Der Brief an die Römer

Kapitel 3,1-20

Der Brief an die Römer

Durch das vorhin Gesagte musste ganz natürlich die Frage entstehen: Was ist denn nun der Vorteil des Juden? oder was ist der Nutzen der Beschneidung (Vers 1)? Die Beantwortung dieser Frage finden wir in Vers 2. Ihr Vorrecht bestand zunächst darin, dass sie die Aussprüche Gottes besaßen (die übrigen Vorrechte werden später in Kapitel 9 aufgezählt). Dann stellt der Apostel in Vers 3 eine zweite Frage vor, die ebenfalls von Gläubigen aus den Juden gestellt werden konnte: ob nämlich durch den Unglauben einiger die Treue Gottes in Bezug auf die Aussprüche aufgehoben sei? Der Apostel erwidert: „Das sei ferne“! Gottes Treue kann durch nichts verändert werden; vielmehr wird sie durch den Unglauben des Menschen nur noch mehr ans Licht gestellt. Wie sehr sich auch jeder Mensch als Lügner offenbaren mag, so bleibt doch Gott der Wahrhaftige, der – will jemand mit Ihm rechten – in allen seinen Worten gerechtfertigt und in jedem Urteil als Überwinder dastehen wird (Vers 4). Er bleibt aber ebenso wahrhaftig in seinen Drohungen wie auch in seinen Verheißungen; und wenn Israel Ihn verworfen hat, so muss es auch sein Gericht erfahren. So groß auch seine Vorteile sein mochten, so verminderte dieses doch nicht im Geringsten die Forderungen der Gerechtigkeit Gottes.

Die Ungerechtigkeit der Juden verherrlichte zwar die unfehlbare Treue Gottes, aber es war für die Masse der Nation nicht von Nutzen (Vers 5). Gott bestraft die Ungläubigen nach dem, was sie sind, und auf eine andere Weise kann Gott niemand richten, selbst nicht die Welt, deren Gericht doch von den Juden gewünscht wurde; denn der Zustand der Welt erhöht ebenfalls die Treue Gottes gegen sein Volk (Vers 6). Wie töricht würde es also sein, zu denken, dass Gott den Sünder nicht bestrafen, sondern vielmehr belohnen müsse, weil durch seine Lüge die Wahrhaftigkeit Gottes umso mehr ans Licht trete! Ein solcher widersinniger Gedanke – als ob die guten Folgen einer Übertretung von der wohlverdienten Strafe befreie – müsse notwendig diesen schlechten Grundsatz, womit die Gläubigen oft beschuldigt worden sind, zur Wahrheit machen. „Lasst uns das Böse tun, damit das Gute komme“. Alle aber, die so denken und handeln, wird ein gerechtes Urteil treffen (Vers 7 und 8).

Wenn nun die Juden Vorteile hatten, waren sie deshalb besser? Hatten sie irgendwelche Vorzüge? Gar keine; denn alle waren unter der Sünde, sowohl Juden als Heiden, wie schon bewiesen ist (Vers 9). Das leugneten die Juden in Bezug auf die Heiden zwar nicht, wohl aber in Bezug auf sich selbst. Und deshalb führt der Apostel mehrere Stellen des Alten Testaments an, die ganz klar beweisen, dass sie in dieses Urteil mit eingeschlossen sind (Verse 10–18). Gerade jene Aussprüche Gottes, die Israel als ein großes Vorrecht anvertraut worden waren, erklärten auf eine ganz feierliche Weise, dass auch die Juden unter der Sünde und unter dem Gericht waren. Sie selbst behaupteten und rühmten sich sogar, dass ihnen das Gesetz gehöre und dass es an sie gerichtet sei; und wenn das so war, so galt auch ihnen diese schreckliche Beschreibung ihres inneren und äußeren Zustandes und die ernste Erklärung Gottes, dass kein Gerechter unter ihnen zu finden sei (Vers 10). Sie sahen in ihren Psalmen und Propheten ihr eigenes trauriges Bild entworfen, was namentlich in den angeführten Stellen Psalm 14,1–3 und Jesaja 59,7 und 8 so bestimmt ausgedrückt ist. In Vers 19 fügt dann der Apostel diesen ernsten verurteilenden Aussprüchen des Alten Testaments die Worte hinzu: „Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es zu denen redet, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei“(Vers 19). Juden und Heiden stehen schuldbeladen vor Gott. Kein Mensch wird durch Gesetzeswerke vor Ihm gerechtfertigt werden (Vers 20); denn jene, die das Gesetz hatten, waren durch Übertretung desselben umso mehr schuldig geworden. „Durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Vers 20); es stellt sie noch mehr ans Licht und zeigt ihren wahren Charakter; aber es gibt weder Macht gegen dieselbe, noch Rechtfertigung von derselben.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel