Botschafter des Heils in Christo 1870

Die Verherrlichung des Christus auf dem Berg

Die drei Evangelisten, die uns dieses erhabene Ereignis mitteilen, lassen demselben die Worte Jesu unmittelbar vorangehen: „Wahrlich, ich sage euch: Es sind etliche von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie gesehen den Sohn des Menschen kommend in seinem Reich.“ Dann lesen wir weiter: „Nach sechs Tagen nimmt Jesus zu sich den Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und Er führt sie besonders auf einen hohen Berg.“ Hieraus ersieht der einfache Leser sogleich, dass die Verherrlichung auf dem Berg die Erfüllung der Verheißung Jesu war. Petrus, Jakobus und Johannes waren die „Etliche“, die den Tod nicht schmecken sollten, bevor sie den Sohn des Menschen in seinem Königreich hatten sehen können. Auf dem Berg nun sahen sie den Herrn in seiner königlichen Herrlichkeit. Petrus selbst sagt uns dieses in seinem zweiten Briefe. „Wir sind Augenzeugen seiner Majestät gewesen, als Er nämlich von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit empfing, und die prachtvolle Herrlichkeit eine solche Stimme an Ihn gelangen ließ: Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe. Und diese Stimme hörten wir vom Himmel erlassen, als wir, mit Ihm waren auf dem heiligen Berge“ (2. Pet 1,17–18). Diese Verherrlichung auf dem Berg ist daher ein Vorbild der Herrlichkeit Christi in seinem Königreich.

Das, was uns nun als ganz besonders in die Augen fallen muss, ist, dass Moses und Elias in derselben Herrlichkeit mit Jesu gesehen werden. Von dem Herrn lesen wir: „Und Er ward umgestaltet vor ihnen, und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß wie der Schnee, wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann“ (Mk 9,3). Und in Lukas 9,31 lesen wir, dass Moses und Elias in derselben Herrlichkeit mit Ihm gesehen wurden, während die drei Jünger, die zugegen waren, zwar die Herrlichkeit sahen, aber nicht teilten. Wir finden hier also eine Darstellung dessen, was einmal in dem Königreich Christi stattfinden wird. Moses ist das Vorbild aller Gläubigen, welche vor der Ankunft Jesu gestorben sein werden, Elias hingegen das Vorbild jener Gläubigen, die ohne zu sterben in den Himmel aufgenommen werden, während die Jünger diejenigen Gläubigen vorstellen, welche während der Regierung Christi im tausendjährigen Reiche auf Erden wohnen, und zwar die Herrlichkeit Christi und die der verherrlichten Heiligen sehen, aber nicht teilen werden. Die verherrlichten Heiligen werden mit dem Herrn derselben Herrlichkeit teilhaftig sein. Ihr Leib wird seinem verherrlichten Leib gleichförmig sein (Phil 3,31). Wenn Er offenbart wird, werden wir mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit (Kol 3,4). Christus ist der Erbe aller Dinge; der Vater hat Ihm alles unterworfen; und wir sind seine Miterben (Röm 8,17). Wir werden mit ihm herrschen als Könige auf der Erde; (Off 1,6; 5,10) ja, wir werden selbst die Engel richten (1. Kor 6,3). Kein Unterschied wird zwischen Jesu und den Seinen sein. Ich spreche hier natürlich nicht von seiner Gottheit; denn in dieser Beziehung kann niemand Ihm gleich sein, sondern es handelt sich um die Herrlichkeit, die Er als Sohn vom Vater empfangen hat. Was unsere Stellung vor Gott betrifft, sind wir schon jetzt in der Welt, wie Er ist; (1. Joh 4,17) und wenn Er offenbart sein wird, werden wir Ihm gleich sein; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist (1. Joh 3,2). Welch eine unaussprechliche Gnade! Wir, die wir von Natur verlorene Sünder, Feinde Gottes waren, sollen in derselben Herrlichkeit mit dem Sohn Gottes offenbart werden.

Doch gibt es noch etwas Herrlicheres als dieses. In Lukas lesen wir nicht nur, dass Moses und Elias mit Jesu in Herrlichkeit erschienen, sondern dass sie auch in der unmittelbaren Gegenwart Gottes waren. Es kam nämlich eine Wolke, die sie überschattete; und die Jünger wurden mit Furcht erfüllt, als sie sahen, dass jene in die Wolke eintraten (Lk 9,34). Die Wolke nun ist die Wohnung Gottes, wie uns dieses in dem Alten Testament gesagt wird. Als die Kinder Israel durchs Rote Meer zogen, ging die Wolke hinter ihnen her und machte eine Scheidung zwischen ihnen und den Ägyptern, so dass diese sie nicht erreichen konnten. Auf ihrer Reise aber durch die Wüste ging die Wolke vor ihrem Angesicht her, um ihnen den Weg zu zeigen. Aus dieser Wolke sprach Jehova mit Mose; sie stand über dem Eingang der Stiftshütte, und der Herr sprach mit Mose aus derselben. In gleicher Weise kam auch hier aus der Wolke die Stimme des Vaters: „Dieser ist mein geliebter Sohn; Ihn hört!“ Gott, der Vater, war also in der Wolke. Und Moses und Elias gingen in sie hinein. Sie gingen in die Wohnung Gottes, in das Haus des Vaters. Dies ist das Teil der Gläubigen. „In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen“, sagte der Herr Jesus zu seinen Jüngern; „und ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten.“ Wenn Er nun wiederkommt, wird Er uns in das Haus des Vaters führen. Dieses ist unendlich mehr, als die Erscheinung in der Herrlichkeit Jesu. Die Herrlichkeit, welche die Jünger sahen, weckte keine Furcht in ihnen; aber als sie sahen, dass Moses und Elias in die Wolke eingingen, da fürchteten sie sich. Sie wussten sehr wohl, dass die Wolke die Wohnung Gottes war; aber nimmer war es geschehen, dass die Gläubigen die Schwelle dieser Wohnung überschritten. Wohl hatte Mose mit Gott, der in der Wolke war, gesprochen; aber er war nicht in dieselbe hineingegangen. Dieses war etwas ganz Neues. Und in der Tat ist dieses das Herrlichste, welches stattfinden kann. Das Haus des Vaters, die Wohnung Gottes ist der beste und höchste Platz, welcher existiert. Und dort soll unsere ewige Wohnung sein. Sicherlich, es ist eine unaussprechliche Gnade, mit Christus dieselbe Herrlichkeit zu teilen und darin mit Ihm offenbar zu werden; aber unendlich herrlicher ist es, in dem Haus des Vaters selbst zu sein, dort mit Jesu zu verkehren und vertraulich mit Ihm umzugehen und zu sprechen.

Und dieses ist es, was wir hier finden. Mose und Elias unterhielten sich mit Jesu, und zwar, wie Lukas erzählt, über den Ausgang, den Jesus in Jerusalem erfüllen sollte. Sie sprachen also in der vertraulichsten Weise mit Ihm über sein Leiden und Sterben, über das, was das Herz Jesu in diesem Augenblick am meisten erfüllen musste, und wozu Er in die Welt gekommen war. So wird es mit uns sein, wenn wir mit Jesu in dem Haus des Vaters wohnen werden. Dieses muss vor allem die Wonne unserer Herzen sein. Der Genuss der Herrlichkeit ist köstlich, aber weit köstlicher ist der vertrauliche Umgang mit Jesu. Eine Krone ist herrlich, aber die Gemeinschaft mit Jesu ist herrlicher. Es wird sicher die Freude einer Gattin sein, die Ehre und Herrlichkeit ihres Gatten teilen zu können; aber würde es nicht traurig sein, wenn sie sich mehr über den Mitgenuss dieser Herrlichkeit erfreute, als über den Umgang mit ihrem Gatten? Und sollte die Gemeinschaft mit Jesu in dem Vaterhaus nicht einen größeren Wert für uns haben, als selbst die Herrlichkeit, die wir mit Ihm teilen werden? Sollten wir nicht schon jetzt im Geist Gemeinschaft mit Jesu haben, welche wir einst in Wirklichkeit genießen werden? Ohne Zweifel. Kaum war der Herr vom Berg herabgestiegen, als Er auch schon in derselben vertraulichen Weise mit seinen Jüngern über sein Leiden und Sterben zu sprechen begann, wie Er auf dem Berg in der Herrlichkeit mit Mose und Elias getan hatte. Wie herrlich! Der Gegenstand der Unterhaltung Jesu mit den Seinen war unten am Fuß des Berges derselbe, wie oben auf dem Berg – derselbe in der Erniedrigung, wie in der Herrlichkeit. Ja, wiewohl nun der Herr verherrlicht im Himmel ist, und wir noch auf der Erde pilgern, so können wir doch jene innige Gemeinschaft und jenen vertraulichen Umgang mit ihm genießen, welchen Mose und Elias auf dem Berg, und welchen die Jünger Jesu in den Tagen seines Wandelns hienieden genossen.

Merkwürdig ist in dieser Beziehung dasjenige, was wir nach der Bekehrung des Saulus auf dem Weg nach Damaskus sahen. Der Herr sagt zu Hananias: „Stehe auf und gehe zur Straße, genannt die Gerade, und frage in dem Haus Juda nach einem, mit Namen Saulus von Tarsus; denn siehe, er betet“ (Apg 9,11). Der Herr bezeichnet also genau die Straße, in welcher Saulus verweilte. „Ananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen von diesem Mann gehört, wie viel Böses er deinen Heiligen zu Jerusalem getan hat. Und hier hat er Gewalt von den Hohepriestern, zu binden alle, die deinen Namen anrufen“ (V 13–14). Hananias bringt also in der freimütigsten und vertraulichsten Weise seine Besorgnisse vor den Herrn. „Der Herr aber sprach zu Ihm: Gehe hin, denn ein auserwähltes Gefäß ist mir dieser“ (V 15). Mit diesen Worten verscheucht der Herr alle Besorgnisse seines Dieners, welcher jetzt in freudigem Gehorsam den ihm gegebenen Auftrag ausführt. Welch ein unaussprechlich herrliches Vorrecht! So nahe sind wir zu Jesu gebracht, und so nahe ist Er zu uns gekommen, dass wir mit Ihm sprechen können, wie ein Freund mit seinem Freund spricht. Möchten wir diesen gesegneten Umgang doch in einem reicheren Maße genießen!

Doch wir finden hier noch mehr. Als Mose und Elias in die Wolke eingegangen waren, kam eine Stimme aus der Wolke, welche sagte: „Dieser ist mein geliebter Sohn; Ihn hört!“ Hier wird uns kein Gebot gegeben, den Sohn zu lieben und uns seiner zu erfreuen; wir finden hier etwas ganz anderes, etwas weit Herrlicheres. Der Vater gibt Zeugnis über seinen Sohn; Er teilt uns seine Gedanken über denselben mit. „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ Der arme, erniedrigte Mensch, der keinen Platz hatte, um sein Haupt niederlegen zu können, der von allen gehasst und verfolgt wurde – dieses war sein geliebter Sohn, den sie hören sollten. Welch eine Gnade! Wie uns der Herr Jesus in Johannes 17 hören lässt, was Er mit dem Vater redet und welche Gemeinschaft Er mit Ihm hat, so lässt uns hier der Vater hören, welch einen Wert sein Sohn für Ihn und für uns hat. Das ist wahre Gemeinschaft. Was ist die Gemeinschaft anderes, als dieselben Gefühle, dieselben Gedanken, dieselbe Freude zu haben? Wenn ich von einer Gemeinschaft mit den Brüdern rede, so muss ich dieselbe Freude, dieselben Gedanken und denselben Gegenstand der Betrachtung haben. Nun, der Vater sagt vor unseren Ohren: „Dieser ist mein geliebter Sohn!“ und fügt dann hinzu: „Ihn hört!“ Der Gegenstand der Liebe und des Wohlgefallens Gottes ist also der Gegenstand unserer Betrachtung und unserer Freude. Wahrlich, Gott konnte uns kein größeres Vorrecht und keine herrlichere Gnade verleihen!

Noch eine andere wichtige Wahrheit wird uns hier vor Augen gestellt. Mose und Elias stellen das Gesetz und die Propheten vor. Mose wurde durch die Juden fast wie ein Gott verehrt; und Petrus rechnete es für seinen Meister zur großen Ehre, mit Mose und Elias in Gemeinschaft zu sein; und deshalb wollte er drei Hütten bauen, auf dass sie dort bei einander bleiben könnten. Doch was geschah? Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so kam eine Wolke und nahm Mose und Elias vor ihren Augen hinweg, während Jesus allein zurückblieb, und die Stimme aus der Wolke jene Worte hören ließ: „Dieser ist mein geliebter Sohn; Ihn hört!“ – Mose und Elia mussten verschwinden, und Jesus allein übrigbleiben. Das Gesetz und die Propheten schwinden, und nur Jesus bleibt; und nur Ihn sollen wir hören. Nicht, als ob das Gesetz und die Propheten keinen Wert für uns hätten, und als ob sie nicht von Gott gegeben wären; nein, vielmehr zeugen sie von Christus und von der Herrlichkeit, welche kommen soll; und das ganze Alte Testament ist uns gegeben als das Wort Gottes und ist „nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung, die nach der Gerechtigkeit ist“ (2. Tim 3,16). Der Herr Jesus selbst gebrauchte Mose und die Propheten, um den Teufel zu widerlegen und den Pharisäern den Mund zu stopfen. Aber vor Christus müssen das Gesetz und die Propheten verschwinden. Ihn allein müssen wir hören. „Nachdem Gott vielfältig und auf mancherlei Weise vormals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat Er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn“ (Heb 1,1). das Gesetz ist gut, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht; aber es kann uns nichts geben. Es kann fordern und, weil wir nicht sind, wie wir nach seiner Forderung sein sollten, uns verdammen; aber es kann uns nichts geben. Jesus allein kann uns alles geben, was wir für das zeitliche und für das ewige Leben bedürfen. Er ist der einzige Gegenstand unseres Glaubens und unserer Betrachtung. Alles verschwindet, selbst der von Gott für Israel verliehene Gottesdienst. Jesus allein bleibt, und der Vater im Himmel sagt uns, dass wir Ihn allein hören sollen. Wahrlich, das ist eine äußerst wichtige Wahrheit. Wie sehr sind wir geneigt, uns fest zu klammern an das, was alt und ehrwürdig in unseren Augen ist! Wie schwer war es für die Apostel und für die ersten Christen, den jüdischen Gottesdienst fahren zu lassen; und wie schwer wird es heutzutage Tausenden von Christen, die menschlichen Satzungen zu verlassen und sich allein an Jesus und die durch ihn offenbarte Wahrheit zu klammern! Wie viele kehren zu Mose und zu den Propheten zurück, während sie sich allein in Jesu erfreuen sollen und können! O möge der Herr unsere Augen öffnen, damit wir verstehen lernen, dass Mose und Elias, Gesetz und Propheten, irdischer Gottesdienst und menschliche Einrichtungen verschwinden, und dass Jesus allein bleibt, für dessen Unterweisung wir ein geöffnetes Ohr haben sollen!

Verweilen wir nun noch einen Augenblick bei den Jüngern. Lukas teilt uns mit, dass Jesus den Petrus, den Johannes und den Jakobus zu sich nahm und auf den Berg stieg, um zu beten. Der Herr Jesus wünschte, die Nacht, wie er es oft tat, im Gebet zuzubringen; und während er betete, veränderte sich die Gestalt seines Angesichts. Und was taten die drei Jünger während dieser Zeit? Sie schliefen. Wir lesen: „Petrus aber und die bei ihm waren, waren beschwert vom Schlaf. Als sie aber aufgewacht waren, sahen sie seine Herrlichkeit und die zwei Männer, die bei ihm standen.“ – Wie in Gethsemane konnten sie auch hier nicht mit Ihm wachen. Es ist bemerkenswert, dass Jesus diese Jünger bei zwei Gelegenheiten zu sich nahm, um mit Ihm zu wachen und zu beten, und dass sie bei beiden Gelegenheiten vom Schlaf überwältigt wurden – auf dem Berg, während Er verherrlicht wurde, in Gethsemane, als er sich in ringendem Kampf befand. Da sehen wir, was der Mensch ist. Er kann weder in der Herrlichkeit, noch in den Leiden Gemeinschaft mit Jesu haben. Wohl kann der Heilige Geist uns dazu in den Stand setzen; aber der Mensch an und für sich selbst ist dazu unfähig. „Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach;“ sagte der Herr in Gethsemane. Ach, wie oft gleichen wir diesen Jüngern! Wie oft schlafen wir, wenn der Herr Jesus uns seine Herrlichkeit offenbaren oder an seinen Leiden teilnehmen lassen will! Und wie viel verlieren wir! Zwar sahen die Jünger die Herrlichkeit und ergötzten sich daran so sehr, dass sie, um darin bleiben zu können, Hütten bauen wollten; aber sie vernahmen nichts von der Unterhaltung, welche Jesus mit Mose und Elias hatte. Und ebenso geht es uns. Wie viel mehr würden wir genießen, wenn wir stets nüchtern und wachsam wären! Der Herr will uns so gern seine Herrlichkeit offenbaren und seine Gedanken mitteilen. Es ist seine Freude, uns die herrlichen Vorrechte und Segnungen genießen zu lassen, die Er für uns erworben hat. Möchten wir doch stets ein lebendiges Verlangen haben, um seine glückselige Gemeinschaft zu genießen!

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