Botschafter des Heils in Christo 1870

Wem gehörst du und wem lebst du?

Von dem Augenblick an, wo der Mensch durch die Gnade von den Wegen seiner Sünde überführt ist, die Liebe ihm begegnet, der Glaube ihn zu Jesu führt, die Gnade ihn aufnimmt, und der Heilige Geist ihm als das Unterpfand der Herrlichkeit und als der Geist der Kundschaft gegeben wird, gehört er sich nicht mehr selbst an, sondern ist das Eigentum eines anderen, nämlich Christi geworden, und daher berufen, nicht mehr seinen eigenen Willen zu tun, und nicht mehr sich selbst zu leben. Er ist durch Christus um einen Preis gekauft, mithin rechtmäßig erworben, und gehört daher Ihm mit Leib und Seele. Als Sklave Christi aber sollte er sich stets sagen: Ein Christ sein, heißt: Nicht mehr sich selbst leben.

Wenn wir auf den Kaufpreis, den der Herr Jesus für den Besitz der Seele eines Sünders gegeben, unseren Blick richten, dann tritt es klar ins Licht, welchen Wert wir in seinen Augen haben, und wie wertvoll jede einzelne Seele der so teuer Erkauften für Ihn sein muss, der sie sich erkauft hat, um sie ganz zu besitzen, nach Leib und Seele, mit ihrem ganzen Tun, mit der ganzen Gesinnung, dem ganzen Leben. Je tiefer dieses erkannt wird, desto süßer ist das Bewusstsein, ein Eigentum Jesu zu sein, und desto mehr Vertrauen wird das Herz zu Jesu fassen, dass Er das, was Er so teuer und so völlig für sich erworben, auch treu bewahren und reichlich versorgen werde.

Nicht mehr sich selbst leben, heißt also Anderen leben! Alles, was wir tun, hat eitlen Beweggrund, einen Zweck, eine Richtung, unsere Bemühungen gelten entweder dem Fleisch, oder dem Herrn, und im Herrn den Brüdern. Der Herr aber sieht unsere Pfade, kennt unsere Werke und beurteilt die Triebfedern und Beweggründe unseres Herzens bezüglich jedes Werkes. Welch ein herrliches Vorbild ist in dieser Beziehung der Apostel Paulus! Er arbeitete nicht, um Menschen zu gefallen; er suchte seinen vollen Lohn droben, und wollte aus der Hand des gerechten Richters seine Krone empfangen. Der Herr beurteilt alles nach seinem Licht, und wägt alles ab mit seiner Wage. Vor Ihm ist alles klar, ob unsere Gesinnung, Worte und Werke für das Fleisch oder für Ihn sind. Vor Ihm ist alles offenbar. Wie ernst ist dieser Gedanke!

Wer Ihm nachfolgen will, hat sich selbst zu verleugnen, seinen eigenen Willen preiszugeben, und zwar so völlig, als sei er nicht mehr da. Der Herr, dem wir alles, was wir sind und haben, verdanken, sollte für unser Herz zu wertvoll sein, als dass wir Ihm nicht allein leben möchten; aber Ihm gehört auch unser Leben; denn wir sind sein Eigentum, des aus den Toten Auferweckten (Röm 7,4) geworden, sind Sklaven Gottes, in Gott zu leben (Röm 6,22). Ein Sklave hat kein Recht, seinen eigenen Willen zu haben; und insoweit ein Christ seinem eigenen Willen folgt, greift er in die Rechte, die sein Herr über ihn hat. „Denn keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber; denn sei es, dass wir leben, sei es, dass wir sterben, wir sind des Herrn. Denn hierzu starb und lebte Christus, auf dass Er herrsche, sowohl über Tote als Lebendes“ (Röm 14,7–8).

Ach, wie wenig beachten wir oft diese Wahrheit! Wie leichtfertig wandeln wir oft unsere eigenen Wege, ohne daran zu denken, wie sehr mir das Herz dessen betrüben. Der uns um einen so teuren Preis erkauft hat! Wie schwach ist in uns das Bewusstsein, dass unsere Leiber Tempel des –Heiligen Geistes sind! Hat Er doch durch den Heiligen Geist selbst von unserem Leib Besitz genommen, um darin zu wohnen. „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel ist des Heiligen Geistes, der in euch ist, welchen ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid? Denn ihr seid um einen Preis erkauft. So verherrlicht nun Gott an eurem Leib“ (1. Kor 6,19–20). Auch wendet der Apostel dieselben Worte an, wenn er uns erinnern will, dass wir nicht der Menschen Knechte seien. „Ihr seid um einen Preis erkauft; werdet nicht der Menschen Sklaven“ (1. Kor 7,23). Weder gehören mir uns selbst an, um unseren Willen zu tun, noch gehören wir den Menschen, um ihre Knechte zu sein. Wohl gibt es viele unter den Seinen, die Knechte anderer in dieser Welt sind; und sie sollen nach der Vorschrift des Wortes Gottes ihren leiblichen Herren dienen mit aller Unterwürfigkeit, als dem Herrn selbst. Natürlich ist von einem solchen Verhältnis hier nicht die Rede. Aber es gibt eine andere Seite, wo ein Knecht seiner Herrschaft, oder im Allgemeinen ein Christ anderen Menschen gegenüber menschengefällig sein kann, wo sein Dienst nur aus Ruhmsucht und Eitelkeit vor den Augen der Menschen geübt wird, mithin nichts als Augendienern ist, und wobei man so weit gehen kann, dass man in Dingen unterwürfig ist, die dem Herrn missfallen und seinen Namen entehren. In einem solchen Zustand hat man vergessen, dass weder der eigene Wille, noch der Wille des Menschen, sondern nur der Wille des Herrn die einzige Triebfeder unseres Tuns sein darf. Es ist in der Tat, die höchste Zierde des Christen, den Willen Gottes zu erkennen und demselben unterwürfig zu sein; und in dieser Beziehung sind wir ermahnt, „zu prüfen, welches der wohlgefällige Wille Gottes sei“ (Röm 12,1). Gewiss sind wir berufen, bei unserem Wandel Rücksicht auf die Menschen zu nehmen, und vor allem auf die Brüder, Ihnen zu gefallen zum Guten, zur Erbauung, (Röm 15,2) „nicht das Unsere zu suchen, sondern was des anderen ist“, (1. Kor 10,24) und nachzudenken über alles, was „ein Lob, eine Tugend“ ist; (Phil 4,8) aber die Verherrlichung des Namens Gottes, und nicht unsere eigene Verherrlichung muss die einzige Triebfeder unseres Tuns und Handelns sein. In all diesem hat uns der Herr ein Vorbild gelassen. Er, der Schöpfer aller Dinge, nahm den Platz eines gehorsamen Knechtes auf dieser Erde ein. Wie abhängig von dem Willen des Vaters vollendete Er seinen Lauf, nicht seinen Willen tuend, sondern den Willen dessen, der Ihn gesandt hatte! (Joh 5,30) Und von diesem Pfad einer völligen Unterwürfigkeit wich Er nicht um ein Haar breit ab.

Und der Wille des Vaters war, dass Er sein Leben für seine Feinde hingeben sollte. Und wie versuchungsreich, wie dornenvoll, wie demütigend, wie schmerzlich und mit wie vieler Verleugnung verbunden war der Weg, um dieses Ziel zu erreichen! Er richtete sein Antlitz stracks gen Jerusalem in vollem Bewusstsein dessen, was dort seiner harrte; und weder die List Satans, noch die Bosheit der Menschen, noch die Schwachheit seiner Jünger, und noch endlich das Kreuz mit seinen Schrecken und der Stunde der Finster– nichts war im Stande, seinen Lauf zu hemmen. Er war gekommen, den Willen des Vaters zu tun, und gehorsam zu sein bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz; und Er konnte sagen: „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse für meine Schafs. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh 10). Und den Pfad solcher Leiden, deren Größe wir nicht zu ermessen vermögen, wandelte Er, völlig dem Willen seines Vaters unterworfen, bis ans Ende. Würde er auch nur einen Augenblick sein Joch und seine Last abgeschüttelt haben, so wäre das ewige Heil unserer Seele zur Unmöglichkeit geworden. Aber gepriesen sei sein heiliger Name! Er hemmte seine Schritte nicht, erreichte das Ziel seines dornenvollen Pfades, nahm den Kelch willenlos aus der Hand seines Vaters, und harrte aus unter der Kraft Satans und unter dem Zorn Gottes, bis Er ausrufen konnte: „Es ist vollbracht!“

Wie viel leichter ist doch unser Weg! Bedurfte Er, der erniedrigte Heiland, der Stärkung der Engel, so ist Er, das verherrlichte Haupt der Seinen, jetzt selbst unsere Stärke und unsere Kraft. Er, der in eigener Person die Bitterkeiten und Schwierigkeiten dieses Lebens durchgemacht und sie daher kennen gelernt hat, trägt jetzt für uns das innigste Mitgefühl in seinem Herzen, und leitet uns mit seiner mächtigen Hand. Er lässt die Versuchungen einen solchen Ausgang finden, dass wir sie zu ertragen vermögen; und während Er einem bis dahin unbesiegtem Feind gegenüberstehen musste, haben wir es mit Feinden zu tun, die schon besiegt worden sind durch die Kraft, die in uns ist, d. i. die Kraft Christi.

Doch kehren wir zurück zu der Wahrheit, dass wir sein erworbenes Eigentum sind. Ja, Ihm allein gehören wir an; und „Er ist für alle gestorben, auf dass die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt ist“ (2. Kor 5,15). Wie lohnend ist es, mit Selbstverleugnung sich dem Herrn zu übergeben, dem Fleisch, der Natur keine Rechte mehr einzuräumen, willenlos die Wege Gottes zu verfolgen, sich – dem alten Menschen nach – als gekreuzigt und tot zu halten, und als ein göttlicher, neuer Mensch zu wandeln, und zwar zur Verherrlichung dessen, der uns mit seinem Blut erkauft hat! Und wahrlich, in dem Herrn Jesus selbst ist uns kein geringes Muster vor Augen gestellt. Er hat uns ganz erworben, und ganz sollte unser Leben Ihm gewidmet sein.

Geliebte Brüder! Wenn wir unserem eigenen Willen folgen und unsere eigenen Wege gehen, so zeigen wir, dass das Bewusstsein, uns nicht mehr anzugehören, nicht lebt in unseren Seelen. O wie gesegnet würde es sein, mit ganzem Herzen diesen Boden zu betreten, wo unser eigener Wille durchaus keine Geltung hat, und wo nur ein Beweggrund für unseren Wandel einen Platz findet, nämlich den Willen dessen zu tun, der uns für sich erworben hat. Wir wissen sehr wohl, dass wir von Natur zu allem Guten unfähig sind, und dass uns unser eigener Wille, der Wille unseres Fleisches, stets irreführen wird. Lasst uns daher nicht leichtfertig vorangehen, lasst uns nicht folgen den Plänen und Meinungen unseres trügerischen Herzens, ohne still zu stehen und zu untersuchen, ob wir einen Weg einschlagen nach dem wohlgefälligen Willen des Herrn!

Möchte der Herr uns in seiner Gnade verstehen lassen, dass es nur einen einzigen, gesegneten Platz hienieden für uns gibt, nämlich zu prüfen und zu tun seinen Willen; aber dieser Pfad schließt das Fleisch völlig aus.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel