Der Brief an die Römer

Kapitel 6

Der Brief an die Römer

In Kapitel 5,20 hatte der Apostel gesagt: „Wo aber die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überreichlicher geworden“. Diese Worte könnten nun leicht dem Fleisch zu der Frage Anlass geben: „Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme“ (Vers 1)? Mit anderen Worten: Wird nicht die Gnade sich umso reichlicher an uns verherrlichen können, je mehr wir in der Sünde fortleben? „Das sei ferne“, erwidert der Apostel und zeigt dann ganz einfach und klar, dass ein solches Fortleben in der Sünde für den Christen ganz unnatürlich und widersinnig ist, weil er durch den Tod ihrer Herrschaft entrissen worden ist. „Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch darin leben“ (Vers 2)? Das Leben in der Sünde ist nur Tod und steht also im vollen Gegensatz zu dem Leben des Gerechtfertigten, das er in Christus besitzt; und von diesem Leben spricht hier der Apostel. Es handelt sich also in diesem Kapitel nicht um das Hinwegtun unserer Sünden, wovon in dem vorigen die Rede ist, sondern um unsere Befreiung von der Herrschaft der Sünde. Wir haben nicht nur gesündigt, sondern sind auch Sklaven der Sünde; und hier zeigt uns der Heilige Geist, wie wir durch die Einsmachung mit Christus in seinem Tod und seiner Auferstehung völlig befreit und als Sklaven der Gerechtigkeit in die Gegenwart Gottes gebracht sind.

Von Vers 3 bis Vers 14 haben wir eine weitere Erklärung über die Art und Weise, wie wir der Sünde gestorben sind – eine Wahrheit, die gesegnete Folgen hat, besonders auch für unseren praktischen Wandel auf der Erde. Es ist aber nie, wie wir ebenso deutlich sehen werden, von dem Tod Christi zu trennen; denn man kann sich nur in der Einsmachung mit seinem Tod sich der Sünde oder dem Gesetz für gestorben halten.

Zunächst zeigt nun der Apostel, wie das 'der Sünde gestorben sein' schon einfach in der Taufe auf den Tod Christi bekannt und ausgedrückt wird. „Wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Christus Jesus getauft worden sind, auf seinen Tod getauft worden sind? So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod, damit, so wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln“ (Verse 3 und 4).

Durch die Taufe werden wir mit dem Zeugnis und der Stellung dessen in Verbindung gebracht, auf dessen Namen wir getauft sind. So war es mit der Taufe auf Mose, auf Johannes, und so ist es auch mit der Taufe auf Jesus Christus. In dieser Stelle hier sagt also der Apostel ganz einfach, dass wir, die Glaubenden, mit dem Tod Christi in Verbindung gebracht, durch die Taufe auf seinen Tod mit Ihm begraben worden sind.

Der Tod Christi ist der völlige Beweis, dass der Zustand des Menschen ganz und gar verdorben ist; denn selbst der Sohn Gottes, sobald Er vor Gott die Stelle des Menschen einnahm, um ihn von der Sünde und deren Folgen zu befreien, musste am Kreuz sterben. Sobald nun der verlorene Sünder durch Glauben das Werk Christi erfasst, versteht er, dass er vom Tod befreit ist, weil Christus für ihn den Tod erlitten hat. Und in seinem Tod ist auch er selbst mitgetötet und hat also den Lohn der Sünde, d.i. den Tod, schon empfangen. In der Taufe auf den Tod Christi bekennt nun der Gläubige, dass er von dem ersten Zustand, der vor Gott vollkommen verwerflich und in dem Tod Christi vollkommen beseitigt ist, Abschied genommen hat, um in einem neuen Zustand vor Gott zu leben. Die Taufe stellt also die völlige Beseitigung des Zustandes dar, worin wir in dem ersten Adam unsere Stellung vor Gott hatten und verloren waren. Wir bezeugen darin, dass wir, als mitgestorben in Christus, auch mit Ihm begraben sind. Und Gott gibt uns seinerseits dasselbe Zeugnis. Sind wir aber mit Ihm gestorben und begraben, so sind wir auch mit Ihm auferweckt, und stehen mit Ihm, dem zweiten Adam, in einer ganz neuen Stellung vor Gott. Das werden wir noch deutlicher in den Versen 5 und 6 ausgedrückt finden.

Was ist nun aber der Zweck unserer Einpflanzung1 in den Tod und die Auferstehung Christi im Blick auf unseren Wandel? „Damit, so wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln“ (Vers 4). In dem ersten Zustand lebten wir in der Sünde und im Tod, aber jetzt, weil wir mit Christus auferweckt sind, in Neuheit des Lebens – ein Gegensatz zu dem 'in der Sünde leben'. Das Leben des Christen ist ganz neu und aus diesem fließt der Wandel hervor.

Die Tragweite dieses neuen Lebens, in das wir durch die Auferstehung versetzt sind, wird uns hier auf eine sehr treffende Weise vorgestellt. Christus hat in seinem Tod Gott vollkommen verherrlicht. Seine Auferweckung war deshalb der Herrlichkeit Gottes wegen erforderlich. Gott wurde, sozusagen, durch seine eigene Herrlichkeit gezwungen, Christus aus den Toten aufzuerwecken, weil auch Christus alles verherrlicht hatte, was in Gott war: seine Gerechtigkeit, seine Liebe, seine Wahrheit und seine Macht. Es war der Herrlichkeit Gottes unmöglich, dem Tod einen bleibenden Sieg über den zu geben, der treu gewesen war, und ebenso wenig erlaubte die Beziehung, die zwischen Gott als Vater und dem Herrn Jesus bestand, dass Gott seinen Sohn als Sklaven dessen, was die Frucht der Sünde und die Macht des Feindes war – als Sklaven des Todes – zurücklassen konnte. Mit einem Wort: Gott war es seiner eigenen Herrlichkeit als Gott und Vater schuldig, den Herrn Jesus aus den Toten aufzuerwecken. Christus ist also durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt; und in diesem ganz neuen Zustand – die Frucht der Wirkung dieser Herrlichkeit – ist Er das Vorbild und der Charakter des Lebens, in dem wir vor Gott leben. Ohne diese Offenbarung seiner Herrlichkeit in Christus würde Gott für immer verborgen geblieben sein. Nur in dem verherrlichten Christus, dem Mittelpunkt aller Ratschlüsse Gottes, schauen wir die Herrlichkeit des Herrn mit aufgedecktem Angesicht, und jede Zunge wird bekennen, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters (Phil 2,11).

Unsere Einpflanzung in den Tod und die Auferstehung Christi wird, wie schon gesagt, noch deutlicher in den Versen 5 und 6 ausgedrückt, und besonders gesegnet ist in diesen und anderen Stellen das Wörtchen mit-: mitgekreuzigt, mitgestorben, mitbegraben, mitauferweckt, mitlebendig gemacht. Wir sind mit Christus zu einem Organismus geworden, sowohl in seinem Tod als auch in seiner Auferstehung. „Denn wenn wir mit ihm einsgemacht worden sind in der Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in der seiner Auferstehung sein“ (Vers 5). Was den alten Menschen betrifft, ist er in seinem Tod völlig vor Gott beseitigt, und in seiner Auferstehung zum Leben erneuert. Als mit Christus auferweckt haben wir jetzt unsere Stellung vor Gott und stehen vor Ihm in seiner eigenen göttlichen Gerechtigkeit. Wir sind nicht nur durch sein Blut versöhnt und gerechtfertigt, sondern auch in seinem Tod mitgetötet und in seinem Leben mitlebendig gemacht.

Der Ausdruck Leib der Sünde bezeichnet den ganzen Zustand des natürlichen Menschen, als völlig der Sünde und ihrer Herrschaft unterworfen. Dieser Sündenleib nun, worin wir von Natur unsere Stellung vor Gott hatten und der Sünde dienten, ist dadurch, dass der alte Mensch mitgekreuzigt ist, hinweggetan, und darum hat auch unser Sündendienst aufgehört. Dieses Aufhören ist also das einfache Resultat der Tatsache, dass wir mitgekreuzigt sind: Auferweckt mit Christus haben wir aufgehört, Sklaven der Sünde zu sein; wir sind als solche mitgekreuzigt und als Sklaven der Gerechtigkeit mitauferweckt. „Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde“ (Vers 7). Einem gestorbenen Menschen kann man keine Sünde zur Last legen; nur ein lebender Mensch ist verantwortlich für den Zustand, in dem er sich befindet.

„Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden“ (Vers 8). Die Kraft des Lebens, wodurch Er lebt, ist auch unser Teil: Wir gehören der anderen Welt an, in der Christus als Auferstandener lebt. Das glauben wir und wissen auch, „dass Christus, aus den Toten auferweckt nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über ihn“ (Vers 9). Deshalb rechnen auch wir auf die Auferstehung. Wir werden durch seinen vollkommenen Sieg über den Tod, in den Er durch die Gnade für uns eingetreten ist, in den Teilhaber der Auferstehung. Durch den Glauben sind wir mit Ihm in das Leben eingetreten, weil wir an dem Tod teilhaben, den Er für uns erduldet hat.

Der Gehorsam des Christus wurde bis zum Ende, bis zum Tod am Kreuz, durch große Leiden erprobt. Er aber wollte lieber sterben und sagte: „Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe.“. Und so starb er und erfüllte im Tod seinen Gehorsam. Weil Er aber Gott verherrlicht hat, so ist Er nun auch für immer mit dem Tod fertig. Die Auferstehung war durch die Herrlichkeit des Vaters die gesegnete Folge des Todes Christi. Jetzt lebt Er nur Gott und hat nichts mehr mit der Sünde zu tun. Sein Leben steht allein in Verbindung mit Gott; „denn was er gestorben ist, ist er ein für alle Mal der Sünde gestorben; was er aber lebt, lebt er Gott“ (Vers 10).

So ist es auch mit uns, denn wir genießen dieses alles durch den Glauben; wir sind der Sünde gestorben und leben für Gott und haben keinen anderen Gegenstand des Lebens als Gott durch Jesus Christus. „So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebend in Christus Jesus“ (Vers 11). Ich habe mich für tot zu halten; ich habe das Recht, das zu tun, weil Christus für mich gestorben ist. Die Sünde ist nicht tot, sie lebt; aber ich bin gestorben. Der alte Mensch ist gekreuzigt; und deshalb folgt jetzt diese ernste und feierliche Ermahnung in den Versen 12 und 13: „Also herrsche nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib, um seinen Begierden zu gehorchen; stellt auch nicht eure Glieder der Sünde dar zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch selbst Gott dar als Lebende aus den Toten und eure Glieder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit“. Hier handelt es sich nicht um einen Grundsatz, sondern um Kraft. Wir sind mit Christus der Sünde gestorben, und sie hat in der Praxis keine Macht mehr über uns. Christus hat uns durch den Tod aus ihrem Dienst herausgeführt; und wir haben uns jetzt als Lebende aus Toten Gott zum Dienst der Gerechtigkeit völlig zu übergeben. Doch bemerken wir wohl, dass die Quelle der praktischen Kraft, und darum handelt es sich hier, die Gnade ist. „Die Sünde wird nicht über euch herrschen; denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Vers 14). Das Gesetz fordert und gibt nichts, und darum sind wir unter dem Gesetz Sklaven der Sünde; die Gnade aber vergibt und gibt, und darum kann die Sünde nicht über uns herrschen. Unter der Gnade haben wir Gott auf unserer Seite, und Er ist stärker als die Sünde; und weil Er dieselbe gerichtet hat, so kann Er ihr nicht erlauben, zu herrschen.

Das Fleisch zwar sieht in der Gnade eine Gelegenheit zur Sünde; doch wir sehen in diesem Kapitel, wie der Apostel das jedes Mal zum Schweigen bringt. In Vers 1 heißt es: „Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme“? Nein, denn das würde nicht mehr die Gnade sein, die, um uns zu erretten, die Sünde vernichtet hat. Und hier in Vers 15 heißt es: „Sollten wir sündigen, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind“? Nein; denn in diesem Fall würden wir auf eine andere Weise Sklaven der Sünde werden; denn wir sind „Sklaven dessen, dem wir gehorchen, entweder der Sünde zum Tod oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit“ (Vers 16). Wir waren Sklaven der Sünde, weil wir in ihrem Gehorsam standen, jetzt aber, da wir in Christus Jesus sind, sind wir von der Sünde freigemacht und Sklaven der Gerechtigkeit geworden. Durch diese Freiheit sind wir frei gemacht, Gott zu dienen und der Gerechtigkeit zu gehorchen, während wir früher unmöglich Gott dienen konnten. Der Charakter des Lebens, das wir in Christus Jesus besitzen, ist der Gehorsam, und zwar der Gehorsam in der Gerechtigkeit. Wir wandeln in derselben Gerechtigkeit, die uns in Christus Jesus gerechtfertigt hat. Und ebenso frei, wie wir vorher von dieser Gerechtigkeit waren, ebenso frei sind wir jetzt in Christus von der Sünde (Vers 15–20).

Der Apostel gebraucht hier den Ausdruck: Sklaven der Gerechtigkeit wegen der Schwachheit des Fleisches, wie er sagt. Entweder würden die Römer ihn sonst nicht recht verstanden haben, oder es war zu befürchten, dass sie, falls er einen schwächeren Ausdruck gebraucht hätte, sich durch die Schwachheit des Fleisches hätte leiten lassen, in der Sünde voranzugehen. Diese Sklaverei ist nun kein Dienst ohne Furcht. Die praktische Gerechtigkeit offenbart sich in einer immer mehr zunehmenden Absonderung für Gott. Man gehorcht, und die Frucht des Gehorsams ist Heiligkeit – die geistliche Fähigkeit, die uns zu einer genaueren Erkenntnis Gottes führt.

Die letzten drei Verse zeigen uns dann die Frucht, das Ende und den Lohn eines Sklaven Gottes. Der Sklave der Sünde hat keine Frucht – nur Scham, und sein Ende und sein Lohn sind der Tod. Die Frucht des Sklaven Gottes aber ist zur Heiligkeit, und die von Gott empfangene Gnadengabe und sein Ende ist das ewige Leben. Er besitzt das Leben jetzt schon in Christus Jesus, aber es liegt auch bereit für den Ausgang seines Wandels (Verse 21–23).

Fußnoten

  • 1 Der Ausdruck „einsgemacht worden“ in Vers 5 bedeutet eigentlich: eine Pflanze geworden, zusammengepflanzt worden.
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