Botschafter des Heils in Christo 1870

Das Gesetz der Freiheit

„Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert.“ – „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, als mich, ist meiner nicht wert.“ – „Wer sein Leben findet, wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden.“ – „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ –

Diese und ähnliche Worte des Herrn bezeichnen uns die Hauptgrundsätze des christlichen Wandels: Selbstverleugnung und Übergabe an Gott. Bevor wir aber fähig sind, diese Grundsätze in Ausübung bringen zu können, muss eine gänzliche Veränderung unseres Zustandes stattfinden. Wir waren von Natur Untertanen des Fürsten der Finsternis, Knechte der Sünde, Sklaven unserer Lüste und Begierden. Von Gott getrennt, wandelten wir nach dem Gutdünken unseres eigenen Herzens. Wir waren nicht mehr frei, um tun zu können, was wir wollten; denn die Sünde hatte gänzliche Herrschaft über uns; wir waren unabhängig von Gott, aber abhängig von der Sünde. Doch um Gott dienen und Ihm das Leben widmen zu können, müssen wir frei sein; nicht frei oder unabhängig von Gott, denn das ist Sklaverei, sondern frei von der Sünde und der Macht Satans. Der Sohn Gottes aber machte uns frei. Er zerbrach die Fesseln der Sünde, und beseitigte die Macht Satans über uns. Durch Ihn sind wir von der Sünde freigemacht, und Diener der Gerechtigkeit geworden (Röm 6,18). Nun sind wir frei, um Gott dienen zu können; Nichts steht uns mehr im Weg. Was uns hinderte, ist hinweggetan. Wir sind jetzt abhängig von Gott, Diener der Gerechtigkeit. Freiwillig weihen wir Ihm unser Leben; freiwillig verleugnen wir uns selbst. Durch Christus besitzen wir das Leben, welches will, was Gott will; denn das Leben ist aus Gott. Wenn wir nun die Worte Jesu, oder die Ermahnungen der Apostel lesen, so finden wir sie in Übereinstimmung mit dem Leben, welches wir besitzen. Alles was darin ausgedrückt wird, ist eins mit unserem Wunsch und Willen. Es ist das Gesetz der Freiheit (Jak 1,25). Ebenso wie ein Kind gern das Gebot seines Vaters ausführt, wenn dasselbe mit dem Willen des Kindes übereinstimmt, so gehorcht der Christ freudig dem Gebot Gottes, weil dieses der Ausdruck seines inneren Verlangens ist. Wir sind von Herzen gehorsam geworden dem Bild der Lehre, in welchem wir unterrichtet sind (Röm 6,17). Wenn unsere Herzen diesen Grundsatz erfasst haben, können wir mit Paulus ausrufen: „Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten; ja wahrlich, ich halte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, weshalb ich alles eingebüßt habe, und es für Dreck halte“ (Phil 3,8). Solches ist die Sprache einer freiwilligen Hingabe; und auf diesem Weg fühlt sich das Herz glücklich. Wenn man nach dem Gesetz der Freiheit wandelt, kostet die Selbstverleugnung nicht viele Mühe. Folgende Erzählung mag uns den Beweis dazu liefern:

Durch die Tränen eines Sklavenmädchens, welches man zu verkaufen im Begriff war, ward einst die Aufmerksamkeit eines Herrn angeregt. Während jeder Hammerschlag des Sklavenverkäufers sie beben machte, schienen ihre Leidensgefährten, die auch zum Verkauf ausgestellt waren, sich dieses nicht sehr zu Herzen zu nehmen. Der freundliche Mann näherte sich ihr, um zu fragen, warum sie allein so traurig sei; und er vernahm, dass die anderen bereits an derartige Dinge gewohnt waren, ja, sich gar freuten, einen anderen Herrn zu bekommen, während sie mit großer Sorgfalt von einem guten Herrn auferzogen war, und darum bei dem Gedanken an den ihr noch unbekannten neuen Herrn mit Furcht und Zittern erfüllt war.

„Wie hoch steht sie im Preis?“ fragte der Fremde. Der Preis wurde genannt; es war eine bedeutende Summe; aber nach kurzem Nachsinnen zahlte er sie. Doch nicht eher zeigte die Freude auf dem Antlitz der Fremden ihren Glanz, bis sie aus dem Mund des Käufers vernahm, dass sie frei sei. Sie war als Sklavin geboren und wusste anfangs nicht, was Freiheit war. Ihre Tränen träufelten auf den unterschriebenen Freibrief, den ihr der Befreier vorzeigte; und sie blickte ihn furchtsam an. Schließlich, während er sich zum Weggehen bereitmachte, erklärte er ihr noch, was sie jetzt alles tun könne. Aber erst, als er sich entfernt hatte, begann sie ihre Freiheit zu begreifen. Das Erste, was sie sagte, war: „Ich werde ihm folgen; ich werde ihm mein Leben lang dienen.“ Und auf jede Einwendung antwortete sie: „Er kaufte mich los! Er kaufte mich los! Er kaufte mich los!“

Und wenn Fremde, welche das Haus dieses Herrn besuchten, die liebreichen und treuen Dienste dieses glücklichen Mädchens gewahrten und sie fragten, warum sie sich stets so eifrig in freiwilligem Dienst erwiese, so war sie sofort mit der Antwort zur Hand: „Er kaufte mich los!“

In diesem Geist wandelnd, ist für den Jünger des Herrn das Joch Christi sanft und seine Last leicht.

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