Die ersten Jahrzehnte des Christentums
Kommentar zur Apostelgeschichte

Kapitel 20

Die ersten Jahrzehnte des Christentums

Verse 1-6

Paulus nahm von den Christen in Ephesus Abschied und reiste nach Mazedonien ab. Unterwegs suchte er die Jünger auf und ermahnte sie mit vielen Worten. Wir haben schon einmal festgestellt, dass sich Paulus nicht daran genügen ließ, zu wissen, dass die Menschen, denen er das Evangelium verkündigte, gerettet waren. Damals wie heute ging es auch darum, der Versammlung Gottes zu dienen, und der Apostel widmete sich dieser Aufgabe mit aller Sorgfalt. Er schrieb den Kolossern (Kol 1,24-25): „Ich ergänze in meinem Fleisch das, was noch fehlt an den Drangsalen des Christus für seinen Leib, das ist die Versammlung, deren Diener ich geworden bin...“ Der Herr hatte gelitten, um sie zu erkaufen und Paulus litt, um sie zu befestigen. Nachdem sie an verschiedenen Orten gebildet war, arbeitete er an ihrer Auferbauung und Befestigung, damit sie entsprechend der Höhe ihrer Berufung wandle und die Wesenszüge ihres Herrn im Zeugnis vor der Welt darstelle. Er trug Sorge um alle Versammlungen (2. Kor 11,28). Er kannte die Wachsamkeit des Feindes Christi, der aus jeder Untreue der Gläubigen Nutzen zu ziehen weiß, um dem „Zeugnis unseres Herrn“ zu schaden (2. Tim 1,8). Wer bei der Verkündigung des Evangeliums nur das eine Ziel kennt, Seelen in den Himmel zu führen, bleibt hinter den Gedanken des Herrn weit zurück. Denn Jesus Christus ist gestorben, um „die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln.“ Er hat Vorsorge getroffen, damit sich die Bildung der Versammlung nach seinen Gedanken vollziehen kann bis zu dem Augenblick, wo Er sie sich in vollkommener Schönheit darstellen wird. Man darf daher das Evangelium von der Wahrheit über die Versammlung, wie wir sie in den Schriften des Apostels besitzen, nicht trennen.

Von Mazedonien aus gelangte Paulus nach Griechenland, wo er sich drei Monate aufhielt. Hierauf wollte er nach Syrien und Jerusalem abfahren. Aber Gott führte es, dass ihm durch die Feindseligkeit der Juden ein Hindernis in den Weg gelegt wurde, so dass er genötigt war, nach Mazedonien zurückzukehren, wo er noch von Nutzen sein sollte. Paulus handelte mit Vorsicht und setzte sich nicht unnötigerweise den Anschlägen der Juden aus. - Bei aller Gewissheit, dass Gott uns beschützen wird, sollen wir uns nicht blindlings den Gefahren aussetzen. Im Blick auf seine Jünger sagte der Herr: „Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen; so seid nun klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen“ (Mt 10,16-17).

Eine Anzahl Brüder begleiteten den Apostel: Sopater bis nach Asien, sechs andere aber, die im vierten Vers genannt werden, und wohl auch Lukas, der treue Begleiter, gingen ihm voraus und warteten in Troas auf ihn. Die Erwähnung ihrer Namen zeigt das Interesse, das der Herr an denen nimmt, die in irgendeiner Weise in seinem Werk arbeiten. Diese Brüder umgaben den großen Apostel und dienten ihm in dem Werk, das ihm so viel Leiden von Seiten der Menschen eintrug. Jede Arbeit für den Herrn, die mit dem Wunsch getan wird, seinen Namen bekannt zu machen, seine Interessen zu verfechten und die Wahrheit auszurufen, ist kostbar in seinen Augen und wird zu seiner Zeit belohnt werden. Unter den sechs Brüdern befand sich Timotheus, von dem der Apostel bezeugte, dass er wie ein Kind dem Vater mit ihm gedient habe an dem Evangelium (Phil 2,19-22).

Über diese Reise, die in diesen Versen nur kurz zusammengefasst ist, finden wir in den Briefen an die Korinther und an die Römer nützliche Mitteilungen. Während seines Aufenthalts in Ephesus schrieb Paulus den ersten Brief an die Korinther und ließ ihn durch Titus überbringen (2. Kor 2,13; 7,13-14). Von Ephesus aus sandte er Timotheus und Erastus nach Mazedonien, während er noch eine Zeitlang in Asien blieb (Apg 19,21-22). Als er sich dann selbst auf dem Weg nach Mazedonien befand, war er in Sorge um die Korinther und über die Wirkung seines ersten Briefes. Er kam nach Troas und hoffte dort Titus mit Nachrichten von Korinth zu finden. Als er ihn aber dort nicht fand, hatte er keine Ruhe im Geist und war daher nicht in der Lage, in jener Stadt das Wort zu verkündigen, obwohl ihm eine Tür des Evangeliums im Herrn aufgetan wurde (2. Kor 2,12-13). Schließlich trafen sie sich, wir wissen nicht wo.; Paulus schrieb seinen zweiten Brief an die Korinther und kam nach Griechenland. Von all diesem erwähnt die Apostelgeschichte nur das, was wir in den ersten zwei Versen unseres Kapitels finden.

Während seines dreimonatigen Aufenthaltes in Griechenland schrieb Paulus den Brief an die Römer, der die Andeutung über seine bevorstehende Reise nach Jerusalem enthält, bei welchem Anlass er die Gabe der Versammlungen in Mazedonien und Achaja für die Dürftigen in Jerusalem überbringen wollte (1. Kor 16,1-4; 2. Kor 8 und 9). Nach Erfüllung dieser Mission und nach Vollendung des Werks in seinen bisherigen Arbeitsgebieten wollte er nach Rom und von da nach Spanien weiterreisen. Doch ist er vermutlich nie in jenes Land gekommen (Röm 15,23-33).

Verse 7-12

In Troas, wo sich Paulus das letzte Mal nicht hatte aufhalten können, weil er Titus entgegenging, verweilte er nur sieben Tage. Am ersten Tag der Woche waren sie versammelt, um Brot zu brechen. Wir haben hier also eine deutliche Erwähnung der Tatsache, dass die Versammlungen damals schon an diesem Tag gewohnt waren sich zu versammeln, um Brot zu brechen. Wenn auch anfänglich, wie es scheint, das Brot täglich gebrochen wurde (Apg 2,46), so wird hier doch der Tag des Herrn, dessen Bedeutung in Johannes 20,1 hervorgehoben wird, als der Tag bezeichnet, wo beim Brotbrechen sein Gedächtnis gefeiert werden soll. „Am ersten Tag der Woche aber, als wir versammelt waren, um Brot zu brechen“, wird hier gesagt. Es geschah also nicht gelegentlich, sondern regelmäßig. Diese eine Stelle genügt schon, um uns zu veranlassen, heute dasselbe zu tun. Das Wort enthält keine Andeutung, woraus hervorginge, dass man das Abendmahl nur nach längeren Zwischenräumen feiern sollte.

Nebenbei können wir uns merken, dass uns in drei Evangelien die Einsetzung des Abendmahls berichtet wird; in unserer Stelle haben wir ein Beispiel dieser Feier und in 1. Korinther 11 finden wir die Belehrung darüber.

Im Bewusstsein, dass er die Gläubigen dieser Gegenden wohl nicht mehr sehen würde, nahm Paulus die Gelegenheit wahr, um das Wort bis nach Mitternacht zu verkündigen. Er wusste, wie wichtig seine Belehrung bezüglich der Versammlung war, deren Geheimnis ihm zur Verwaltung anvertraut worden war. Auch stand er unter dem Eindruck, dass jetzt sein Dienst in diesen Gegenden zu Ende ging. Die damaligen Gläubigen hatten noch nicht das Vorrecht der Unterweisung durch das geschriebene Wort. Sie besaßen im Blick auf die Wahrheiten der Versammlung nur diese mündliche Belehrung.

Damals schon kam es vor, dass sogar bei sehr wichtigen Wortverkündigungen das Interesse durch Schläfrigkeit beeinträchtigt wurde. Es hat dem Geist Gottes gefallen, uns die Umstände zu beschreiben, die den Schlaf des Eutychus begünstigten: Es brannten viele Fackeln in jenem Obersaal. Gott kam durch Paulus dem Verunglückten in Barmherzigkeit zu Hilfe. Der junge Mann wurde wieder lebendig.

Hierauf setzte Paulus die Wortverkündigung noch bis zum Anbruch des Tages fort. Die Umstände machen dies ohne weiteres verständlich. Am frühen Morgen reiste Paulus weiter.

Verse 13-16

Auf Anordnung von Paulus gingen ihm seine Begleiter im Schiff nach Assos voraus, er selbst wollte ihnen zu Fuß folgen. Zweifellos empfand er das Bedürfnis, sich in Stille zu sammeln. Für jeden Diener des Herrn ist es ein unbedingtes Erfordernis, recht oft in der Gegenwart Gottes stille Augenblicke zu verbringen, frei von jeder Ablenkung. Auch der göttliche Diener zog sich in die Einsamkeit zurück, um die Nacht hindurch zu beten (Lk 5,16). Von Assos aus begaben sich Paulus und seine Mitarbeiter über Mitylene, Chios, Samos und Trogyllion nach Milet. Der Apostel wollte sich in Ephesus, wo ein Besuch mehr Zeit in Anspruch genommen hätte, als ihm zur Verfügung stand, nicht mehr aufhalten. Denn er wünschte am Pfingsttag in Jerusalem zu sein. Daher ließ er die Ältesten von Ephesus nach Milet kommen.

Verse 17-21

Die Ansprache von Paulus an die Ältesten von Ephesus hat auf die ganze Versammlung Bezug und ist in ihrer Geschichte ein wichtiger Markstein.

Sein Dienst in Asien war vollendet. Er war im Begriff abzureisen und ließ die Versammlungen ohne apostolische Autorität und Fürsorge zurück, die er ihnen mit so viel Liebe und Hingebung hatte angedeihen lassen. Er übertrug sie nicht auf andere Apostel. Er gab ihnen keinerlei Nachfolger, sondern befahl sie Gott und dem Wort seiner Gnade an. Das Schiff, das bis dahin von einem geschickten Steuermann geleitet worden war, sollte nun ohne ihn den Hafen verlassen, war aber im Besitz alles Nötigen, um den Gefahren der Überfahrt begegnen zu können.

Der Apostel stellte den Ältesten ihre Verantwortung vor, die Herde Gottes zu hüten und über sie zu wachen. Denn der Feind würde nicht verfehlen, aus seiner Abwesenheit Nutzen zu ziehen. Er würde durch Männer aus ihrer Mitte und durch von außen kommende Wölfe sein Werk der Zerstörung tun. Diese Verantwortung liegt auf allen, die tatsächlich den Charakter von Ältesten besitzen, auch wenn sie nicht - wie zu den Zeiten der Apostel - öffentlich als solche bezeichnet worden sind.

Diese Ansprache lässt sich in vier Abschnitte einteilen. Der erste umfasst die Verse 17-21, die drei anderen beginnen in den Versen 22, 25 und 32 mit den Worten: „Und nun“. Im ersten Abschnitt erinnert der Apostel an sein Verhalten und an seine Tätigkeit in Asien. Im zweiten Abschnitt (Verse 22-24) spricht er von dem, was vor ihm persönlich lag: Seine geplante Reise nach Jerusalem, die Vollendung seines Laufes und des Dienstes, den er vom Herrn empfangen hatte. Im dritten Abschnitt (Verse 25-31) kündet er an, was sich nach seinem Weggang ereignen wird und gibt den Ältesten Ermahnungen. Sie sollen Acht haben auf sich selbst und auf die Herde.

Im vierten Abschnitt, der mit dem 32. Vers beginnt, weist er auf die Hilfsquellen hin, woraus die Glaubenden in den kommenden Zeiten, in denen sie den Dienst des Apostels entbehren mussten, schöpfen konnten. Der Versammlung blieben noch die inspirierten Schriften des Apostels. Sie gehören zu dem ganzen Wort der Gnade Gottes, dem er sie anbefahl.

Paulus übte sich von Anfang an, ein gutes Gewissen zu halten. Darum konnte er sich hier auf seinen Wandel berufen, um seine Ermahnungen zu bekräftigen. Er hatte dem Herrn mit aller Demut und mit Tränen gedient - Kennzeichen eines Dieners, der dem Beispiel seines göttlichen Meisters folgt. Was bei ihm Tränen verursachte, das waren die Gefahren jeder Art, denen er die Erlösten des Herrn ausgesetzt sah. Sie kamen auch aus der Furcht, dass ihr Wandel nicht zur Verherrlichung des Herrn sein könnte. Paulus wurde besonders durch den Widerstand der Juden geprüft, die jedes Mal außer sich gerieten, wenn sie feststellten, dass er in seinem Dienst sowohl aus ihnen wie auch aus den Heiden auf demselben Boden Gefäße der Begnadigung machen wollte. Die Gnade hat bei den Selbstgerechten noch immer Widerstand hervorgerufen. Aber trotz dieser Feindschaft hatte er nichts zurückgehalten von dem, was allen nützlich war.

Der Apostel hebt vier wichtige Punkte hervor, die Gegenstände seiner Verkündigung waren:

  1. Er beharrte sowohl den Juden als auch den Griechen gegenüber auf der Notwendigkeit der „Buße zu Gott“ und des „Glaubens an unseren Herrn Jesus Christus“ (Vers 21).
  2. Er „bezeugte das Evangelium der Gnade Gottes“ (Vers 24).
  3. Er predigte „das Reich Gottes“ (Vers 25).
  4. Er hatte ihnen den ganzen Ratschluss Gottes verkündigt (Vers 27).

In diesen Gegenständen, die die ganze Lehre des Christentums umfassen, gibt es eine Steigerung.

Die Buße zu Gott und der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus stellen das Werk dar, das zu einer wahren Bekehrung nötig ist. Ohne Buße gäbe es keinen wahren Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, ohne Glauben aber auch keine wahre Buße. Die Buße ist eine Sinnesänderung im Herzen des Unbekehrten, eine Änderung in der Beurteilung seiner selbst und seines Tuns. Statt weiterhin zu meinen, er sei gut und gerecht, lernt er unter der Einwirkung des Wortes Gottes auf sein Gewissen verstehen, dass er ein elender, verlorener Sünder ist, der Gott durch seine Sünden beleidigt hat. Das führt ihn dazu wie David in Psalm 51,4 zu sagen: „Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen.“ Dementsprechend ändern sich auch seine Gedanken Gott gegenüber, so wie die Gedanken des „verlorenen Sohnes“ über seinen Vater bei seiner Heimkehr ganz anders waren als jene, die ihn beim Verlassen des Vaterhauses erfüllten. Der Bußfertige erkennt, dass er das Gericht Gottes verdient hat. Aber es wird ihm Gnade angeboten, und er empfängt durch Glauben an den Herrn Jesus Christus, der an seiner Stelle das Gericht ertragen hat, die Vergebung seiner Sünden.

Das war es, was Paulus als Herold, Apostel und Lehrer der Nationen (2. Tim 1,11) verkündet und gelehrt hat. Er tat es öffentlich und in den Häusern. Heute muss man bei der Evangeliumsverkündigung mehr denn je auf der Buße zu Gott beharren, damit echte Bekehrungen stattfinden. Denn wenn nur Gnade gepredigt wird und keine wirkliche Sündenerkenntnis daraus hervorgeht, so lässt der Zustand derer, die das Evangelium annehmen, immer etwas zu wünschen übrig. - Das Werk der Buße setzt sich auch nach der Bekehrung fort und vertieft sich noch (Jer 31,19). Durch tiefere Selbsterkenntnis und bessere Einsicht in die Schrecklichkeit der Sünde gelangt der Erlöste auch zu einer tieferen Erkenntnis Gottes und seiner Gnade.

Verse 22-24

Paulus hatte nun die Reise nach Jerusalem, viele Trübsale und das Ende des Dienstes, den er von dem Herrn empfangen hatte, vor sich. Er ging nach Jerusalem, gebunden in seinem Geist, gedrängt von einer unwiderstehlichen Kraft, ohne zu wissen, was ihm dort begegnen würde, außer dass ihm der Heilige Geist von Stadt zu Stadt bezeugte, dass Fesseln und Drangsale auf ihn warteten. Auch Agabus bestätigte dies (Kap. 21,10-11).

War es der Wunsch, die Beweise der Liebe und der Gemeinschaft, d.h. die Gaben der Versammlungen von Mazedonien und Achaja den Gläubigen in Judäa zu überbringen, was ihn in seinem Geist band? Oder war es seine innige Liebe zum Volk Israel (Röm 9,1-5) und der große Wunsch, beim Pfingstfest in Jerusalem zu sein, was sein Herz mit so starken Banden anzog? Er hatte auch vor, nach Rom und nach Spanien zu gehen. Wie dem auch sei, die Hand des Herrn leitete seine Umstände hinter der Szene, damit der Apostel der Nationen seinen Dienst zur Verherrlichung seines Meisters vollenden konnte.

Der Apostel nahm keine Rücksicht auf sein Leben und suchte es nicht zu schonen, das Werk des Herrn war ihm kostbarer. „Damit ich meinen Lauf vollende“ sagte er, „und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes“. Das Evangelium der Gnade ist das, was Gott in der Welt zum Heil der Sünder verkündigen lässt, und Paulus war der große Herold dieser Botschaft unter den Heiden. Sie umschließt die ganze Offenbarung Gottes in Gnade und Paulus wollte davon Zeugnis geben bis zur Vollendung seines Laufes, der bis zu dem vom Herrn gesteckten Ziel währte.

Der Apostel, das auserwählte Gefäß, um den Namen des Herrn „sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels“ zu tragen (Apg 9,15), sagte nach seiner Verantwortung vor dem Hof in Rom:“Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Predigt vollbracht würde und alle die aus den Nationen hören möchten“ (2. Tim 4,17). Da erst war sein Dienst abgeschlossen und er konnte sagen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt“ (2. Tim 4,7). Den Lauf vollenden heißt alles das ausführen, was der Herr vom Gläubigen verlangt. Wer nicht treu ist, hat ihn nicht vollendet, auch wenn er am Ende seines Lebens anlangt.

Vers 25

In diesem und in den folgenden Versen ermahnt der Apostel die Ältesten. Im Bewusstsein, dass sie ihn nicht mehr sehen würden, zeigt er ihnen an, was sich nach seinem Abschied ereignen würde. Er hatte in ihrer Mitte das Reich Gottes verkündigt. Der Ausdruck „Reich Gottes“ stellt im Allgemeinen den sittlichen Charakter dieses Reichs dar. Es ist von Gott und muss folglich durch das gekennzeichnet sein, was Gott in denen ist, die dazu gehören. Nachdem ich Jesus als Heiland erkannt habe, lerne ich Ihn auch als meinen Herrn kennen. Er hat alle Rechte an mir und ich bin Ihm daher völligen Gehorsam schuldig. Es ist wichtig, immer wieder auf diese Kennzeichen des Reichs Gottes hinzuweisen. Der Gläubige soll zuerst „nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ trachten und sich bemühen, vor allem die göttlichen Wesenszüge darzustellen. Er soll die Interessen des Herrn seinen eigenen voranstellen.

Verse 26-30

Paulus sagte den Ältesten, dass sie sein Angesicht nicht mehr sehen würden und bezeugte ihnen, dass er rein sei von dem Blut aller. Das ist eine Anspielung auf Hesekiel 3,19-21, wo der Herr dem Propheten sagte: Wenn er den Gesetzlosen nicht warne, werde Er dessen Blut von seiner Hand fordern; wenn er ihn aber warne und dieser nicht auf ihn höre, so habe der Prophet seine eigene Seele errettet.

Alle, die in Asien waren, hatten während seines zweijährigen Aufenthalts in Ephesus das Wort des Herrn gehört (Apg 19,10). Er hatte das Wort öffentlich und in den Häusern verkündigt und es sowohl Juden als Griechen bezeugt (V. 20-21). „Ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen“, sagte er (V. 26-27). Er war daher „rein von ihrem Blut“. Dieser Ausdruck wird hier im Zusammenhang mit der Belehrung der Gläubigen gebraucht. Als Verwalter der Geheimnisse Gottes hinsichtlich der Versammlung hatte Paulus alle erleuchtet, „welches die Verwaltung des Geheimnisses sei“ (Eph 3,9). Er hat das Wort Gottes vollendet, „das Geheimnis, das von den Zeitaltern und von den Geschlechtern her verborgen war, jetzt aber seinen Heiligen offenbart worden ist“ (Kol 1,25-26).

Im Besitz alldessen, was den Ratschluss Gottes ausmachte, sollten die Ältesten auf sich selbst und auf die ganze Herde Acht haben. Ja, zuerst auf sich selbst! Das Wort Gottes muss zunächst in denen wirksam sein, die es weitergeben. Sie müssen selbst in einem guten Zustand aufrecht gehalten werden, um die Herde weiden und ihr die „zugemessene Speise“ zur rechten Zeit geben zu können, damit sie den Angriffen des Feindes widerstehen kann. Der Heilige Geist setzt die Ältesten in der Mitte der Herde ein, damit sie eine heilige Wachsamkeit ausüben und sich des Wertes bewusst sind, den jeder Gläubige für das Herz des Herrn hat. Die Herde bildet „die Versammlung Gottes ... die er sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen.“ Paulus bezeichnet hier den Charakter der Versammlung (sie ist von Gott) und den Preis, den Er ihr beimisst: Er hat sie sich um den Preis seines eigenen Sohnes erworben. Diese Überlegung sollte die Ältesten von Ephesus und auch uns zur Wachsamkeit anspornen und uns veranlassen, bei der Beschäftigung mit einem so wunderbaren Gegenstand gebührenden Ernst und Eifer zu zeigen.

In den Schriften von Paulus begegnen wir diesem Ausdruck „Versammlung Gottes“ oft, besonders in dem ersten Brief an die Korinther. Er will dort den Abstand zwischen dem praktischen Zustand jener Brüder und dem, was die Versammlung in den Augen Gottes ist, aufzeigen. Sie duldeten allerhand Böses in ihr und bewiesen damit, dass sie sie gering einschätzten und ihrem göttlichen Charakter nicht Rechnung trugen.

Durch die Versammlung wird den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Örtern die mannigfaltige Weisheit Gottes kundgetan. In der Versammlung, die in Christus Jesus ist, wird auch die Herrlichkeit Gottes auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter hin offenbart (Eph 3,10-21). Sie wird einst mit der Herrlichkeit Gottes vom Himmel herniederkommen, um ein Lichtglanz zu sein, sowohl während des Tausendjährigen Reichs (Off 21,10-11), als auch im ewigen Zustand (Off 21,2), wo sie auf der neuen Erde die Hütte Gottes sein wird. Diese herrliche, für Gott und seinen Sohn so kostbare Versammlung muss von denen, die zu ihr gehören, in ihrem ganzen Wert und ihrer Herrlichkeit betrachtet werden, besonders aber von denen, die einen Platz der Verantwortung darin einnehmen, damit alles ihrem göttlichen Charakter entspreche. Sie setzt sich aus den Erlösten des Herrn zusammen, die geweidet werden müssen, indem man ihnen die Person Christi vorstellt. In Hesekiel 34,15-16 wird uns gezeigt, wie der Herr sich seiner Schafe annehmen wird: Er weidet und lagert sie; Er sucht das Verlorene, führt das Versprengte zurück, verbindet das Verwundete und stärkt das Kranke. Welch nachahmenswertes Beispiel!

Der Apostel wusste, dass die Versammlung nach seinem Abschied verschiedenen - von innen und von außen her kommenden - Gefahren ausgesetzt sein würde.

Aus ihr selbst würden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger hinter sich her abzuziehen. Das Tun dieser Männer wird in Matthäus 13,33 mit der Wirksamkeit des Sauerteigs verglichen, der den ganzen Teig durchsäuert. Solche Menschen lenken die Seelen von Christus ab und ziehen sie hinter sich her, im Gegensatz zu den wahren Dienern, die sie zu Christus führen, indem sie ihnen seine Schönheiten bekannt machen. In 2. Johannes 10 wird der „auserwählten Frau“ geboten, solche, die die Lehre des Christus nicht bringen, weder aufzunehmen noch zu grüßen.

Die von außen kommenden Wölfe sind die, die in der Christenheit fremde Lehren verbreiten und so der Herde Schaden zufügen. Der Geist Gottes nennt sie Wölfe. Aber wenn sie sich den Schafen nahen, haben sie durchaus nicht dieses Aussehen. Der Herr warnt vor ihnen: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, innen aber sind sie reißende Wölfe“ (Mt 7,15). „Durch süße Worte und schöne Reden verführen sie die Herzen der Arglosen“ (Röm 16,17-18). Die Wölfe können die Versammlung Gottes, die durch Christus gebaut wird, nicht zerstören, denn sie ist auf ihr Fundament gegründet. Wenn man sie aber vom Standpunkt ihres Zeugnisses aus betrachtet, so hat sie versagt. Als Herde sind die Schafe großen Gefahren ausgesetzt, denn sie sind schwach. Darum brauchen Sie Pflege und Nahrung.

Verse 31-38

Während drei Jahren hatte Paulus nicht aufgehört, jeden mit Tränen zu ermahnen. Die Ältesten sollten nun fortfahren, in derselben Weise und Gesinnung zu wachen, wie es Paulus in ihrer Mitte getan hatte. Sie hatten während seines dreijährigen Aufenthalts in Ephesus die Möglichkeit, „seine Lehre, sein Betragen, seinen Vorsatz“ zu erkennen, drei Dinge, auf die er am Anfang seiner Abschiedsrede hinwies. Auch erklärte er ihnen, dass er nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist (Vers 20), und dass er ihnen den ganzen Ratschluss Gottes verkündigt habe (Vers 27). Für Brüder, die der Heilige Geist dazu bestimmt hat, die Versammlung Gottes zu hüten, sind das alles Dinge, die heute wie damals in Betracht gezogen werden sollen. Inmitten des heutigen Verfalls besitzt die Versammlung in den Augen Gottes und für den Glauben immer noch dieselbe Größe und denselben Wert.

Die Verse 32-38 bilden den vierten Teil der Rede des Paulus. Zunächst machte er auf die unerschöpflichen und unveränderlichen Hilfsquellen aufmerksam, die der Versammlung jederzeit zur Verfügung stehen. Er sagte den Ältesten nicht, sie sollten die Herde bei ihrem Heimgang wieder anderen Ältesten anvertrauen. Weder er noch Petrus sprachen in irgendeiner Weise von einer apostolischen Nachfolge.

Der freie Dienst des Apostels war zu Ende. Aber Gott, der sich die Versammlung durch das Blut seines eigenen Sohnes erkauft und Paulus seinen Ratschluss mitgeteilt hat, wird zum Wohl seiner Versammlung derselbe bleiben, das heißt so, wie das Wort Ihn selbst, seinen Willen und die Hilfsquellen seiner Gnade beschreibt. Dieses Wort vermag aufzuerbauen und ein Erbe zu geben unter allen Geheiligten. Es enthält alles, was zur persönlichen und kollektiven Auferbauung erforderlich ist. Es führt die Geheiligten, d. h. die in dieser Welt im Blick auf das ewige Erbteil für Gott Abgesonderten, zum verheißenen Erbe in der Herrlichkeit hin. Gott und sein Wort sind eins. Siehe auch Hebräer 4,12-13: „Das Wort Gottes ist... ein Beurteilter der Gedanken und Überlegungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.“ Dieses Wort bleibt durch alle Jahrhunderte hindurch unveränderlich, wie auch der, von dem es herrührt. Was bleibt uns da noch zu wünschen übrig? Wir besitzen es heute in derselben Frische und in derselben Kostbarkeit, wie in den schönsten Tagen der Kirche. Aber lasst es uns denen gegenüber, die seine volle Inspiration leugnen, mit großer Überzeugung festhalten und dabei das offenbaren, was die Versammlung in Philadelphia kennzeichnete: Sie hat das Wort bewahrt und den Namen des Heiligen und Wahrhaftigen nicht verleugnet.

Im 33. Vers wird uns gesagt, was der Apostel nicht tat. Kein selbstsüchtiger Beweggrund hatte ihn zu seiner Tätigkeit unter den Ephesern getrieben, und zwar im Gegensatz zum Verhalten vieler, die an einer so genannten apostolischen Nachfolge festhalten.

In den Versen 34 und 35 erinnert er an seine Handlungsweise in diesem Zusammenhang: Er hatte den Herrn zum Vorbild genommen. Wenn er ihnen einerseits den Ratschluss Gottes verkündigt hatte und sie später im Epheserbrief daran erinnerte, so zeigte er ihnen anderseits in jenem Brief auch, was ihr Verhalten in den verschiedenen Lebensbereichen sein soll. Im Gehorsam gegenüber Gott soll jeder Mensch arbeiten, auch der Christ, aber nicht nur für die eigenen, sondern auch für die Bedürfnisse der Schwachen, und so wird er göttliche Liebe erweisen können. Paulus schrieb den Ephesern (Eph 4,28): „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute, damit er dem Bedürftigen etwas zu geben habe“ (s. a. 1. Thes 4,11-12).

Um das Gesagte zu unterstreichen führte Paulus ein Wort des Herrn an, das sich in den Evangelien nicht wörtlich wiederfindet: „Geben ist seliger als nehmen.“ In Lukas 14,12-14 ist in einem Bild dargestellt, was dieses Wort zum Ausdruck bringt.

Diese denkwürdige Begegnung in Milet endete mit einem gemeinsamen Gebet. „Es entstand aber viel Weinen bei allen; und sie fielen Paulus um den Hals und küssten ihn sehr, am meisten betrübt über das Wort, das er gesagt hatte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen. Sie geleiteten ihn aber zu dem Schiff“.

Es ist möglich, dass Paulus nach seiner ersten Gefangenschaft in Rom eine Zeit der Freiheit genoss. Aus 2. Timotheus 4,13 geht hervor, dass er bei Karpus in Troas einen Mantel und in Milet Trophimus krank zurückließ (2. Tim 4,20). Auch hatte er beschlossen, in Nikopolis zu überwintern (Tit 3,12). Aber sonst sagen die inspirierten Schriften über diesen Zeitabschnitt nichts. Das Werk des freien Apostels war mit seiner Gefangennahme abgeschlossen (Apg 21).

Dank seiner aus Rom und anderen Orten geschriebenen Briefe besitzen wir die den damaligen Versammlungen durch den großen Apostel mündlich erteilten Belehrungen und auch die Unterweisungen, die wir für die Zeiten des Endes, in denen wir jetzt angelangt sind, benötigen.

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