Botschafter des Heils in Christo 1869

Betrachtung über Psalm 23

„Der Herr ist mein Hirte.“ Wenn auch das in Johannes 10 dargestellte Bild eines Schafes eigentlich nicht auf die gesegnete Person des Herrn Jesus anzuwenden ist, so sehen wir Ihn doch freiwillig und in Gnaden auf dem Weg der Niedrigkeit und der Abhängigkeit wandeln; und wie sehr wäre es zu wünschen, dass unsere Seelen gleich Ihm mit Vertrauen sagen möchten: „Mir wird nichts mangeln. Er lagert mich auf grünen Auen; Er pflegt mich an Wassern der Ruhe.“ Er gibt uns seinen Frieden und will, dass seine Freude völlig in uns sei; und sicher, wenn ich auf seinem Weg mich befinde, seine Stimme höre und ihr folge, so wird es sich als eine natürliche Folge der Pflege des guten Hirten erweisen, dass ich grüne Auen und Wasser der Ruhe auf einem Platz finde, wo nach menschlichen Begriffen nur Sand und Dürre zu erwarten ist.

„Er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie aus“ (Joh 10,3). Trotz allem, was der Mensch aufgeboten hat, um Ihm den Eintritt zu wehren, hat Ihm dennoch der Türhüter aufgetan, um seine eigenen Schafe ausführen zu können. Und wohin? In die Wüste, in ein ödes, dürres, wasserloses Land, wo selbst Er, der vom Himmel kam, weder grüne Auen noch Wasser der Ruhe fand. Aber hier geht Er, der gute Hirte, vor ihnen her; Er ist der Fels der Wüste, und Er erquickt die dürstenden Schafe, die in Abhängigkeit des Herzens seine Stimme hören und Ihm folgen. Wollen sie in der Wüste etwas finden, so müssen sie beim Felsen bleiben.

In der Tat, wenn der Glaube nicht tätig ist, um die Pflege des guten Hirten beurteilen zu können, dann finden wir statt der grünen Auen nur eine dürre, öde Sandfläche, die weder Nahrung, noch eine erquickende Ruhe bietet. Allein in diesem Fall können wir versichert sein, dass wir an Plätzen suchen, wohin Jesus uns nicht geführt hat. Nur der Glaube begreift es, dass unser Glück weder von Menschen, noch von Umständen abhängig ist, sondern von Jesu allein. Der Jude stand nicht unter dem Schutz des guten Hirten, sondern unter dem der „Zwischenwand der Umzäunung“; es war das „Gesetz der Gebote in Satzungen;“ (Eph 2,14–15) es waren hohe Mauern, welche die Wölfe nicht zu erklimmen vermochten. Nicht in dieser Weise beschirmt Jesus seine Schafe. Er führt sie aus; und nichts kann sie vor den Anfällen des Feindes bewahren, als die Obhut des guten Hirten selbst. Als den vornehmsten Gedanken finden wir in Johannes 10, dass Jesus der Schutz und das Teil seiner Schafe ist; „sie hören seine Stimme und folgen Ihm.“ Warum Härte man auf, ein Jude zu sein? Darum, weil man die Stimme Jesu hörte. Das Schaf kennt vielleicht nicht die Richtung des neuen Weges; aber es hört seine Stimme, und das ist hinreichend. Gott sprach zu Abraham: „Gehe aus deinem Land.“ Und wohin? „In ein Land, das ich dir zeigen werde.“ – Christus geht voran, und das wird wohl genügen. Wenn Christus vor mir hergeht, so habe ich alles, was ich bedarf; und wenn Er mich in einer Wüste weiden will, so hat Er dazu seine guten Gründe.

Seine Schafe „folgen Ihm“. Etwa darum, weil der Weg gut ist? Keineswegs; aber es ist seine Stimme; und wer sie hört, hat, selbst wenn Wölfe sich zeigen, keinen Grund, besorgt oder ängstlich zu sein. In der Gefahr ergreift das Kind die Hand der Mutter, und das verscheucht alle seine Furcht, weil diese Hand für seine Verteidigung sorgen wird. „Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen; denn sie kennen die Stimme des Fremden nicht“ (Joh 10,4–5). Ein Kind verbirgt sich vor einem Fremden, nicht weil es weiß, wer er ist, sondern weil es hört, dass es weder des Vaters noch der Mutter Stimme ist; und eben weil es sich klein und schwach fühlt, will es beschützt sein. So schwach auch eine Seele sein mag, so unterscheidet sie doch die Stimme des guten Hirten; und wenn ein Fremder sie an sich zu locken sucht, so sagt sie: „Nein, das ist nicht die Stimme meines Hirten.“

„Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, der wird errettet werden, und wird ein– und ausgehen und Weide finden“ (Joh 10,9). Habe ich den Herrn als die Tür gefunden, so ist Errettung und völlige Freiheit mein Teil. Er ist die Tür zum Ein– und Ausgehen. Habe ich erkannt, dass das Wort Jesu meine Nahrung ist, so ist die Tür offen, um hinein zu treten; und ich befinde mich dann auf den grünen Auen. Habe ich erkannt, dass die unerschöpfliche, unversiegbare Quelle unseres Glücks, unserer Freude und unserer Ruhe nur in Ihm ist, so gehe ich zu Ihm hinaus und folge seinen Schritten, wohin Er auch gehen mag. Aber draußen ist die Wüste; und Gott will nicht, dass wir hienieden in den Umständen, in den Menschen oder in uns selbst die Wasser der Ruhe finden. Er führt uns in die Wüste, um zu erfahren, dass die Erlangung des Glücks, der Freude und der Ruhe außer Jesu undenkbar ist. Der Herr Jesus stellt seine Schafe dem Vater gegenüber in dieselbe Stellung, in der Er Ihm gegenüber war. Und wie es in Betreff seiner nicht die Umstände waren, die seine Freude, ausmachten und Ihm Erquickung und Ruhe darboten, so befindet sich das Schaf in derselben Lage; und in der Tat, es ist eine große Barmherzigkeit, dass wir ohne Jesus nichts finden. In dieser Stellung erfahren wir, dass der Genuss wahrer Segnungen nur von einer treuen Nachfolge und einem steten Hinschauen auf den voranschreitenden Hirten bedingt ist. Wir wissen dieses, geliebte Brüder; und dennoch sind, ach! unsere Herzen so sehr geneigt, sich mit anderen Gegenständen zu beschäftigen, und sind unaufhörlich bemüht, grüne Kräuter ohne Jesus, und Erfrischungen außer der wahren Quelle zu suchen. Ohne den guten Hirten aber gibt es weder „grüne Auen“, noch „Wasser der Ruhe“; ohne Ihn findet die Seele nichts, als eine öde, dürre, wasserleere Wüste. Möchten mir es doch stets beachten, dass wir nur im steten unverrückten Hinschauen auf den guten Hirten sagen können: „Mir wird nichts mangeln!“

Er stellt unsere Seele wieder her; Er leitet uns „in den Pfaden der Gerechtigkeit um seines Namens willen. Und wenn ich wandle im Tal des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles; denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab – sie trösten mich.“ – Der Herr Jesus befand sich in Noch und Gefahr; aber bei Ihm gab es nimmer einen Zwischenraum zwischen den Leiden, die Er erduldete, und dem Gedanken an seinen Vater. Unsere Herzen seufzen oft über die Schwierigkeiten und Mühsale unseres Weges. Der Herr Jesus tat es nie; Er schaute nach Oben; und trotz aller Widersprüche um Ihn, her, konnte Er stets mit erquickter Seele sagen: „Er leitet mich in den Pfaden der Gerechtigkeit.“ Der vollkommene Wille Gottes war vor Ihm und in völligem Gehorsam beugte Er sich unter denselben. Und wo hat Er dieses gelernt? In den Schwierigkeiten seines Weges, auf dem rauen, steilen Pfade dieser Wüste. Angesichts der Macht des Widersachers konnte Er sagen: „Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde.“ – Gott war da und richtete den Tisch zu. Und so ist es noch immer. Wenn der Feind und sein Heer die äußersten Anstrengungen machen, um uns den Weg abzusperren und uns nichts als Entbehrungen aller Art finden zu lassen, so werden wir doch stets die Erfahrung machen, dass Christus in Vollkommener Gnade da ist, um uns einen „Tisch zu bereiten“. Welch eine dankenswerte Fürsorge!

Es ist sehr belehrend zu sehen, dass beim Einzug der Kinder Israel in das Land Kanaan, und zwar nach der Passahfeier in Gilgal, das Manna zu sollen aufhörte. Aber Gott bereitete den Tisch zu, und das Volk aß angesichts seiner Feinde. Ebenso vermag die Gegenwart unserer Feinde uns nicht des Genusses unserer himmlischen Segnungen zu berauben. Es mögen viele Schwierigkeiten, Versuchungen und selbst Kämpfe wider die Fürstentümer, und geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern vorhanden sein, – was schadet es uns, wenn Gott mit uns ist und uns den „Tisch bereitet?“ Nicht darum weil das Meer bewegt war, hatte Petrus Mühe, sich darauf zu halten, sondern weil sein Blick nicht auf Jesus gerichtet war; und sicher würde in diesem Fall der kleingläubige Jünger gesunken sein, wenn auch das Meer noch so ruhig gewesen wäre. Ebenso werden auch unsere, selbst die gesegnetsten Erfahrungen nutzlos und ohne Einfluss auf den Zustand unserer Herzen sein, wenn wir nicht in jeder Lage auf Jesus schauen. Oft wirken neun Zehnteile unserer Gedanken nur Eitles; und gewiss, wenn nur Jesus ihr einziger Gegenstand gewesen wäre, welch gesegnete Resultate würden sich gezeigt haben!

Dieses alles soll uns zeigen, dass wir ohne Jesus nichts vermögen, und dass wir Ihn auf unserem Weg nicht einen einzigen Augenblick entbehren können. Wir befinden uns in einer Stellung, wo das Fleisch nichts auszurichten vermag, und wo wir ohne Jesus keinen Schritt tun können. Die Folge davon ist nicht, dass wir uns in einer angenehmen Lage befinden, sondern dass wir das Bewusstsein haben, mit Jesu verbunden zu sein und Ihn als unser, und uns als sein Eigentum betrachten zu dürfen. Er sieht uns an, wie sich selbst; und also mit den Seinen vereinigt, ruft Er dem Verfolger derselben die Worte zu: „Warum verfolgst du mich?“ Was vermag Satan gegen einen solchen mächtigen, mitleidigen und guten Hirten, aus dessen Händen uns niemand zu rauben vermögen wird? Alle seine Anstrengungen können nur die Wirkung haben, uns näher zu Jesu zu treiben, und seine Gemeinschaft zu genießen und frohlockend auszurufen: „Mein Becher fließt über!“ Im Genüsse seiner Liebe finden wir alle unsere Bedürfnisse gestillt und die Neigungen des Fleisches getötet und zum Schweigen gebracht. Welch ein Segen, bei Jesu zu sein. Ihn zu schauen und zu genießen, und in Ihm alles zu finden, was unsere Freude völlig macht. „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens.“ Die Dinge sind durch Gott für alle Tage meines Lebens entschieden und in Ordnung gebracht. Ich trage sein Siegel. Er schirmt und schützt mich; und meine Vereinigung mit Ihm hat die gesegnete Folge, dass Er mich pflegt an den Wassern der Ruhe und mich unaussprechliche, unwandelbare Segnungen genießen lässt. Wenn Er uns hinausgeführt hat und wir das Bewusstsein haben, dass wir unter seinem Schutz stehen, so ist es ganz klar, dass wir mit Ihm draußen sind; denn ich höre seine Stimme und bin in völliger Ruhe. Was haben die tobenden Stürme und die rauschenden Meereswellen zu sagen? „Herr, wenn du es bist“, so kann ich wandeln!

Um aber zu wissen, ob wir in seiner Gemeinschaft sind, ist es durchaus nötig, dass wir uns praktisch darin befinden; und gerade wenn der Glaube geprüft wird, sind wir am glücklichsten und können in der Wüste unerschrocken unsere Pfade verfolgen, weil Jesus unser Schutz und Schirm ist. Und sollte unsere Pilgerfahrt, wie bei den Kindern Israel, auch einen Zeitraum von 40 Jahren umfassen, so werden wir doch gleich ihnen am Ende der Laufbahn die Überzeugung gewinnen, dass „die Kleider und Schuhe nicht abgetragen und die Füße nicht verrenkt“ worden sind.

Möchten wir doch alle die köstliche Erfahrung machen, dass in seiner Gegenwart kein Leid, kein Kampf zu mühsam und zu schwer ist; und möchten wir stets Ihn und mit Ihm alles genießen!

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