Botschafter des Heils in Christo 1870

Das christliche Leben

Wir finden in dem vierten und fünften Kapitel des Epheserbriefes die Grundsätze des christlichen Wandels und die Höhe der ihn leitenden Prinzipien, sowie endlich seine moralische Erhabenheit auf eine höchst beachtenswerte Weise vor unsere Augen gestellt; und hierauf wünsche ich die Aufmerksamkeit der Leser zu richten.

In Kapitel 4 beginnt der Apostel seine Ermahnungen bezüglich des Wandels der Christen, nachdem er die christliche Lehre betreffs unserer Verbindung mit dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus – einer Verbindung, welche auf jene beiden Namen gegründet ist – sowie betreffs des Verhältnisses der Kirche mit Christus in eingehender Weise beleuchtet und entwickelt hat. Sie sollten nicht gleich den Nationen wandeln in der Eitelkeit ihres Sinnes; denn ein solcher Wandel gehörte ihrem früheren Zustand gänzlicher Entfremdung von Gott an. Sie hatten nicht also den Christus gelernt, wenn sie anders in Ihm in Bezug auf die Wahrheit belehrt worden waren, nämlich den alten Menschen abgelegt und den neuen angezogen zu haben, der nach Gott geschaffen in Gerechtigkeit und wahrhaftiger Frömmigkeit. Denn die Wahrheit in Jesu ist nicht, dass wir den alten Menschen, ausziehen, sondern dass wir ihn, als mit Christus auferstanden, ausgezogen und den neuen angezogen haben.

Das ist der erste Grundsatz des christlichen Wandels. Wir haben den neuen Menschen angezogen; und sein Wesen besteht darin, nach Gott geschaffen zu sein. Es handelt sich nicht um das Nichtvorhandensein der Sünde, also nicht um einen Zustand, der schon in dem ersten Adam, vor dem Fall, vorhanden war. Der neue Mensch ist geschaffen nach den eigenen Gedanken Gottes, die Er über das Gute und Böse hat. Welch ein unermessliches Vorrecht! Der neue, aus Gott geborene Mensch ist seiner Natur nach der Widerschein der Natur Gottes selbst. Deshalb sagt der Apostel Johannes: „Er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ – Auch finden wir im Brief an die Kolosser in einer der obigen gleichlautenden Stelle die Worte: „Erneuert in Erkenntnis nach dem Bild dessen, der uns geschaffen hat.“ Zur Ausübung eines christlichen Wandels ist also eine Natur erforderlich, welche von Gott kommt, geschaffen als der Ausdruck und Widerschein dessen, was Er ist in Gerechtigkeit und wahrhaftiger Frömmigkeit; und diese Natur, dieses Leben ist im Besitz jedes wahrhaft Gläubigen.

Der zweite Grundsatz ist die Gegenwart des Heiligen Geistes. „Betrübt nicht den Heiligen Geist, durch welchen ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung.“ – (V 30) Gott selbst wohnt durch seinen Geist in uns; und nichts soll in uns vorgehen, das eines solchen Geistes, der Gegenwart Gottes selbst, unwürdig ist. Unser Wandel soll das ins Licht stellen, was unseren Gott selbst charakterisiert; denn sein Geist wirkt in uns. Deshalb finden wir hier auch die Liebe, und nicht nur die Gerechtigkeit und Heiligkeit. Wir vergeben einander, wie Gott um Christi willen uns vergeben hat (V 32). Weil Christus hinaufgestiegen, mithin die Gerechtigkeit Gottes festgestellt ist und wir selbst durch das Blut Christi vollkommen gereinigt sind, so ist der Heilige Geist herniedergekommen und hat die Leiber der Gläubigen zu seinem Tempel gemacht. Es ist dieses das Siegel Gottes, welches ihnen aufgedrückt wurde, das Pfand ihrer völligen Erlösung und ihres Anteils an dem Erbe in Herrlichkeit.

Wie wir also sehen, gibt uns das vierte Kapitel des Epheserbriefes die Unterweisung, dass der– Wandel des Christen eine Offenbarung der göttlichen Natur und der Wege Gottes in Gnade in Betreff unserer sein soll. Das fünfte Kapitel aber belehrt uns noch über andere Punkte. Wer war der vollkommene Ausdruck dieser göttlichen Natur im Menschen hienieden? Es ist klar, dass es der Herr Jesus selbst war. Er, das Bild des unsichtbaren Gottes. Und in Ihm haben wir daher auch das von unserer Seite nachzuahmende Muster und Vorbild eines wahrhaft christlichen Wandels. In dieser Beziehung lenke ich die Aufmerksamkeit der Leser für etliche Augenblicke auf dieses höchst lehrreiche Kapitel.

„Seid denn Nachahmer Gottes!“ Hatte ich nicht Grund, von der moralischen Erhabenheit des christlichen Wandels zu sprechen? „Seid Nachahmer Gottes!“ Als solche, die seiner Natur teilhaftig und die Wohnung seines Geistes geworden sind, sind wir berufen. Ihm in den Grundsätzen seiner Handlungsweise nachzuahmen. Wie bereits bemerkt, ist Christus hiervon das vollkommenste Beispiel; denn der Heilige Geist fügt hinzu: „Und wandelt in Liebe, gleich wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat, als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch.“ Hierdurch wird den Grundsätzen des christlichen Wandels ein sehr kostbares Element beigefügt. Die Liebe hat hier nicht den Charakter jener göttlichen Liebe, welche, wenn ihr eine Kränkung widerfährt, zu vergeben bereit ist, weil sie über das Böse erhaben ist, sowie Gott die Sünde gegen Ihn um Christi willen vergibt. Hier handelt es sich um eine völlige Hingabe an Gott. Es ist nicht mehr das Gesetz, welches seinen Nächsten, wie sich selbst zu lieben gebietet, und es handelt sich nicht darum, Gott von ganzem Herzen zu lieben; wobei vorausgesetzt ist, dass das Böse nicht mehr existiert, sondern es ist eine Hingebung, welche das Böse als ein Bedürfnis voraussetzt, das zur Ausübung der Liebe eine Gelegenheit bietet. Man gibt sich für andere hin. Nun bedarf es für den Menschen eines Beweggrundes, eines Gegenstandes der Liebe; und damit diese Liebe vollkommen sei, müssen der Beweggrund und der Gegenstand derselben vollkommen sein. Wenn man sich für einen Menschen aufopfert, so kann es aus einem edlen Beweggrund geschehen; aber wenn der Gegenstand unvollkommen ist, so erhebt sich die Liebe nicht, und kann sich nicht über ihren Gegenstand erheben. Diese beiden Elemente finden sich in Christus. Er hat sich für uns dahingegeben, für bedürftige Wesen – Gegenstände seiner erbarmenden Liebe; aber Er hat sich Gott, dem unendlich vollkommenen Wesen dargebracht, und also einen vollkommenen Gegenstand seiner Liebe erlangt, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn Er sich nur uns und für uns gegeben hätte.

Also sollen wir wandeln, immer bereit, uns für unsere Brüder aufzuopfern, indem wir, uns selbst verleugnend, ihrem Dienst uns widmen; jedoch wird dieses nur geschehen können, wenn wir uns selbst Christus darbringen, dem wir als ein rechtmäßig erworbenes Eigentum angehören. So ist denn die Regel unseres Betragens und Wandels keine andere, als welche wir bei Gott selbst finden, während Christus selbst, damit wir zu der Liebe, dem Band der Vollkommenheit, die brüderliche Liebe hinzufügen, in seinem Leben hienieden unser Vorbild ist. Von uns wird nicht gesagt, dass wir die Liebe seien; denn dieses ist nur das Vorrecht Gottes. Er ist die Liebe, und Er liebt uns ohne irgendwelchen Beweggrund; Er liebt uns um dessentwillen, was Er selbst ist. Dieses könnte bei einer Kreatur nicht der Fall sein. Wir ahmen Ihm nach, wenn uns Unrecht geschieht. Diejenige Liebe aber, welche aus sich selbst und ohne jeglichen Beweggrund sich zu anderen hinneigt, gehört Gott allein an.

Das Licht ist eine für sich bestehende Eigenschaft – die Reinheit, die auch alles offenbar macht. Es ist der zweite Name, den Gott sich gibt, um auszudrücken, was Er ist. So war auch Christus hienieden das Licht der Welt. Wir waren in Finsternis; jetzt sind wir Licht im Herrn. So finden wir auch im Brief an die Philipper das, was in jeder Beziehung von Christus selbst gesagt werden konnte, auf uns angewandt, indem der Apostel die Worte sagt: „Tadellos und lauter, Kinder Gottes, unbescholten inmitten eines verdrehten und Verkehrten Geschlechts, unter welchen ihr scheint als Lichter in der Welt, das Wort des Lebens darstellend.“ – Insofern wir Christus als Leben in uns haben, haben wir Anteil an dieser neuen Natur. Reinheit der Beweggründe und der Gedanken, gemäß der göttlichen Natur, sowie das, welches den wahren Charakter dessen, was uns in dieser Welt umgibt, offenbar macht, charakterisiert diese neue Natur. Wir sind Licht in dem Herrn. So also werden die beiden Namen, die einzigen, welche Gott sich gibt, um auszudrücken, was Er ist, nämlich Licht und Liebe, der Ausdruck dessen, was der Christ in seinem Wandel sein soll. Ja, er ist ein Licht im Herrn.

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