Die ersten Jahrzehnte des Christentums
Kommentar zur Apostelgeschichte

Kapitel 23

Die ersten Jahrzehnte des Christentums

Verse 1-5

Vor das Synedrium gestellt, konnte der Apostel Paulus sagen: „Brüder! Ich habe mit allem guten Gewissen mein Leben vor Gott geführt bis auf diesen Tag.“ Nichts hinderte ihn, in vollem Frieden vor ihnen zu erscheinen. Sein ganzes Auftreten zeugte davon. Er hatte seinen Wandel in dem reinen Licht der Gegenwart Gottes geführt. Er übte sich, allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen (Apg 24,16).

Das Gewissen ist die Fähigkeit, zwischen Gutem und Bösem zu unterscheiden. Es ist aber nicht der Maßstab für das Gute. Um nach göttlichem Maß Gutes und Böses zu unterscheiden, muss das Gewissen durch Gottes Wort erleuchtet werden. Durch das Werk Christi sind wir vom bösen Gewissen gereinigt worden, da alle unsere Sünden durch das Blut des Kreuzes getilgt worden sind. Das ist das Teil jedes Gläubigen. Fortan müssen wir uns bemühen, ein gutes Gewissen zu haben, indem wir jedes Böse im Licht Gottes, das heißt im Licht seines Wortes, richten. In dieser Übung sollen wir Fortschritte machen. Es kann vorkommen, dass wir eine Zeitlang Dinge tun, die unser Gewissen nicht beschweren. Aber sobald wir im Licht des Wortes entdecken, dass sie nicht Gott gemäß sind, müssen wir sie verurteilen. Der Apostel sagt in 1. Korinther 4,4: „Denn ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt. Der mich aber beurteilt ist der Herr.“ Er behauptete nicht, jetzt schon alles so zu sehen, wie der Herr es an seinem Tag offenbaren wird: „Bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Überlegungen der Herzen offenbaren wird.“ - „Wenn unser Herz uns verurteilt, Gott ist größer als unser Herz und kennt alles“ (1. Joh 3,20). Zu den Hebräern konnte der Schreiber jenes Briefes sagen: „Betet für uns; denn wir halten dafür, dass wir ein gutes Gewissen haben …“ (Heb 13,18).

Dass Paulus von einem guten Gewissen zeugen konnte, traf das Gewissen des Hohenpriesters Ananias, und er gab Befehl, ihn auf den Mund zu schlagen. Paulus, der nicht wusste, dass er es mit dem Hohenpriester zu tun hatte, konnte diese Schmach nicht ertragen, ohne zu antworten: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Und du sitzt da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und gegen das Gesetz zu handelnd befiehlst du, mich zu schlagen?“ Als Paulus erfuhr, dass es der Hohepriester war, bekannte er sich schuldig und zitierte in einem etwas veränderten Wortlaut die Stelle aus 2. Mose 22,28: „Von einem Fürsten deines Volkes sollst du nicht übel reden.“ Der Ausdruck „getünchte Wand“ war in der Sprache der Juden ein wohlbekannter Ausdruck, um die Heuchelei zu bezeichnen. Obwohl zu Recht ausgesprochen, standen ihm diese Worte doch nicht zu. Das erinnert an eine ähnliche Begebenheit, in der aber die Schönheit des einzigen vollkommenen Menschen zum Vorschein kam: Als man zu Jesus sagte: „Antwortest du so dem Hohenpriester“, gab Er zur Antwort: „Wenn ich übel geredet habe, so gib Zeugnis von dem Übel; wenn aber recht, was schlägst du mich?“ (Joh 18,22-23). Er sagte nicht wie Paulus: „Ich wusste nicht.“ Bleibt man unter der Führung des Geistes Gottes, so wird man in jeder Hinsicht in der Wahrheit geleitet. Die Unvollkommenheiten der Männer Gottes heben die Vortrefflichkeiten des Herrn Jesus, des vollkommenen Vorbildes, nur umso mehr hervor.

Verse 6-10

„Da Paulus aber wusste, dass der eine Teil von den Sadduzäern, der andere aber von den Pharisäern war, rief er in dem Synedrium: Brüder, ich bin ein Pharisäer, ein Sohn von Pharisäern; wegen der Hoffnung und Auferstehung der Toten werde ich gerichtet.“ Gewiss, diese Worte entsprachen der Wahrheit. Doch man ist erstaunt, dass er aus der Zusammensetzung des Synedriums Nutzen zog und eine Spaltung verursachte: Er stellte sich als Pharisäer vor, der für eine Sache vor Gericht gezogen wurde, die die Pharisäer festhielten. Hatte er nicht, wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, alles, was ihm dem Fleisch nach Gewinn war, also auch sein Pharisäertum, für Verlust geachtet? Das Ergebnis seiner Diplomatie waren ein Zwiespalt und ein großes Geschrei. Die Pharisäer schienen ihn zu verteidigen, denn sie sagten: „Wir finden an diesem Menschen nichts Böses; wenn aber ein Geist oder ein Engel zu ihm geredet hat ...“ Das Ganze endete in einem großen Tumult. Da der Oberste fürchtete, „Paulus könnte von ihnen zerrissen werden“, ließ er ihn aus ihrer Mitte wegreißen und in das Lager führen.

Vers 11

„In der folgenden Nacht aber stand der Herr bei ihm und sprach: Sei guten Mutes! denn wie du von mir in Jerusalem gezeugt hast, so musst du auch in Rom zeugen.“ Derselbe Herr, der einst auf dem sturmgepeitschten See zu seinen schwachen Jüngern gesagt hatte: „Seid gutes Mutes, ich bin's; fürchtet euch nicht“, wusste, dass jetzt sein treuer Diener in gleicher Weise eine Ermunterung nötig hatte. Wie viele Gedanken werden Paulus beschätigt haben, Und der Feind verpasste bestimmt nicht, ihm vorzuhalten, dass er sich selbst in diese Lage gebracht habe. Der Herr, der Grund gehabt hätte, ihm Vorwürfe zu machen, kam und ermunterte ihn! Er rechnete ihm das Zeugnis an, das er jetzt in Jerusalem abgelegt hatte, obwohl er ja gar nicht in diese Stadt hätte kommen sollen. Er war hier ein Zeugnis für den Herrn und dem, was Ihn betraf. Er hatte sich nicht auf Kosten der Treue zum Herrn geschont, wie wir es so leicht tun. Vielmehr sagte der Apostel zu denen, die ihn zurückhalten wollten: „Ich bin bereit, nicht nur gebunden zu werden, sondern auch in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus zu sterben.“ Er hatte auch erklärt: „Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben als teuer für mich selbst, damit ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes“ (Apg 21,13; 20,24). Es mochte ihm klar geworden sein, dass die Erfüllung dieses Dienstes durch die Tatsache, dass er hierher kam, um sich in Jerusalem gefangen nehmen und den Nationen überliefern zu lassen, ernstlich gefährdet worden war. Aber der Herr kam, um ihn zu ermuntern und ihm zu versichern, dass er nach Rom kommen würde. Am Ende seines Laufes konnte er in Rom sagen: „Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Predigt vollbracht würde“ (2. Tim 4,17). Gott hat sich der Gefangenschaft des Paulus bedient, um uns seine Briefe zu geben, die der Versammlung während der Zeit ihres Aufenthaltes auf der Erde dienen sollten. So schrieb er den Philippern: „Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder, dass meine Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind“ (Phil 1,12).

Verse 12-35

Neben dem Wirken des Herrn sehen wir das Tun des Menschen unter der Macht Satans. Mehr als vierzig Juden verfluchten sich und wollten nicht essen und nicht trinken, bevor sie Paulus getötet hätten. Um diesen verbrecherischen Plan auszuführen, machten sie die Hohenpriester und die Ältesten zu Mitwissern und baten sie, den Obersten zu veranlassen, Paulus zu ihnen herabführen zu lassen, als wollten sie seine Sache genauer entscheiden. „Wir aber sind bereit, ehe er nahe kommt, ihn umzubringen“, fügten sie hinzu. Gott führte es, dass der Apostel durch einen Neffen von diesem Anschlag Kenntnis erhielt. Sofort sandte Paulus ihn zum Obersten. Dieser empfing den jungen Mann und ordnete sofort an, dass zweihundert Soldaten, siebzig Reiter und zweihundert Lanzenträger bereitgemacht würden, um Paulus in der dritten Stunde der Nacht nach Cäsarea zu bringen. Er schrieb an den Landpfleger Felix einen Brief, worin er ihm mitteilte, warum er diesen Gefangenen zu ihm sandte; er habe ihn der Wut der Juden entrissen, aber nichts an ihm gefunden, das des Todes oder der Fesseln wert wäre; es handle sich nur um Streitfragen ihres Gesetzes.

Es ist interessant, festzustellen, dass Gott in allem, was Paulus betraf, die Hand im Spiel hatte. Die Lage, in der sich das Zeugnis und im Besonderen der Apostel Paulus befand, war nicht mehr die gleiche wie am Anfang, als Gott noch in Macht dazwischen trat. Petrus wurde in der Nacht vor der geplanten Hinrichtung durch einen Engel aus der Hand des Herodes befreit (Kap. 12). In Philippi wurden die Grundfesten des Gefängnisses erschüttert, die Türen geöffnet und die Fesseln der Gefangenen gelöst (Apg 16). Hier ist alles indirekter: Gott ist hinter der Szene verborgen, aber seine Hand leitet dennoch in göttlicher Weise alle Umstände zugunsten seines Dieners und seines Werks. Die gleiche Macht und die gleiche Liebe waren noch in Tätigkeit, handelten aber mehr in indirekter Weise. Die Geschicklichkeit von Paulus, mit der er im Synedrium einen Zwiespalt hervorrief, war die Veranlassung, dass der Apostel in Sicherheit gebracht wurde. Gott fügte es, dass der Neffe von Paulus von der Verschwörung erfuhr, den Onkel besuchen durfte, von dem Obersten väterlich empfangen und bei der Hand genommen wurde. Der die Herzen der Könige zu allem, was Ihm wohlgefällig ist, wie Wasserbäche leiten kann, ließ den Obersten alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen treffen, um Paulus der Wut der Juden zu entreißen. Er ließ eine ganze Armee aufbieten, um ihn nach Cäsarea zu eskortieren. Gottes Gnade ist wunderbar! Für uns, die wir heute in einem Zustand von großer und selbstverschuldeter Schwachheit sind, ist es interessant, das festzustellen. Wenn Gott unserer Schwachheit wegen nicht mehr unmittelbar zugunsten der Seinen und seines Zeugnisses eingreift, so herrscht Er doch über allem und leitet alles, was sie betrifft mit der gleichen, unveränderlichen Liebe.

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