Die ersten Jahrzehnte des Christentums
Kommentar zur Apostelgeschichte

Kapitel 28

Die ersten Jahrzehnte des Christentums

Verse 1-6

Die Schiffbrüchigen, die mit heiler Haut ans Land gekommen waren, erfuhren die Güte Gottes. „Die Eingeborenen aber erzeigten uns eine nicht gewöhnliche Freundlichkeit“, sagt der Verfasser des Berichts. Da es regnete und zudem kalt war, zündeten sie ein Feuer an. Paulus blieb nicht untätig, sondern gab dem Feuer Nahrung, indem er zusammengeraffte Reiser darauf legte. Dabei hängte sich plötzlich eine Natter an seine Hand, die der Hitze entflohen war. Als die Leute dies sahen, schlossen sie daraus, dass er ein dem Schiffbruch entronnener Mörder sei, dem die Göttin der Vergeltung nicht erlaube, dass er lebe. Sie änderten aber sogleich ihre Meinung, als sie sahen, dass er die Schlange ins Feuer abschüttelte und nichts Schlimmes erlitt. Sie sagten sogar zueinander, er sei ein Gott.

Bei Paulus ging hier in Erfüllung, was der Herr von denen gesagt hatte, die glauben würden: „Sie werden Schlangen aufnehmen, und wenn sie etwas Tödliches trinken, so wird es ihnen nicht schaden“ (Mk 16,17-18). Auch der übrige Inhalt jenes 18. Verses hat sich hier erfüllt: „Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.“ Paulus tat nichts, um sich von den übrigen Gefangenen zu unterscheiden. Gott wollte diesen Leuten zeigen, dass Paulus nicht ein Gott war, sondern sein Diener. Er war ein Mensch, dem der wahre Gott seine Macht mitteilte, die in ihrer Mitte tätig sein wollte.

Verse 7-10

In der Nähe des Ortes, wo die Schiffbrüchigen sich gestärkt hatten, befanden sich die Ländereien von Publius, des Landpflegers der Insel, der den Titel „Erster der Insel“ trug. Dieser Mann nahm sie freundlich auf und beherbergte sie drei Tage - vermutlich Paulus und seine Begleiter. Der Apostel wurde zu dem Vater von Publius geführt, der krank daniederlag. Er betete, legte ihm die Hände auf und heilte ihn. Als dies bekannt wurde, kamen alle Kranken der Insel herbei und wurden geheilt.

Es wird hier nicht gesagt, Paulus habe auf dieser Insel das Evangelium verkündigt. Aber die Wunder waren den Ungläubigen als Zeichen gegeben; sie waren für sie die Bestätigung des Wortes Gottes. Zweifellos wurde durch die Wunder die Aufmerksamkeit dieser Leute wachgerufen, und der Apostel hat ohne Frage daraus Nutzen gezogen, indem er von dem zu ihnen redete, dessen Macht sie gesehen hatten. Da aber der öffentliche Dienst des Apostels mit seiner Verhaftung in Jerusalem zu Ende gegangen war, wird hier über seine Verkündigung und auch über ihre Ergebnisse nichts gesagt.

Die Bewohner der Insel, unter denen die Macht Gottes gewirkt hatte, ehrten Paulus und die Seinen mit vielen Ehren und luden ihnen auf, was nötig war.

Verse 11-16

Nach einem Aufenthalt, der drei Monate gedauert hatte, fuhren sie alle mit einem Schiff ab, das auf der Insel überwintert hatte. Bei günstigem Wind kamen sie nach Puteoli, wo sich Brüder befanden, mit denen sie sieben Tage zusammen sein durften. Als die Brüder von Rom von den Dingen hörten, die Paulus und seinen Begleitern zugestoßen waren, kamen sie ihnen bis Appii-Forum entgegen. „Als Paulus sie sah, dankte er Gott und fasste Mut.“ Wie der Apostel den Korinthern gegenüber erwähnt hatte, trug er den geistlichen Schatz in einem irdenen Gefäß herum. Dieses Gefäß, durch das sich Gottes Macht entfaltete, war dem Einfluss der Umstände ausgesetzt. Seine Schwachheit war Wirklichkeit. Aber der Herr ermunterte seinen Diener, hatte Er auf der Erde doch selbst erfahren, was es bedeutet, Mensch zu sein und dabei Gottes Ermunterungen zu empfangen. Er wusste, welche Ermunterungen Er auf den Weg seines Dieners legen musste. Paulus war nun bald in Rom. Welche Gedanken mochten nun in ihm aufkommen! „Was wird mir dort alles begegnen? Schon bin ich zwei Jahre in Gefangenschaft, stillgelegt in meinem Dienst, und jetzt werde ich ein Gefangener der Heiden sein ...“

Es bestand in Rom eine Versammlung, die, wie aus Römer 16 hervorgeht, vom Herrn selbst gebildet worden war. Nun kamen dem Apostel auf seinem dunklen Weg diese Brüder entgegen. Das war für ihn wie ein Gruß aus dem Himmel, waren sie doch Glieder des Leibes Christi, die Paulus auf seinem Herzen trug. Das war für ihn eine große Stärkung. So dankte er Gott und fasste Mut.

In Rom angekommen, wurden die Gefangenen dem Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache übergeben.

Paulus war es erlaubt, mit dem Soldat, der ihn bewachte, für sich zu bleiben. Über die Kapitel 27 und 28 könnte man die Überschrift setzen: „Und so kamen wir nach Rom“ (V. 14). Auf diese Weise war nun der Apostel, wie vorausgesagt, in die Hauptstadt des Römischen Reichs gekommen.

Verse 17-22

Paulus verlor keine Zeit. Schon nach drei Tagen rief er die Ersten der Juden zusammen. Wie er es immer getan, beschäftigte er sich auch hier zuerst mit den Juden. Es lag ihm am Herzen, sie darüber zu unterrichten, weshalb er sich nun in Rom und in diesen Umständen befand. Er sei von den Juden in Jerusalem gefangen genommen und in die Hände der Römer überliefert worden, die ihn hätten loslassen wollen, weil sie nichts Todeswürdiges an ihm gefunden hatten. Er aber sei gezwungen gewesen, sich auf den Kaiser zu berufen, weil sich die Juden seiner Freilassung widersetzten. Paulus war ein Gefangener, dessen Unschuld anerkannt war. Er hatte nichts gegen das Volk noch gegen das Gesetz getan, und er hatte auch keine Anklage gegen seine Nation vorzubringen. Trug er jetzt eine Kette, so war dies wegen der Hoffnung Israels, das heißt wegen des Herrn, auf den Israel hoffte, also nicht etwa wegen eines Verbrechens. Der Herr, der die Hoffnung Israels ist, hatte die gleichen Umstände durchlebt wie der Apostel. Er war von seinem Volk den Römern überliefert worden. Pilatus hatte zwar seine Unschuld anerkannt, aber die Juden hatten seinen Tod gefordert. Paulus verkündigte einen Christus, den die Juden verworfen hatten und infolge dieser Verwerfung auch das Heil, das sich auf alle erstreckte.

Verse 23-31

Die Juden sagten zu Paulus, sie hätten keinen Bericht von Judäa erhalten und niemand habe ihnen Böses über ihn gesagt. Doch sie wünschten von ihm zu hören über diese Sekte, denn es sei bekannt, dass man ihr überall widerspreche. Sie hatten also von den Versammlungen, die an verschiedenen Orten entstanden waren und die überall Widerstand fanden, reden hören. Sobald die Wahrheit ans Licht kommt, gibt es Widerstand. Denn in dem finsteren Reich des Feindes begegnet das Licht dem Hass derer, die sich ihm widersetzen und sich in ihrem Tun durch das Licht verurteilt fühlen. Das hat sich im ganzen Verlauf der Kirchengeschichte immer wiederholt, bis auf den heutigen Tag. Die Wahrheit wird nie verstanden werden, damit muss der Gläubige sich abfinden. Er aber soll bis zum Ende treu bleiben, indem er das Wort des Herrn bewahrt, den Namen des Heiligen und Wahrhaftigen nicht verleugnet und auch das Wort seines Ausharrens festhält.

Die Juden bestimmten Paulus einen Tag, an dem mehrere zu ihm kamen, um von ihm zu hören, was er dachte (V. 22). Was er dachte war nichts anderes als die Wahrheit. Er legte sie ihnen aus, „indem er das Reich Gottes bezeugte und sie zu überzeugen suchte von Jesus, sowohl aus dem Gesetz Moses, als auch den Propheten, von frühmorgens bis zum Abend.“ Das Reich Gottes ist der Bereich, in dem Gottes Rechte und seine Autorität anerkannt werden. Die in Christus völlig offenbarten Charakterzüge dieses Reichs leiten und beherrschen alle, die dazu gehören. In dieses Reich, das in Christus gesehen worden war, wird man durch die Wiedergeburt eingeführt. Die Juden wollten nichts wissen von einem solchen Reich, das Buße forderte. Das Gesetz und die Propheten hatten Christus zum Gegenstand, und es handelte sich einfach darum, zu glauben. „Und einige wurden überzeugt von dem, was gesagt wurde, andere aber glaubten nicht.“ Die Juden hatten die Geduld Gottes zum Endpunkt getrieben. Zuerst hatten sie Jesus und dann auch das Zeugnis des Heiligen Geistes verworfen, das die Apostel abgelegt hatten. Durch Gottes Barmherzigkeit wurde ihnen nochmals, „den Juden zuerst als auch den Griechen“, durch den Dienst des Paulus die Gnade angeboten, durch deren Annahme sie in die Versammlung eingetreten wären. Aber sie lehnten alles ab, und so hatten sie nur noch die Vollziehung des achthundert Jahre vorher durch Jesaja verkündeten Gerichtes zu erwarten (Jes 6, 9-10). Das ist es, was Paulus ihnen in Erinnerung brachte. Sie aber hörten und verstanden nicht; sie sahen und erkannten nicht. Eine gerichtliche Verblendung hatte das Volk befallen. Sie wollten sich nicht bekehren und konnten nicht geheilt werden, denn sie hatten Gottes Langmut missbraucht. Das gleiche Gericht wird auch über die Christenheit kommen. Paulus sagte ihnen zum Schluss: „So sei euch nun kund, dass dieses Heil Gottes den Nationen gesandt ist; sie werden auch hören.“

Dies ist die dritte Anführung im Neuen Testament des in Jesaja 6 angekündigten Gerichts. In Matthäus 13 sonderte der Herr den Ihn umgebenden Überrest ab und wendete diese Prophezeiung auf die Masse des Volkes an. Auch in Johannes 12 bezieht Er sie auf das Volk, das nach so vielen Offenbarungen seiner göttlichen Herrlichkeiten nicht glauben wollte. Hier bringt Paulus dieses Gericht wiederum in Erinnerung, nachdem jetzt die Juden den Herrn wie auch das Zeugnis des Heiligen Geistes und das Zeugnis der Gnade für alle verworfen hatten.

Der Herr wachte über seinen treuen Diener und verschaffte ihm jede Erleichterung, die man einem Gefangenen gewähren konnte. „Er aber blieb zwei ganze Jahre in seinem eigenen gemieteten Hause und nahm alle auf, die zu ihm kamen, und predigte das Reich Gottes und lehrte mit aller Freimütigkeit ungehindert die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen.“

In seiner Abgeschiedenheit in Rom hat Paulus das Wort Gottes hinsichtlich der Wahrheiten, die das Geheimnis der Versammlung betreffen, durch seine Briefe an die Epheser, an die Kolosser, an die Philipper, an Philemon und wahrscheinlich auch an die Hebräer vollendet. Wie man allgemein annimmt, schrieb er zwischen seiner ersten und seiner zweiten Gefangenschaft in Rom den ersten Brief an Timotheus sowie den Titusbrief, den zweiten Timotheusbrief aber vor dem Ende seiner zweiten Haft. So besitzt die Versammlung nun alle Belehrungen, die sie bis zur Ankunft des Herrn benötigt. Dann wird Er seine Beziehungen zu seinem irdischen Volk wieder aufnehmen, um die den Vätern gemachten Verheißungen zu erfüllen.

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