Botschafter des Heils in Christo 1886

Noah - Teil 2/4

Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf den Charakter der Tage Noahs in Bezug auf die Verwaltung der Zeiten. Infolge des Abfalls Adams war die Erde nicht mehr der Schauplatz der Wonne Gottes, noch die Heimat seines Volkes, und während all der Tage vor der Flut waren die Hoffnungen und das Erbteil der Heiligen himmlisch. Zugleich enthüllte Gott ein gewisses Maß der großen Geheimnisse seines Herzens und seines Wohlgefallens, die Er sich vorgesetzt hatte in sich selbst vor Grundlegung der Welt. Die Himmel wurden dem Menschen geöffnet, als Adam, der Mensch der Erde, fiel. 1

Aber obgleich der Himmel geöffnet war, hatte Gott deshalb doch nicht mit der Erde abgeschlossen. Der Ratschluss Gottes war: „alles unter ein Haupt zusammen zu bringen in dem Christus, das, was in den Himmeln und das, was auf der Erde ist.“ Und da diese himmlische Berufung schon in der Geschichte der Heiligen vor der Flut offenbart worden war, so war jetzt die Zeit gekommen, Gottes großen Vorsatz betreffs der Erde zu enthüllen und zu zeigen, dass Er dieselbe in Bezug auf die Verwaltung der Zeiten keineswegs aufgegeben habe, obgleich Er die Himmel geöffnet hatte.

So sehen wir in Offenbarung 4, nachdem die himmlischen Heiligen, „die Vollzahl der Nationen“, die geheimnisvollen Ältesten und die lebendigen Wesen ihre himmlischen Plätze eingenommen haben, wie die Gedanken dessen, der auf dem Thron sitzt, zu der Erde zurückkehren. Der Regenbogen wird auf einmal rings um den Thron gesehen – ein Zeichen, dass der Bund, der der Erde ihre Sicherheit gibt, die Quelle der bevorstehenden Handlungen im Himmel sein würde. Ebenso war es in den Tagen Noahs. Als die himmlische Familie ihren Lauf beendet hatte und Henoch aufgenommen worden war, kehrten die Gedanken des Herrn zu der Erde zurück; denn das nächste charakteristische Merkmal der Wege Gottes ist die Prophezeiung Lamechs, durch welche die Gnade Gottes der Erde wieder zugesichert und Noah eingeführt wird: „Dieser (Noah) wird uns trösten über unser Tun und über die Mühsal unserer Hände wegen des Erdbodens, den Jehova verflucht hat.“

Dies alles ist so einfach, dass es kaum missverstanden werden kann. Die Prophezeiung Lamechs sagt uns, was wir vorbildlich in Noah zu erwarten haben und auch finden. Wir erfahren durch dieselbe, dass die Erde wiederhergestellt werden soll, dass Gott aufs Neue in ihr seine Ruhe und sein Wohlgefallen finden, und dass der Mensch auf ihr einen glücklichen und heiligen Aufenthalt haben wird. Die völlige Verwirklichung von diesem allen wird allerdings erst in den kommenden Zeitaltern des wahren Noah, in dem allein alle Verheißungen Gottes Ja und Amen sind, ans Licht treten.

jene Zeiten mussten indessen durch eine große Handlung eingeleitet werden. Die Berufung des himmlischen Volkes war jetzt eine ganz andere, wie bei den vorsintflutlichen Heiligen. Diese hatten nichts mit dem sie umgebenden Schauplatz zu tun gehabt; Kains Familie war in dem ruhigen, ungestörten Besitz ihrer Städte und Reichtümer gelassen worden. Gott war nur beschäftigt gewesen, ein Volk abzusondern, ohne zum Ordnen und Richten der Welt zu schreiten; Er ließ sie, wie Er sie fand. Aber sobald Gott sich vornimmt, seine Ansprüche an die Erde wieder geltend zu machen, beschäftigt Er sich sorgfältig mit allem; denn nur durch Gericht kann die Erde wieder gereinigt und für seinen Fußschemel paffend gemacht werden.

Diese Wahrheit bezüglich der Verwaltung der Zeiten wird uns hier vorbildlich gelehrt. Gott gedachte der Erde und sing an, sich wieder mit ihr zu beschäftigen, aber durch reinigende Gerichte. Auf alles wurde das Urteil des Todes geschrieben, damit es als etwas Neues in der Kraft und Gnade dessen dastehen sollte, der die Toten wieder ins Dasein ruft. Die Erde selbst war im Wasser oder unter dem Wasser, und der auserwählte Überrest wurde – wie in den später angeordneten Zufluchtsstädten im Land Kanaan – vor der Hand des Rächers gerettet; und dann erscheint alles aufs Neue, wie in der Auferstehung.

Vierfüßige und kriechende Tiere und Geflügel, einige von jeder Art, gingen mit in die Arche; dort waren die Erlösten geborgen vor jeder Furcht und jedem Unheil. Ja, sie waren mehr als sicher, es wurde ihrer gedacht – „Gott gedachte des Noah und alles Getiers und alles Viehes, das mit ihm in der Arche war.“

So wird auch bei einem anderen auserwählten Überrest in späteren Tagen vor demselben Bundes Gott, der jetzt an Noah gedachte, „ein Gedenkbuch geschrieben sein für die, so Jehova fürchten und die an seinen Namen gedenken“ (Mal 3,16). Und kraft dieses Bundesgedächtnisses ließ Gott einen Wind über die Erde fahren; die Wasser sanken, und die Arche ruhte auf dem Gebirge Ararat. Dieses Gedenken Gottes war köstlich für Noah; es war der verborgene Trost des Glaubens. Indessen gab es für ihn in seinem Zufluchtsort auch gesegnete Übungen des Geistes. Die Arche besaß ein Fenster. Die Tür wurde von dem Herrn verwahrt, aber das Fenster war für den Gebrauch Noahs bestimmt. Der, welcher ihn eingeschlossen hatte, konnte auch allein ihn wieder hinauslassen; die passende Zeit dafür stand in seiner Hand. Aber obgleich die Zeit seiner Pilgerschaft nicht abgekürzt werden konnte, so wurde doch die Hoffnung in ihm genährt und sein Geist auf eine gesegnete Weise geübt. Noah konnte das Fenster öffnen, hinaussehen und seine Boten aussenden, damit sie ihm über den Zustand der Erde Nachricht brächten.

Welcher Schönheit und Weisheit begegnen wir in diesem allen! Gott belehrt uns durch diese Erzählungen aus den frühesten Zeiten in vorbildlicher und symbolischer Weise und teilt uns so die Geheimnisse des Evangeliums, die Erfahrungen der Seele und die persönliche Wirksamkeit des Geistes mit. Die großen Wahrheiten werden auf diese Weise unseren Herzen tief eingeprägt. Das ganze erste Buch Mose ist voll von solchen Bildern. Hier drückt die Sendung des Raben und der Taube die Erfahrung des Heiligen aus in der entgegengesetzten Wirksamkeit des Fleisches und des Geistes, die in ihm streiten. Der Rabe kehrt nicht zurück; die Erde mag noch ungereinigt sein, aber die unreine Natur kann sich da aufhalten. Die „gegenwärtige böse Welt“ wird dem gefallenen, entehrten Menschen genügen. In der Tat, die Arche war für den unreinen Raben mehr ein Ort der Gefangenschaft, als der Sicherheit; er kehrt nie wieder dahin zurück, nachdem er einmal entschlüpft ist. Aber Noah traut ihm nicht. Der Rabe mag draußen bleiben, aber das ist noch kein Beweis für Noah, dass die Erde rein ist. Er sendet ihm daher einen reinen Vogel nach, und die Nachricht, die dieser bringt, lautet anders. Die Taube kam zurück; für sie gab es keine Ruhe auf einem Boden, der noch unter dem Gericht Gottes stand und ungereinigt war. Und Noah, in dem Bewusstsein, dass er ihr trauen kann, sendet sie zum zweiten und dritten Male aus. Er kann sich auf sie verlassen, denn sie hat nur an den Pfändern des Friedens und der neuen Schöpfung Gefallen; bei ihrer Zweiten Rückkehr trägt sie ein Ölblatt im Schnabel, und nach ihrer dritten Sendung kommt sie nicht wieder zurück.

Die Erde war jetzt von dem Fluch befreit, und die Taube konnte sich an dem neuen Zustand der Schöpfung erfreuen. Noah versteht das Ausbleiben dieses reinen Geschöpfs; er nimmt gleich die Decke von der Arche ab und sieht sich um, und der Gott der Herrlichkeit führt ihn hinaus, wie vorher der Gott aller Gnade hinter ihm zugeschlossen hatte. Die ganze Handlung ist sehr bezeichnend und ausdrucksvoll.

Noahs Herz war durch keine Zweifel beunruhigt worden; er hatte sich nicht damit beschäftigt, die Balken der Arche zu betrachten, ob sie auch imstande wären, die Wasser abzuhalten – er zweifelte keineswegs daran. Und durch ein gleiches Vertrauen wird Jesus verherrlicht in Bezug auf die Sicherheit, die Er dem Sünder gibt. Noah traute völlig auf die Seetüchtigkeit seines Fahrzeugs, weil Gott es angeordnet, ja, ich möchte fast sagen, weil Gott es gebaut hatte. Der Glaube gab seinem Herzen Ruhe und Sicherheit gegenüber dem Gericht; zugleich war es erfüllt mit der Hoffnung der kommenden Herrlichkeit.

Das ist die herrliche Stellung dieses „Gefangenen der Hoffnung.“ Ein Gefangener der Hoffnung ist einer von den Titeln, die der Geist allen Heiligen Gottes gibt (vgl. Sach 9,12). Jeremia war ein solcher; „er war im Hof des Gewahrsams eingesperrt, der im Haus des Königs von Juda war“, und zwar um Christi willen. Zu ihm wurde gesagt, dass er das Feld Hanameels kaufen solle (Jer 32,7), und das war Nahrung für seine Hoffnung, wie das Ölblatt in dem Schnabel der Taube; denn es zeigte dem Propheten, dass gute Tage kommen sollten, obgleich er in jenem Augenblick im Gefängnis saß, das Heer der Chaldäer vor den Toren der Stadt lag und das ganze Land verwüstet war. Die Wasser umgaben ihn so zu sagen überall, aber die Arche des Propheten besaß, wie die des Patriarchen, ein Fenster.

Gerade so verhielt es sich auch mit Israel in der Passahnacht. Die Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand und die Lenden gegürtet, so warteten die Israeliten inmitten der Gerichte des Herrn; aber wie unser Patriarch, so warteten auch sie nur darauf, auszuziehen in das Erbe des Herrn. Und Jesus, der in allen Dingen den Vorrang hat, zeigt uns immer aufs Neue den vollkommenen Weg eines Gefangenen der Hoffnung, der auf die Auferstehung seinen Blick richtet. So z. B. in Johannes 12; als Er nach Jerusalem kam und die jüdische Volksmenge und die heidnischen Fremden Ihn zu sehen wünschten, als es den Anschein hatte, als ob die ganze Würde und Freude des Sohnes Davids seiner warteten, harrte sein Herz doch auf die Hoffnung der Auferstehung, auf die „vor Ihm liegende Freude“; und mit dieser Erwartung beschäftigt, sprach Er von dem Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt. Mit Ausharren und Verlangen ruhte sein Auge auf der Herrlichkeit, die nicht in jener Stunde, sondern jenseits derselben lag. In völliger Hingebung und Aufopferung übergab Er sich völlig dem Willen des Vaters, und die Stimme aus dem Himmel antwortete Ihm mit der Versicherung, dass für die Verherrlichung des Namens des Vaters zu seiner Zeit gesorgt werden würde.

Unvergleichlicher Jesus! – diese Stimme aus dem Himmel war köstliche Nahrung für den Gefangenen der Hoffnung, ebenso wie die Verwandlung auf dem heiligen Berge. Jesus hatte mit seinen Jüngern über seinen Tod gesprochen und sie ermuntert, nicht ihr Leben in dieser Welt zu lieben, und wenige Tage nachher strahlte der heilige Berg plötzlich in dem Licht der Auferstehung oder der tausendjährigen Herrlichkeit. Und was war das Erscheinen dieser Herrlichkeit anders, als die Trauben von Eskol, die aus Kanaan in das Lager Gottes in der Wüste gebracht wurden, oder als die Rückkehr der Taube zu Noah, mit dem Ölblatt in ihrem Mund?

Doch die Zeit kommt, „dem Gefangenen der Hoffnung Zwiefältiges wiederzugeben“ (Sach 9,12). „Und Gott redete zu Noah und sprach: Gehe aus der Arche, du und dein Weib und deine Söhne und die Weiber deiner Söhne mit dir. Alles Getier, das bei dir ist, von allem Fleisch, an Gevögel und Vieh und an allem Gewürm, das sich regt auf Erden, lass hinausgehen mit dir.“ – Und Noah ging hinaus; er landete auf der erneuerten Erde, wo in jenem Augenblick alles wieder in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes war; nicht mehr verdorben, wie damals, als er in ihrem alten Zustand auf ihr umherging, sondern rein infolge der Reinigung durch das Gericht.

Alles, was dreizehn Monate vorher in die Arche gegangen war, kam jetzt wieder aus derselben hervor. Klein und groß war darin gewesen, und das Kleine war so sicher wie das Große, das Gewürm war so frei von aller Gefahr wie Noah selbst. Kostbare Wahrheit! Wir mögen klein sein, und wir sind es, wie unser Herz wohl weiß, aber der Himmel oder die kommende Herrlichkeit ist, wie die Arche, dafür eingerichtet, die Kleinen sowohl wie die Großen aufzunehmen. „Eine Stimme kam aus dem Thron hervor, welche sagte: Lobt unseren Gott, alle seine Knechte, und die ihr Ihn fürchtet, die Kleinen und die Großen!“ (Off 19,5) Wir können ruhig sein, obgleich wir wissen, dass wir in jeder Hinsicht klein sind, gerade wie das Gewürm, das mit Noah hineinging; denn dieses Kleine war gleichfalls in den Bund eingeschlossen, der alles und jedes in seiner Art und nach seinem Maß zu Erben der neuen Welt machte. Das Haus des Vaters droben ist sicher diesem Unterschied von Klein und Groß entsprechend eingerichtet. Clemens und andere Arbeiter waren kein Paulus, in Betreff des Maßes ihrer Arbeit oder der Energie des Geistes, aber ihre Namen waren im Buch des Lebens, so gut wie derjenige des Paulus (Phil 4,3). Der Vater hat sein Haus in den Himmeln zu dem Zweck gebaut, die Heiligen eben sowohl, wie Jesus selbst darin aufzunehmen. Das ist ein Teil der ursprünglichen Bestimmung; vor Grundlegung der Welt war dieser Plan festgesetzt. In den Ratschlüssen der ewigen Liebe war beschlossen, dass dieses Haus ein großes, mit vielen Wohnungen sein sollte, damit alle Kinder darin Platz finden möchten.

Was sollen wir sagen, Geliebte? Entsprechen unsere Gedanken hierüber der Liebe Gottes? Ebenso gut könnten wir sagen, dass unsere Ansicht von dem höchsten Berge der Schöpfung Gottes entspräche. Unser Blick kann nicht den zehntausendsten Teil der Erde erfassen, wie viel weniger „die Breite und Länge und Tiefe und Höhe – die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus!“ (Fortsetzung folgt)

Fußnoten

  • 1 Vergleiche die Betrachtung über „die Welt vor der Flut“ in Heft 3,4 und 5 des „Botschafters.“
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