Botschafter des Heils in Christo 1870

Auszug aus einer Betrachtung über 4. Mose 28,1-13

Es ist für den Menschen – sei es als Kreatur, sei es als Sünder – nichts schwieriger, als Gott wirklich zu erkennen; und dennoch ist es das ewige Leben, „Dich, den allein wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus, zu erkennen“ (Joh 17,3). Diese Erkenntnis Gottes, welche das ewige Leben ist, fehlt dem natürlichen. Menschen ganz und gar; sie kann sich auch nicht in ihm finden, weil sie nicht aus dem menschlichen Verstande hervorgehen kann; denn sonst wäre Gott nicht Gott. Wenn mein Verstand über irgendetwas ein Urteil fällt, so steht er höher, als die Sache, welche ich beurteile; und diese Sache kann nicht Gott sein; denn sonst wäre ich Gott überlegen. Der Mensch kann die Gedanken Gottes nicht erfassen; könnte er dieses, so wäre diese Erkenntnis für ihn, der in der Sünde ist, sein Verderben. Der Mensch kann Gott nicht sehen und leben (2. Mo 33,18–23).

Wenn aber Gott wirkt, wenn Er alle seine Güte vor Mose vorübergehen lässt, wenn Er begnadigt und sein Erbarmen bewiesen, wenn Er ihn auf den Felsen gestellt und mit seiner eigenen Hand bedeckt hat, während seine Herrlichkeit vorübergeht, dann kann Jehova von hinten gesehen werden, nicht aber von Angesicht, Wenn, all seine Güte vorübergegangen ist, kann man Ihn erkennen; ohne dieses wäre der Anblick Gottes das ewige Verderben.

Wenn Gott einmal wirklich erkannt worden ist, so versteht man völlig, dass Gott kennen – die Liebe kennen heißt. Durch alles, was Gott für uns getan, versteht man dieses; und die Gnade, mittelst welcher man es versteht, findet ihre Anwendung auf den armen Sünder in seiner Sünde. In der Erkenntnis Gottes wandeln – und dieses ist die wahre Heiligkeit – ist, in der Erkenntnis seiner Liebe wandeln. Gott ist stets das für uns, was Er im Tod seines Sohnes für uns war; und jeder, welcher Gott in dieser Weise kennt, rechnet auf diese Liebe. Was das innere Leben kräftigt, was Einsicht gibt und sie entwickelt, ist die fortwährende Abhängigkeit von dieser Liebe, und der Fortschritt besteht in einem immer tieferen und beständigeren Gefühl derselben, während die Ursache und Folge des inneren Rückschrittes der ist, dass Gott weniger erkannt wird, und man sich nicht aus seine Gnade stützt, wie es seiner Liebe angemessen ist. Von diesem Augenblick an bewegt sich der Mensch in seiner eigenen Fähigkeit und fällt; der Strom versiegt, weil er nicht mehr in gehöriger Verbindung mit der Gnade steht. Nicht in dem Maß auf die Gnade Gottes zählen, wie dieselbe zu unserer Verfügung steht – dieses ist der Schlüssel zu aller Abnahme geistlichen Lebens. Das Gewissen übt dann Gewalt über das Herz aus; und dieses, weil es zu viel Böses sieht, hat kein Vertrauen mehr, um auf Gott zu rechnen.

Was das Christentum charakterisiert, ist, dass wir durch einen Mittler mit Gott verkehren können. In Eden genoss der Mensch den persönlichen Umgang mit Gott; wir genießen denselben durch Hilfe eines Mittlers. Die Gnade Gottes offenbart sich in Jesu in Verbindung mit allen Bedürfnissen und Mängeln der Kinder Gottes. Gott hat uns errettet und berufen mit heiligem Ruf, und Er wird in unseren Herzen nicht verherrlicht, wenn wir nicht verstehen, dass Er uns errettet hat. Eine wirtlich erweckte Seele kann sich mit nichts wenigerem als mit dem Heil begnügen; und Gott in seiner Offenbarung mit Jesu wird dem Herzen ungemein köstlich.

Auf diese Weise sollte Israel in der Wüste Gott kennen lernen. Israel, von Ägypten ausgegangen, hat alles verlassen, um in ein unbesätes Land zu kommen. Dieses war die Liebe des Brautstandes; Israel war für Jehova geheiligt. Es gab nichts in der Wüste, was das Herz hätte anziehen, was ihm einen Beweggrund hätte geben können, als allein die Nachfolge Gottes; und wir folgen Ihm glücklich und mit Freuden, ohne irgendwelche Sorge, weil der Gott, der uns errettet hat, uns auch vorangeht. Gott genügt dem Herzen, und dieses ist die Liebe des Brautstandes. Wenn Gott weniger der Gegenstand unserer Liebe ist, so erkaltet dieselbe; man beschäftigt sich weniger mit Gott, das Herz wendet sich anderen Dingen zu, und siehe da, der Glaube sinkt, das Elend oder ein augenscheinlicher Fall sind die Folgen. Es ist dann die Wüste, welche als Wüste das Herz beschäftigt, und einem solchen Herzen genügt Gott nicht mehr.

Gott aber weiß wohl, dass Er uns in die Wüste geführt hat, und was tut Er? Er geht vor den Israeliten her und sucht ihnen eine Lagerstätte, einen Ort, wo sie ruhen können, (4. Mo 10,33; 5. Mo 1,33) obwohl, was die Ordnung der Stämme betrifft, die Bundeslade in der Mitte derselben sein sollte. Was Gott für uns in der Wüste tut, ist dieses: Er sucht Ruhe für uns und geht deshalb vor uns her, lässt uns Erquickungen und Labsale finden, und so gehen wir von Kraft zu Kraft. Erhebt sich die Wolke, so brechen wir wieder auf. Ader das genügte Israel nicht; das Volk beklagte sich über Müdigkeit (4. Mo 11,1) und schreitet von Empörung zu Empörung. Hier haben wir die Geschichte unserer Herzen; aber Gott entfaltet die überschwänglich reichen Hilfsquellen seiner Gnade. Nach dem Aufruhr Korahs hat Gott die Gedanken seiner Gnade gegen sein Volk nicht aufgegeben; Er lässt den Stab Aarons blühen. Moses hatte nichts dazu beigetragen, und es ist wichtig zu verstehen, welche Bedeutung dieser Stab für uns hat. Die Erde hatte Korah, Dathan und Abiram verschlungen; (4. Mo 16,33) aber durch dieses wurde das Volk nicht durch die Wüste geführt. Gott wollte das Murren der Kinder Israels zum Schweigen bringen; (4. Mo 17,5) und deshalb befahl Er, dass die Stäbe der Bundeslade in die Hütte gebracht würden; und der Stab, welcher sprosste, war derjenige des Priesters. Im Charakter eines Priesters wird Gott der Heerführer seines Volkes.

Das Priestertum Jesu allein kann uns führen. Es ist eine Autorität, welche unseren Bedürfnissen angepasst ist und Kenntnis davon nimmt, sie vor Gott zu bringen, damit seine Gnade denselben entgegenkomme. Das Priestertum ist nicht nur aufgerichtet, um uns die Vergebung, die Barmherzigkeit und die Gnade zu verschaffen, (Heb 9,16) sondern es teilt uns auch die zur Erneuerung unserer Kräfte notwendige Gnade mit. Wir werden sehen, welchen Gebrauch man von dem Stab Aarons machen soll, und wie groß die vollkommene Güte Gottes gegen uns ist. Die rote Kuh, von welcher in Kapitel 19 gesprochen ist, sowie das Wasser der Reinigung wenden vorbildlich die Leiden Christi auf das Herz an und zeigen den Abscheu, welchen Gott an der Sünde hat. Aber wir haben auch noch Bedürfnisse; das Herz dürstet und bedarf der Erquickung auf dem Weg nach dem Land der Verheißung.

das Volk murrt, weil es kein Wasser hat, und wünscht sogar den Tod. Die Schwierigkeiten führen die Entmutigung herbei, und das Volk in seiner Torheit wünscht, von Jehova ausgerottet worden zu sein, als Gott Jehova die Sünde richtete. Sie wünschten lieber in Ägypten geblieben zu sein, obwohl sie das Gericht Gottes über jenes Land gesehen. Sie hatten die Freude des Brautstandes vergessen, und in ihren Augen war die Wüste nur noch ein böser Ort, nicht ein Ort für Saat und Feigenbaum und Weinstock und Granatbaum; und kein Trinkwasser war vorhanden (V 5). Wie oft sagen unsere Herzen: „Dieser böse Ort!“ Unsere Lippen würden es nicht auszusprechen wagen; unser Gewissen verhindert uns, es zu sagen und diesen Gedanken gut zu heißen. Wie viele Herzen – und ich zweifle nicht, auch unter unseren Lesern – sagen oft: „Welch ein böser Ort!“ Die Israeliten richteten ihr Auge auf die Wüste; sie hatten nicht das Bewusstsein, dass Gott unter ihnen war, weil ihr Herz etwas anderes suchte.

Gott will, dass wir seine Gedanken kennen. Er sagt hier nicht wie nach der Versündigung mit dem goldenen Kalbe, (2. Mo 32,10) wie nach der Weigerung des Volkes, nach Kanaan zu ziehen, (4. Mo 14,12) und wie nach dem Aufruhr Korahs, (4. Mo 16,21) dass Er das Volk vertilgen und Mose zu einer großen Nation machen wolle. Dieses Mal ist es nicht die Fürbitte Mose, welche das Gericht Gottes abwendet. Das Herz und die Gedanken Gottes sind nach einer ganz anderen Seite hingerichtet. Er erinnert sich des Stabes Aarons, welchen Er erwählt hat, um das Murren des Volkes zu stillen. Das Priestertum bringt die Gnade hervor, welche, unseren Bedürfnissen gemäß, auf unseren Zustand angewendet wird. In Israel waren Bedürfnisse und mancherlei Elend; aber Gott wollte in Gnade handeln und in dieser Wüste Wasser hervorquellen lassen. „Redet zu dem Felsen, dass er sein Wasser gebe“ (V 8). Gott befiehlt, den Stab zu nehmen, diesen wohl bekannten Stab, welcher vor Ihm in der Hütte war. Moses aber handelt anders; er befolgt zwar die Befehle Gottes bis zum Felsen hin; er nimmt den Stab und versammelt die ganze Gemeinde; aber indem er von Gott als Werkzeug gebraucht wird, findet der Gedanke an sich selbst Eingang in seinem Herzen, und er gebraucht die Autorität Gottes, um sich selbst zu verherrlichen.

Wir finden im Wort Gottes, mit Ausnahme des Herrn Jesus, wohl kaum einen schöneren Charakter, als denjenigen von Moses. Es ist immer etwas höchst Ernstes, der Sünde in einem Mann Gottes zu begegnen; es bewirkt dieses ein peinliches, demütigendes Gefühl. Aber Gott spricht sein Urteil. – Wegen dieser Sünde darf Moses das Volk nicht in Kanaan einführen. Später flehte er dieser halb zu Gott; aber Gott wollte sein Wort nicht zurücknehmen. „Lass es genug sein“, sprach er zu Mose, „rede nicht mehr zu nur von dieser Sache“ (5. Mo 3,26). Moses sagt zu dem Volk: „Hört doch, ihr Widerspenstigen!“ – Er hatte in ganz richtiger Weise die Gottlosigkeit des Volkes beurteilt; aber „sie erbitterten seinen Geist, also dass er unbedacht redete mit seinen Lippen“ (Ps 106,33). Gott geht hier über seine gewöhnlichen Wege hinaus. Moses war treu in seinem Haus; hier aber ist Gott nicht nur treu, sondern Er handelt in Gnade, und Moses kann sich nicht mehr zur Höhe der Gedanken Gottes erheben. Während er die Widerspenstigkeit sieht, denkt Gott an den Stab Aarons; und dieser Stab war nicht dazu bestimmt, die Widerspenstigen zu schlagen.

Gott hat einen erstorbenen Stab sprossen lassen. Dieses ist ein neuer Grundsatz des Lebens, welches dem, was tot ist, mitgeteilt wird. Knospen, Blüten, Mandeln auf einem erstorbenen Stab! Das sind Wirkungen, deren Urheber nur Gott sein kann. Moses beschäftigt sich mit den Widerspenstigen und versteht Gott in diesem Augenblick nicht. Er sagt zum Volk: „Werden wir wohl aus diesem Felsen Wasser für euch hervorbringen?“ – Werden wir? – Er schreibt sich die Sache zu und schlägt den Felsen mit seinem Stab. Er hat sich nicht bis zur Höhe der Gnade erheben können, welche aus eigenem Antrieb durch das Priestertum zur Segnung des Volkes tätig ist. Das Priestertum tritt dazwischen. Jesus wirkt in seiner vollkommenen Gnade in den armen Sündern und zwar als Gott, der in ihrer Mitte wandelt, um durch das Priestertum von ihrem Zustand Kenntnis zu nehmen und sich in ihrer Gegenwart zu heiligen, d. h. den Platz einzunehmen, der Ihm gebührt.

Wenn Bedürfnisse vorhanden sind, wenn Dürre, wenn Durst, wenn kein Wasser da ist am Ende des Zuges durch die Wüste, was ist dann zu tun? Das Priestertum ist da; man muss nur Gebrauch machen von dem ewigen Grün, das aus dem Tod hervorgegangen ist, und das Wasser wird aus demselben hervorquellen. Das erste Mal, als es Israel an Wasser gebrach, musste der Fels geschlagen werden (2. Mo 17,6). Damit der Sünder das Leben vor Gott fände, musste Christus für ihn geschlagen werden. Die Autorität der Gerechtigkeit Gottes musste schlagen; dieses eine Mal war genügend. Wäre es möglich gewesen, dass Christus zum zweiten Male leide, so würde damit die Wirkung aller seiner Leiden geleugnet sein. Als der Fels zum ersten Male geschlagen wurde, gab er sein Wasser für das Volk; jetzt würde, ohne zu schlagen, ein Wort genügt haben, und der Fels hätte sein Wasser gegeben. Christus, welcher die Blüten und Früchte getragen hat, und vor Gott der ewige Beweis der Gültigkeit seines Werkes ist, erscheint vor Ihm in Betreff aller unserer Bedürfnisse und Nöten hienieden; wir brauchen dieselben nur, gestützt auf das Priestertum, vor Gott zu bringen, und das Wasser ist da. Dieses ist so einfach, dass man, wie Naemann Mühe hat, es zu glauben (2. Kön 5). Es wäre eine eitle Hoffnung gewesen, ein solches Volk ohne diese wirksame Gnade, ans Ziel führen zu wollen. – Wenn die Wüste eine Wüste und der Mensch Mensch ist, so hält ihn nichts aufrecht, als diese beständige, diese stets bereitwillige Gnade. Die Einfalt des Herzens ist hiervon überzeugt; sie stützt sich auf das Priestertum Jesu, dessen sie stets bedarf. Je mehr wir das Gefühl unserer Abhängigkeit haben, desto mehr zählen wir in den Schwierigkeiten auf einen Freund. – Moses kann das Volk nicht in das Land Kanaan einführen – dieses ist das Haderwasser (V 13) Die Kinder Israel murrten wider Jehova, und Gott heiligt sich, indem Er ihnen ungeachtet des Fehltrittes Mose Wasser gibt. Gott wollte nicht von der Höhe seiner Gnade herabsteigen. Er hat Mose gestraft und seine Gnade seinem Volk gegenüber bewiesen – eine Gnade, von welcher dieses keinen Gebrauch machen will, wenn sie vorhanden ist. Wie oft ist dieses bei uns der Fall!

Gott möge uns unterweisen, um in das Verständnis seiner Gnade einzugehen, uns Ihm zu nahen in dem Bewusstsein, dass Jesus da ist, und in einfältiger und kindlicher Zuversicht von dem Priestertum Jesu Gebrauch zu machen. Man darf wohl wünschen, dass das Volk Gottes seine Gnade in dieser Weise verstehen lerne. Glücklich sind wir jedoch zu wissen, dass wenn wir auch nicht vermögen, Gott zu heiligen, Er selbst sich heiligt. Allerdings entsteht hierdurch ein Verlust für uns. Immerhin aber muss Er es tun und den Platz in unseren Herzen einnehmen, welcher Ihm gebührt. Es ist eine Freude für Gott, das Wohl seiner Auserwählten zu sehen und seine eigene Verherrlichung in ihnen (Nach J. N. D.).

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