Botschafter des Heils in Christo 1870

Das Manna und das Gewächs des Landes

Die Berufung und die Auserwählung des Christen sind Wahrheiten von höchster Bedeutung. Ich denke hierbei nicht nur an die Herrlichkeit, sondern auch daran, dass wir berufen sind, Christus ähnlich und seiner Natur teilhaftig zu sein. Geistlicher Weise werden wir Ihm ähnlich; und darum sagt der Apostel Paulus zu den Ephesern, (Kap 5,25) dass „Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass Er sie heiligte, indem Er sie reinigte durch die Waschung mit Wasser durch das Wort.“ – das Wort verherrlicht die Kirche nicht, sondern es heiligt sie; ihre Verherrlichung ist die Folge der Gemeinschaft mit Jesu in der Herrlichkeit; – durch den Genuss dessen, was Er ist, sind wir seiner Herrlichkeit teilhaftig. Aus Epheser 4 ersieht man, dass wir dem gleichförmig sind, was wir erkennen. Der Apostel urteilt also: „Ihr habt erkannt, was Gott in Vergebung und in Herrlichkeit ist; ihr habt dieses erfasst; nun denn, so verwirklicht es in eurem Wandel.“ – Was geistlicher Weise von Herzen erkannt wird, wird verwirklicht; darum steht geschrieben: „Seid vollkommen usw.“ – „Gott hat euch geliebt, als ihr seine Feinde wärt; tut desgleichen – liebt eure Feinde!“

Ich rede jetzt nicht von unserer Vollkommenheit in Christus; denn diese ist schon vollbracht, sondern es handelt sich um die auf Erden stattfindende Verwirklichung dessen, was wir erkennen. Johannes sagt: „Was von Anfang war, was wir gehört, und was mir mit unseren Augen gesehen, und was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben in Betreff des Wortes des Lebens usw.“ Insofern Christus unser Leben ist, verwirklicht sich das in uns, was wir in Christus sehen. Das Maß meiner Verwirklichung hängt ab von dem Maß meines Genusses. Wenn ich das, was Christus ist, verwirkliche, so ist es die Freude meines Herzens. Dieses richtet zwar mein Fleisch; denn wenn Christus da ist, so wird alles, was Ihm zuwider ist, ins Licht gestellt.

Lasst uns nun ein wenig betrachten, in welcher Weise Christus uns nährt, und wie wir in unserem tagtäglichen Leben von Ihm unterstützt werden, damit der Genuss Christi inmitten all der Schwierigkeiten nicht geschwächt werbe, die uns, sobald wir den Blick nicht auf Ihn gerichtet halten, so leicht zerstreuen und beunruhigen. Wenn unsere Gedanken zerstreut und von Christus abgelenkt sind, so finden wir, wenn wir zu Ihm zurückkehren wollen, unser Herz erkaltet, weil es das Bewusstsein seiner Liebe mehr oder weniger verloren hat. – Wir können in den Christen drei verschiedene Charaktere unterscheiden. 1. Er ist ein erlöster Sünder, ein Gegenstand der Gnade der Erlösung; und man sieht in ihm zwei Gegensätze zusammengerückt: Gott und den Sünder. 2. Man hat nie dergleichen in einem Engel gesehen, noch wird man so etwas je sehen können. Er hat Teil mit Christus in der Herrlichkeit; und schließlich 3. er ist ein Pilger in der Wüste. Dieser dritte Charakter bezieht sich, wie mir später sehen werden, auf Christus, als das Manna, welches ein Bedürfnis für die Wüste ist und wird vorübergehen, während die beiden anderen Charaktere ewiglich bleiben.

Als Gott sein Volk in Ägypten besuchte, redete Er mit demselben nicht von der zu durchpilgernden Wüste, sondern von Kanaan; und in einer ähnlichen Weise handelt Gott mit uns. Wenn Er uns durch die Erkenntnis Jesu aus der Welt befreit hat, so redet Er mit uns vom Himmel und stellt die Herrlichkeit vor unser Auge. Wir halten uns oft bei unseren Verhältnissen in der Wüste auf; wenn aber der Geist in uns wirksam ist, so richten wir unsere Blicke auf das Ziel. Paulus lebte nicht in den Dingen, die gesehen werden, weil sie nur Zeitlich und in diesem Sinn wertlos sind; sein Herz war mit himmlischen Dingen erfüllt. Die erste Bedingung nun, die Welt als Nichts betrachten zu können, ist das Bewusstsein, dass man ihr nicht angehört; denn Gott hat uns in der Sünde, und Ihm ganz entfremdet, gefunden, und hat getan, was nötig war, um uns in die Herrlichkeit zu versetzen. Durch dieselbe Macht, mittelst welcher Er Christus aus dem Grab genommen und Ihn zu seiner Rechten in den Himmel gesetzt hat, hat Er auch uns aus unseren Sünden gezogen, um uns in den Himmel zu versetzen.

In dem oben angegebenen Kapitel (Jos 5,9–15) finden wir Zweierlei: Das Passah und das Gewächs des Landes. Alles Übrige ist bei Seite gelassen. Handelt es sich um den Himmel, dann ist vom Manna nicht mehr die Rede. Das will viel sagen; aber wir werden sehen, wie man nicht nur vor dem Gericht geborgen, sondern auch im Himmel sein kann. Israel war nicht mehr in Ägypten; aber es aß in der Wüste nicht vom Gewächs des Landes Kanaan. Pharao war nicht vorhanden, Israel war von der Knechtschaft Ägyptens befreit; und dennoch war das Gewächs des Landes nicht seine Speise. In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem Christen, welcher nur das Heil kennt, welches er in Christus besitzt. Er ist nicht mehr unter der Verdammnis, aber er kann Gott nicht verherrlichen; er ist vor dem Gericht geborgen, aber er kennt nicht die Wirksamkeit des Werkes Christi für die Herrlichkeit. Es ist nötig, dass jeder Kampf und jede Furcht in Betreff des Heils gänzlich aufgehört habe, und dass wir, wie Israel, fern von Ägypten und der Macht Pharaos, Gott als unseren Erretter kennen und von jeder Furcht in dieser Hinsicht völlig befreit sind. Ein Christ ist jeder, welcher sagen kann: „Christus hat alles für meine Rettung getan; Er hat mich für immer der Gewalt Satans entrissen!“ – wie Israel sagen konnte: „Ich fürchte Pharao nicht mehr, er ist in –der Tiefe des Meeres!“ – Satan war überwunden, sobald Jesus sagte: „Sollte ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“ Für uns ist die Erlösung eine vollständige; denn Gott hat sich als unser Erretter offenbart, so dass wir mit dem Apostel sagen dürfen: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?“ Gleichviel ob Satan oder die Wüste noch da sind, – ich lasse alles bei Seite, weil ich weiß, dass Gott für mich ist. Aber es gibt noch eine andere Wahrheit, die ich ebenfalls verstehen sollte. Der Jordan ist da; und derselbe hat eine andere Bedeutung. Christus ist für mich gestorben und auferstanden, das sagt mir das Kreuz; der Jordan aber sagt mir, dass ich mit Christus gestorben und auferstanden bin. Es ist die Erkenntnis und der Genuss meiner Vereinigung mit Christus; und hier erst fängt man an, vom Gewächs des Landes zu essen, man ist im Himmel.

Wenn man in das Land eingeführt ist, beginnt der Kampf mit den sich darin befindenden Feinden; aber man isst von dem Gewächs des Landes. Man befindet sich in Gilgal, wo die Beschneidung geschieht. Dieses bedeutet, dass, wenn man das Bewusstsein hat, im Himmel zu sein, man alles nach der Regel des Himmels beurteilt. Wenn ich droben bin, so sage ich von diesem und jenem, welches ich in der Welt sehe: „Das ist nicht vom Himmel, und ich will nichts davon.“ Es ist nötig für uns, in Gilgal zu bleiben, d. h. das Fleisch in der Gegenwart Gottes zu richten. –

Ich komme, jetzt auf die Art und Weise zurück, wie man sich von Christus nähren kann. Als Israel vom Gewächs des Weinstocks zu essen begann, hörte das Manna auf; und dieses bedeutet für uns, dass man die Erlösung in ganz neuer Weise zu genießen anfängt. Welches ist nun der Unterschied zwischen dem Genuss des Gewächses des Landes und demjenigen des Manna? Anfangs denkt man an seine Sünden und an Christus; und dieses ist auch die Tür, durch welche man eingehen muss. Es ist nötig, als armer Sünder gedemütigt zu sein, um durch Christus eingehen zu können. Hernach aber, wenn man weiß, dass Gott uns so liebt, wie Er Jesus liebt, und dass sein Wohlgefallen auf uns ruht, wenn man die ganze Tragweite der durch Jesus vollendeten Erlösung versteht – fängt man an, das Werk Christi zu schätzen, wie Gott es schätzt, und mit den Gedanken Gottes in dieser Beziehung in Übereinstimmung zu sein. Man sieht Christus ganz anders als früher, und man nährt sich auf eine ganz andere Weise von Ihm. Für mich handelt es sich dann nicht nur darum, gerettet zu sein; denn in Christus gehöre ich Gott selbst an, und ich bewundere die ganze Vollkommenheit des Lammes, das im Himmel ist. Und wenn ich dann daran denke, welcher Erniedrigung Er sich unterworfen, und wie Er sich selbst zu Nichts gemacht hat, um den Charakter Gottes, der, ohne den Strom seiner Liebe, zu hemmen, in Gerechtigkeit handeln, und ohne seiner Gerechtigkeit Eintrag zu tun, Liebe üben konnte, aufrecht zu erhalten, dann bete ich Christus an. Der Sohn des Menschen ist verherrlicht, weil Gott durch Ihn verherrlicht worden ist. Er hat sich freiwillig ganz erniedrigt, damit sein Vater verherrlicht werde; Er hat allem entsagt und ein unumschränktes Vertrauen in seinen Vater gestellt; Er ist bis an das Ziel gegangen und hat den Kelch getrunken, damit der Vater verherrlicht und unsere Rettung vollbracht würde. Dieses alles dient zu meiner Nahrung. Nicht nur bin ich errettet, sondern ich bete an. Der, welcher in seinen Sünden ist, beschäftigt sich mit seiner Errettung; der aber, welcher im Himmel ist, nährt sich von Christus; Ihn bewundernd, betet er Ihn an, und sein Genuss ist es, mit Christus in den himmlischen Örtern zu sitzen. Je geistlicher wir sind, desto besser verstehen wir die Herrlichkeit, die Christus mit uns teilen will. Alles, was Er von Ewigkeit her war, und alles, was Er durch seinen Gehorsam erworben hat, ist uns gegeben; und wir werden Ihm gleich sein. Ist Christus nicht ein. Gegenstand der Liebe für mich? Freue ich mich nicht. Ihn dort zu sehen? „Wenn ihr mich liebtet“, sagt Er zu seinen Jüngern, „so hättet ihr euch gefreut, dass ich zu meinem Vater gehe.“ – Wenn ich daran denke, wie Jesus von dieser Welt verhöhnt und verworfen worden ist, so freue ich mich, Ihn im Himmel zu sehen.

Er ist das Gewächs des Landes; denn Er ist aus dem Himmel und darum auch die Nahrung, die für uns passend ist. Der Christ ist vom Himmel und soll dort seinen Wandel haben und sich von Christus, als dem Lamm, nähren. Wenn ich sage, dass wir in Kanaan wohnen sollen, so spreche ich von einem Kanaan, wo Kämpfe sind. In den durch Kanaan vorgebildeten himmlischen Örtern ist beständiger Kampf; sind mir in Wirklichkeit einmal im Himmel dann ist vollkommene Ruhe unser Teil. Als Sünder ist der Mensch in Ägypten; als Christ ist er in Kanaan; aber er durchpilgert die Wüste und befindet sich leider nur zu oft noch in Ägypten; weil er der Wüste überdrüssig ist und sein Herz nach Ägypten zurückkehrt. Und doch sollte die Welt für ihn, wie sie es für Jesus war, nur ein dürres, trockenes und wasserloses Land sein (Jos 62). Hienieden gibt es für uns nur eine Wüste mit feurigen Schlangen; aber mit Gott müssen wir hindurch; und wenn unser Herz fähig ist, sich von Christus zu nähren, so werden wir alles überwinden können. Ich frage mich: „Warum ist es nicht so, da Jesus doch mein Heiland ist?“ Der Grund liegt wohl darin, dass man sich nicht mit Christus, als dem Gewächs des Landes, nährt, oder, mit anderen Worten, dass man nicht in seiner Gemeinschaft verharrt. Das Manna ist für die Wüste, das Gewächs des Landes aber für Kanaan.

Der andere Charakter, den ich angedeutet habe, und den man unterscheiden muss ist: Christus als Manna für die Bedürfnisse des Wandels in der Wüste. Jesus spricht davon, wenn Er zu den Juden sagt: „Mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel.“ Wenn der Christ es vernachlässigt, sich in dieser Weise von Christus zu nähren, so mangelt ihm die nötige Kraft, um Christus in seinem Wandel hienieden anzuziehen.

Als Christus auf den Berg ging, fand die Verklärung statt; das war für Ihn das Gewächs des Landes. – Er nährte sich mit der Herrlichkeit. Als Er vom Berg herabstieg fand Er die Macht Satans; aber in allen Verhältnissen verwirklichte Er das Leben seines Vaters. So sollen auch wir uns von Jesu nähren. Da wo wir dem Feind begegnen, ist Er als Manna unsere Nahrung. Jesus konnte stets sagen: „Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat, und ich lebe des Vaters wegen, so wird auch, wer mich isst, leben meinetwegen.“ Wie Christus selbst durch diese Wüste gegangen ist und im Glauben gewandelt hat, so sind auch wir berufen, es zu tun. In jeder Lage betete Er; und wenn die Schwierigkeiten sich steigerten, so betete Er heftiger; Er befand sich als Mensch darin und ging mit Hilfe seines Vaters durch alles hindurch. Der Christ nährt sich von einem Christus, der versucht und erniedrigt worden ist; und er soll mit so viel Gnade durch diese Welt gehen, dass man seinen Herrn und Meister in ihm erkennen kann. Wenn er in Ihm wandelt, wird man an Ihm allerlei Gütigkeit, Langmut, Sanftmut erblicken. Die Versuchungen übten auf Jesus die Wirkung aus, dass seine Gnade mehr ausstrahlte. Bin ich bei Ihm, so ertrage ich es, wenn man mich schmäht, und werde nicht aufhören, sanftmütig zu sein, weil Er, der also sich offenbart, meine Nahrung ist. Mein Charakter als Christ macht es nicht zur Notwendigkeit, dass ich in solch schwierigen Umständen sei; aber ich besitze, was, um hindurch zu kommen, notwendig ist, und ich vergesse diese Umstände, weil ich nicht von dieser Welt, sondern vom Himmel bin. Wenn ich als ein solcher wandle, der Christus in sich hat, so esse ich das Manna in der Wüste, nähre mich aber auch vom Gewächs des Landes Kanaan. Täglich kann ich beides tun. Um nach Kanaan zu kommen, ist das Manna nötig; es musste jeden Tag gesammelt werden, denn es verdarb vom Abend bis an den Morgen. Um aber Gott zu verherrlichen und in allen Lagen, sei es als Mann oder Weib, als Herr oder Knecht, den Charakter Jesu zu offenbaren, muss man sich von Christus, als dem Gewächs des Landes, nähren. Wenn wir die himmlische Freude genießen wollen, so müssen wir uns von Jesu, als dem Manna, nähren, welches vom Himmel herniedergekommen ist, und welches für uns alles enthält, was wir in allen Lagen bedürfen, dann werden wir Ihn genießen und die Herrlichkeit als unser ewiges Teil.

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