Botschafter des Heils in Christo 1886

Der erste Sonntag

Es ist bemerkenswert, dass weder am Schluss des 19., noch am Anfang des 20. Kapitels des Tages Erwähnung geschieht, der zwischen dem Tag der Kreuzigung unseres hochgelobten Erlösers und demjenigen seiner Auferstehung liegt. Und doch war es der Sabbattag, der so wichtig war sowohl für die Juden, als auch für die Jünger und doppelt heilig diesmal, denn er fiel mit dem Passahfest zusammen; wie wir auch lesen: „der Tag jenes Sabbats war groß“ (Kap 19,31).

Die Juden hatten, als ängstliche Beobachter der Formen, woran sie selbst bei der Ermordung des Sohnes Gottes festhielten, in der Nacht vorher nicht das Prätorium betreten wollen, „auf dass sie sich nicht verunreinigten, sondern das Passah essen möchten“ (Kap 18,28). Dann am Abend, nachdem sie sich dessen entledigt hatten, der das Licht der Welt war, und den sie in Verbindung mit zwei Verbrechern gekreuzigt hatten, baten sie Pilatus, dass die Leiber nicht über den Sabbat, der um 6 Uhr abends begann, am Kreuz blieben. 1 Gern hätten sie es überhaupt vermieden, den Herrn während des Festes zu töten, nicht ihres Gewissens wegen, sondern damit es keinen Aufruhr gebe unter dem Volk (Mt 26,3–5); denn ohne Zweifel war aus verschiedenen Orten viel Volks zur Passahfeier zusammengeströmt. Doch die Obersten des Volkes vermochten ihre Absichten nicht auszuführen, denn sie mussten, ohne es zu wissen, Gottes Ratschlüsse vollbringen; und ach! niemand in dem Volk regte sich für Christus. Im Gegenteil forderte die ganze Volksmenge, geleitet durch ihre Obersten, dass Er gekreuzigt würde, und dass man ihnen Barabbas losgebe (Mk 15,11–14).

Der Heiland verbrachte also diesen hohen Sabbattag im Grab, und das Wort Gottes tut des Tages in Bezug auf Ihn keine Erwähnung. Wie drückt dieser Umstand der Verwerfung der Juden, für welche der Sabbat das Bundeszeichen mit Gott war, das Siegel auf! Der Tod Jesu war das Ende alles dessen, was vorhergegangen war, wie andererseits seine Auferstehung der Anfang einer neuen Ordnung der Dinge wurde. Im Blick auf den Augenblick, da der Herr Jesus mit einem lauten Schrei seinen Geist aufgab, hat jemand gesagt: „Alles war beendet; die Versöhnung – Gott gemäß vollkommen – das Wert der Erlösung, alle prophetischen Umstände, alles hatte in absoluter Weise seine Erfüllung gefunden, sowohl was den Menschen, als auch was Gott betraf. Dann übergibt Jesus mit einem lauten Schrei, der sowohl seine noch volle Kraft, als auch sein völliges Vertrauen zu seinem Vater bekundete, diesem seinen Geist gerade in dem Augenblick, wo der Tod seine ganzen Schrecken – die er aber hinfort, wenigstens für den Gläubigen, verlor – in ihrer vollsten Schwere fühlbar machte. Mit diesem Schrei, der (bis aufs Gericht) den Abschluss eines jeden menschlichen Verhältnisses mit Gott verkündete, sowie das Ende aller Mittel, die Gott anwenden konnte, um ein Verhältnis zwischen Ihm und den Kindern Adams wiederherzustellen, ist Jesus verschieden.“

Aber die Schrift erzählt uns auch von dem Begräbnis des Herrn Jesus. Paulus erwähnt es in 1. Korinther 15,3–4, und die Evangelien teilen uns Einzelheiten über diese Tatsache mit, die mit der Prophezeiung übereinstimmen. Die Erde sollte den Leib des Sohnes Gottes aufnehmen, aber sein Grab sollte bei den Reichen sein. „Man hat sein Grab gestellt bei Gesetzlosen, und bei einem Reichen ist Er gewesen in seinem Tod“ (Jes 53,9). Man hätte Ihn sicher in den öffentlichen Grabstätten beerdigt, die nach der jüdischen Sitte für die Verbrecher bestimmt waren, und in welche wahrscheinlich die Leiber der beiden Räuber geworfen wurden. Nachdem aber der Mensch seinen Hass völlig an Ihm ausgelassen, sorgte Gott für seinen Sohn, der Ihn bis in den Tod verherrlicht hatte. In diesem feierlichen Augenblick erscheint Joseph von Arimathäa, ein ehrbarer Ratsherr und ein guter und gerechter Mann, und er erhält von Pilatus die Erlaubnis, den Leib des Herrn abzunehmen. Ihm schließt sich Nikodemus an, und diese beiden Männer, die einen hohen Rang unter dem Volk bekleideten, aber bis dahin furchtsame Jünger gewesen waren, verschaffen dem Herrn ein ehrenvolles Grab. Indessen konnte, da der Sabbat nahe war, die Bestattung zunächst nur eine vorläufige sein. Dies lernen wir aus Johannes 19,42: „Dorthin nun wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.“ Auch treffen die Frauen, die den Herrn liebten, Anstalten, Ihn zu salben, wenn der Sabbat vorüber sein würde. Markus sagt uns: „Und als der Sabbat vergangen war, (d. i. nach sechs Uhr abends) kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Spezereien, auf dass sie kämen und Ihn salbten“ (Kap 16,1). Dasselbe wird uns in Lukas erzählt: „Es folgten aber Weiber nach, die mit Ihm aus Galiläa gekommen waren; sie besahen die Gruft und wie sein Leib hingelegt ward. Als sie aber zurückgekehrt, bereiteten sie Spezereien und Salben, und den Sabbat über ruhten sie nach dem Gebot“ (Kap 23,55–56).

Die Jünger hingen mit ganzem Herzen an der Person, des Herrn, hielten aber zu gleicher Zeit, als treue Juden, nach Herz und Gewissen fest an den Ordnungen des Gesetzes. Dies hinderte sie, das Begräbnis ihres geliebten Meisters gleich zu vollenden, was sie doch nach ihrer Liebe für Ihn gern getan hätten. Ein treuer Knecht des Herrn sagt von dem Begräbnis des Herrn Jesus: „In der unsichtbaren Welt war Jesus im Paradies; was aber diese Welt betrifft, so hatte Er hier nichts als ein unterbrochenes Begräbnis. Sünde, Tod, Satan, das Gericht Gottes hatten alles getan, was ein jedes von ihnen für sich hatte tun können: Sein irdisches Leben war vorüber und damit jegliche seiner Beziehungen zur Welt und zu dem Menschen, soweit er zu dieser Welt gehört. Der Tod herrschte äußerlich, selbst über den Sohn Gottes, und die ernsten Seelen, die davon Kenntnis hatten, waren bestürzt. Die Welt aber ging ihren Gang ruhig weiter; man beging das Passahfest mit seiner gewöhnlichen Feierlichkeit; Jerusalem war, was es auch vorher gewesen war. Man hatte sich zweier Räuber entledigt; was aus denselben geworden war, das kümmerte die menschliche Gesellschaft wenig; sie war von denselben befreit und zugleich von einem Dritten, der ihr unbequem gewesen war, weil Er sie zu viel ins Licht gestellt hatte. Der äußere Schein entspricht jedoch nicht immer der Wirklichkeit. Einer der Räuber war mit Christus im Paradies, der Andere für ewig fern von aller Hoffnung, während der Dritte in der ganzen Ruhe der vollkommenen Seligkeit, im Schoß der Gottheit war. Und was die Welt betrifft, so hatte sie ihren Heiland verloren und sollte Ihn nicht wiedersehen.“ Als die Jünger das Gebot erfüllt und den Sabbat gehalten hatten, beeilten sie sich, wenigstens die frommen Frauen, um beim Grauen des ersten Wochentages dem Leichnam ihres geliebten Herrn die volle Ehre zu erweisen, indem sie ihn salben und endgültig bestatten wollten. Sie kamen aber zu spät; die Macht und Gerechtigkeit, die Herrlichkeit und Liebe des Vaters waren ihnen zuvorgekommen und hatten Christus aus den Toten auferweckt. Welch ein wunderbar herrlicher Morgen! Er ist für die Erlösten der Anfang des ewigen Zeitalters.

Was den Sabbat anbelangt, so ist er das Ende, nicht der Anfang einer Sache. Gott hatte den siebenten Tag geheiligt, nachdem Er das Werk der Schöpfung vollendet hatte. Er ruhte an diesem Tag von all seinem Werk, das Er geschaffen hatte, es zu machen. Er ist ein Vorbild von dem herrlichen tausendjährigen Sabbat (Off 20) und von der ewigen Sabbatruhe des Volkes Gottes (Heb 4,9). Jedes Mal, wenn Jehova dem Mose ein neues Gebot gibt, wird auch des Sabbats gedacht. In 3. Mose 23 steht der Sabbat sogar oben an bei den hohen Festen Jehovas. Bei den zehn Geboten wird seine Feier im Einzelnen geordnet (2. Mo 20), und die Gründe dafür werden angeführt; in 2. Mose 31,12–17 wird er dann feierlich bestätigt. Hier und anderswo wird er ein Zeichen genannt zwischen Jehova und den Kindern Israel. Aber schon früh hatten die Israeliten diese heilige Satzung versäumt und verlassen, und hatten die traurigen Folgen davontragen müssen (vgl. Hes 20,12–24; 22,8.26; 23,38); und wenn man auch, als der Herr unter seinem Volk erschien, wieder begonnen hatte, den Sabbat zu feiern, so lag doch nichtsdestoweniger alles im Verfall. Die Überlieferung und die gesetzliche Beobachtung der Formen, die bis ins Kleinlichste getrieben wurde, waren an die Stelle „der wichtigeren Dinge des Gesetzes“, getreten, welche sind: „das Gericht und die Barmherzigkeit und der Glaube“ (Mt 23,23). Hochmut und Heuchelei kennzeichneten die Obersten des Volkes; sie wollten den nicht anerkennen, der der Herr des Sabbats war. Aber Er vermochte auch nicht ihren Sabbat anzuerkennen, und musste in Gnaden mit seinem Vater zusammenwirken, auch am Sabbattage (Joh 5,9–18; 9,14; vgl. auch Mt 12,1–15; Lk 13,10–17; 14,1–6).

Der Leib Jesu verblieb also während des hohen Sabbattages im Grab, und Er ist auferstanden „an dem ersten Wochentag.“ Die Juden führten den Herrn gegen ihren eigenen Willen am Tag des Passahfestes zum Tod, welches (Fest dieses Jahr auf den Tag vor dem Sabbat fiel) damit Er, im Hinblick auf die für uns so kostbaren Folgen seines Todes, am ersten Wochentag auferstände. Diese Tatsache heiligte den Tag zum „Tage des Herrn“, zum Tag seiner Auferstehung, zum Anfang des ewigen Zeitalters für die Gläubigen. Daher ist er der Festtag der Christenheit geworden, nicht als ein vom Gesetz auferlegtes Gebot, sondern als ein Tag hoher Vorrechte, den das Gewissen des geistlichen Christen anerkennt. Der Christ hält diesen Tag, zwar nicht, wie schon gesagt, als ein Gebot, aber weil er der Tag des Herrn oder des Herrn Tag ist (Off 1,10). Der geistliche Christ begreift auch, dass er über diesen Tag nicht nach seinem Gutdünken verfügen kann, sei es fürs Geschäft oder für Ausflüge oder dergleichen, weil er eben dem Herrn gehört; es ist des Herrn Tag.

Nun war der Tag, an welchem der Herr dem Grab entstieg, nicht nur der Erste der Woche im Gegensatz zu demjenigen, der ihm vorausging; die Tatsache seiner Auferstehung machte diesen Tag auch zu „dem ersten Sonntag.“ Bis zu diesem Tag hatte der Sonntag (Tag des Herrn) nicht bestanden.

Welch ein herrlicher Tag war dieser Auferstehungstag des Herrn Jesus! Die Auferweckung des Herrn bedeutet für uns das Ende des Todes und die Einführung in das ewige Leben. Der Tod des Heilands war das Ende unseres Lebens in Adam, seine Auferstehung das Ende des Todes. Er sagte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, nicht etwa: das Leben und die Auferstehung. Zuerst musste Er uns von unserem ersten Leben befreien, sowie von dem Tod, der jenes frühere Leben kennzeichnete und dessen gerichtlicher Abschluss war, und dann erst konnte durch seine Auferstehung unser neues Leben in Verbindung mit Ihm anfangen. Christi Auferstehung hat also für uns das Leben Adams und den Tod hinter sich gelassen, und dieses neue Leben, welches dem Tod folgt, ist notwendiger Weise ewiges Leben, aber ewiges Leben in der Auferstehung, „Leben in Überfluss“ (Joh 10,10). Wir sind also im Leben, jetzt schon auf dieser Erde und bald droben in Herrlichkeit. Wir haben „als das Ende ewiges Leben.“

So ist es leicht zu verstehen, warum die Christen schon in den Tagen des Apostels Paulus den ersten Wochentag, den Sonntag, den Tag der Auferstehung des Heilands, auswählten, um sich an ihm zu dem bestimmten Zweck zu versammeln, das Brot zu brechen (Apg 20,7). Niemand außer den Christen versammelte sich an diesem Tag. Die Heiden kannten den Tag nicht, und die überallhin Zerstreuten Juden hatten ihre Synagogen, wo sie sich am Tag vor dem Sonntag, am Sabbattageversammelten. Paulus benutzte diesen Tag und die Lehrfreiheit in den Synagogen (vgl. Apg 13,15–16), um Christus dort zu verkündigen; am folgenden Tage aber, dem Tag, den die Christen allein kannten und feierten als den Tag der Auferstehung Christi, kam Paulus mit diesen zusammen zum Brotbrechen.

Beim Vergleich von Johannes 20 mit den Berichten der anderen Evangelien finden wir, dass der Herr als der Auferstandene an jenem herrlichen Tage von Tagesanbruch an bald diesem, bald jenem der Seinen erschien, öfters mehreren zugleich. Johannes erzählt uns im Besonderen die so liebliche und wichtige Begegnung des Herrn mit Maria Magdalena, so lieblich wegen der rührenden Art und Weise, in welcher der Herr dem bekümmerten Weibe ihre Angst und ihren Kummer benahm, so wichtig wegen der Botschaft, die Er ihr an die Seinen übergab, dass diese nämlich jetzt in derselben Stellung vor seinem Gott ständen, wie Er, und zugleich in demselben Verhältnis zu seinem Vater.

Am Abend desselben Tages haben wir indes noch etwas ganz Besonderes. Die Gelegenheiten, bei denen der Herr sich im Lauf des Tages gezeigt hatte, trugen mehr oder weniger einen persönlichen Charakter; am Abend aber sehen wir die Jünger versammelt. Was auch der Zweck oder der Charakter ihres Zusammenkommens gewesen sein mag, und obwohl sie ohne Zweifel gemeinschaftlich mit dem beschäftigt waren, was sie gesehen und gehört hatten, so ist doch wohl die wichtigste Tatsache diese, dass sie versammelt waren. Wie vieles hatte sich während des Tages für sie zugetragen, was hatten sie alles einander zu berichten gehabt! Aber am Abend sehen wir sie versammelt. Johannes erzählt uns: „Als es nun Abend war an jenem Tag, dem Ersten der Woche ...“; ja, an jenem Tag, dem ersten Sonntage. Die Türen waren aus Furcht vor den Juden verschlossen. Es wäre an diesem Tag nicht wohl gegangen, sich offen auf die Seite des Gekreuzigten zu stellen. Die Obersten unter den Juden mussten ganz außer sich sein vor Zorn über die offene Stellungnahme ihrer Amtsgenossen Joseph von Arimathäa und Nikodemus, die frei hingegangen waren zu Pilatus und ihn um den Leib Jesu gebeten hatten (Es ist angenehm zu denken, dass vielleicht auch diese beiden treuen und frommen Männer in jener Abendstunde mit den Jüngern versammelt waren). Überdies hatten die Juden von der Grabwache die für sie niederschmetternde Kunde vernommen, dass der Leib Jesu nicht mehr im Grab sei, und Bericht erhalten über die wunderbaren Dinge, die sich dort zugetragen hatten (Mt 28,11–15). So kann man begreifen, dass ihre Wut keine Grenzen kannte, und dass die furchtsamen Jünger hinter Schloss und Riegel zusammen waren.

Während sie nun so versammelt waren, siehe, da „kam Jesus“ trotz der verschlossenen Türen „und stand in der Mitte.“ Es war diesmal nicht nur eine Kundgebung für Maria oder Simon oder für zwei Jünger auf dem Weg; wir haben hier seine Gegenwart in der Mitte der Seinen. Es ist der auferstandene Heiland, der bereit ist, aufzufahren zur Herrlichkeit, zu „der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war“, in welche Er aber jetzt einging als Mensch. Der Herr hatte jetzt den Auferstehungsleib, dem das sinnlich Wahrnehmbare unterworfen war, so dass das Essen von einem Fisch und einer Honigscheibe (Lk 24,42), sowie das Gehen durch verschlossene Türen gleicherweise Zeichen der Macht waren. Der Herr war jetzt nicht mehr der Mann der Schmerzen. Er war nicht mehr in Gleichheit des Fleisches der Sünde (Röm 8,3). Die Tage seines Fleisches waren vorüber (Heb 5,7). Er gibt diesem Wechsel Ausdruck, wenn Er zu seinen Jüngern sagt: „Dies sind die Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war“ (Lk 24,44). Dieser auferstandene Heiland und Herr, den die Welt nicht wiedersehen soll, noch kann, bis sie Ihn sieht an jenem Tag, da Er wiederkommen wird in Herrlichkeit und Macht, ist es also, der hier am ersten Tag der Woche in der Mitte der versammelten seinen steht und so durch seine Gegenwart die erste Versammlung der Seinen nach seiner Auferstehung „an jenem Tag“, dem ersten Sonntag, gutheißt und heiligt.

In ihrer Mitte spricht Er dann die Worte: „Friede euch!“ Welche Worte aus dem Mund dessen, der vom Kreuz kam, wo Er diesen Frieden gemacht hatte, und der nun in der Kraft der Auferstehung dastand als der sichere Bürge der vollen Annahme seines Opfers bei Gott. Denn solange das Werk nicht vollbracht war, konnte von dem bewussten und ungestörten Genuss eines vollkommenen Friedens mit Gott keine Rede sein. Dann zeigt der Herr hin auf die Wundenmale in seinem Auferstehungsleibe, die Male des Todes, dem Er sich unterworfen, den Er aus Gnade für sie erlitten hatte.

Hierauf lesen wir die folgenden Worte, die überaus wichtig sind und unsere eingehende Beachtung verdienen: „Es freuten sich nun die Jünger, als sie den Herrn sahen.“ Der Anblick des auferstandenen Herrn in ihrer Mitte war also der Gegenstand dieser Freude. Thomas war an jenem Abend nicht bei ihnen; und als die anderen Jünger ihn wiedersahen, gaben sie ihm in fünf Worten einen Bericht über das, was für sie bei jener wunderbaren Zusammenkunft die Hauptsache gewesen war: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Am folgenden Sonntag, dem zweiten Sonntag, ist der Herr wiederum in ihrer Mitte. Wir zweifeln nicht, dass der Herr sich auch in den dazwischenliegenden Tagen auf die eine oder andere Weise den Seinen gezeigt hat; hier aber lesen wir ausdrücklich, dass am Abend des zweiten Sonntags Er wieder in der Mitte stand, als sie versammelt waren.

Wie viel ist für uns in diesen wenigen Worten enthalten (Joh 20,19–20)! Welch ein schönes Muster und Vorbild für unser heutiges zusammenkommen im Namen des Herrn und um seine Person! Beherzigen wir denn folgende vier Dinge, die sich eines nach dem anderen aus diesen Versen ergeben: 1. Die Gegenwart des auferstandenen Herrn in der Mitte seiner versammelten Jünger; 2. der Friede, den Er, vom Kreuz kommend auf dem Weg der Auferstehung ihnen verkündigt; 3. die Zeichen an seinem Auferstehungsleibe, auf welche Er die Jünger hinweist, und die von der Tatsache Zeugnis ablegen, dass Er für sie in den Tod hinabgestiegen, aber auch dass dieser Tod nun dahinten ist (vgl. Off 1,17–18); 4. das durch die Entfaltung dieser wunderbaren Dinge bewirkte gesegnete Ergebnis im Herzen der Jünger, die sich so plötzlich um den Herrn geschart sehen: „Es freuten sich nun die Jünger, als sie den Herrn sahen.“

Wir können heute noch, trotzdem das Böse so mächtig geworben ist, trotzdem das Zeugnis der Kirche in Trümmern liegt, und trotz der großen Schwachheit, in welcher sich diejenigen befinden, welche sich durch die Gnade des Herrn in seinem Namen und auf dem Boden und dem Grundsatz der Einheit des Leibes versammeln, 2 (Mt 18,15–20; 1. Kor 10,17) wir können, sage ich, heute noch die gesegnete Erfahrung dieser vier Dinge machen, die wir soeben betrachtet haben. Welche Gnade für uns! Wenn wir des Sonntags am Tisch des Herrn, der selbstverständlich auf dem Boden der Einheit des Leibes aufgerichtet sein muss, zum Brotbrechen versammelt sind, so haben wir (o, dass wir es nur mehr verwirklichen möchten!) alles, was die Jünger, die an jenem ersten Sonntage versammelt waren, von Seiten des Herrn hatten. Ja, der auferstandene Jesus ist persönlich gegenwärtig in unserer Mitte, wenn auch in einer geistlichen Weise (Mt 18,20). Wir genießen den Frieden, den Er bringt und gemacht hat (vgl. Röm 5,1; Eph 2,17). Wir haben vor uns die rührenden Zeichen, die uns seinen für uns erlittenen Tod ins Gedächtnis rufen, des „Herrn Abendmahl“, welches so schön dem dritten Punkte entspricht, den wir betrachtet haben, nämlich wie Jesus seinen Jüngern seine durchbohrten Hände und seine Seite zeigt. Und endlich wird das Ergebnis dieser Segnungen, wenn wir sie zu schätzen wissen und wirklich genießen, unzweifelhaft eine tiefe Freude sein. Wir freuen uns, den Herrn in unserer Mitte zu haben. O, wie wünschenswert wäre es doch, wenn wir seine Gegenwart so verwirklichten, dass wir etwaigen Abwesenden in Wahrheit nachher sagen könnten: „Wir haben den Herrn gesehen!“ und nicht etwa: „Der und der Bruder hat gesprochen, und es war schön“; was ja an seinem Platz nützlich und köstlich ist, wenn der Herr es ist, der uns durch einen Bruder ein Wort der Ermunterung und Erbauung gibt. Und auch die Abwesenden würden ihrerseits fragen: „Habt ihr die Gegenwart des Herrn genossen?“ und nicht: „Wer von den Brüdern, hat gesprochen?“ Möge der Herr unsere Herzen mehr zu sich hinziehen, damit unser Zusammenkommen um seine Person, dessen Zweck und Beweggrund Er ja selbst ist und nicht wir, mehr und mehr das für uns werde, was es in Wirklichkeit ist: das Kostbarste, das wir gemeinschaftlich hienieden besitzen. Möchten wir das große Erbarmen Gottes zu schätzen wissen, das uns in einer Zeit des Verfalls, wie die unsrige, verstattet, eine besondere Zusammenkunft zu haben, (wie in Apostelgeschichte 20,7) um uns gemeinsam unseres gepriesenen Erlösers zu erinnern und seine gesegnete Gegenwart in unserer Mitte zu genießen! Wie köstlich ist es für das Herz eines Christen, der die Gedanken Gottes in dieser Hinsicht versteht! Wenn wir hingehen in die Versammlung zum Brotbrechen, so dürfen wir daran denken, dass wir nicht unsertwegen kommen, sondern als solche, die der Herr zusammenberuft, um seiner zu gedenken, Ihn zu erwarten und durch Ihn unseren Gott und Vater anzubeten, zu dem Er uns geführt hat. Darum wird ein geistlicher Christ eine solche Versammlung nicht versäumen, es sei denn aus Gründen, die vor dem Herrn selber stichhaltig sind.

Ja, der Herr Jesus selbst ist Beweggrund und Zweck unseres Zusammenkommens am ersten Tage der Woche, dem Tag seiner Auferstehung. Es geschieht, um uns mit Ihm zu beschäftigen, und nicht mit uns selbst; und wenn unsere Gedanken auf uns gelenkt werden, so sollte es nur in der Weise geschehen, dass wir in dieses „uns“ alle Glieder des Leibes Christi auf der Erde einschließen, jenes Leibes, dessen Einheit am Tisch des Herrn seinen Ausdruck findet: „Ein Brot, ein Leib“ (1. Kor 10,17).

Fußnoten

  • 1 Die Hohepriester und Pharisäer machten sich betreffs dieses Tages weniger Gewissen, indem sie zusammen zu Pilatus gingen, um ihn zu bitten, eine Wache vor das Grab zu stellen, und indem sie selbst diese Wache hinführten und den Stein versiegelten (siehe Mt 27,62-66).
  • 2 Die Wahrheit von der Einheit des Leibes findet sich nicht in Johannes. Die Jünger hatten in der ersten Versammlung, von der wir reden, keine Vorstellung davon, selbst noch nicht in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte. Jetzt aber, da die Einheit des Leibes offenbart ist, ist es ein Grundsatz von der größten Wichtigkeit, den wir in jeder Versammlung im Namen Jesu aufrechterhalten müssen.
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