Die ersten Jahrzehnte des Christentums
Kommentar zur Apostelgeschichte

Kapitel 24

Die ersten Jahrzehnte des Christentums

Verse 1-21

„Nach fünf Tagen aber kam der Hohepriester Ananias mit einigen Ältesten und einem gewissen Redner Tertullus herab, und sie erstatten bei dem Landpfleger Anzeige gegen Paulus“. Der Mensch sucht durch schöne Reden die Wahrheit zu verfälschen und schmeichelt den Hörern, wenn er eine faule Sache durchbringen will. Aus diesem Grund stellten die Juden den Redner Tertullus voran. Wie es scheint war aber Felix der Schmeichelei nicht sehr zugänglich und die von den Juden vorgebrachte Anklage konnte ihn nicht überzeugen. Er kannte ihre Gefühle den Römern gegenüber. Das einfache und klare Zeugnis von Paulus machte ihm mehr Eindruck.

Sie stellten Paulus als eine Pest dar, als einen Mann, der unter allen Juden, die auf dem Erdkreis sind, Aufruhr errege. Er sei ein Anführer der Sekte der Nazaräer und ein Tempelschänder. Von allen diesen Anklagepunkten war es wohl nur die Aufstachelung des Volkes zum Aufruhr, was den Landpfleger interessieren konnte. Das übrige waren, wie Klaudius Lysias sagte, für ihn nur „Streitfragen ihres Gesetzes“. Paulus tat an dem Tag, an dem die Juden Hand an ihn legten, nichts Unrechtes. Die Behauptung, er habe Heiden in den Tempel eingeführt, war falsch. Die Juden hatten diesen Schluss gezogen, weil sie Trophimus mit ihm in der Stadt gesehen hatten.

Nach Anhörung der Anklage der Juden gab der Landpfleger dem Paulus die Möglichkeit, zu reden. Felix war einigermaßen mit den jüdischen Bräuchen vertraut, so dass Paulus Freimütigkeit hatte, sich vor ihm unter Bezugnahme auf das Gesetz und die Propheten zu verteidigen. Er beschränkte sich auf die Tatsachen, die zu seiner Verhaftung geführt hatten. Es war Felix bekannt, dass kaum zwölf Tage vergangen waren, seit Paulus nach Jerusalem hinaufgegangen war, um anzubeten. Die Juden konnten ihm daraus keinen Vorwurf machen. Dagegen war es nicht in Übereinstimmung mit dem, was der Herr in Bezug auf die Anbetung zu der Samariterin gesagt hatte (Joh 4,21-23). Sein Verhalten im Tempel gab jedoch keinen Anlass zu einer berechtigten Anklage. Die Dinge, die sie gegen ihn vorbrachten, waren unbegründet.

Wenn es sich um den christlichen Weg handelte, den sie eine Sekte nannten, war der Apostel bereit, die nötigen Erläuterungen zu geben. Er sagte:

„Aber dies bekenne ich dir, dass ich nach dem Weg, den sie eine Sekte nennen, so dem Gott meiner Väter diene, indem ich allem glaube, was in dem Gesetz und in den Propheten geschrieben steht, und die Hoffnung zu Gott habe, die auch selbst diese erwarten, dass eine Auferstehung sein wird, sowohl der Gerechten als der Ungerechten.“ Der große Gegenstand des Gesetzes und der Propheten ist Christus. Durch Ihn werden alle Verheißungen Gottes an sein irdisches Volk erfüllt werden. Zu diesem Zweck ist der Christus erschienen, aber Er wurde verworfen. Infolge dieser Verwerfung wurde das Christentum eingeführt, an dessen Segnungen auch die Menschen aus den Nationen teilhaben. Aber gerade diese Tatsache erregte den leidenschaftlichen Hass der Juden gegen Paulus und die Christen. Sie nannten sie „Nazaräer“ wie ihren Meister und hatten für sie dieselbe Verachtung wie für ihren Herrn bezüglich dessen einer gefragt hatte: „Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ (Joh 1,46).

Paulus sagte von den Juden, es sei auch ihre Hoffnung zu Gott, dass eine Auferstehung sein werde, sowohl der Gerechten als der Ungerechten. Wenn auch der Messias verworfen worden ist, so werden sich die Verheißungen in der Auferstehung der Nation und in der leiblichen Auferstehung erfüllen, wie die Propheten es vorausgesagt haben (in Bezug auf die Auferstehung der Nation: Jesaja 26,19; Hesekiel 37; Daniel 12,2-3; Hosea 6,1-3; in Bezug auf die Auferstehung des Leibes: Jesaja 25,8; Hosea 13,4; wie auch die ganze Belehrung des Neuen Testamentes über diese Tatsache). Aber von welchem Gesichtspunkt aus man auch die Auferstehung betrachten mag - sie ist für die Ungerechten der Auftakt zum Gericht Gottes. Diese Wahrheit musste das Gewissen der Zuhörer des Apostels treffen, besonders derer, die sich - nach seinen Worten - zu dieser Hoffnung bekannten: „Die Hoffnung zu Gott..., die auch selbst diese erwarten. Hatten sie tatsächlich die gleiche Hoffnung wie der Apostel? Warum wollten sie ihn dann umbringen? Für den Apostel war diese Hoffnung eine der christlichen Wahrheiten.

Weil es eine Auferstehung der Gerechten und der Ungerechten gibt, bemühte sich der Apostel auch „allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen“. Dass der Apostel wiederholt das Wörtchen „auch“ verwendete (Verse 15 und 16), weist darauf hin, dass er die Juden trotz ihres traurigen Zustandes immer noch in ihren Vorrechten und ihrer Verantwortlichkeit betrachtete: Auch sie hegten die Hoffnung zu Gott. Auch sie mussten für sich die Notwendigkeit erkennen, ein gutes Gewissen zu haben, da sie ja an eine Auferstehung der Gerechten und der Ungerechten glaubten. Da sie sich zum Judentum bekannten, hätte dies ihre innere Haltung sein sollen. Der Apostel sagte später: „Ich stehe vor Gericht wegen der Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter ergangene Verheißung, zu der unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft“ (Apg 26,6-7).

Nun legte Paulus die Tatsachen dar, wie sie sich wirklich zugetragen hatten (Verse 17-21). „Nach mehreren Jahren aber kam ich her, um Almosen für meine Nation und Opfer darzubringen“, sagte er. Im Anschluss an seine Tätigkeit unter den Nationen war er gekommen, um die Gaben der Versammlungen von Mazedonien und von Achaja nach Jerusalem zu bringen (siehe 2. Kor 8 und 9; Röm 15,25-33). In den Worten von Vers 17 scheint er die Versammlung in die Nation einzuschließen, zu der er gekommen war, um Almosen und Opfer zu bringen. Er nimmt hier auf die im 21. Kapitel beschriebenen Ereignisse Bezug, wo die Juden aus Asien die Volksmenge gegen ihn erregten, obwohl er sich ruhig verhalten und keinerlei Anlass zu Auflauf oder Tumult gegeben hatte. Diese Juden hätten hier anwesend sein sollen, um ihn anzuklagen, wenn sie an jenem Tag irgendwelche Ungerechtigkeit an ihm gefunden hätten. Er bedauerte nur den Ausruf: „Wegen der Auferstehung der Toten werde ich heute von euch gerichtet.“ Der Apostel fühlte wohl, dass er nicht zu diesem Mittel hätte greifen sollen, um unter den Versammelten einen Zwiespalt zu erregen. Aber das war es ja nicht, was man ihm vorwarf.

Verse 22-27

Felix vertagte die Verhandlungen bis zum Eintreffen Lysias, des Obersten. Felix besaß genauere Kenntnis des Weges, denn seine Frau war Jüdin, und das Christentum verbreitete sich immer mehr unter den Heiden. Es scheint, dass er von Paulus mehr davon zu hören wünschte. Er erkannte, dass an den Dingen, deren Paulus beschuldigt wurde, nichts Ernstes war und ordnete an, dass er zwar verwahrt werden sollte, dabei aber einige Freiheiten genießen durfte. Es sollte keinem verwehrt werden, ihm zu dienen (Cäsarea war der Wohnsitz von Philippus dem Evangelisten). In der ganzen Szene lenkte der Herr die Dinge zugunsten seines geliebten Dieners.

Einige Tage später kam Felix mit Drusilla, seiner Frau, herbei und ließ Paulus holen „und hörte ihn über den Glauben an Christus“. Jetzt befand sich der Apostel nicht mehr vor den Juden, dessen Gewissen er erreichen wollte, indem er sie an ihr Bekenntnis erinnerte, dass auch sie auf Gott hofften. Zu diesem Heiden und seiner jüdischen Frau redete er von Christus und breitete die ganze Wahrheit vor ihnen aus, die sie dazu führen konnte, den Heiland der Juden und der Nationen anzunehmen. Er redete über Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und das kommende Gericht. Als Felix dies hörte, sagte er voller Furcht: „Für jetzt geh hin; wenn ich aber gelegene Zeit habe, werde ich dich rufen lassen.“ Es ist begreiflich, dass angesichts der Wahrheit von der praktischen Gerechtigkeit, der Enthaltsamkeit und des kommenden Gerichts den Landpfleger Furcht befiel. Das waren alles Dinge, um die er sich als Heide nicht gekümmert hatte. Wäre Felix von der Botschaft tatsächlich aufgeschreckt worden, hätte er sich beeilt, mehr zu erfahren. So hätte Paulus ihm die Gnade Gottes anbieten können, die zur Tilgung der Schuld des Sünders nötig ist. Aber stattdessen wollte er sein Gewissen zum Schweigen bringen und sich von dem unbequemen Licht entfernen. Er verwies Paulus auf eine gelegenere Zeit, die sich wahrscheinlich nie gefunden hat.

Die Grenze der Geduld Gottes, in der Er den Menschen warnt und einlädt, kann eines Tages überschritten werden. Wie viele Menschen gehen verloren, weil sie sich diese Warnungen nicht zu Herzen nehmen! Und wie viele Christen haben ein verfehltes Leben, weil sie im gegebenen Zeitpunkt mit dieser oder jener Sünde nicht entschieden gebrochen und einen Weg eingeschlagen haben, auf dem sie sich innerlich von Gott entfernten!

So gibt es auch eine Zeit, um die Wahrheit zu erkennen und darin befestigt zu werden. Zu einem gewissen Zeitpunkt wird uns das Licht gegeben. Benutzen wir es nicht, wird es uns wieder verloren gehen. Das ist es, was der Christenheit als Gesamtheit nach der Ankunft des Herrn widerfahren wird.

Trotz der Furcht, die Felix bei seiner Zusammenkunft mit Paulus befallen hatte, unterhielt er sich des Öfteren mit ihm. Aber seine Geldliebe verhinderte, dass sein Gewissen von der Wahrheit getroffen werden konnte. Wenn er den Apostel zu sich kommen ließ, geschah es nur in der Hoffnung, Geld zu bekommen. Er wollte die Gunst der Juden - um die er sich nicht gekümmert hätte, wenn ihm von Paulus Geld gegeben worden wäre - gewinnen und ließ Paulus zwei Jahre lang im Gefängnis, bis Felix durch Porzius Festus abgelöst wurde. Von diesen zwei Jahren sagt der inspirierte Bericht nichts Näheres. Gewiss war diese Zeit dem Apostel nützlich. Er wurde für das Zeugnis und den Dienst in Rom zubereitet.

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