Botschafter des Heils in Christo 1886

Geliebte

Geliebte! – ein schöner Titel, nicht wahr, mein Leser? Wem wird er gegeben? Solchen, die einst hassenswürdig waren, an und in denen es nichts gab, was Liebe hätte erwecken können. Und wer gibt ihn? Der Gott des Himmels und der Erde, der allmächtige und allweise Schöpfer und Erhalter aller Menschen, ja, des ganzen Weltalls! Welch ein Gedanke, von dem großen, ewigen Gott geliebt zu sein! Nicht nur Gegenstände seiner Fürsorge und Bewahrung, nein, Gegenstände seiner Liebe! Arme, schwache, elende Geschöpfe in uns selbst, verlorene, verdammungswürdige Sünder von Natur, und dennoch Geliebte, geliebte Kinder Gottes! Geliebt vor Grundlegung der Welt, geliebt jetzt, inmitten unserer Schwachheit und auf dem Weg durch eine arge Welt, geliebt bis in alle Ewigkeit! Und weshalb geliebt? Geliebt um Christi willen, begnadigt in dem Geliebten!

Geliebte, welch eine Antwort geben unsere Herzen auf die große Tat der Liebe Gottes, auf alle die Liebe, die Er über uns ausgeschüttet hat und jeden Tag ausschüttet? Schlagen sie für Ihn? Sind sie erfüllt mit Lob, Dank und Anbetung und mit dem sehnlichen Verlangen, Ihn wieder zu lieben, der uns zuerst geliebt hat? Freuen wir uns über jede Gelegenheit, wo wir Ihm unsere Liebe, wenn auch in noch so geringem Maß, beweisen können? Lieben wir Gott? Lieben wir alle diejenigen, welche aus Ihm geboren sind? Suchen wir in selbstverleugnender Liebe einander zu dienen? Gehen wir in duldsamer Liebe den Schwachen nach? Besuchen wir die Kranken und Leidenden? Stehen wir den Betrübten, Niedergebeugten, Schwergeprüften tröstend, teilnehmend und helfend zur Seite? Haben wir eine geöffnete Hand für die Bedürfnisse des Armen, der Witwe und der Waise? Freuen wir uns mit den sich Freuenden, und weinen wir mit den Weinenden? Achten wir in Liebe und Demut einer den anderen höher als uns selbst?

Geliebte! Ist nicht oft gerade das Gegenteil von dem Gesagten bei uns vorhanden? Gibt es nicht viel Gleichgültigkeit, Gefühllosigkeit, Unduldsamkeit und – was der Gesinnung Christi und dem Herzen unseres Gottes und Vaters so zuwider ist – viel Eigenliebe und Selbstsucht in unserer Mitte? Wo ist jene kostbare „Bemühung der Liebe“, welche das Herz des Apostels Paulus so sehr erfreute (1. Thes 1,3)? O, lasst uns einen Blick tun in die Tiefen unserer Herzen und einen zweiten in unser tägliches Tun und Lassen! Wir werden viel zu verurteilen, viel zu richten finden. Lasst uns damit zum Herrn gehen und es in aufrichtigem Selbstgericht vor Ihn bringen; und dann lasst uns viel mit Ihm beschäftigt sein, Ihn betrachten, von Ihm lernen und seine Liebe in unsere Herzen überströmen lassen! Möchten wir nie vergessen, dass gerade die Eigenliebe zuerst unter den Kennzeichen der letzten „schweren“ Tage genannt wird (2. Tim 3,2)!

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