Botschafter des Heils in Christo 1869

Die drei verschiedenen Stellungen Davids

Im Laufe der ereignisvollen und höchst lehrreichen Geschichte Davids finden wir ihn in drei bemerkenswerten Stellungen. Wir sehen ihn am Boden liegen als Büßer, wir sehen ihn sitzen als Anbeter, und wir sehen ihn stehen als Diener. Und nicht nur erblickt unser Auge ihn in diesen Stellungen, sondern auch unser Ohr vernimmt seine Äußerungen in denselben; und wir müssen in Wahrheit gestehen, dass beides, sowohl das, was wir sehen, als auch das, was wir hören, höchst lehrreich für unsere Seelen ist. Möge der Heilige Geist uns befähigen, etwas davon zu profitieren! Möge Er unsere Gedanken leiten, wenn wir unser Auge und unser Ohr richten auf den König David als einen Büßer, als einen Anbeter und als einen Diener! Zunächst sehen wir ihn am Boden liegen als einen „Büßer“.

„Und David fastete und ging hinein und lag über Nacht auf der Erde“ (2. Sam 12,16). Hier sehen wir ihn also am Boden liegen in der Stellung eines wahren Büßers. Der Pfeil der Überführung ist in sein Gewissen gedrungen. Das scharfe, beißende Wort Nathans: „Du bist der Mann!“ ist mit göttlicher Macht auf sein Herz gefallen; und gebrochenen Herzens und von Gewissensbissen gefoltert, nimmt er im Staub seinen Platz vor Gott.

Das ist seine Stellung. Lasst uns jetzt lauschen auf seine Äußerungen. Letztere werden wir im 51. Psalm finden. Und ach! welche Worte vernehmen wir hier! Wie völlig übereinstimmend sind sie mit seiner Stellung! „Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Güte, nach der Größe deiner Barmherzigkeit tilge meine Übertretung!“ – das ist hier kein bloßer Schein. Der Büßer stellt seine Sünden neben die Güte und Barmherzigkeit Gottes. Er kann in der Tat nichts Besseres tun. Der beste Platz für ein überführtes Gewissen ist die Gegenwart göttlicher Barmherzigkeit. Da wo ein überführter Sünder und die Liebe Gottes sich begegnen, da ist die Sündenklage bald zum Abschluss gebracht. Es ist die Freude Gottes, Sünden zu vergeben. Er hat Freude an Erbarmen. Das Richten ist sein außergewöhnliches Werk. Er wird bewirken, dass wir die Sündhaftigkeit der Sünde fühlen, dass wir sie richten, und dass wir sie hassen. Er wird sie nimmer mit einer Schminke bedecken und „Frieden“ rufen, wo kein Frieden ist. Er wird den Pfeil mit allein Nachdruck senden. Aber, gepriesen sei sein Name! Der Pfeil seines Kochers ist stets gefolgt durch die Liebe seines Herzens; und die Wunde, die der Pfeil hervorgebracht hat, wird geheilt werden durch den kostbaren Balsam, den seine Liebe stets anwendet. Die Ordnung ist folgende: „Du bist der Mann!“ – „Ich habe gesündigt wider den Herrn!“ – „Der Herr hat deine Sünden hinweggenommen.“

Ja, mein teurer Leser, die Sünde muss im Gewissen gerichtet sein; und je gründlicher dieses Gericht ist, desto besser. Ist die Wirkung des Gewissens eine oberflächliche, so ist auch der Frieden ein falscher. Ist das Gewissen durch die Wirkung des Wortes und des Geistes Gottes in seinen tiefsten Tiefen gründlich untersucht, so wird auch bald die Frage der Sünde und der Gerechtigkeit erörtert und schließlich im Herzen in Ordnung gebracht sein. Wir haben darauf zu achten, dass Satan sich oft in einen Engel des Lichts verwandelt; und in diesem gefährlichen Charakter ist es sein stetes Bemühen, unsere Seelen zu einer Art von falschem Frieden und falschem Glücks zu führen und etwas bei uns hervor zu rufen, welches nicht auf das Kreuz, auf jene göttliche Vorsorge für alle Bedürfnisse des Sünders, gegründet ist. Wir sollten uns die wichtigen Worte in dem Gleichnis vom Sämann tief einprägen. „Der aber auf felsigen Boden gesät ist, das ist der, der das Wort hört und es sogleich mit Freuden aufnimmt. – Er hat aber keine Wurzel in sich, sondern er ist nur für eine Zeit; wenn aber Trübsal oder Verfolgung entsteht um des Wortes willen, sogleich ärgert er sich“ (Mt 13,20–21).

Merke dir die Worte: „Alsbald nimmt er es mit Freuden auf.“ Dort finden wir kein gründliches Werk im Gewissen – kein moralisches Gericht über das Ich oder über die Sünde; und mithin auch keine tiefe Wurzel – keine Kraft zum Ausharren. Dieses ist im gegenwärtigen Augenblick sehr beachtenswert. Wir können nicht sorgfältig genug die Verbindung zwischen den Ausdrücken: „Alsbald mit Freuden“ – „keine Wurzel“ – „es verdorrte“ – ins Auge fassen. Solche Gefahren sind vorhanden, wenn das Werk der Errettung bloß durch den Verstand aufgefasst wird und nicht eine geistliche Wirkung im Gewissen hervorgebracht ist. Auf die freudigsten Bewegungen folgt dann bald eine völlige Erschlaffung. Die natürlichen Gefühle sind dann wachgerufen; aber die Wahrheit ist nicht ins Herz gedrungen. Durch die Wirkung des Wortes sind keine Furchen gemacht worden; und daher, wenn die Zeit der Trübsal kommt, ist keine Kraft zum Ausharren vorhanden. Es erweist sich alles als ein oberflächliches Werk, welches den versengenden Strahlen der Sonne nicht zu widerstehen vermag.

Möge der Leser nun nicht voraussetzen, dass wir bei der Bekehrung ein übermäßiges Gewicht auf das Werk des Gewissens legen. Wir sind völlig überzeugt, dass Christus es ist, welcher unsere Seelen rettet, und nicht die Weise, wie wir zu Ihm kommen; und überdies ist der wahre Grund des Seelenfriedens nicht eine gewisse Verrichtung oder Übung des Herzens, oder des Gewissens, oder des Verstandes. Es ist das göttlich wirksame Opfer des Sohnes Gottes, welches das Gewissen reinigt und die überführte Seele mit Frieden erfüllt. Es ist die, kraft der Autorität Gottes, durch die Gnade des Heiligen Geistes empfangene Versicherung, dass die wichtige Sündenfrage ein für alle Mal am Kreuz in Ordnung gebracht ist, wodurch die Seele befreit wird und einen Frieden genießt, welcher ihr nimmer geraubt werden kann.

Dieses alles ist so klar, dass, wenn jemand zu uns sagen wollte: „Ich habe Frieden, weil ich so außerordentliche Gewissensübungen durchgemacht habe“, wir ihm ohne Zögern erwidern müssten, dass er sich selbst getäuscht habe. Nicht irgendeine Übung des Gewissens befriedigte je die Forderungen Gottes; und daher vermag eine solche auch nicht das Verlangen einer erweckten Seele zu stillen. Christus ist alles; und wenn wir Ihn haben, dann bedürfen wir nichts mehr. Wir halten es für durchaus töricht, wenn jemand auf die Art und Weise seiner Bekehrung ein so großes Gewicht legt. Man gewährt auf diese Weise dem Feind einen Vorteil, den er sicher einmal benutzen wird, um das Vertrauen zu erschüttern. Der Grund des Friedens besteht nicht darin, dass jemand in dieser oder jener Weise bekehrt ist, dass er so tief gefühlt, so viel geweint, so stark gekämpft und so feurig gebetet hat. Gewiss haben alle diese Dinge ihren Platz und ihren Wert. Wir denken nicht, dass Paulus je vergessen hat oder je vergessen wird den Augenblick zwischen Jerusalem und Damaskus; aber wir sind auch völlig überzeugt, dass er seinen Frieden niemals auf diese bemerkenswerten Umstände seiner Bekehrung gründete. Luther konnte nie die zwei Jahre vergessen, die er im Kloster verlebt hatte; aber er baute niemals seinen Frieden auf die Erfahrungen in diesen Jahren. Bunyan vermochte nimmer die Grube der Verzweiflung zu vergessen; aber nimmer baute er auf die Herzensangst, die er darin durchmachte, den Frieden seiner Seele.

Keineswegs zweifle ich daran, dass die Übungen, durch welche diese drei ausgezeichneten Männer zu gehen hatten, auf ihren späteren Lauf und Charakter, sowohl als Christen, wie auch als Diener, einen höchst wichtigen Einfluss ausübten; aber der Grund ihres Friedens bestand nicht in dem, was sie gefühlt oder durchgemacht halten, sondern nur in dem, was Christus für sie am Kreuz getan hatte. So wird und muss es immer sein; Christus ist alles und in allem. Es ist nicht Christus und irgendeine Verrichtung; Christus ist es allein. Möge unsere Seele sich stets daran erinnern; und möge der Leser es verstehen, dass, wie hoch wir auch die Wirkung des Gewissens schätzen, wir dennoch nimmer wünschen, dass jemand auf diese Wirkung, sondern dass er einzig und allein auf das Werk am Kreuz baue. Nicht das Werk in uns, sondern das Werk für uns rettet unsere Seelen. Freilich ist beides eng mit einander verbunden und darf daher nicht getrennt werden; aber das eine ist von dem anderen unterschieden und darf daher beides nicht mit einander vermengt werden. Wir vermögen nichts von dem für uns gewirkten Werke zu erkennen, als nur durch das Werk, welches in uns gewirkt ist, und die Klarheit und Beständigkeit unserer Ruhe in dem für uns vollbrachten Werke wird von der Tiefe und Stärke des in uns gewirkten Werkes abhängig sein.

Indes gibt es noch einen anderen Punkt, bezüglich dessen wir irgendein Missverständnis sorgfältig vermeiden möchten. Es könnte vielleicht jemand der Meinung Raum geben, als ob mir durch unsere Bemerkungen über David, als Büßer, beweisen wollten, dass, wenn man nicht gerade dieselben Erfahrungen durchgemacht habe, man in der Lage sei, an der Wirklichkeit seiner eigenen Wiedergeburt Zweifeln zu müssen. Das würde sicher ein grober Irrtum sein. Denn zunächst war David ein Knecht Gottes lange vor jenem ersten Augenblicke, den wir zum Gegenstand unserer Mitteilung gemacht haben. 1 Und weiter glauben wir, dass David seine Ruhe, sowie die seiner Seele gemachten, kostbaren Verheißungen und Zusicherungen Gottes nicht durch irgendeine Übung von in neu, sondern durch Mitteilungen von außen gefunden hat. Er ruhte nicht auf der Tatsache, dass der Pfeil in sein Herz gedrungen ist. Er findet keine Ruhe in den Worten: „Du bist der Mann!“ und auch nicht in dem Schrei seiner bußfertigen Seele: „Ich habe gesündigt wider den Herrn!“ – sondern der Frieden seines Herzens stützt sich auf die ihm zugerufenen Worte: „Der Herr hat deine Sünde hinweg getan!“

Wir wünschen um jeden Preis, dass keine Seele sich beunruhigen lasse, weil die frühesten Momente ihrer geistlichen Geschichte sich nicht durch starke Bußübungen, sondern vielmehr durch höchst freudige und glückliche Bewegungen kennzeichneten. Es ist unmöglich, dass die „frohe Botschaft“ des Heils etwas anderes tun kann, als dass sie die glaubende Seele mit Wonne und Entzücken erfüllt. Es war große Freude in Samaria, als Philippus dort den Christus predigte; und der Eunuch zog fröhlich seines Weges, als er vernahm, dass Jesus für seine Sünden gestorben war. Wie hatte es anders sein können? Wie könnte jemand an die Vergebung der Sünden glauben und nicht durch den Glauben glücklich gemacht sein? Sicher die frohe Botschaft einer „großen Freude“ muss das arme Herz glücklich machen.

Ja wirklich, so ist es. Aber tut diese Tatsache dem Wert eines tiefen und völligen Werkes des Geistes Gottes im Gewissen in irgendeinem Grad Eintrag? Keineswegs. Ein hungriger Mensch schätzt das Brot hoch; und obwohl er nicht von, du Qual des Hungers zu leben gedenkt, so ist dennoch diese Qual die Ursache seiner Wertschätzung des Brotes. Ebenso verhält es sich mit der Seele. Sie ist nicht gerettet durch Bußübungen; aber je gründlicher diese Übungen sind, desto fester umklammert sie Christus, und desto beständiger und lebensvoller ist ihr praktisches Christentum.

Geliebter Leser, der einfache Sachverhalt ist folgender. Wir finden in unseren Tagen eine Menge Christen, deren Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit uns mit großer Furcht erfüllt. Wir begegnen vielen, welche einen falschen Frieden und eine trügerische Glückseligkeit erlangt zu haben scheinen, und zwar ohne eine wirkliche Tätigkeit des Gewissens und ohne irgendeine Anwendung der Kraft des Kreuzes auf die Natur und ihre Wege. Dieses sind Hörer, die auf felsigen Boden gesät sind. Hier gibt es keine Wurzel, keine Tiefe, keine Kraft, keine Beständigkeit. Und solche Seelen haben sich nicht nur selbst betrügen, sondern der Ton und die Miene ihres Bekenntnisses bilden, inmitten anderer Einflüsse, den Kanal, durch welchen die Flut des Unglaubens bald ihre verpestenden und verwüstenden Gewässer fortwälzen wird. Wir glauben, dass die kalte, wirkungslose Orthodoxie und das oberflächliche, formelle, leichtfertige Bekenntnis ebenso sehr, wie der finstere, herabwürdigende Aberglaube den Weg jenem Unglauben bahnen werden, welcher bald seinen Mantel über die ganze zivilisierte Welt werfen wird.

Welch ein ernster Gedanke! Möge der Leser ihn beachten, und nicht leichtfertig darüber hinweggehen! Wir verlangen ein kräftigeres Zeugnis für Christus, eine treuere Nachfolge und eine völligere Hingebung zu sehen. Für dieses seufzen wir; für dieses beten wir; und wir erwarten sicher nicht. Dieses in den Kreisen derer zu finden, welche nimmer eine Tätigkeit des Gewissens kennen gelernt, oder die nimmer die Kraft des Kreuzes Christi gekostet haben.

Indessen dürfen wir nicht einer Reihe von Gedanken vorgreifen, die uns noch bei der Fortsetzung unserer Betrachtung vor die Seele rücken werden. Wir werden, bevor wir damit schließen, in David das edle Bild einer persönlichen Widmung sehen. Zunächst betrachten wir ihn in seiner zweiten höchst beachtenswerten Stellung, wo wir ihn sitzen sehen als einen „Anbeter.“

Im Anfang des siebenten Kapitels des zweiten Buches Samuel finden wir David sitzend in seinem Zedernhaus und nachsinnend über die zahlreichen und mannigfaltigen Gnadenerweisungen, womit die Hand Jehovas ihn umringt hat. „Da nun der König in seinem Haus saß und der Herr ihm Ruhe gegeben hatte von allen seinen Feinden umher, sprach er zu dem Propheten Nathan: Siehe, ich wohne in einem Zedernhaus, und die Lade Gottes wohnt unter den Teppichen. Nathan sprach zu dem König: Gehe hin, alles, was du in deinem Herzen hast, das tue; denn der Herr ist mit dir“ (2. Sam 7,1–3).

David hatte sich in seinem Herzen vorgesetzt, dem Herrn ein Haus zu bauen. Jedoch war er nicht der dazu bestimmte Mann, und auch war die Zeit dazu noch nicht gekommen. Nathan wurde gesandt, diesen Irrtum zu berichtigen. Der beabsichtigte Dienst ging ans einer guten Meinung hervor; aber das war nicht genügend. Die geeignete Zeit musste vorhanden sein. David hatte viel Blut vergossen; und überdies gab es noch Feinde und üble Ereignisse. Auch gab es noch tiefere Lektionen der Gnade, in welchen David unterwiesen werden musste. Gott hatte viel für ihn getan; aber alles, was in der Vergangenheit getan war, stand durchaus in keinem Vergleich zu dem, was noch in der Zukunft getan werden sollte. Wenn ein Zedernhaus ein großes Ding war, um wie viel größer war ein ewiges Haus und Königreich. Aus dem Mund Nathans vernimmt David die Worte: „Der Herr verkündigt dir, dass Er dir ein Haus machen will“ (V 11). das veränderte die Sache ganz und gar. Die Taten der Vergangenheit waren voll von Gnade; die Taten, der Zukunft sollten voll von Herrlichkeit sein. Die Hand der erwählenden Liebe hatte David von den Schafhürden genommen und ihn auf den Thron Israels gesetzt. Darum hören wir David sagen: „Dazu hast du das zu wenig geachtet, Herr, Herr, sondern hast dem Haus deines Knechtes noch von fernem Zukünftigen geredet“ (V 19). Sowohl die Vergangenheit, als auch die Zukunft – alles war für David lange vorher schon in Ordnung gebracht, so dass er nichts Weiteres zu tun hatte, als sein Haupt zu beugen und anzubeten.

„Da kam David, der König und saß vor dem Herrn und sprach: Wer bin ich, Herr, Herr, und was ist mein Haus, dass du mich bis hierhergebracht hast?“ (V 13) Hier haben wir also die zweite Stellung Davids. Anstatt auszugehen und dem Herrn ein Haus zu bauen, trat er ein und setzte sich vor den Herrn. Welch eine große moralische Schönheit und Macht tritt hier vor unser Auge! Einem unerleuchteten Auge könnte diese Stellung als höchst nutzlos erscheinen; aber ach! wir können versichert sein, dass niemand vor dem Herrn stehen kann als Diener, der nicht vorher vor Ihm gesessen hat als Anbeter. Wir müssen mit dem Herrn zu tun haben, ehe wir für Ihn wirken können. Zeige uns einen Menschen, welcher wirklich den Platz eines Anbeters ausgefüllt hat, und wir wollen dir einen Zeigen, welcher, nachdem er sich auf seine Füße gestellt, sich als einen tatkräftigen Diener erweisen wird.

Und mögen wir es beachten, dass das Sitzen vor dem Herrn eine ganz andere Sache ist, als das Sitzen vor unserem Werk, unserem Dienst, unserem Predigen, unseren Umständen, unseren Erfahrungen. Wie oft sind wir geneigt, uns nieder zu setzen, um unsere mannigfaltigen Taten zu betrachten und darüber nachzusinnen! Das aber heißt eine Schwachheit auf die andere häufen. Nichts ist verwerflicher, als eine solche Selbstbeschauung. Wir haben sicher Ursache, dankbar zu sein, wenn der Herr uns in irgendeinem Teil seines Werkes gebrauchen kann; aber hüten wir uns, dass wir nicht in irgendeiner Gestalt oder Form, sei es direkt oder indirekt, unser Ich vor unser Auge stellen. Lasst uns nicht die Verschiedenen Dinge, mit denen wir beschäftigt sind, die mannigfaltigen Interessen, die wir in Gang gebracht haben, und die verschiedenen Wirkungskreise, an denen wir Teil nehmen, mit Selbstgefälligkeit beschauen. Dies alles dient nur dazu, die Natur aufzublähen, während die Seele dabei leer und dürre bleibt.

Merken wir uns die Verschiedenheit! „Dann kam David, der König, und saß vor dem Herrn und sprach: Wer bin ich?“ – das „Ich“ wird sicher in Dunkelheit und Vergessenheit versinken, wenn wir vor dem Herrn sitzen. Wir wissen kaum, was mehr zu bewundern ist – die Stellung oder diese Äußerung. „Er saß“ und sagte: „Wer bin ich?“ Beides ist lieblich, Beides findet sich moralisch in der vortrefflichsten Ordnung. Mögen wir noch mehr kennen lernen von der tiefen Bedeutung und der praktischen Macht dieser beiden Dinge! Mögen wir es reichlich erfahren, was es heißt, zu sitzen in göttlicher Gegenwart und dort das Ich mit all seinem Zubehör aus den Augen zu verlieren!

Wir versuchen nicht, über den 51. Psalm, welcher, wie bereits bemerkt, Davids Äußerung, als eines Büßers, enthält, oder über 2. Samuel 7, wo wir seine Äußerung, als die eines Anbeters, finden, eine nähere Erklärung zu geben. Wir führen bloß diese kostbaren Schriftstellen an, um den Leser darauf aufmerksam zu machen, und wir eilen jetzt zu dem dritten und letzten Platz, wo wir David als einen „Diener“ stehen sehen.

„Und David, der König, stand auf seinen Füßen“ (1. Chr 28,2). dieses vollendet das Gemälde dieses lieblichen Charakters. Wir haben David auf der Erde liegen sehen, während der Pfeil der Überführung sein Gewissen durchbohrte und die Rute Gottes über ihm hing. Wir haben ihn sitzen sehen im Heiligtum, überschauend die Gnadenhandlungen in der Vergangenheit, und zum Voraus genießend die glänzenden Strahlen der Herrlichkeit in der Zukunft. Und nun sehen wir ihn sich erheben zu der Stellung eines wirklichen, treuherzigen Dieners, der sich selbst und seine Hilfsquellen zu den Füßen Jehovas legt. Alles zeigt sich hier in völliger Wirklichkeit. Der Ausruf des Büßers – das Sehnen des Anbeters – die Ausdrücke der Ergebenheit und Widmung des Dieners – alles ist tief, inbrünstig und wahr. David sagt: „Ich hatte mir vorgenommen ein Haus zu bauen, da ruhen sollte die Bundeslade des Herrn, und ein Fußschemel den Füßen unseres Gottes, und hatte mich geschickt zu bauen“ (V 2). Welch eine sich selbst vergessende Ergebenheit zeigt sich hier! David hatte nicht die Ehre, das Haus Gottes zu bauen; aber was kümmerte dieses jemanden, der seinen Platz im Heiligtum gefunden und gelernt hatte zu sagen: „Wer bin ich?“ David zeigte keinen Neid gegen den, der gewürdigt war, das Haus zu bauen. Es war das Haus seines Gottes und das war genug. Die Kraft seiner Hand, die Liebe seines Herzens, die Hilfsquellen seiner Schätze – alles wurde bereitwillig einem solchen Zwecke geopfert.

Wir möchten gern bei diesem Gegenstand noch länger verweilen; allein wir müssen schließen. Möge der Heilige Geist in göttlicher Macht diese Dinge auf unser Herz anwenden? Geliebter christlicher Leser! Verlangst du nicht nach einer treueren, aufrichtigeren Hingebung? Sehnst du dich nicht nach einer völligeren Widmung für Christus bezüglich deiner selbst und alles dessen, was du besitzest? Wohlan denn, tritt gerade jetzt ein wenig näher in seine Gegenwart. Du hast dich erhoben aus der Stellung eines Büßers, – gehe jetzt, setze dich zu seinen Füßen, schaue und bete an; und dann wirst du, wenn die Gelegenheit sich darbietet, bereit sein, die Stellung eines treuen, nützlichen Dieners einzunehmen.

Fußnoten

  • 1 Der Leser wolle es beachten, dass wir bei unserer Betrachtung über die „drei Stellungen Davids“ diese Ereignisse nicht in ihrer historischen Ordnung darstellen, sondern sie nur als eine Erläuterung dreier Hauptpunkte in dem geistlichen Leben des Volkes Gottes in Augenschein genommen haben.
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