Botschafter des Heils in Christo 1869

Der Herr Jesus als der mitleidige Hohepriester - Teil 1/2

Das Mitleiden Jesu ist unzertrennlich mit seinem Hohepriestertum verbunden. Er hat kein Mitleiden mit der Sünde, noch mit dem Sünder als Solchem; aber Er hat Mitleiden mit den leidenden Kindern Gottes. Zu gleicher Zeit schaut der Heilige Geist zurück auf Christi eigene Erfahrungen hier auf der Erde. Er wurde versucht; allein die Versuchung drang von außen auf Ihn ein und kam keineswegs aus seinem Innern hervor. In Ihm gab es keine Neigung zum Bösen, welche der Versuchung Satans einen Anknüpfungspunkt geboten hätte; im Gegenteil begegnete der Feind einer völligen Abhängigkeit von Gott und einem einfachen, unwandelbaren Glauben an sein Wort, und nimmer einer fleischlichen Tätigkeit, die wir oft in unseren Herzen entdecken.

Und da der Herr Jesus keinen eigenen Willen kannte und in jeder Beziehung das Böse hasste und von sich abstieß, so gab es für Ihn nichts als Leiden. Für den gefallenen Menschen sind die Versuchungen keine Leiden, sondern ein Genuss, wenn wir die Befriedigung unserer bösen Natur einen Genuss heißen können. Christus kannte hiervon nichts, weder in seiner Person, noch in seiner Erfahrung. Er hatte keine Regungen des Fleisches oder innere Versuchungen zur Sünde. „Er kannte keine Sünde“ (2. Kor 5,21). Um uns daher von jeglichem Irrtum bezüglich eines solch heiligen und zarten Gegenstandes fern zu halten, ist es unbedingt nötig, dass wir die Wahrheit in Betreff der Person Christi, sowie Gott sie uns offenbart hat, mit göttlicher Entschiedenheit festhalten.

Der Heilige Geist stellt uns diesen Gegenstand im Hebräerbrief in großer Klarheit vor Augen. Er beginnt mit der Person Jesu. Er zeigt uns seine göttliche Herrlichkeit als das allernotwendigste Fundament (Kap 1). Aus Zeugnissen des Alten Testaments wird bewiesen, dass der Messias der Sohn, (V 1–5) dass Er der Gegenstand der Anbetung der Engel, (V 6) und dass Er Jehova selbst ist (V 10–12). Wenn wir nicht Von diesem Punkt als dem Fundament, worauf die Herrlichkeit Christi gebaut ist, ausgehen, so werden wir bald eine falsche Richtung einschlagen. Und sicher wird im Grund nichts bei uns am rechten Platze sein, wenn wir bezüglich seiner irren, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.

Nachdem der Heilige Geist auf diese Weise die göttliche Würde Jesu hervorgehoben hat, stellt Er uns seine Menschheit vor Augen (Kap 2). „Weil nun die Kinder Fleisches und Blutes teilhaftig sind, so hat auch Er gleicherweise an denselben Teil genommen, auf dass Er durch den Tod zunichtemachte den, der die Kraft des Todes hat, das ist den Teufel, und alle diese befreite, die durch Furcht des Todes während des ganzen Lebens der Knechtschaft verfallen waren“ (V 14–15). Es war nötig, dass Christus Mensch wurde, um durch seinen Tod Gott zu rechtfertigen, die Macht des Teufels zu vernichten und die Erlösung zu vollbringen. Doch Ihm wurde es durchaus nicht auferlegt, um in seiner Person hienieden den geringsten Flecken des Falles anzunehmen; im Gegenteil war es eine Notwendigkeit, dass Er rein und unbefleckt sein musste. Ein Opfer für den Altar Gottes musste durchaus rein und vollkommen sein. Das Lamm Gottes musste fleckenlos sein. Und Christus war dieses in jeder Beziehung. Er nahm Fleisch und Blut an, ohne dass irgendein Bestandteil der gefallenen Natur damit verbunden war.

In den Evangelien liefert uns der Heilige Geist hierfür die unumstößlichsten Beweise; besonders aber das Evangelium Lukas, wo der Herr vornehmlich als Mensch dargestellt ist. „Der Engel antwortete und sprach zu ihr (Maria): Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden“ (Kap 1,35). Es ist also augenscheinlich, dass, obwohl Jesus wirklich Von einem Weib geboren ist und eine menschliche Natur angenommen hat, es dennoch eine göttliche Wirkung war, dass Er in höchst auffallender Weise van seiner Geburt an sich von allen anderen Menschen unterschied. Was Rom in Unwahrheit in Betreff der Maria behauptet hat, das ist vollkommen wahr in Betreff Jesu. Er und nicht sie war unbefleckt in seiner menschlichen Natur, und zwar durch die Kraft des Heiligen Geistes, die Frucht der überschattenden Kraft des allerhöchsten. Darum konnte Er auch von Anfang an das „Heilige“ genannt werden. Christus allein ist „heilig“ geboren, und nicht nur unschuldig und rechtschaffen wie Adam, und noch viel weniger „in Sünden empfangen und in Ungerechtigkeit geboren“, wie die Söhne Adams. Er ist als das „Heilige“ angekündigt worden, und zwar nicht in Bezug auf das, was rein göttlich, sondern auf das, was menschlich war. „Das Heilige, das geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden.“

In dem Evangelium Matthäus lesen wir: „Siehe, da erschien ihm (Joseph) ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Weib, zu dir zunehmen; denn was in ihr gezeugt ist, ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus heißen; denn Er wird sein Volk erretten von ihren Sünden. Alles dieses aber ist geschehen, auf dass erfüllt würde, das von dem Herrn geredet ist durch den Propheten, der da sagt: Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären; und sie werden seinen Namen nennen: Emmanuel, was verdolmetscht heißt: Gott mit uns!“ (Kap 1,20–23) Der Messias, Jehova, welcher – weil Er sein Volk von ihren Sünden erretten sollte – hernach Jesus genannt wurde, war also der Sohn der Jungfrau Maria, der von dem Propheten angekündigte Emmanuel. Aber es ist ebenso gewiss, dass das, was von Maria geboren wurde, eine Frucht der Überschattung des Heiligen Geistes war.

So ist also der Herr Jesus nicht um zufolge seiner göttliche!? Natur der Sohn Gottes von Ewigkeit her, sondern Er ward auch also wegen seiner göttlichen Kraft genannt, die Er als Mensch offenbarte. Das Kind von Bethlehem, der Sohn der Jungfrau ward nicht aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern im vollsten Sinne des Wortes aus Gott geboren. Nimmer kann von Ihm gesagt werden, dass Er gleich wie wir wiedergeboren sei; denn dieses wäre ein Leugnen der Heiligkeit seiner Menschheit. „Das Wort ward Fleisch.“ – „Gott hat sich offenbart im Fleisch.“ Doch selbst die Art und Weise seiner Erscheinung in dieser Welt war eine Frucht der Kraft Gottes; sie war ein Wunder der außergewöhnlichsten Art und in jeder Beziehung von der Geburt Isaaks, wie wunderbar diese auch sein mochte, und von der Geburt Johannes des Täufers unterschieden, wiewohl dieser Vorläufer des Herrn auch von Mutterleib an mit dem Heiligen Geist erfüllt war.

Auch gibt es noch etwas, welches nicht übersehen werden darf. Der gefallene Mensch bedarf keiner Verbesserung, sondern einer Versöhnung. Wäre nun die Meinung etlicher Irrlehrer, dass Jesus sich mit der gefallenen Menschheit vereinigt habe, richtig, dann hätte Er auch für dieselbe sterben müssen, um sich selbst zu erlösen; – und dadurch würde nicht nur sein Erlösungswerk für andere, sondern auch seine eigene Person verworfen sein. Von jedem Gesichtspunkt aus ist daher diese Anschauung ebenso unwahr, als verwerflich, und ist nichts als eine Anmaßung des Verstandes gegenüber dem Geheimnis der Gottseligkeit.

In Jesu war also nicht eine Spur von jenem traurigen Erbteil der inwendigen Verdorbenheit, welches Adam seinen Nachkommen hinterlassen hat. Er hat die menschliche Natur ebenso gewiss angenommen, als Er auch Gott ist; jedoch war Er durch Gottes Willen und in Kraft fleckenlos und heilig. Er war in einem ganz besonderen Sinne der Same des Weibes und nicht des Mannes; und auf diese Weise hat es dem Heiligen Geist Wohlgefallen, aus der menschlichen Natur Jesu jeden Flecken von Sünde, die dem gefallenen Menschen, – und mithin auch seiner Mutter – angeboren ist, fern zu halten. Demzufolge war in seiner Person die vollkommenste Fähigkeit für das Werk, um dessentwillen Er auf die Erde kam. Von göttlicher Seite konnte Er nicht anders als vollkommen fähig sein; denn Er war der wahrhaftige Gott und das ewige Leben; und von menschlicher Seite wurde von Gott die gänzliche Fernhaltung der Verdorbenheit des Fleisches auf wunderbarem Weg bewirkt. Die Kraft des allerhöchsten überschattete Maria von Anfang an; und demzufolge ward zur bestimmten Zeit das „Heilige“ aus ihr geboren.

Die Vorbilder des Alten Testaments stehen mit dieser Behauptung in vollem Einklänge. Im ersten Kapitel des 3. Buches Mose wird Christus als das Brandopfer vorgestellt; in dem zweiten als das Speisopfer. In dem Brandopfer zeigte sich die Übergabe des Lebens; allein im Speisopfer war keine Rede von Schlachtopfern oder von etwas, was das Vergießen des Blutes forderte. Es wurde ans „Feinmehl“ bereitet und stellte also gerade das vor, was der Zustand des Herrn in Bezug auf die Erde war. Natürlich wurde im Speisopfer kein Sauerteig – das Zeichen des Verderbens – zugelassen; ja selbst nicht einmal Honig, das Sinnbild natürlicher Zuneigungen, die, wie lieblich sie auch sein mochten, für ein gottgeweihtes Opfer unpassend waren, während Weihrauch, als das Salz des Bundes Gottes, und Öl, als ein Gegensatz von Sauerteig, zulässig und geboten waren. Dieses steht mit. Lukas 1 in Verbindung. Öl ist das wohlbekannte Sinnbild des Heiligen Geistes, welches alles ausschließt, was anders nach der Natur aus der Jungfrau hätte entsprießen müssen. Also war ihr Kind durch seine Kraft ganz frei von Sünde. Das Speisopfer wird daher genannt „das Allerheiligste von den Feuern des Herrn“ (3. Mo 2,3). Es bestand aus dem Gewächs der Erde und stellte die menschliche Natur des Herrn vor.

Ich gebrauche den Ausdruck „menschliche Natur“, um dadurch im Allgemeinen die Menschheit zu bezeichnen, abgesehen von dem Zustand, wie sie ursprünglich geschaffen oder worin sie bald nachher gefallen ist. Ebenso bezeichnet in der Schrift oft das Wort „Fleisch“ die menschliche Natur, wie z. B. „das Wort ward Fleisch“; – und: „Gott offenbart im Fleisch“, und: „Christus, obwohl getötet nach dem Fleisch“– usw. Die eigentliche schriftgemäße Bezeichnung dieses Wortes, als – wie dieses in den Briefen des Paulus vornehmlich geschieht – darstellend den moralischen Zustand der Menschheit, bezieht sich auf den Grundsatz des Eigenwillens im Herzen. Doch wer unter den Gläubigen sollte nicht im Blick auf den Herrn zurückschaudern, wenn jemand eine solche Bezeichnung des Fleisches auf seine Person anwenden würde. Durch den Zusammenhang lernen wir stets den wahren Sinn verstehen. – Ebenso wird gewöhnlich durch den Ausdruck „menschliche Natur“ ihr gegenwärtiger Zustand bezeichnet. Dennoch aber müssen wir hier einen großen Unterschied machen. Adam vor dem Fall besaß die menschliche Natur; sie war auch in Christus; und wir besitzen sie selbstredend auch. Aber wie wirklich sie in allen sein mag, so war doch augenscheinlich ein ganz anderer Zustand in Adam vor dem Fall, als in Adam und in uns seit dem Fall; und in Christus allein bezeichnet die Schrift sie als heilig. Wir unterscheiden also drei verschiedene Zustände der menschlichen Natur hienieden – unschuldig – gefallen und – heilig. Die Menschheit Christi war weder diejenige von Adam vor dem Fall, noch diejenige nach diesem Fall.

Es ist also deutlich, dass das Bestehen der menschlichen Natur ganz unabhängig von ihrem Zustand ist. Der Fall veränderte den Zustand der Menschheit Adams; aber die Menschheit selbst bestand ebenso wirklich vor als nach den: Fall. Ebenso konnte der Sohn Gottes, das Wort, Fleisch oder Mensch werden; Er kannte die menschliche Natur in Verbindung mit der göttlichen annehmen, um also eine Person zu bilden; aber der Zustand seiner Menschheit muss aus den bereits angeführten Stellen erklärt werden. So sahen wir in Lukas 1, dass von seiner Empfängnis an die Menschheit Christi „heilig“ war, wie dieses in gleichem Sinn nie von irgendeinem Menschen gesagt ist. Er ist heilig, nicht nur, weil der Heilige Geist auf Ihn ausgegossen ist, sondern weil Er das „Heilige“ war, welches von Maria geboren und Sohn Gottes genannt ist.

Aber was war, als Christus dreißig Jahre alt zu werden begann, der Zweck der Ausgießung des Heiligen Geistes auf Ihn? Sicher geschah dieses nicht, um irgendeiner inneren Neigung zur Sünde Widerstand bieten zu kommen; denn in Ihm war keine Sünde. Vielmehr wurde der Heilige Geist ausgegossen zu einem Zeugnis und als eine an den Menschen gerichtete Offenbarung von der Macht Gottes über Satan und seine Werke. Er bedurfte des Heiligen Geistes nicht zur Wiedergeburt, oder zur Reinigung, denn in Jesu war nichts, durchaus nichts in seiner menschlichen Natur, welches eine Wirkung dieser Art forderte; nein – der Heilige Geist kam in Kraft. Es behagte dem Herrn Jesus, sowohl indem Er ausging, um vom Teufel versucht zu werden, als auch, indem Er öffentlich im Dienst Gottes auftrat, in der Macht des Heiligen Geistes zu handeln. Sein Widerstehen in der Versuchung, seine Wunder Verrichtungen, sein Predigen – alles geschah in göttlicher Kraft. Wir können durch das Fleisch in Versuchung gebracht werden; aber Jesus widerstand dem Bösen, welches außer Ihm war, in dem Heiligen Geist. Darum war die Salbung mit dem Heiligen Geist nur eine Frage der göttlichen Kraft, wie in Apostelgeschichte 10,38 gesagt wird: „Wie Gott Jesus von Nazareth mit dem Heiligen Geist und Kraft gesalbt hat, der umherging, wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit Ihm.“ – Dass Adam den Einflüssen der Sünde zugänglich war, hat die Geschichte gelehrt. Wer dieses aber von Christus behauptet, der lästert unbewusst sowohl seine Person, als auch seine moralische Größe, ja, der leugnet die Wahrheit dessen, was Er war und ist, sowohl in Rücksicht seiner Gottheit, als auch seiner heiligen Menschheit.

Wie lehrreich in dieser Beziehung ist das Vorbild in 3. Mose 8. Aaron allein wurde zuerst ohne Blut gesalbt (V 12). Wenn aber hernach seine Söhne auf den Schauplatz treten, so ist er bei ihnen; und das Blut der Weihe wird auf ihn und auf seine Söhne gesprengt. Zum Beweis, dass sie mit Aaron gesalbt sind (V 30). Ebenso wird der Herr Jesus allein gesalbt, und zwar als Mensch ohne Blutvergießen. Er, der Heilige Gottes, bedurfte keines Opfers, um den Heiligen Geist zu empfangen. Jedoch wenn wir die Gemeinschaft dieser Salbung aus der Höhe genießen sollen, dann muss zuvor Blut vergossen werden. Der also vor seinem Tod gesalbte Christus tritt für uns durch die Kraft seines Blutes in das Allerheiligste; und nachdem Er seinen Platz zur Rechten Gottes eingenommen und die Verheißungen des Heiligen Geistes empfangen, hat Er ausgegossen, was auf dem Pfingstfest und hernach gesehen und gehört worden ist. Welch ein Zeugnis für seine heilige Menschheit und für den Wert des für uns vergossenen Blutes!

Dass Gott seinen Sohn „in der Gleichheit des Fleisches der Sünde“ gesandt hat, sagt uns die Schrift; aber gerade dieses deutet an, dass die gefallene Natur, die sündige Menschheit, nicht in Ihm war, wiewohl Er als ein wirklicher Mensch nichts hatte, was ihn für das menschliche Auge von anderen unterschied – ein Mensch, den man ausspeien, den man schlagen, den man kreuzigen und töten konnte. Dass Er „in der Gleichheit des Fleisches der Sünde“ erschienen ist, beweist deutlich, dass Er nicht das Wesen, sondern nur die „Gleichheit“ des sündigen Fleisches besaß. Andererseits hätte Er kein Opfer für die Sünde sein können; Er hätte nicht zur Sünde gemacht werden können, wie dieses am Kreuz geschehen ist. Dieselbe Wahrheit wird durch die Worte angedeutet: „Einen Leib hast du mir zubereitet.“ Selbst in dieser seiner Erniedrigung hat Gott Ihm und keinem anderen einen Leib bereitet, der für das ganze Werk, welches Er zu vollbringen hatte, geeignet war (Heb 10). Es ist daher sicher ein Irrtum zu meinen, dass die Menschwerdung Christi den Zustand Adams, ob vor oder nach dem Fall, in sich schließe; eine Lehre dieser Art ist Ketzerei. In der Schrift wird Christus dem Adam als ein neuer Stamm, ein neues Haupt, ein neuer Mensch und als der zweite Adam gegenübergestellt und durchaus nicht als jemand betrachtet, der aus dem ersten Adam vor oder nach seinem Fall entsprossen ist. Er ist nicht nur, wie Adam es vor seinem Fall war, eine lebendige Seele, sondern ein lebendigmachender Geist (1. Kor 15,45). War Adam, bevor er sündigte, gerecht und heilig? Die Schrift sagt es nimmer, und sie kann nicht gebrochen werden. Ja sicher, das, was die Schrift sagt, ist unvereinbar mit einer solchen Meinung. Sündenlos sein ist noch keine Heiligkeit. Der Herr Jesus war von Geburt an innerlich über das Böse gänzlich erhaben. Wir sind in Sünden empfangen und in Ungerechtigkeit geboren; das Fleisch des Herrn aber ward nicht also empfangen und gebildet, sondern war heilig durch die Kraft des Geistes.

Der gefallene Mensch ist nicht nur des Fleisches und Blutes teilhaftig, sondern er hat auch, wie wir im Römerbrief lesen, das „Fleisch“ in sich. Viele erkennen den Unterschied zwischen dem „Fleisch“ und dem „Fleisch und Blut“ nicht. Christus hat nicht wie wir das „Fleisch“ in sich, wenn es sich um die moralische Bedeutung dieser Worte handelt. Und weil Er es nicht hatte, konnte Er es an unserer statt an das Kreuz tragen, so dass Gott es verurteilen konnte. Er hat nicht nur gelitten für unsere Sünden, sondern auch für die Sünde. Als unser Stellvertreter hat Er nicht nur unsere Werke, Wege und Handlungen, sondern auch die Wurzel des Bösen auf sich genommen, wie geschrieben steht: „Gott hat Ihn, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden die Gerechtigkeit Gottes in Ihm.“ Es ist also nicht die ganze Wahrheit, wenn man sagt, dass Gott die Sünden auf Ihn gelegt habe, sondern Jesus ward auch zur Sünde gemacht; und Gott tat, was das Gesetz nicht zu tun vermochte. Das Gesetz konnte nur bestimmte Übertretungen behandeln; aber die Wurzel des Bösen vermochte es nicht zu erreichen. Das Gesetz Gottes, obwohl „heilig, gerecht und gut“, konnte nicht vollbringen, was Gott in der Sendung seines eingeborenen Sohnes vollbracht hat. In seinem Leben hat Christus ans Licht gestellt, dass das Fleisch nicht in Ihm war; denn stets erfüllte Er den Willen Gottes; und gerade dadurch deckte Er den widerspenstigen und verlorenen Zustand jedes anderen Menschen auf. In seinem Tod aber ertrug Er das über das Fleisch gefällte Urteil, auf dass wir, frei von allen Beschuldigungen, in seinem Auferstehungsleben vor Gott sollten stehen können. „Gott sandte seinen eigenen Sohn in der Gleichheit des Fleisches der Sünde und (als Opfer) für die Sünde, und verurteilte die Sünde im Fleisch“ (Röm 8,3). das war dein Gesetz unmöglich. Das Gesetz konnte den Sünder verdammen; es konnte Zorn wirken; es konnte ein Urteil über die Sünde aussprechen; aber es vermochte ebenso wenig die Sünde auszuwischen und zu vergeben, als dass es das Urteil Gottes über die Wurzel der Sünde hätte in Ausführung bringen können, damit der Gläubige freigesprochen werden konnte. Dieses hat Gott in Christus getan. Das Kreuz ist die göttliche Verurteilung von allem – die Verurteilung der Wurzel und der Zweige. Schluss folgt

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