, wie hätte Er dann je ein geeignetes Opfer für die Sünde sein können? Selbst die vorbildlichen Opfertiere mussten vollkommen sein. Und es ist bemerkenswert, dass kein Opfer mehr durch Heiligkeit sich auszeichnete, als das Speisopfer und die Sünd– und Schuldopfer. Sie werden in der nachdrücklichsten Weise das „Allerheiligste“ genannt, weil sie Christus in seinem Wirken als Mensch, und Zugleich Ihn als für uns zur Sünde gemacht abbilden. Das Passahlamm ohne Fehl, die täglichen Opfer ohne Flecken, die rote Kuh oder der Stiere ohne Fehl und worauf kein Joch gekommen war, (man merke sich dieses wohl) – dieses alles zeigt uns deutlich, dass in Christus, dem wahren Gegenbild, für die gefallene Menschheit kein Platz gefunden werden konnte.

Wäre Christus, als geboren von einem Weib, in irgendeinem Sinn, oder Maße unter dem Joch der gefallenen menschlichen Natur gewesen, dann hätte Er, auch wenn nicht der geringste Flecken in seinem Wandel zu finden gewesen wäre, doch nimmer ein geeignetes und passendes Opfer für uns sein können, weil sich das gewichtigste Gebrechen in seiner Menschheit vorfand. Was ist in einem solchen Opfer von größeren: Gewicht, als die Kennzeichen des Falles, mögen diese mich wenig oder gar nicht zum Vorschein kommen. Ein jeder, der nicht so verblendet ist, sich mit Gott auf gleiche Stufe zu stellen, wird zugeben müssen, dass durch den Sündenfall unser ganzer Zustand verdorben ist. Wie könnte Gott ein durch den Sündenfall besudeltes Schlachtopfer annehmen? Durch eine solche Irrlehre untergräbt man die Person und das Werk Christi; und man tastet dadurch die Herrlichkeit Gottes in der verletzendsten Weise an.

Wie aber kann Christus Mitgefühl mit uns haben, ohne ein persönliches Bewusstsein von der gefallenen Menschheit zu besitzen? Eine höchst unwürdige Frage! Das Mitgefühl Jesu ist in der Schrift auf ganz andere Gründe gebaut. Ich räume ein, dass seine göttliche Herrlichkeit nicht genügend ist; allein diese Herrlichkeit wirft einen Glanz und einen unendlichen Wert auf sein wirkliches Leiden als Mensch, ausgenommen die Sünde. Jesus musste die Natur haben von denen, deren Sache Er auf sich nahm, obschon er nicht in demselben gefallenen Zustand erschien. Er musste die Angst und Bitterkeit der Versuchung hienieden selbst erfahren haben; und das ist unvergleichlich mehr geschehen als bei irgendeinem anderen Menschen. Auf diese Weise konnte Er in seiner heiligen Menschheit Mitgefühl haben mit unseren Schwachheiten, da Er die List, die Macht und die Bosheit des Feindes gefühlt hatte, und dieses umso viel mehr wie mir, als seine Würde, Heiligkeit und Liebe, das, was wir besitzen, übertrifft. Da Er nimmer eine Sünde (die das Herz verengt) gekannt, aber unbeschreiblich viel gelitten hat, so ist seine, Liebe weit und frei, um uns, den Gläubigen, welche nicht nur denselben äußeren uns versuchenden Feind haben, sondern auch eine verräterische Natur in uns umhertragen, ungehindert zuströmen zu können.

Die Wahrheit ist, dass der Gläubige, welcher durch den Glauben an die Erlösung in einem bereits für uns vollbrachten Werke seine Ruhe gefunden hat, nicht nötig hat, dass Christus Mitleiden mit seiner in ihm wohnenden Sünde noch mit seinen vollbrachten Sünden habe, da er die göttliche Versicherung hat, dass Christus für beides gestorben ist. Und wenn Christus auferweckt ist, so ist er mit Christus auferweckt. Ist das nicht ein vollkommener Grund des Trostes aus dem Himmel gegenüber der sündhaften Natur und ihrer bösen Früchte? Christus hat unsere Sünden an seinem eigenen Leib getragen an dem Holz. In Ihm mitgekreuzigt ist die Sünde, das Fleisch, bereits verurteilt. Soll ich dieses alles nicht glauben und mit demütigem und dankbarem Herzen den Frieden eines überwindenden Leidens annehmen, welches so völlig und unzweideutig die Gnade Gottes gegen mich zeigt? Nichtsdestoweniger gibt es ein weises und heiliges Handeln von Seiten Gottes mit dem Gläubigen, der nicht wachsam war und darum in die Sünde gefallen ist. Und hier hilft weder jenes Dogma, welches die bleibende Beziehung der Kinder Gottes leugnet und, als ob wir Juden und nicht Christen seien, uns auffordert, von neuem unsere Zuflucht zu dem Blut der Versöhnung zu nehmen, noch jene Aufstellung, welche in dem heiligen Wandel Christi ein Hilfsmittel für die Mängel in unserem Betragen sucht. Den Grundsatz dieser Verirrungen finden wir in den vorherigen Worten des Petrus (Siehe Joh 13,8–9) sowie die Wahrheit, die beide Aufstellungen widerlegt, in der Antwort des Herrn, wenn Er sagt: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, als sich die Füße zu waschen.“ Der ernstliche Eifer der ersten Aufstellung verkennt den vollen Wert der ein für alle Mal vollbrachten Reinigung der Person, während die zweite nicht die Notwendigkeit der fortdauernden Fußwaschung begreift, nachdem die Person einmal ganz gereinigt ist. Das Christentum hält beide Dinge aufrecht; es schwächt nicht den ewigen, unerschütterlichen Charakter der Wiedergeburt, und es verkennt nicht die Notwendigkeit des beständigen Bekennens der Sünden. Die Reinigung oder Waschung wird nimmer wiederholt, während wir der Fußwaschung hier auf Erden stets bedürfen, wenn wir auf Gemeinschaft mit Christus Anspruch machen. Der Heilige Geist setzt hienieden das Werk fort, als die Folge der Fürbitte Christi im Himmel und reinigt mit der Waschung des Wassers durch das Wort diejenigen, die bereits in dein Blut Christi von ihren Sünden abgewaschen und bereits aus Wasser und Geist geboren sind. Die verunreinigte Seele muss durch den Heiligen Geist und durch das Wort Gottes fühlen, was ihr Einwilligen in die Sünde Christus, dem Sohn Gottes, kostet, der selbst das unwiderrufliche Urteil Gottes gegen die ganze Schuld getragen hat, als Er für uns zur Sünde gemacht worden ist. Das ist die Lehre der Schrift, des Alten, wie des Neuen Testaments; und das ist der heilige Weg Gottes in den täglichen Erfahrungen der Gläubigen.

Doch das Mitleiden Christi mit der Sünde, ja selbst mit den Sündern, als solchen, wäre nichts als ein Ruhekissen für die Sünde und nicht nur verderblich für uns, sondern auch entehrend für Christus. Nein, so ist es nicht. Sein Mitleiden gilt den Schwachheiten der Wiedergeboren, welche die Sünde hassen, welche den Widerspruch der Sünder wider sich zu erdulden haben, und die durch den Satan, wirkend ans das Fleisch und in der Welt, ans ihrem Weg gehemmt werden. Ihnen gilt das Trostwort der Schrift: „Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht mit unseren Schwachheiten Mitleid haben kann, sondern der in allem gleich wie wir versucht worden ist, ausgenommen die Sünde.“ Er weiß, was es heißt, von der Welt gehasst zu werden, jeden Tag die Sünde sehen und fühlen zu müssen; Er kennt die List des Teufels und die Macht des Unglaubens, Er hat das Elend, die Mühsale und das Leiden dieser Erde angeschaut und erfahren; Er weiß, was es ist, von Freunden verlassen zu sein und von Feinden verspottet zu werden; ja in allen Dingen, die Sünde ausgenommen, ist Er versucht worden; und darum kann Er Mitleid mit uns haben in unseren Schwachheiten und Leiden.

Aus Hebräer 5 wird es uns noch deutlicher werden, wie bereit die Menschen sind, um verkehrte Gedanken in Betreff Christi in sich aufzunehmen. „Denn jeder Hohepriester, der aus Menschen genommen wird, wird für Menschen in den Sachen mit Gott bestellt, auf dass er Gaben und Schlachtopfer für die Sünden darbringe, der mit den Unwissenden und Irrenden Nachsicht zu haben vermag, da auch er selbst mit Schwachheit umgeben ist“ (V 1–2). Diese Worte werden oft als eine Beschreibung von Christus betrachtet, während sie gerade das Gegenteil sind; sie zeigen uns den Unterschied zwischen einem gewöhnlichen menschlichen Hohepriester und Christus. Unwissende und irrende Menschen haben einen Priester nötig, der, sowie sie selber, mit Schwachheit umgeben ist. Ein solcher ist Jesus, der Sohn Gottes, nicht. Er braucht nicht, „wie für das Volk, so auch für sich selbst für die Sünden zu opfern.“ Zwar folgt jetzt eine Gleichstellung mit Aaron; jedoch besteht diese darin, dass Christus sich selber nicht verherrlicht hat, um Hohepriester zu werden, sondern „von Gott berufen ward, gleich wie auch Aaron.“ Sonst werden in diesem Kapitel Aaron und seine Söhne Christus gegenübergestellt. Sie waren gebrechliche Menschen und mussten nicht nur für die Sünden des Volkes, sondern auch für ihre eigenen Sünden opfern. Christus ist ein „Hohepriester: heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern, und höher als die Himmel geworden, der nicht, wie die Hohepriester, Tag für Tag nötig hat, zuerst für seine eigenen Sünden Opfer darzubringen, danach für die des Volkes; denn dieses hat Er ein für alle Mal getan, als Er sich selbst geopfert hat. Denn das Gesetz bestellt Menschen, welche Schwachheit haben, zu Hohepriestern; das Wort aber des Eidschwurs, welches nach dem Gesetz kommt, den Sohn, vollendet in Ewigkeit“ (Heb 7,26–28). Nichtsdestoweniger verhinderte Ihn dieses nicht, Schmerzen kennen zu lernen, mehr denn irgendein Mensch; doch vergessen wir nicht, das; es stets der Schmerz der Gerechtigkeit und der Liebe war. „Welcher in den Tagen seines Fleisches, da er Bitten und Flehen zu dem, der ihn aus dem Tod zu retten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat, und um seiner Furcht willen erhört ward, obgleich er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte, und vollendet, allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils wurde“ (Kap 5,7–8). Jesus musste Gehorsam lernen, als etwas, welches Ihm, der nur zu gebieten wusste, unbekannt war. Vor seiner Menschwerdung war Er der Herrscher über alles; nachdem Er aber Mensch geworden war, musste Er – obwohl freiwillig – in Abhängigkeit von dem Vater leben. Das Leiden, ja alles, was Er hienieden erfuhr, war Ihm etwas ganz Neues; und in diesem allen musste Er Gehorsam lernen. Und nachdem Er gehorsam gewesen war bis zum Tod am Kreuz und das Werk der Erlösung und Versöhnung für andere vollbracht hatte, ist Er „vollendet“ in der Auferstehung, „Allen, die Ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden, von Gott begrüßt als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks“ (V 9–10).

In Verbindung hiermit existiert noch eine verkehrte Lehre, nämlich die, dass Christus uns durch seine Menschwerdung in Gemeinschaft mit sich gebracht hat. Es ist dieses ein höchst gefährlicher Irrtum; denn in diesem Fall würde es einen anderen Weg zur Errettung geben, als durch Christus. Das Wort Gottes lehrt uns das Gegenteil. Wir Christen sind aus unserem natürlichen Zustand herausgenommen und zu Gliedern Christi durch den Heiligen Geist gemacht worden. Christus ist nicht ein Fleisch mit uns geworden, hat also nicht an dem Zustand der gefallenen Menschheit Teil genommen, wodurch die Versöhnung gänzlich in Frage gestellt würde, sondern wir sind zu einem Geist mit Ihm gemacht worden (1. Kor 6,17). jener Irrtum stellt uns die Geburt und nicht den Tod Christi als das Fundament unserer Gemeinschaft vor; und natürlich wird dadurch das Urteil Gottes gegen die Sünde am Kreuz in den Schatten gestellt.

Nach den Zeugnissen der Schrift war man noch kein Glied am Leib Christi, bevor der Herr geboren, gekreuzigt, auferweckt und gen Himmel gefahren war und den Heiligen Geist hernieder gesandt hatte, um die Gläubigen zu einem Leib zu taufen. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt so bringt es viele Frucht“ (Joh 12,24). das ist so deutlich als möglich. Wäre der Herr nicht gestorben, so würde Er allein geblieben sein; doch nun, da Er gestorben und auferstanden ist, sind die Gläubigen mit Ihm vereinigt. Ebenso sagt der Herr in Johannes 17,21: „Auf dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir; und ich in dir; auf dass sie in uns eins seien“ – etwas, welches, bevor der Herr gestorben und auferstanden war, noch geschehen musste. Unsere Vereinigung hat nicht in seiner Geburt und nicht in seinem Leben hier auf Erden, ja selbst nicht in seinem Tod, sondern in seiner Auferstehung und Verherrlichung ihren Anfang genommen. Es ist wahr, dass, wenn der Gläubige also mit Christus vereinigt ist, die Schrift von Ihm sowohl als von einem mit Christus Gekreuzigten, in seinen Tod Getauften und mit Ihm Gestorben ist als auch von einem mit Ihm Auferweckten spricht. Jedoch finden wir dieses nie von einem Gläubigen gesagt, bevor das Werk der Erlösung vollbracht und Jesus verherrlicht war. Erst von diesem Augenblick konnte das, was von Ihm, ihrem großen Stellvertreter wahr war, auch von den Seinen gesagt werden. In 2. Korinther 5,14–18 wird uns diese Wahrheit in völliger Klarheit dargestellt. „Denn die Liebe des Christus dringt uns, also urteilend, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so denn alle gestorben sind.“ – Erst am Kreuz geschah die vollkommene Offenbarung der Liebe Gottes und der Feindschaft des Menschen, des heiligen Urteils Gottes gegen die Sünde und der hoffnungslosen Bosheit des Menschen. Die in dem Tods Christi erwiesene traurige Tatsache ist, dass alle tot sind. Aber Zugleich wird dort die Gnade Gottes offenbart. „Und Er ist für alle gestorben“ – dieses allein kann ihrem Zustand ein Ende machen – „auf dass die Lebenden (die Gläubigen) nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt ist.“ Und dann folgt das Resultat: „So dann kennen wir von nun an niemanden nach dem Fleisch; wenn wir aber auch Christus nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir Ihn doch jetzt nicht mehr.“ – Der Grund unserer Gemeinschaft mit Christus ist also die Auferstehung. Auch selbst die Juden, die Ihn früher nach dem Fleisch gekannt hatten, kannten Ihn nun nicht mehr nach drin Fleisch, sondern durch die Auferstehung. Und darauf folgt nun: „Also, wenn jemand in Christus ist, – eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen; siehe! Alles ist neu geworden.“

Wie alle anderen Irrtümer, so hat auch der zuletzt erwähnte keinen anderen Zweck, als die Person Christi zu erniedrigen und die sündige Menschheit, also den Menschen, wie er ist, zu erheben. Und ferner trachtet der Feind durch diese Lehre den wahren Zeitpunkt der Erlösung durch den Glauben zu verrücken, den wahren Charakter und den Umfang der Vorrechte der Christen zu verbergen und die Seelen in den Zustand zurück zu führen, in welchen: sie waren, als das Erlösungswerk noch nicht vollbracht, die Sünde noch nicht versöhnt, der Heilige Geist noch nicht gegeben und Jesus noch nicht Verherrlicht war, ja als noch im Gegenteil das Gesetz mit seinen fleischlichen Satzungen, seiner irdischen Priesterschaft und seinem weltlichen Heiligtum in voller Kraft bestand.

Lasst uns daher, geliebte Leser, mit heiligem Ernst erfüllt sein, wenn wir den zarten und gewichtigen Gegenstand der göttlich menschlichen Natur unseres Herrn Jesus Christus betrachten? Wir dürfen Christus nicht anders beschauen, als wie die Schrift Ihn uns vor Augen stellt; und darum bedarf es der Vorsicht bei der Behandlung solcher Schriftstellen, die sich auf Ihn beziehen, den niemand kennt als der Vater; damit wir nicht erfunden werden als solche, welche wider Gott streiten. O es ist höchst traurig zu sehen, dass Männer, welche die sündhafte Natur in Jesu behaupten, bei gleichgültigen Christen und nicht minder bei der blinden Menge als Lehrer dieses Jesus betrachtet werden, den sie grundsätzlich entehren. Bedenken wir es wohl, dass der wahre, auf das Wort gegründete Glaube in Bezug auf Christus der einzige Grund ist von allem, was in der Seele gut ist. Die Annahme von etwas, wodurch seine Herrlichkeit verfinstert und besudelt wird, ist die gefährlichste Sünde, deren Ende niemand voraussehen kann. Der geringste Anfang des Abfalls in diesem Stück ist der Anfang eines schrecklichen Nebels; denn wir treten in Widerspruch mit der Absicht des hienieden wohnenden Heiligen Geistes, der ununterbrochen bemüht ist, die Rechte und die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus festzustellen.

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