Botschafter des Heils in Christo 1886

Wie kann ich den Willen Gottes kennen?

viele möchten gern ein angenehmes und bequemes Mittel wissen, wie man den Willen Gottes kennen kann, ungefähr so wie man ein Rezept für irgendetwas empfängt. Aber es gibt kein Mittel, das nicht in unmittelbarer Beziehung zu dem Zustand unserer Seele stände. Ferner fragen wir oft nach dem Willen Gottes und nach seiner Leitung in Umständen, in welchen wir uns nicht befinden würden, wenn wir seinem Willen gefolgt wären. Wäre unser Gewissen wirklich in einer gesunden Tätigkeit, so würde die erste Wirkung die sein, uns aus diesen Umständen herauszuführen. Unser eigener Wille hat uns in dieselben gebracht, und nichtsdestoweniger möchten wir gern den Trost der Leitung Gottes genießen auf einem Pfad, den wir uns selbst erwählt haben. Das ist sehr häufig der Fall.

Wir dürfen versichert sein, dass es uns nicht schwerfallen wird, den Willen Gottes zu erkennen, wenn wir Ihm nahe genug sind. In einem langen und tätigen Leben mag es vorkommen, dass Gott in seiner Liebe uns nicht immer sogleich seinen Willen offenbart, damit wir unsere Abhängigkeit von Ihm fühlen, besonders dann, wenn jemand eine besondere Neigung hat, nach seinem eignen Willen zu handeln. Allein „wenn dem Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Daraus folgt, dass dann, wenn der Leib nicht licht ist, das Auge der Einfalt entbehrt. Vielleicht wird man sagen: „Das ist ein schlechter Trost.“ Aber ich antworte: Es ist ein reicher Trost für alle diejenigen, deren einziges Begehren es ist, ein einfältiges Auge zu haben und mit Gott zu wandeln; allerdings nicht für solche, welche gern jeder Mühe, seinen Willen kennen zu lernen, entgehen möchten. „Wenn jemand am Tag wandelt, so stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt steht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, so stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist“ (Joh 11,9–10). Der Grundsatz bleibt immer derselbe. „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Man kann sich diesem moralischen Gesetz des Christentums nicht entziehen. Deshalb bittet der Apostel in Kolosser 1,9–10: „dass ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis seines Willens, in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um zu wandeln würdig des Herrn, zu allem Wohlgefallen, in allem guten Werk fruchtbringend, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes.“ Die gegenseitige Verbindung dieser Dinge ist von unermesslicher Wichtigkeit für die Seele. Wenn jemand in einer Weise wandeln will, die des Herrn würdig ist, so muss er Ihn genau kennen; und wiederum wachsen wir auf diesem Weg in der Erkenntnis des Willens Gottes. „Und um dieses bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht, damit ihr prüft, was das Vorzüglichere sei, auf dass ihr lauter und unanstößig seid auf den Tag Christi“ (Phil 1,9–10). Endlich steht geschrieben, dass der geistliche Mensch „alle Dinge beurteilt; er selbst aber wird von niemandem beurteilt.“

Wir werden daher nur fähig sein, den Willen Gottes, diesen kostbaren Willen, zu unterscheiden, je nachdem unser geistlicher Zustand ein guter ist. Was wir zu tun haben, ist, uns nahe bei Ihm zu halten. Gott würde nicht gütig gegen uns sein, wenn Er uns erlaubte, seinen Willen ohne das zu erkennen. Wer daher sucht, diesen Willen in einer geringeren oder größeren Entfernung von Gott zu verstehen, der sucht in einer verkehrten, bösen Weise; und leider ist es gerade dies, was wir so viel und oft tun.

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